Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0013
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Kehrtwende in DB-Richtung
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Christian Dahm
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Internationales Verkehrswesen (64) 1 | 2012 41 Kehrtwende in DB-Richtung D ie Diskussion über die Überarbeitung des ersten Eisenbahnpakets (Recast) erinnert an eine Autofahrt − der Fahrer kennt den Weg, doch das GPS kennt nur einen Satz: „Bitte wenden! “ Das Ergebnis sind nicht selten Kehrtwenden, und dies ohne Grund. Seit die Europäische Kommission im Sommer 2010 ihre Vorschläge zur Vollendung der Liberalisierung des Schienengüterverkehrs vorgelegt hat, konnten einige famose Drehungen um 180- Grad beobachtet werden. Und rückblickend wird unweigerlich klar, dass die Stimme des GPS die eines gewissen Rüdiger Grube gewesen sein muss. Es war vor allem die im Europäischen Parlament (EP) diskutierte Trennung der Rechnungsführung, welche die DB-Lobbyisten auf den Plan rief. DB-Chef Grube intervenierte gar an höchster Stelle, um den Kompromissänderungsantrag zu Finanzströmen innerhalb eines Bahnunternehmens zu kippen. Die konservative EVP-Fraktion und die Sozialdemokraten hatten sich darauf verständigt, die vom EP-Verkehrsauschuss verabschiedete generelle Kapitalrückerstattung explizit auf Finanzdarlehen aus nicht öfentlichen Mitteln zu beschränken. „Es besteht ein erhebliches Risiko, dass die neue Formulierung so ausgelegt wird, dass das von der Holding in der Infrastruktur eingesetzte Eigenkapital nicht verzinst werden kann“, hieß es in einem Schreiben von Grube an Staatssekretär Klaus-Dieter Scheurle. Grube plädiert in dem Schreiben dafür, dass ein Verbot der Erlösabführung verhindert werden müsse. Scheurle forderte er auf, dass die Bundesregierung sich gegenüber den Parlamentariern dahingehend aussprechen solle. Ähnliche Schreiben gingen an Verkehrsminister Peter Ramsauer und den Vorsitzenden der sozialdemokratischen EP-Fraktion, Martin Schulz. Wendehälse in der eVP Der massive Lobby-Druck der DB zeigte Wirkung. Am Abend vor der Abstimmung beschloss eine Mehrheit der EVP-Fraktion, gegen ihren eigenen Änderungsantrag zu stimmen. Dabei hatte die Kommission noch versucht, die Europaabgeordneten über die Beweggründe der DB aufzuklären. Demnach fordere die DB-Holding als Eigentümer des Netzes von der DB Netz AG Zinsen für den gesamten Kapitalwert, heißt es in einem internen Schreiben an das EP. Christian dahm EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Logistik-Zeitung in Brüssel B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON CHRISTIAN DAHM Bei dem für das laufende Jahr veranschlagten Transfer von 800 Mio. EUR von der DB Netz an die Holding und einem Zinssatz von 3 % betrage der Kapitalwert des Netzes 24-Mrd.-EUR. Soviel habe die DB aber nie und nimmer investiert. Doch die Bemühungen der Kommission kamen zu spät, hatte es auch bei der EU-Behörde geheißen: „Bitte wenden! “ Seit im EU-Ministerrat deutlich wurde, dass die strikte Trennung keine Chancen im EU-Ministerrat hat und ein Konfrontationskurs die Verabschiedung des Recast erheblich verzögern würde, ließ die Kommission EP-Berichterstatterin Debora Serracchiani mit ihren entsprechenden Forderungen im Regen stehen. Aber auch bei der SNCF hieß es plötzlich: „Bitte wenden! “ Hatte die französische Bahn Anfang des Jahres noch eine umfangreiche Lobbying-Kampagne für die strikte Trennung geführt, vollzieht sich nun eine Kehrtwende um 180- Grad. Ganz nach dem Motto: „If you can’t beat ist - join it“ hat die SNCF ofenbar das DB-Holdingmodell für sich entdeckt. Wie Diskussionen in Frankreich zeigen, deutet vieles darauf hin, als werde sich die SNCF nach deutschem Vorbild wieder als integriertes Bahnunternehmen aufstellen, um so künftig für den Liberalisierungsprozess in der EU gewappnet zu sein. dB sucht Immunität Diese integrierte Struktur versucht die DB mit allen Mitteln zu retten. Und der Recast kann dabei zu einer entscheidenden Etappe werden. Denn die Kommission dürfte in Kürze ein neues Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eröfnen. Der Grund ist die Gewinnabführung von DB Netz an die Holding. Ziel der DB ist es deshalb, sich über den Recast zu immunisieren, indem das von der Holding in der Infrastruktur eingesetzte Eigenkapital weiterhin verzinst werden kann. Die Kommission ist überzeugt, dass die vom EP erlaubte Kapitalrückerstattung dafür ein Freibrief ist und somit ein Rückschritt zu geltendem EU-Recht, das einen Transfer von öfentlichen Mittel für Infrastruktur an Verkehrsunternehmen untersagt. Vor diesem Hintergrund wird klar, warum sich die DB so ins Zeug legt. Und für den Fall, dass trotz aller Anstrengungen die EU das deutsche Holdingmodell verbieten sollte, hat DB-Chef Grube auch schon eine Antwort parat. „Sollte der Europäische Gerichtshof unsere Einschätzung nicht teilen, dass der integrierte Konzern rechtmäßig ist, kann die Konsequenz nur sein, dass die europäischen Regelwerke geändert werden", so Grube. Er hoft also, dass das EU-Recht angepasst wird, um eine Zerschlagung der DB-Holding zu vermeiden. Ganz nach dem Motto: Was nicht passt, wird eben passend gemacht! ɷ »Bei der Diskussion über Recast kamen einige Akteure vom eingeschlagenen Weg ab.«
