eJournals Internationales Verkehrswesen 64/1

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0004
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2012
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»Mobilitätskosten: Realitäten und Illusionen«

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2012
Gerd Aberle
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KUrz + KrItISCH Gerd Aberle Internationales Verkehrswesen (64) 1 | 2012 13 M obilität muss bezahlbar bleiben. So lautet einer der Standardsprüche von Politikern und Interessenvertretern. Er bezieht sich vorrangig auf den Personen-, inhaltlich aber auch auf den Güterverkehr und wird immer dann mit Inbrunst vorgetragen, wenn die Gefahr einer Erhöhung der Nutzeranteile an den Mobilitätskosten gesehen wird. Deutschland verfügt über eines der leistungsfähigsten und einen sehr hohen Qualitätsstandard aufweisenden Verkehrssysteme. Wenn die Logistik in Deutschland als wichtiger Standortvorteil hoch gelobt wird, folgt dies sehr wesentlich aus der Qualität des Güterverkehrs und der vielen logistischen Leistungsanbieter in den Flug- und Seehäfen, den Binnenhäfen und den vielen Stückgut- Hubs. Gefahren für diese Leistungsfähigkeit beruhen auf den zunehmenden Kapazitätsengpässen in der Verkehrsinfrastruktur. Sie resultieren vor allem aus fehlenden Finanzmitteln. Was gern übersehen wird: Verkehrsmittelmobilität − ob Personen- oder Gütermobilität − ist eine außerordentlich kostenintensive Veranstaltung, insbesondere dann, wenn das hohe qualitative Niveau geschafen und erhalten werden soll. Nicht gern wird daran erinnert, dass in Deutschland pro Jahr zwischen 18 und 20 Mrd. EUR an nutzerwirksamen Subventionen mit dem Zweck der Mobilitätskostenreduzierung vom Steuerzahler bereitgestellt werden. Hierbei sind externe Kosten noch nicht berücksichtigt. Stichworte sind die Regionalisierungs- und GVFGbzw. Entlechtungsmittel, die Verlustabdeckungen bei ÖPNV-Unternehmen durch die Kommunen, die nicht aktivierten Investitions- und Baukostenzuschüsse des Bundes und der Länder insbesondere für die Verkehrsinfrastruktur und teilweise für ÖPNV-Fahrzeuge, die völlige oder teilweise Befreiung von Steuerplichten, die Verlustübernahmen bei zahlreichen sog. Regionallughäfen u. ä. So wird „Bezahlbarkeit“ künstlich durch hohe Finanzmitteltransfers hergestellt und dem Nutzer der Eindruck vermittelt, er würde schon sehr stark zur Kasse gezwungen. Wenn der Nutzer nur einen Bruchteil der Mobilitätskosten tragen muss und den großen Rest dem Steuerzahler überlässt, dann ist nicht nur eine grandiose Fehleinschätzung der tatsächlichen Kosten der Mobilität programmiert, sondern auch eine völlige Übersteigerung der Mobilitätsansprüche. In etwas abgewandelter Form gilt dies auch für den Güterverkehr. Einerseits proitiert er ebenfalls von der unvollständigen Anlastung einiger der genannten Mobilitätskosten, etwa bei den Inves- »Was gern übersehen wird: Verkehrsmittelmobilität − ob Personen- oder Gütermobilität − ist eine außerordentlich kostenintensive Veranstaltung.« Prof. Gerd aberle zu themen der Verkehrsbranche »Mobilitätskosten: Realitäten und Illusionen« titionszuschüssen in das Schienennetz. Andererseits tobt aber ein Mobilitätskostenverrechnungskampf zwischen der verladenden Wirtschaft, den Logistikdienstleistern und - als marktmachtschwächstes Glied in der Logistikkette - den Transportunternehmen. Extremen Margenschwächen bei der Mehrzahl der Verkehrsunternehmen stehen vergleichsweise hohe Renditen der Verlader gegenüber, obwohl aufgrund der Globalisierung und der permanent optimierten Logistikprozesse die Qualitätsanforderungen und die Kosten der Gütermobilität erheblich ansteigen. Die Bereitschaft, die entsprechenden transportspeziischen Folgekosten in die Entscheidungsindung einzubeziehen, wird durch die Asymmetrie der Machtverteilung in Logistikketten jedoch nachhaltig reduziert. Auch hier verlieren die tatsächlich anfallenden Mobilitätskosten ihre Steuerungswirkung durch marktmachtbedingte Verschiebungen zwischen den Kostenrechnungen und durch Preisdruck. So kann die Warnung vor höheren Mobilitätskosten oder auch nur vor deren anteilsmäßig steigender Anlastung an die Nutzer nur als Irreführung und Förderung der Mobilitätskostenillusion interpretiert werden. Vielmehr sollte als Realität die Aussage akzeptiert werden: „Mobilität ist kostenintensiv und muss von den Nutzern bezahlt werden“. Dabei wird anerkannt, dass in Sondersituationen, insbesondere im öfentlichen Personennahverkehr, Daseinsvorsorgeüberlegungen zu politisch gesetzten anteiligen öfentlichen Kostenübernahmen führen. Das gilt auch beim Schienennetz der Eisenbahnen aufgrund der hier sehr speziellen Kosten- und Erlösbedingungen. Die wirtschaftlichen Nutzerverantwortlichkeiten sollten dabei jedoch im Prinzip erhalten und transparent gemacht werden. ɷ