Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0018
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RFID & Co
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Alexander Pflaum
An der Tatsache, dass Versorgungsketten an Überbeständen und Out of Stock-Situationen, an verspäteten Lieferungen, an Diebstahl, Schwund und anderen Symptomen verbesserungswürdiger Logistiksysteme leiden, hat sich trotz der immensen, inzwischen mehr als zehn Jahre andauernden Anstrengungen der Wirtschaft, die RFID-Technologie kettenübergreifend zu adoptieren, nicht wirklich viel geändert. Dabei versprechen „RFID & Co“ Wettbewerbsvorteile und Umsatzsteigerungen durch Zusatzdienstleistungen.
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teCHNoloGIe RFID Internationales Verkehrswesen (64) 1 | 2012 55 RFID & Co An der Tatsache, dass Versorgungsketten an Überbeständen und Out of Stock-Situationen, an verspäteten Lieferungen, an Diebstahl, Schwund und anderen Symptomen verbesserungswürdiger Logistiksysteme leiden, hat sich trotz der immensen, inzwischen mehr als zehn Jahre andauernden Anstrengungen der Wirtschaft, die RFID-Technologie kettenübergreifend zu adoptieren, nicht wirklich viel geändert. Dabei versprechen „RFID & Co“ Wettbewerbsvorteile und Umsatzsteigerungen durch Zusatzdienstleistungen. B isher sind die wenigen erfolgreichen Implementierungsprojekte nicht mehr als Tropfen auf dem heißen Stein und mehr oder weniger verpuft. Auf den ersten Blick eigentlich unverständlich, wenn man das Potenzial der RFID-Technik betrachtet, Waren und Informationslüsse durchgängig miteinander zu verknüpfen, die Transparenz von Versorgungsketten zu erhöhen, Kosten einzusparen und Unternehmensumsätze zu steigern. Aber Moment! Umsätze steigern? In den vergangenen zehn Jahren konzentrierten sich Wissenschaft und Praxis nahezu ausschließlich auf die notwendige, aber langweilige Aufgabe der RFID-basierten Kostenoptimierung, die man im Unternehmen gern internen oder externen Beratern überlässt. Fleißarbeit also. Nicht wirklich prickelnd für das höhere Management. entscheidende Fragen Wie wäre es aber, wenn man dem Kunden völlig neue Mehrwertdienstleistungen rund um das eigene Produkt anböte, die ohne RFID beziehungsweise ohne höhere Transparenz und Datenqualität gar nicht erst möglich wären? Welche zusätzlichen Umsätze und welcher Marktanteil ließen sich hier erreichen? Wie müsste sich vor diesem Hintergrund die Unternehmensstrategie verändern? Was würden passieren, wenn der größte Wettbewerber am Markt plötzlich Antworten auf diese Fragen hätte und das eigene Unternehmen nicht? Fragen über Fragen, die bisher im Hintergrund standen und erst seit wenigen Jahren Gegenstand von Forschungsarbeiten und ersten Gesprächen mit Wirtschaftsvertretern sind. Erste Antworten sind inzwischen gefunden und versprechen in den kommenden Jahren eine schnellere und vielschichtige Adoption von RFID und anderen so genannten „Smart Object“-Technologien. Die wesentliche Voraussetzung hierfür - ein breites Portfolio unterschiedlichster elektronischer Etiketten, welches in Summe die wesentlichen Anforderungen einer großen Zahl möglicher Zusatzdienstleistungen erfüllt - sowie die erforderlichen komplementären Systembausteine sind vorhanden. Neben den bereits seit dreißig Jahren im Bereich der Automobilindustrie eingesetzten mobilen Datenspeichern, der inzwischen beinahe grenzenlosen Palette so genannter „Smartlabel“ für Handel und Logistik, existieren RFID-Etiketten mit integrierter Sensorik für die Überwachung von Kühlketten sowie Netzwerke drahtlos verknüpfter Sensortags, bei denen die elektronischen Etiketten selbst miteinander sprechen. Auch Echtzeitlokalisierungssysteme auf Basis von Funketiketten und miniaturisierte Telematikmodule für die Verfolgung von Containern und Wechselbrücken werden inzwischen in großer Zahl angeboten. Eventuell erforderliche Anpassungen sind betriebswirtschaftlich oft unproblematisch. Die Aufwendungen gehen in den Projektbudgets unter. Herausforderungen Die eigentliche Herausforderung liegt wohl eher in der Wahl der richtigen Technologie für eine gegebene Anwendung im Unternehmen. Diese hängt von unterschiedlichsten Rahmenbedingungen ab, und es mag durchaus so sein, dass sich für die gleiche Anwendung in unterschiedlichen Unternehmen auch verschiedene Technologien eignen. Die Kunst liegt darin, die Rahmenbedingungen sauber zu deinieren, Anforderungen umfassend abzuleiten und im Anschluss eine nachhaltige Investitionsentscheidung zu trefen. Entsprechende methodische Hilfsmittel sind vorhanden. Zum zweiten stellt die Entwicklung der eigentlichen Anwendung und deren Einbettung in einen Dienstleistungskontext eine Herausforderung dar. Man möchte die Technologie-immanenten Nutzenpotenziale ja so weit wie möglich umsetzen. Nachdem die wissenschaftliche Disziplin des Service Engineerings bislang keinerlei passende Vorgehensmodelle liefern konnte, Flugschreiber mit RFID-Etikett Foto: Fraunhofer IIS Der Autor: alexander Pflaum teCHNoloGIe RFID Für eine wegweisende, anwendungsorientierte Forschungs- und Entwicklungsarbeit zur Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit soll 2012 der Verkehrssicherheitspreis des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung verliehen werden. Es können Arbeiten ausgezeichnet werden, die Risiken hinsichtlich der Verkehrssicherheit aufzeigen, fundierte Lösungen anbieten und sich kritisch mit ihrer Verwirklichung auseinandersetzen. Die Arbeiten müssen dem Niveau einer abschließenden Examensarbeit an einer Hochschule entsprechen; der Abschluss der Arbeit darf nicht länger als zwei Jahre - vom Datum der Einsendung gerechnet - zurückliegen. Der Preis kann nur an Personen oder Personengruppen vergeben werden, die beim Abschluss der Arbeit nicht älter als 45 Jahre waren. Personen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) sind nicht teilnahmeberechtigt. Die Höhe des Preises beträgt 30.000 €. Eine Teilung des Preises ist möglich. Über die Vergabe des Preises entscheidet ein vom BMVBS berufenes Preisgericht. Die Preisverleihung soll am 5. Oktober 2012 in Baden-Baden erfolgen. Interessenten können entsprechend abgeschlossene Arbeiten bis zum 31. März 2012 einreichen bei der Bundesanstalt für Straßenwesen z. Hd. Petra Bauer Brüderstraße 53 D-51427 Bergisch Gladbach Telefonische Auskunft: +49 (0)2204 43 182 Bewerbungsunterlagen anfordern: bastaktuell@bast.de oder auf der Homepage der BASt unter www.bast.de wurde am Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen IIS das Vorgehensmodell „Nürnberger Service Engineering Binokular NSEB®“ entwickelt, welches die beschriebene Lücke schließt. Bereits vorhandene sowie neu entwickelte Methoden und Werkzeuge kommen entlang dieses Modells zum Einsatz und erlauben eine eiziente und efektive Entwicklung der oben genannten Zusatzdienste. Kurz: Hat das Management im Unternehmen erkannt, welche Potenziale in RFID- und Smart Object-basierten Zusatzdienstleistungen stecken, bieten Wissenschaft und Forschung auch umfassende Unterstützung, viel versprechende Serviceideen schnell und qualitativ hochwertig in die Praxis umzusetzen. Beispiele Eine Reihe von Pionieren hat dies bereits erkannt. Lufthansa Technik Logistik hat zum Beispiel in den vergangenen fünf Jahren gemeinsam mit dem Fraunhofer IIS und weiteren Partnern ein RFID-basiertes System zur Unterstützung einer neuen Dienstleistung „Same Day Delivery“ von Ersatzteilen erarbeitet. Die Teile werden mit RFID-Etiketten ausgestattet, welche bis zum Ende des Lebenszyklus am Teil verbleiben. Mit Hilfe der Technologie und der neuen Dienstleistung konnten Durchlaufzeiten in ersatzteillogistischen Prozessen deutlich verkürzt und Puferbestände signiikant reduziert werden. Agheera, eine Tochter des Unternehmens DHL, nutzt heute auf 15 000 Wechselbrücken in Europa ein miniaturisiertes Telematikmodul zur Identiikation und Ortung. Tracking & Tracing-Informationen werden Kunden im Rahmen einer völlig neuen Dienstleistung angeboten. Agheera wurde extra zu diesem Zweck gegründet. Das Unternehmen bietet seine Leistung nicht nur dem Mutterkonzern, sondern auch anderen Firmen an und versucht so, den Gesamtmarkt zu durchdringen. Basis waren Forschungsprojekte, an denen auch das Fraunhofer IIS beteiligt war. Bereits seit einigen Jahren existiert das Unternehmen Original 1, welches ebenfalls gemeinsam mit Partnern eine Dienstleistung zur Sicherung der Produktoriginalität im Distributionsprozess bereitstellt. Als technische Basis kommt unter anderem die RFID-Technologie zum Einsatz. Am Universitätsklinikum in Erlangen wurde, unterstützt durch Fraunhofer IIS, ein Sensornetzwerk-basiertes Managementsystem für das Tracking und Tracing von teuren medizintechnischen Geräten entwickelt und in eine Informationsdienstleistung eingebettet. Die Geräte, die sich im gesamten Klinikum frei bewegen können, stehen über eine Infrastruktur permanent mit einem zentralen Rechner in Verbindung und können bei Bedarf die aktuelle Position in Sekunden bestimmen und an die Zentrale versenden. Diese wenigen Beispiele machen deutlich, dass Dienstleistungen auf Basis von RFID und anderen Smart Object-Technologien bei der Entwicklung von Alleinstellungsmerkmalen helfen können, für zusätzlichen Umsatz zu sorgen und teilweise sogar zu am Markt überaus erfolgreichen Ausgründungen führen können. RFID und Co können also tatsächlich nicht nur für einfache Prozessoptimierungsaufgaben, sondern auch für umsatzsteigernde Zusatzdienstleistungen herangezogen werden. Noch zu viele Unternehmen lassen diese Chance ungenutzt. Und wie bereits erwähnt: Der Wettbewerb schläft nicht! ɷ alexander Pflaum, Prof. Dr. Inhaber des Lehrstuhls für BWL, insbesondere SCM, Otto-Friedrich Universität Bamberg, Leiter des Zentrums für Intelligente Objekte am Fraunhofer IIS alexander.pflaum@iis.fraunhofer.de
