eJournals Internationales Verkehrswesen 63/6

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2011-0115
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2011
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Intelligente Luftfrachtcontainer

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2011
Martin Fledler
Arkadius Schler
Täglich werden tonnenweise Lebensmittel, Bauteile und andere Güter per Flugzeug rund um den Globus transportiert. Intelligente Luftfrachtcontainer könnten schon bald dazu beitragen, dass die Ware zuverlässig und noch schneller beim Empfänger eintrift: Sie suchen sich selbst ihren Weg und passen auf, dass sie die richtige Ladung transportieren.
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Internationales Verkehrswesen (63) 6 | 2011 56 Intelligente Luftfrachtcontainer Täglich werden tonnenweise Lebensmittel, Bauteile und andere Güter per Flugzeug rund um den Globus transportiert. Intelligente Luftfrachtcontainer könnten schon bald dazu beitragen, dass die Ware zuverlässig und noch schneller beim Empfänger eintrift: Sie suchen sich selbst ihren Weg und passen auf, dass sie die richtige Ladung transportieren. D as Ziel des durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie BMWi im Rahmen des Autonomik-Programms geförderten Verbundvorhabens DyCoNet „Dynamische Container-Netzwerke“ ist die Entwicklung von intelligenten Luftfrachtcontainern (SmartULDs), die ohne betriebliche Infrastruktur mit dezentralen, energieautarken Funksensorknoten ausgestattet sind und so mit einem übergreifenden Netzwerk interagieren können. Des Weiteren werden logistische Prozesse auf einem Flughafen analysiert. Diese sollen durch den Einsatz der SmartULDs optimiert werden. Neben den Prozessoptimierungen können durch neue Funktionalitäten, die der SmartULD zur Verfügung stellt, die Transport- und Lagerüberwachung vereinfacht und verbessert werden. Die SmartULDs verfügen über ein intelligentes Energiemanagement, das einen Energiespeicher mit der Möglichkeit, Energie aus der Umwelt zu beziehen, kombinieren kann. Zur Aufrechterhaltung von Teilen der Hardwareenergieversorgung wird Energy Harvesting benutzt. Der Einsatz von Energy Harvesting sowie von energiesparsamer Hardware und energieschonender Software ist notwendig, da der SmartULD für mindestens ein Jahr ohne Wartung und ohne Aufladung autark arbeiten soll. Daten der Umwelt werden durch Sensorkomponenten erfasst, die in den abstrakten Kontext der Geschäftsprozesse transformiert werden und auf dieser Basis autarke Handlungen in der Realität, wie zum Beispiel das Auslösen von Alarmen, ausführen. Die Ermittlung der aktuellen Position des SmartULD erfolgt über ein eingebautes GPS- und GSM-Modul. An der Entwicklung des intelligenten Luftfrachtcontainers arbeitet im Verbundprojekt DyCoNet das Projektteam, das aus der Lufthansa Cargo AG (Konsortialführerschaft), der InnoTec DATA GmbH & Co. KG (Hardwareentwicklung), der PalNet GmbH (ULD-Fertigung), der Jettainer GmbH (ULD-Management), der EnOcean GmbH (Energy Harvesting) und dem Fraunhofer- Institut für Materialfluss und Logistik IML (Technologiemanagement) besteht. Die im Projekt erarbeiteten Lösungen müssen von der EASA freigegeben werden, um in der Luftfracht eingesetzt zu werden, denn aktiv sendende Funkkomponenten können einen Einfluss auf die empfindliche Flugzeugelektronik haben. Hier arbeitet das Projektteam zurzeit an einem speziell für diesen Zweck entwickeltes Gerät, das die Funkkomponenten während der Flugphase sicher abschaltet. Dezentral lösen, zentral informieren Allgemein wird der Lösungsansatz verfolgt, möglichst einfache Aufgaben an die Smart- ULDs zu übergeben, die diese autonom ohne weitere Einflussnahme eines überliegenden IT-Systems lösen können. Erst wenn eine (Teil-)aufgabe erfolgreich abschlossen TECHNOLOGIE Luftfracht Foto: Lufthansa Internationales Verkehrswesen (63) 6 | 2011 57 wurde oder ein Fehler vorliegt, wird ein überliegendes System informiert. Als selbststeuernde Ladungsträger nach dem Prinzip des „Internet der Dinge“ trefen die ULDs vor Ort eigene Entscheidungen. Das Projekt entwickelt ein intelligentes Telematikmodul inklusive der dazugehörigen Software, die in einem speziellen Gehäuse in einem ULD-Container verbaut wird. Von Anfang an werden dabei der rechtliche Rahmen und Fragen der Zulassung betrachtet. Der im Projekt ausgewählte LD3-Luftfrachtcontainer besteht gegenüber herkömmlichen Aluminiumcontainern aus einem Kompositmaterial und spart rund 15 % Gewicht ein. Mitsamt der integrierten Hardware wird der ULD so zu einem SmartULD. Softwareseitig werden mit Hilfe des intelligenten Telematikmoduls Softwareagenten eingesetzt, die eine von einem ULD zu bearbeitende Aufgabe entgegennehmen und selbstständig lösen können. Mit Hilfe der verbauten Sensorik kann ein SmartULD so seine Umgebung erfassen, sie auswerten und je nach aktuell verfolgtem Auftrag Aktionen auslösen (Sense-Think-Act). Einem Agenten stehen mehrere Sensoren der Hardwareplattform zur Verfügung. In einem ersten Schritt ist der Einsatz eines GPS-Moduls sowie von Sensoren zur Umweltüberwachung, wie Türöfnungs-, Temperatur- und Erschütterungssensoren vorgesehen. Durch den Einsatz von GPS ist es einem Agenten jederzeit möglich, seinen Standort exakt zu bestimmen und so den Verlauf seiner eigenen Bewegung nachzuvollziehen. Für einen Kunden steht so ein weltweites Tracking und Tracing zur Verfügung. Der Agent kann durch die Ortsinformation z. B. mögliche Verspätungen rechtzeitig erkennen. Mit Hilfe der weiteren Sensorik können Temperaturüber-/ unterschreitungen, ungewollte Erschütterungen oder gar mögliche Beschädigungen während des Transports frühzeitig erkannt, verhindert und zurückverfolgt werden. Es wird ein generischer Ansatz verfolgt, der es erlaubt, die Art und Anzahl an Sensoren je nach Anwendungszweck nahezu beliebig zu erweitern. Eine besondere Herausforderung ist die Anbringung der Elektronikkomponenten sowie Sensoren am ULD- Container, die den Prozessbedingungen standhalten muss. Das Thema Energiemanagement des intelligenten Telematikmoduls ist ein wichtiger Forschungsschwerpunkt. Ein SmartULD kann nur eine begrenzte Menge an Energie in Form von Batterien mitführen, um die Gewichtseinsparungen des verwendeten Lightweight-ULD-Containers nicht zu beeinträchtigen und den möglichen Laderaum nicht unnötig zu verkleinern. Aus diesem Grund wird der Einsatz von Energy Harvesting-Technologien erforscht. Es wird geprüft, wie weit Vibrations-, Temperatur- und Lichtwandler eingebracht werden können, um den Energiebedarf des Telematikmoduls zu decken. Dieses bedarf einer weitgehenden Aufnahme und Analyse der Umgebungsbedingungen, denen ein ULD in den verschiedenen Prozessschritten ausgesetzt ist. Erst daraus lassen sich mögliche an den Bedarf sowie den ULD-Container angepasste Energiewandlerkonzepte erstellen. Ziel ist es, durch den Einsatz von Energy Harvesting kosten- und zeitintensive manuelle Prozesse zum Austausch des Energiespeichers zu verringern. Im Rahmen des Projekts wurden spezielle Datenlogger entwickelt, welche die Umgebungseinflüsse eines ULD-Containers am Boden und in der Luft aufzeichnen. Das Projektteam entwickelt ein gemeinsames Kommunikationsnetzwerk der Smart- ULDs, mit dem sie zum einen untereinander Nachrichten austauschen und zum anderen mit übergelagerten Systemen kommunizieren können. Generell stehen zwei Technologien zur Kommunikation zur Auswahl. Über das standardisierte GSM-Protokoll besteht die Möglichkeit, quasi infrastrukturlos mit überliegenden Systemen zu kommunizieren. Die de facto weltweite Verfügbarkeit von GSM-Mobilfunk an Flughäfen garantiert eine ständige Erreichbarkeit eines SmartULD. Dieser Kommunikationskanal soll genutzt werden, um z. B. Alarme an überliegende Systeme zu melden. Über eine Short-Range Wireless (SRW)-Technologie kann jeder SmartULD mit anderen SmartULDs der nahen Umgebung kommunizieren. Hier werden keine Basisstationen und kein Provider wie bei GSM benötigt, jeder ULD ist eine Basisstation - dafür ist die Reichweite deutlich geringer. Mit der SRW-Kommunikation kann so festgestellt werden, welche ULDs in einer Gruppe zusammenstehen. Dadurch können z. B. Zusammenlagerungsverbote bei Gefahrgütern überwacht werden. Der Energieverbrauch spielt bei der Datenübermittlung eine große Rolle. GSM benötigt einige Größenordnungen mehr Energie als die SRW-Kommunikation, so dass derjenige SmartULD in einer Gruppe Nachrichten per GSM an eine Leitstelle weiterleitet, der noch am meisten Energiereserven übrig hat. Weiterhin könnte auch die Vergabe eines Transportauftrags von den SmartULDs vor Ort selbst verhandelt werden. Es wird dann dem SmartULD der Auftrag erteilt, der z. B. den kürzesten Antransport zum Build-up hat, mit den passenden Sensoren ausgestattet ist oder noch genügend Energie zur Verfügung hat. Nutzen und weitere Verwendbarkeit Durch den Einsatz des intelligenten ULD kann die Prozesstransparenz erhöht werden. Die Fluggesellschaft kennt zu jedem Zeitpunkt die exakte Ortsinformation des ULD, kann ermitteln, ob während des Transports Alarme, wie z. B. Temperaturüber- oder -unterschreitungen aufgetreten sind oder ob der ULD starken Erschütterungen ausgesetzt wurde. Dadurch kann die Fluggesellschaft für ihre Kunden einen unbeschadeten Transportverlauf sicherstellen. Außerdem können durch die Zielinformationen, die der ULD enthält, unter Zuhilfenahme der Ortsinformationen Fehlverladungen vermieden werden. Der ULD kann dafür seine aktuelle Position ermitteln und entsprechend auf die Zielstation hinsteuern. Stimmen die Routeninformationen nicht mit der Planung überein, schlägt der ULD Alarm. Aufgrund des eingebauten Türöfnungssensors kann ermittelt werden, wann und wo die Ladeluke des ULD geöfnet und geschlossen wurde. So kann bei fehlenden Gütern festgestellt werden, wann und wo diese entwendet worden sein könnten. Neben den wirtschaftlichen Vorteilen ist DyCoNet auch für die wissenschaftliche Forschung wertvoll. In den letzten Jahren wurde intensiv in dem Thema „Internet der Dinge“ geforscht. Es wurden viele Konzepte im Bereich der Software und Hardware entwickelt. Mit DyCoNet können die entwickelten Ansätze auf die Praxis übertragen werden. Somit ermöglicht das Forschungsvorhaben nicht nur die Umsetzung des Zielthemas „Internet der Dinge“, sondern eröfnet darüber hinaus auch die Möglichkeit, die bisherigen Forschungsergebnisse weiter zu untersuchen, zu validieren und neue Felder zu besetzen. Nach Projektende kann diese Technologie zunächst auf andere ULD-Containertypen, aber auch auf andere Bereiche außerhalb der Luftfahrt, wie z. B. auf den Land- oder Schifsverkehr übertragen werden. Das Projekt wird voraussichtlich Mitte 2013 beendet, weitere Projektinformationen finden Sie unter www.dyconet.de. ɷ Martin Fiedler, Dipl.-Inform. Abteilung Verpackungs- und Handels-Logistik, Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund martin.fiedler@iml.fraunhofer.de Arkadius Schier, Dipl.-Inform. Abteilung Software Engineering Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Dortmund arkadius.schier@iml.fraunhofer.de