eJournals Internationales Verkehrswesen 64/2

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0031
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2012
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Kritik am Elektroauto

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2012
Christine Ahrend
Oliver Schwedes
Die Bundesregierung hat nach einer mehr als zweijährigen Förderphase entschieden, die Entwicklung des Elektroverkehrs auch in den nächsten Jahren weiter finanziell zu unterstützen. In fünf Schaufenstern sollen jeweils mehrere Leuchtturmprojekte das Elektrovehikel erstrahlen lassen und für seine Sichtbarkeit sorgen. Ist dieses Vorgehen gerechtfertigt?
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PolItIK E-Mobilität Internationales Verkehrswesen (64) 2 | 2012 12 Leidenschaftliche Verteidigung gegen seine Anbeter Kritik am Elektroauto Die Bundesregierung hat nach einer mehr als zweijährigen Förderphase entschieden, die Entwicklung des Elektroverkehrs auch in den nächsten Jahren weiter inanziell zu unterstützen. In fünf Schaufenstern sollen jeweils mehrere Leuchtturmprojekte das Elektrovehikel erstrahlen lassen und für seine Sichtbarkeit sorgen. Ist dieses Vorgehen gerechtfertigt? O fenbar werden mit dem Elektroauto große Hofnungen verbunden, die eine jahrelange inanzielle Unterstützung durch die öfentliche Hand rechtfertigen. Grund genug, den Hofnungsträger Elektroauto mit einer kritischen Betrachtung zu würdigen, um seine realen Potenziale zu erschließen. Problem Verkehr Der Verkehrssektor zeichnet sich durch eine unangenehme Besonderheit aus: Er ist mittlerweile der einzige Sektor - neben der Industrie, der Energie und den privaten Haushalten -, in dem die CO 2 -Emissionen nach wie vor wachsen. Umfangreiche Eizienzgewinne durch technologische Innovationen wurden durch das absolute Verkehrswachstum immer wieder aufgezehrt bzw. überkompensiert. Vor diesem Hintergrund gilt das Elektroauto als zentraler Beitrag für eine nachhaltige Verkehrsentwicklung und soll insbesondere bezüglich der CO 2 -Emissionen einen Trendbruch bewirken. Die technische Innovation soll mithin leisten, was der Verkehrspolitik in den vergangenen Jahrzehnten nicht gelungen ist. technikixierung Trotz einer mehr als hundertjährigen technologischen Erfolgsgeschichte insbesondere im Automobilbau, ist die Umweltbilanz im Verkehrssektor negativ. Vor diesem Hintergrund ist es umso erstaunlicher, dass das technologische Artefakt „Elektroauto“ mit so weitreichenden Hofnungen einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung verbunden wird. Dabei wird übersehen, dass das ursprüngliche Nachhaltigkeitskonzept neben der bis heute dominierenden Eizienzstrategie, die auf Eizienzgewinne durch technologische Innovationen zielt, auch die Suizienzstrategie beinhaltet, die auf einen nachhaltigen Lebensstil gerichtet ist. Durch technologische Innovationen allein, so die Einsicht schon vor mehr als dreißig Jahren, ist eine nachhaltige Entwicklung nicht zu erreichen. Diese müssen vielmehr begleitet werden durch eine Verhaltensänderung. Im Verkehrssektor ist dies besonders evident. Akzeptanzforschung Dem medialen Hype um die technische Innovation Elektroauto entspricht bisher eine weitgehende Ignoranz gegenüber den Nutzerinnen und Nutzern sowie den speziischen Anpassungsleistungen, die sie erbringen müssen. Vielmehr wird der Eindruck erweckt, als könne der Elektromotor den Verbrennungsmotor ersetzen, ohne dass die Nutzerinnen und Nutzer davon etwas merken - geschweige denn, dass sie ihr Mobilitätsverhalten ändern müssten. Die wenigen bisher durchgeführten Befragungen erschöpfen sich zumeist in reiner Akzeptanzforschung und kommen dennoch regelmäßig zu dem Ergebnis, das Elektroauto sei schon heute alltagstauglich. Das ist methodisch fragwürdig, da die überwiegend positive Bewertung des Elektroautos durch die Nutzerinnen und Nutzer keine Aussage über seine Alltagstauglichkeit erlaubt. Die Frage nach der Bereitschaft, sein Mobilitätsverhalten aufgrund der funktionalen Restriktionen des Elektroautos zu verändern, wird weder gestellt noch beantwortet. Stattdessen gibt man sich mit der schlichten Einsicht zufrieden, die schon vor der Nutzerbefragung bekannt war: Die meisten Wege in urbanen Ballungszentren sind mit dem Elektroauto zu bewältigen. Mit derselben Befragung ließe sich zeigen, dass das Fahrrad mindestens ebenso hohe Akzeptanzwerte erhält wie das Elektroauto. Nicht zuletzt, weil die allermeisten Wege in urbanen Ballungszentren damit zu bewältigen sind, ohne dass jemand auf die Idee käme, daraus aus Nutzersicht eine Alltagstauglichkeit des Fahrrads abzuleiten. Mit anderen Worten: Die Nutzerinnen und Nutzer werden zumeist nicht ernst genommen. Sie sollen nur bestätigen, was im medialen Hype der E-Mobility gesellschaftlich erwünscht und überdies seit Jahrzehnten bekannt ist (vgl. Schwedes et al., 2011). Nutzerbefragungen Wissenschaftliche Erhebungen, die sich auf die speziischen Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer einlassen, kommen demgegenüber bezüglich der Alltagstauglichkeit von Elektroautos zu einem diferenzierten und hochgradig ambivalenten Ergebnis (Ahrend et al., 2011). Demnach lassen sich zwei grundsätzlich verschiedene Nutzerperspektiven unterscheiden, die sich in einem Spannungsverhältnis von Bewahrung und Erneuerung bewegen. In der Substitutionsperspektive stellt das Elektroauto vor allem einen Ersatz für das konventionelle Fahrzeug mit Verbrennungsmotor dar. Ausgehend hiervon wird eine gleichwertige Erfüllung bestehender Mobilitätsbedürfnisse erwartet. Aus der Innovationsperspektive ist das Elektroauto hingegen mehr als nur ein bloßer Ersatz einer bisher erfolgreichen Technologie. Aus diesem Blickwinkel besitzt das Elektroauto innovatives Potenzial, mit dem Mobilität neu gedacht werden muss. Beide Perspektiven beinhalten je eigene Denkmuster und führen zu diferierenden Wahrnehmungen und Bewertungen des Elektroautos im Alltag. Dabei handelt es sich um Idealtypen, die sich bei den Nutzerinnen und Nutzern nicht in Reinform inden, sondern sich in jeweils unterschiedlichen Mischverhältnissen artikulieren. Insgesamt dominiert jedoch bei weitem die Substitutionsperspektive; das heißt, die überwiegende Zahl der Nutzerinnen und Nutzer erwartet vom Elektroauto ein Leistungsproil, das sie von einem konventionellen Automobil mit Verbrennungsmotor gewohnt ist. Negativ formuliert: Sie können sich nicht vorstellen, ihren Alltag mit einem Elektroauto zu bewältigen, das diesen Anforderungen nicht entspricht. Die Autoren: Christine Ahrend, Oliver Schwedes LITERATUR AHREND, C.; MENKE, I.; STOCK, J. (2011): „Der Benchmark ist doch immer das heutige Verhalten! “ Eine qualitative Studie zu den Nutzer/ -innen von Elektrofahrzeugen. Teilabschlussbericht des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie geförderten Projekts „IKT-basierte Integration der Elektromobilität in die Netzsysteme der Zukunft“. SCHWEDES, O.; KETTNER, S.; TIEDTKE, B. (2011): Elektromobilität - Hofnungsträger oder Luftschloss. Eine akteurszentrierte Diskursanalyse über die Elektromobilität 1990 bis 2010. Teilabschlussbericht des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie geförderten Projekts „IKT-basierte Integration der Elektromobilität in die Netzsysteme der Zukunft“. Es fehlen politische Rahmenbedingungen, die die Nutzerinnen und Nutzer darin unterstützen, die Innovationsperspektive einnehmen zu wollen. Fazit In dem medial erzeugten E-Mobility-Hype erscheint das Elektroauto als Hofnungsträger einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung. Dementsprechend stößt es bei der Bevölkerung grundsätzlich auf große Akzeptanz. Gleichwohl ist die alltägliche Erwartungshaltung der meisten Nutzerinnen und Nutzer nach wie vor von den Leistungsparametern des konventionellen Automobils mit Verbrennungsmotor geprägt. Demnach besteht die aus der historischen Technikforschung bekannte Gefahr, dass sich eine in der Bevölkerung weithin akzeptierte Technologie im Alltag dennoch nicht durchsetzt. Hier hilft es wenig, den Nutzerinnen und Nutzern den Hinweis auf die grundsätzliche Alltagstauglichkeit des Elektroautos wiederholt vorzuhalten. Sie würden die Realität nicht wahrnehmen. Wenn wir die Potenziale des Elektroautos für eine nachhaltige Verkehrsentwicklung ernst nehmen, müssen wir damit beginnen, die Nutzerinnen und Nutzer ernst zu nehmen. Wenn es auf absehbare Zeit unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten weder denkbar noch wünschenswert erscheint, dass das Elektroauto lediglich den Verbrenner ersetzt, dann muss die Verkehrspolitik heute darauf hinwirken, das Elektroauto im Rahmen einer integrierten Gesamtstrategie zu entwickeln, die seine Alltagsnutzung bei den Betrofenen als realistische Option erscheinen lässt. Um dieses Ziel zu erreichen und das Elektroauto als einen Baustein einer nachhaltigen Verkehrsentwicklungsstrategie zu etablieren, sollte die Politik sich nun von der bisherigen Fixierung auf die technische Entwicklung des E-Vehikels lösen und stattdessen mit weitreichenderem Gestaltungswillen der bisher vor allem im Munde geführten E-Mobilität größere Aufmerksamkeit schenken. ɷ Oliver Schwedes, Dr. Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung am Institut für Land- und Seeverkehr der Fakultät Verkehrs- und Maschinensysteme, TU Berlin oliver.schwedes@tu-berlin.de Christine Ahrend, Prof. Dr.-Ing. Leitung des Fachgebiets Integrierte Verkehrsplanung am Institut für Land- und Seeverkehr der Fakultät Verkehrs- und Maschinensysteme, TU Berlin christine.ahrend@tu-berlin.de The future of mobility Messe Berlin GmbH · Messedamm 22 · 14055 Berlin Tel. +49(0)30/ 3038-2376 · Fax +49(0)30/ 3038-2190 innotrans@messe-berlin.de Internationale Fachmesse für Verkehrstechnik Innovative Komponenten · Fahrzeuge · Systeme 18. - 21. September · Berlin www.innotrans.de InnoTrans 2012