eJournals Internationales Verkehrswesen 64/1

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0016
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2012
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Intralogistikpotenziale noch nicht ausgeschöpft

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2012
Kerstin Zapp
Rainer Buchmann
Das Artikel- und Verpackungsspektrum sowie die Auftragszahlen bei immer kleineren Losgrößen wachsen. Kunden wünschen sich noch schnellere Durchlaufzeiten, größere Flexibilität, bessere Verfügbarkeit, geringere Lagerbestände und null Fehler in der Abwicklung. Hinzu kommen Energieeffizienzaspekte und individuelle Branchenlösungen. Wie sich die Anforderungen im Lager miteinander vereinbaren lassen, erfragte Kerstin Zapp bei Rainer Buchmann, Geschäftsführer von SSI Schäfer Peem, Graz.
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teCHNoloGIe Interview Rainer Buchmann Internationales Verkehrswesen (64) 1 | 2012 50 Intralogistikpotenziale noch nicht ausgeschöpft Das Artikel- und Verpackungsspektrum sowie die Auftragszahlen bei immer kleineren Losgrößen wachsen. Kunden wünschen sich noch schnellere Durchlaufzeiten, größere Flexibilität, bessere Verfügbarkeit, geringere Lagerbestände und null Fehler in der Abwicklung. Hinzu kommen Energieeizienzaspekte und individuelle Branchenlösungen. Wie sich die Anforderungen im Lager miteinander vereinbaren lassen, erfragte Kerstin Zapp bei Rainer Buchmann, Geschäftsführer von SSI Schäfer Peem, Graz. Herr Buchmann, SSi Schäfer hält sämtliche Kernkompetenzen der intralogistik im eigenen Haus. Warum? Unsere Devise „Alles aus einer Hand“ vermeidet Schnittstellen und undeinierte Zuständigkeiten im Projekt. Viele Kunden haben die Erfahrung gemacht, dass diverse namhafte Anbieter hervorragende Einzelkomponenten herstellen. Wenn diese jedoch kombiniert werden, liegt die Problematik in den Schnittstellen. Das beginnt schon bei der Regaltechnik, in die Fördertechnik sinnvoll platz-, kosten- und vor allem zeitsparend integriert werden kann, sofern die Schnittstellen stimmen, und gipfelt nicht selten in unterschiedlichen Serviceverträgen mit ungeklärten Zuständigkeiten. Hier bieten wir mit Logistikanlagen aus einer Hand und eigener Wertschöpfung deutlich verkürzte Durchlaufzeiten und eine klare Gesamtverantwortung. Die fehlerfreie Sendung mit vollständiger Dokumentation ist das Ziel eines jeden Warenverteillagers. Wie kommt man da hin? Die gängigen Pick-Methoden wie Pick-by- Light, Radio Frequency Picking oder Pickby-Voice, eventuell noch kombiniert mit Mobile Picking und Put-to-Light, ergeben schon eine extrem geringe Fehlerquote. Der Schlüssel liegt darin, durch automatisches Erkennen die menschlichen Tätigkeiten weiter zu unterstützen. Zusätzliche Dokumentation wird bei sehr teuren Gütern erwartet oder etwa bei der Chargenverfolgung im Gesundheitswesen. Dort gilt es vermehrt, sogar individuelle Seriennummern der versendeten Warenstücke zu erfassen. Hier kommt etwa unser SSI Order Veriier zum Einsatz, der den fertig kommissionierten Behälter automatisch entleert, die Produkte vereinzelt und mit einem Durchsatz von über 6000 Teilen pro Stunde alle sechs Seiten der Packungen per Kamera registriert, 1D- und 2D- (Matrix) Barcodes liest, zählt und zum Nachweis der Vollständigkeit noch ein Bild zur Verfügung stellt. und welche Möglichkeiten gibt es, die eizienz im Lager zu steigern? Die efektivste Methode ist immer noch, im Batch für mehrere Aufträge gleichzeitig zu picken, um Wegzeiten klein und die Entnahmemenge am Lagerort groß zu halten. Die Herausforderung ist die anschließende Vereinzelung und Konsolidierung. Hier bieten sich innovative Sorterlösungen in Kombination mit ergonomisch optimierten Arbeitsplätzen an. Zusätzliche Anforderungen sind Sortiertiefe, Produktschonung und Robustheit gegenüber sehr unterschiedlichen Auftragsgrößen. Das alles unter einen Hut zu bringen und noch die Eizienz weiter zu steigern, sind die aktuellen Diferenzierungsmerkmale in der Branche. Welche sind hier die neuesten entwicklungen aus ihrem Haus? Die Fulilment Factory ermöglicht es, B2B- und B2C-Belieferungen - also Endkundenaufträge gemischt mit Filialaufträgen - im selben Kommissionier- und Packprozess zu bedienen, unabhängig von Auftragsgrößen und Mischungsverhältnis. Die Fulilment Factory stellt Warenstücke reihenfolgeoptimiert bereit, erfüllt also inhärent Anforderungen nach „family grouping“ und „aisle friendly delivery“. Sie ermöglicht sogar eine Sequenzierung innerhalb eines Auftrags, beispielsweise gelangen schwere Teile unten in den Karton und die leichten, zerbrechlichen obenauf. Und ein wichtiger Faktor im wachsenden E-Commerce-Segment: Retouren lassen sich zusätzlich mit der Fulilment Factory unmittelbar in die aktuelle Auftragskommissionierung einschleusen. Schnelligkeit und null Fehler sind der eine, energieeizienz der andere aspekt, der derzeit die Diskussion bestimmt. Wo stecken die energiesparpotenziale im Lager? Themen wie Energierückspeisung und kleingliedrige Bedarfsabschaltungen bieten für das Gros der Installationen sicher noch viel Raum zur Energieersparnis. Zusätzliches Potenzial liegt in der bewegungsminimierten Konzeption von logistischen Anlagen - ein Thema, welches SSI Schäfer mit Hilfe intelligenter Materialluss-Software adressiert. als besonders energiesparend wird auch die zellulare intralogistik bezeichnet - überhaupt scheint sie für einige die Lösung aller Lagerprobleme zu sein. Was halten Sie von der Schwarmintelligenz im Lager? Die Schwarmintelligenz hat für mich großen Charme. Ob das in Energieeinsparung resultiert, bleibt abzuwarten. Denn generell geht die Natur, aus der das Schwarmkonzept stammt, eher verschwenderisch mit Ressourcen um. In jedem Fall ist es ein vielversprechender Ansatz, eine Intelligenz in die Gesamtheit auf Basis einfacher, standar- Internationales Verkehrswesen (64) 1 | 2012 51 disierter Elemente zu legen. Wie so oft in bahnbrechenden technischen Erindungen stellt die Natur die Blaupause. Was ist konkret besser, was schlechter als bei den bisherigen Systemen? Die Einfachheit der einzelnen Elemente macht den Charme des Schwarmkonzepts aus. Jedes Element hat seine klare Aufgabe. Die Gesamtheit ist mehr als die Summe der Einzelteile. Ob und wann das besser ist als die konventionellen Systeme, mag ich heute noch nicht beurteilen. Wertfrei gesagt: Es ist anders. eine weitere technik, die zunehmend auch mit intralogistik in Verbindung gebracht wird, ist rFiD. Welche rolle spielen künftig etwa rFiD-Gates im modernen Lager? Bei RFID in der Intralogistik muss man unterscheiden zwischen Behälterbzw. Sendungskennzeichnung und Produktkennzeichnung. Nicht alle Produkte eignen sich, in Bulk durch ein Gate erfasst zu werden. Hier schränken die technischen Limitationen der RFID-Technik, wie etwa Feldverluste durch Metalle und Flüssigkeiten in den Warenstücken, die viel publizierten Visionen deutlich ein. Dennoch gilt es, diese Technologie mit ihren unübersehbaren Vorteilen in den logistischen Prozess zu integrieren - zunächst wird das eher auf Behälter- und Sendungsebene erfolgen. Hierzu bietet SSI Schäfer schon seit längerem Behälter mit integriertem Chip an. Dies hat den Vorteil gegenüber Barcodes, dass keine Sichtverbindung notwendig ist und mechanische Beschädigungen des Codes ausgeschlossen sind. Die Möglichkeiten der RFID-Technik werden insgesamt noch zu wenig genutzt. Dies betrift jedoch eher den gesamten Prozess der Supply Chain, wo Statusinformationen wie Routing, Temperaturverlauf etc. mitgeführt werden können. Da kann derzeit kein Hersteller allein etwas bewirken. Es zeichnen sich aber erste konzertierte Aktionen und Pilotprojekte ab. Produktionsver- und -entsorgung, Lagerung, Kommissionierung, Sortierung bis zur versandfertigen Sendung: Wie weit kann automatisierung in welchem Bereich gehen? Ein Meilenstein ist zum Beispiel das SCP Schäfer Case Picking-System: Paletten werden layerweise vereinzelt, die einzelnen Layer auf einem Tray in ein Lagersystem eingelagert und bei Bedarf werden von dort die Einzelkartons vollautomatisch in der vorgegeben Packreihenfolge gepickt und von Robotern palettiert. Im Kleinteilebereich haben wir unseren auf der Logimat prämierten SSI Robo-Pick vorgestellt. Damit sind bis zu 2400 Einzelteil-Picks pro Stunde aus sortenreinen Behältern möglich, ohne dass die Produkte vorher „geteached“ werden müssen, was eine wirtschaftlich starke Einschränkung auhebt. Dennoch wird Technik auf absehbare Zeit das „lexible Wunder“ der menschlichen Hand nicht ersetzen können. Darum liegt unser Fokus eher auf ergonomischer Optimierung als auf Automation um jeden Preis. Wo bleiben manuelle Lösungen robotern überlegen? Es gibt nichts Flexibleres als den Menschen. In vielen Bereichen rechnet sich die automatische Kommissionierung nur bis maximal 80 %. Manche Teile können wegen Form und Beschafenheit nur manuell gepickt werden. Hier unterstützen intelligente ergonomische Arbeitsplätze und Ware-zum-Mann-Systeme die manuellen Tätigkeiten und erhöhen die Pickleistung und -qualität erheblich. ein Blick in die Zukunft: Welche trends sehen Sie für die einzelnen intralogistikbereiche? Der Trend zu immer kleineren Aufträgen wird sich fortsetzen. Die geforderte Auftragsdurchlaufzeit wird sich weiter verkürzen, das ist speziell im E-Commerce-Geschäft deutlich zu erkennen. Dies hat einen interessanten Nebenefekt: Mit steigender Gewöhnung an sofortige Belieferung steigt die Retourenquote reziprok zur Lieferzeit. Werden die Erwartungen nicht erfüllt, wird retourniert. Die Retouren sofort wieder in den Kreislauf einzusteuern, wird demnach für die Versender immer wichtiger. Herr Buchmann, vielen Dank für das Gespräch. ɷ rainer Buchmann hat an der TU Darmstadt Maschinenbau studiert und war unter anderem bei Mannesmann Demag Fördertechnik AG, Demag Material Handling Ltd. und Mannesmann Dematic (Siemens Dematic) tätig. Seit 2004 ist er Geschäftsführer der SSI Schäfer Peem GmbH, Graz. zUr PerSoN Die SSI Schäfer Peem GmbH ist spezialisiert auf modulare Kommissioniertechnik. Das Unternehmen plant, entwickelt und produziert hochdynamische Kleinteileförderanlagen sowie automatische Kommissionierungsanlagen und die dazugehörige Software. Die SSI Schäfer-Gruppe bietet alles zur Realisierung ganzheitlicher Lösungen der Intralogistik. zUM UNterNeHMeN Fotos: SSI Schäfer