Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2011-0113
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(TEN-)Mission impossible?
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Christian Dahm
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Internationales Verkehrswesen (63) 6 | 2011 53 (TEN-)Mission impossible? D ie Aufgabe, die nationalen Straßen, Schienen- und Wasserwege sowie Flug-, See- und Binnenhäfen zu einem Transeuropäischen Verkehrsnetz (TEN) zusammenzuführen, ist nicht neu. Doch bislang hielten sich die Erfolge in Grenzen. Denn die in Aussicht gestellten Gelder aus Brüssel konnten die unter enormen Haushaltszwängen leidenden nationalen Regierungen nur bedingt überzeugen, Mittel für den Bau von Teilstücken europäischer Verkehrsachsen locker zu machen. Wenn überhaupt, dann wurde in nationale Verkehrsinfrastrukturprojekte investiert. „In der EU gibt es im Bahnbereich sieben verschiedene Spurweiten, und nur 20 der Großflughäfen und 35 der wichtigsten Häfen sind direkt an das Schienennetz angebunden“, bringt EU-Verkehrskommissar Siim Kallas die Herausforderungen auf den Punkt. Ist die Realisierung des TEN-Netzes eine „Mission impossible“? Die Kommission glaubt das nicht und hat sich mit der Revision der TEN-Leitlinien eine neue Strategie ausgedacht, wie aus dem Flickenteppich ein Webteppich wird. Um endlich die fehlenden Brücken über die Landesgrenzen der EU-Mitgliedstaaten zu schlagen, hat die Kommission ein TEN- Kernnetz definiert. „Das neue Kernnetz soll 83 Häfen und 37 Flughäfen an das Bahn- und Straßennetz anbinden. Zudem werden 35 große grenzüberschreitende Vorhaben verwirklicht“, betont Kallas. Herzstück dieses Kernnetzes sind zehn Korridore, die den Hauptverkehrsströmen Rechnung tragen. Die Korridore mit deutscher Beteiligung sind: Rotterdam-Genua über Köln und Mannheim, Amsterdam- Warschau über Hannover und Berlin, Lissabon-Paris-Straßburg/ Mannheim, Hamburg/ Rostock-Constanza, Helsinki-Valetta über Hamburg, München und Brennerbasistunnel der Donaukorridor. Weitere Korridore sind Algeciras-Barcelona-Lyon-Mailand-Budapest-Ukraine, Helsinki-Warschau-Wien-Ravenna und Antwerpen- Lyon-Basel sowie Dublin-London-Paris-Brüssel. Das Kernnetz wird durch ein umfassendes Gesamtnetz von Zubringern auf regionaler und nationaler Ebene ergänzt. Schwerpunkt soll die Finanzierung von Schienen- und Schiffahrtsprojekten sein. Für die Kommission ist das Transeuropäische Verkehrsnetz ein wesentliches Instrument der EU-Verkehrspolitik zur Erreichung des übergeordneten Ziels, die verkehrsbedingten Emissionen bis 2050 um 60 % zu senken. Das TEN-Netz soll eine erhebliche Verlagerung von Personen- und Güterverkehrsströmen vom Straßenverkehr auf die Schiene sowie See- und Binnenschife erleichtern. Deshalb kommen neue Straßenprojekte so gut wie gar nicht in den Genuss von TEN-Mitteln. Christian Dahm EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Logistik-Zeitung in Brüssel B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON CHRISTIAN DAHM Der Schlüssel zum Erfolg des Transeuropäischen Verkehrsnetzes bleiben die Mitgliedstaaten. Daran wird auch die Tatsache nichts ändern, dass die EU-Mittel von derzeit 8 Mrd. EUR im Finanzzeitraum 2014 bis 2020 auf satte 31,7 Mrd. EUR angehoben werden. Allein die Kosten für das Kernnetz werden in der ersten Finanzierungsphase bis 2020 auf insgesamt 250 Mrd. EUR geschätzt. Zwar wird die Kofinanzierung aus EU-Mitteln im Kernnetz generell von 10 auf 20 % angehoben. Und bei grenzüberschreitenden Binnenschiffahrts- oder Bahnvorhaben sind sogar bis zu 40 % möglich. Doch den Bärenanteil zur Verwirklichung des TEN-Netzes müssen trotzdem weiterhin die EU-Länder stemmen. Dazu waren sie in der Vergangenheit nur bedingt bereit. Die Kommission ist aber optimistisch, dass sich dies in Zukunft ändern wird. Die EU-Behörde stützt ihre Hofnung dabei auf die Tatsache, dass die Nationalstaaten bei der Definition des Kernnetzes eng eingebunden wurden. Ob jedoch die daraus resultierende Selbstverpflichtung ausreicht, die einzelnen Vorhaben fristgerecht zu realisieren, darf bezweifelt werden. Die Kommission führt zudem ins Feld, dass es sich bei den neuen TEN-Leitlinien nun um eine Verordnung handle. Waren in der Vergangenheit vor allem die Nationalstaaten für die Realisierung der Infrastrukturvorhaben zuständig, seien dies heutzutage immer öfter andere Gebietskörperschaften wie Regionen und Kommunen. Deshalb sei der Charakter einer Verordnung wichtig, da diese in all ihren Teilen verbindlich ist und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gilt. Doch das löst immer noch nicht das grundlegende Problem bei der Realisierung des TEN-Netzes: Was passiert, wenn Mitgliedstaaten ihre Verpflichtungen einfach nicht einhalten? Einen Schritt in die richtige Richtung machte die Kommission Ende 2010, als sie erstmals bereits bewilligte TEN-Mittel zurückforderte. Der Grund waren Verspätungen bei der Realisierung der Vorhaben. Die einbehaltenen Mittel werden über Ausschreibungen erneut an Mitgliedstaaten vergeben. Die Kommission ist überzeugt, dass diese Maßnahme Wirkung gezeigt hat und zeigen wird. Doch hätte die EU-Behörde ruhig noch einen Schritt weiter gehen und sich ambitionierter zeigen können. Denn wenn die Kommission die Mitgliedstaaten schon nicht zu ihrem Glück zwingen kann, dann sollte sie doch zumindest die Anreize erhöhen. Und das wäre über ein einfaches Bonus-Malus-System möglich. Verschleppt ein Mitgliedstaat beispielsweise den Ausbau eines Korridors, könnte die Kommission das Vorhaben von der Liste vorrangiger Projekte streichen oder die Zuschüsse für andere Vorhaben des Landes kürzen. Zeigt sich eine Regierung besonders investitionsfreudig, könnte dies im Gegenzug mit zusätzlichen TEN-Mitteln honoriert werden. Dann könnte die TEN-Mission-impossible doch noch ein Happy End haben. »Aus dem Flickenteppich der nationalen Verkehrsnetze soll ein Webteppich werden.«
