Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0035
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2012
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Perspektiven des Kombinierten Verkehrs mit Binnenschifffahrt
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2012
Heinrich Kerstgens
Kristin Kahl
Die Mengensteigerung der in den Seehäfen abzufertigenden Container wird langfristig nicht an Dynamik verlieren. Die Seehäfen können das Wachstum nur durch die Konzentration auf ihr Aufgabenfeld – dem Löschen und Laden der Fracht – bewältigen.
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LOGISTIK Binnenschiffahrt Internationales Verkehrswesen (64) 2 | 2012 24 Perspektiven des Kombinierten Verkehrs mit Binnenschif Die Mengensteigerung der in den Seehäfen abzufertigenden Container wird langfristig nicht an Dynamik verlieren. Die Seehäfen können das Wachstum nur durch die Konzentration auf ihr Aufgabenfeld - dem Löschen und Laden der Fracht - bewältigen. K apazitätsengpässe in der Infrastruktur beeinträchtigen durch das Mengenwachstum auch in den Seehäfen Rotterdam und Antwerpen Logistikdienstleister bei den An- und Abtransporten der Waren per Lkw, Bahn und Binnenschif. Dabei sind diese Hinterlandanbindungen an die für Deutschland wichtigen Seehäfen für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft von existenzieller Bedeutung. Der Rhein spielt als bedeutendste und leistungsfähigste Binnenwasserstraße Europas eine wichtige Rolle bei der Bewältigung der Gütermengen. Allerdings ist der Anteil der Containerbinnenschiffahrt am Modal Split im Hinterland der ZARA-Häfen in den letzten zehn Jahren gesunken, d. h. die Binnenschiffahrt hat am Wachstum des Containeraukommen unterproportional partizipiert. Die Autoren: Heinrich Kerstgens, Kristin Kahl Foto: HHM Internationales Verkehrswesen (64) 2 | 2012 25 Abb. 1: Containermenge auf dem Rhein in 1000 TEU p. a. Gründe dafür sind in den für die Binnenschiffahrt verschlechterten Rahmenbedingungen zu suchen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang die extremen Niedrigwasserjahre 2003, 2005 und 2011 sowie der seit dem Jahr 2007 verstärkt einsetzende Efekt der Verstopfung der Seehäfen, der mit dem englischen Begrif „Congestion“ zutrefend bezeichnet werden kann. Dieser Efekt hat sogar erstmals im Jahr 2006 zu einem Rückgang der auf deutschen Wasserstraßen transportierten Container geführt. Die Weltwirtschaftskrise hat seit dem Herbst 2008 ihr übriges getan, so dass im Jahr 2009 ein Rückgang von ca. 15 % bis 20 % zu verzeichnen war. In den Jahren 2010 und 2011 holte die Containerbinnenschiffahrt wieder leicht auf. Auf der anderen Seite ist es erklärtes Ziel der Verkehrspolitik der Europäischen Union und der betrofenen nationalen Regierungen, den Anteil der Binnenschiffahrt am Modal Split im Hinterlandverkehr der Seehäfen in der Hamburg-Le Havre- Range deutlich zu erhöhen. Während im Seehafenhinterlandverkehr der Nordhäfen Hamburg, Bremerhaven und Bremen die Containerbinnenschiffahrt bislang nur eine untergeordnete Rolle spielt, haben die Häfen Rotterdam und Antwerpen das Ziel der Modal-Split-Steigerung mit einem zukünftigen Anteil der Binnenschiffahrt von weit mehr als 40 % besonders deutlich artikuliert. Marktentwicklung Der Containermarkt stellt seit dem Ende der Weltwirtschaftskrise das dynamischste Marktsegment im Bereich der weltweiten Transporte dar und setzt dieses Wachstum stetig fort. Diese langfristige Entwicklung als Folge der Globalisierung wird fortbestehen. Das jährliche globale Containerwachstum wird bis zum Jahr 2020 mit durchschnittlich 9 % bezifert. Die hohen Wachstumsraten, die in den Jahren 2002 bis 2007 im Schnitt zwischen 12 und 13 % lagen, gehen zwar zurück, an der langfristigen Prognose - Zunahme des Containerumschlags auf 1-Mrd.-TEU bis zum Jahr 2020 - ändert sich aber nichts, die Menge wird höchstens ein paar Jahre später erreicht werden. Abschwächungsefekte wurden darin bereits berücksichtigt. Gerechnet wird mit einem durchschnittlichen Faktor, der den Zusammenhang zwischen dem Wachstum des Containerverkehrs und dem Wachstum der Weltwirtschaft ausdrückt. Dieser liegt bei rund 3,0. Beträgt das reale Wachstum der Weltwirtschaft im Jahr 4 %, steigt der weltweite Containerumschlag um 12 %. Circa 35 % der Container verbleiben im lokalen Raum der Seehäfen bzw. werden im Feederverkehr über See abgefahren. Die anderen 65 % betrefen den Hinterlandverkehr per Straße, Schiene bzw. Wasserstraße (vgl. Tabelle-1). Der Anteil der Binnenschiffahrt unterscheidet sich bei den einzelnen Seehäfen. Laut den prognostizierten Wachstumszahlen werden in wenigen Jahren mehr als 7- Mio.- TEU per Binnenschif aus den Häfen Rotterdam und Antwerpen an- und abzutransportieren sein, was sich ebenso in den Zielsetzungen der Häfen Rotterdam und Antwerpen widerspiegelt. Diese sehen vor, den Modal Split bis zum Jahr 2035 weiter zugunsten des Binnenschifs auszubauen. Die geplante Verteilung der Anteile im Rotterdamer Hafen ist in Abbildung-2 ersichtlich. Dazu müssen die Kapazitäten der Umschlagterminals mittelfristig dem steigenden Bedarf angepasst werden. In den vergangenen Jahren blieb die Containerbinnenschiffahrt infolge zu geringer Infrastrukturmaßnahmen hinter der prognostizierten Entwicklungssteigerung von 5 bis 10 % p. a. zurück. Eine Ursache liegt in der nachrangigen Abfertigung der Binnenschiffe in den Seehäfen. Die sich daraus ergebenden Wartezeiten (Congestion) von bis zu 100 h stellte letztlich die Zuverlässigkeit der Binnenschiffahrt in Frage. Lösungsansatz zur Steigerung der Verkehrsleistung Der Ausbau intermodaler Konzepte eröfnet der Containerbinnenschiffahrt auf den Wasserstraßen in Zentraleuropa neue Chancen für die Erhöhung ihres Verkehrsanteils. Dadurch können die zunehmenden Überlastungserscheinungen auf den Straßen abgefangen werden. Die Binnenschiffahrt ermöglicht wirtschaftlich und ökologisch eiziente Verkehre. „Logistikwachstum - und damit die Beherrschung des Güterverkehrs - geht mit intelligenten Lösungen einher.“ Ein Problem der bisherigen Containerlogistik per Binnenschif ist die zu geringe Anzahl angelieferter 2007 2015 oder später Wachstum (erwartet) Hinterlandverkehr (65%) Anteil Binnenschif Modal Split heute angestrebt Mio. TEU Mio. TEU in % Mio. TEU % Mio. TEU % Mio. TEU Antwerpen 8,2 14,0 71 9,1 33 3,0 43 3,9 Bremerhaven 4,9 7,0 43 4,6 2 0,1 5 0,2 Hamburg 9,9 18,1 83 11,8 2 0,2 5 0,6 Rotterdam 10,8 21,0 94 13,7 30 4,1 45 6,2 Gesamt 33,8 60,1 39,2 7,4 10,9 Tab. 1: Containeraufkommen in den vier für Deutschland wichtigsten Seehäfen LOGISTIK Binnenschiffahrt Internationales Verkehrswesen (64) 2 | 2012 26 Container je Terminal (Call-Size). Durch die geringen Umschlagmengen verzögert sich die Schifsabfertigung, da die Seehafenterminals ihre Produktionsplanung auf der Binnenschifseite nur suboptimal organisieren können. Um kostenintensive Wartezeiten bzw. die Charterung von Zusatzschifen zu vermeiden und andererseits die pünktliche Versorgung der Verlader zu garantieren, wird intensiv nach Verbesserungsmöglichkeiten des heutigen Systems gesucht. Ein möglicher Lösungsansatz ist der Bau eines Megahub-Terminals am Niederrhein. Potenziale und neue Chancen für die Erhöhung des Verkehrsanteils der Binnenschiffahrt entstehen letztendlich durch ein richtungweisendes Großprojekt. Die Voraussetzung für die zukünftige Sicherstellung der Ver- und Entsorgung des deutschen, schweizerischen und französischen Hinterlandes durch Containertransporte ist ein leistungsfähiger seehafenferner Megahub. Mit dem Bau des Megahubs kann gezielt und koordiniert der Ausbau der land- und seeseitigen Zufahrten der Seehä- Abb. 3: Megahub-Container-Cross-Docking im Im- und Export Abb. 2: Modal Split der Hinterlandverkehre des Hafens Rotterdam im Jahr 2008 und 2035 fen sowie deren optimale Verbindung mit leistungsstarken Binnenhäfen und damit mit den Wirtschaftszentren Deutschlands gewährleistet werden. Mit dem Bau eines Megahub-Terminals werden Maßnahmen der Transportoptimierung im Seehafenhinterlandverkehr verfolgt. Eine stärkere Einbindung der Binnenschiffahrt in die logistischen Ketten bewirkt eine Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Wasserwege und fängt damit den wachsenden Kapazitätsbedarf ab. Zudem wird die Eizienz innerhalb der Schiffahrt gesteigert, denn bessere Auslastungen der Binnenschife führen zu einer Verkehrsvermeidung. Es ergeben sich umso größere Vorteile, je besser Skalenefekte genutzt werden können. Daher ist es von großer Bedeutung, dass eine gezielte Lenkung einer größeren Anzahl von Transporten auf das Binnenschif stattindet. Die Ziele, die mit der Einrichtung eines Megahub-Terminals verfolgt werden, sind neben der Versorgungssicherheit auch eine Optimierung des gesamten Systems „Containerbinnenschiffahrt auf dem Rhein“ bezüglich Kosten und Qualität. An den Seehafenterminals sind die Lagerkapazitäten bereits heute begrenzt. Dieser Zustand wird sich in den nächsten Jahren weiter verschärfen. Die Folge: Der vorhandene Platz muss noch efektiver genutzt werden, um sich auf die Kernkompetenz „Umschlag“ zu konzentrieren. Die Menge, die in dem Hub-and-spoke- System transportiert werden soll und kann, ist abhängig von der Umschlagleistung des Megahub-Terminals. Die bisherigen Planungen gehen von einer Leistung von mehr als 1- Mio.- TEU pro Jahr aus. Diese Menge ermöglicht die tägliche Anbindung verschiedenster Binnen- und Seehafenterminals. Gemäß des Hub-and-spoke-Systems werden die Container im Import von den einzelnen Seehafen-Terminals zu dem Megahub befördert, dort umgeschlagen und sortenrein an ihr eigentliches Ziel weiterbefördert. Dasselbe Prinzip gilt für den Export. Es indet vorgelagert zum Seehafen eine Entmischung der Transportströme statt (vgl. Abbildung-3). Damit entstehen die großen Call-Sizes, so dass die Binnenschife pro Reise die Binnen- und Seehafenterminals optimiert anlaufen. Der Inhalt der Container bleibt während der Umschlagvorgänge unberührt. Es geht lediglich um den physischen Austauschprozess der Container verschiedener Containerdienstleister und -relationen. Die Container beinden sich dabei während der für das Umladen benötigten Zeit − meist nur wenige Stunden −, im Megahub-Terminal und werden nach dem FIFO-Prinzip (First In − First Out) abgefertigt. Das bedingt das Prinzip des einstuigen Cross-Dockings, bei dem das Lager lediglich als Umschlagplatz fungiert, da ein Einlagerungsprozess entfällt (vgl. Abbildung-4). Gegenüber den Direktverkehren mit kleineren Call-Sizes oder dem Betrieb über eine Terminalkette, bei der mehrere Terminals sowohl in den Binnenals auch den Seehäfen angelaufen werden, erfordert eine Umstellung auf Hubverkehre eine Kostenoptimierung innerhalb der Transportkette, damit die Kosten für den zusätzlichen Umschlag am Megahub nicht zu einer Verteuerung der Transporte führen. Diese positiven Kostenefekte kommen zustande durch: ƀǁ den Einsatz größerer Schife auf den Hauptstrecken durch Konsolidierung der Mengen, da die Kosten einer Fahrt auf einer bestimmten Strecke für ein Schif unterproportional von der transportierten Menge abhängen. Die Kosten sinken mit zunehmender Schifsgröße im Verhältnis zur Ladekapazität. LOGISTIK Binnenschiffahrt Heinrich Kerstgens Geschäftsführer Contargo GmbH & Co. KG, Ludwigshafen hkerstgens@contargo.net Kristin Kahl Sales and Intermodal Products Contargo GmbH & Co. KG, Ludwigshafen kkahl@contargo.net ƀǁ eine verbesserte Auslastung der Schife. Es ergeben sich umso größere Kostenvorteile, je höher die Auslastung der Ladekapazität ist. ƀǁ schnellere, einfachere und damit auch kostengünstigere Anbindung von Relationen mit weniger Aukommen. ƀǁ die verdichtete Frequenz mit weniger Schifen auf der Hauptstrecke durch die Erhöhung der Kapazitäten p. a. ƀǁ erzielbare Skalenefekte im Umschlag. Eine interne Untersuchung der Contargo hat ergeben, dass ein solcher Megahub zu keiner Verteuerung der Transporte führt, jedoch die Vorteile durchaus realistisch erreicht werden können. Dieser Efekt verstärkt sich, je mehr Sendungen in einem Netz zusammengefasst werden und je mehr Beteiligte dem Netzwerk angehören. Viele Netze, vorwiegend im Bereich der Luftverkehrsgesellschaften und Stückgutverkehre, werden in Kooperation mit Allianz- oder Streckenpartnern betrieben. Solche Partnerschaften ermöglichen es, aukommensstarke Strecken häuiger zu bedienen sowie aukommensschwache Strecken besser auszulasten. Außerdem liegt die bestmögliche Bündelung nicht nur im Interesse der beteiligten Unternehmen, sondern auch - wegen der verkehrsreduzierenden Wirkung - im gesamtwirtschaftlichen Interesse. Der Vorteil der Implementierung des Megahub-Systems liegt in der erzielbaren Performanceverbesserung der Transportdienstleister sowie Terminalbetreiber und damit der gesamten Containerlogistik im Hinterland der Seehäfen. Sie ermöglicht eine Kostenreduzierung und baut gleichzeitig das lächendeckende Netzwerk der Terminals am Rhein und seiner Nebenstrecken aus. Der Service für die Verlader verbessert sich durch häuigere Abfahrten und Ankünfte der Binnenschife. Der tatsächliche Wettbewerbsvorteil der Containerbinnenschiffahrt der Zukunft wird das Aufrechterhalten zuverlässiger, kostengünstiger, nachhaltiger und klimaverträglicher Transporte sein - realisierbar durch die Nutzung eines Megahub- Terminals. So hat der kombinierte Verkehr mit Binnenschifen in Zukunft noch eine Chance! ɷ Abb. 4: Beispielhafter Megahub Terminal mit Blocklagerung 5/ 12 30. Januar 2012 w w w.railbusines s.de IS SN 1867-2728 Der wöchentliche Branchenreport von Eurailpress und DVZ B U S I N E S S 1 Lang-Lkw: EU-Vorsitz setzt auf die Kommission Wettbewerb CER-Vorschläge wahren Einfluss der Nutzer auf die Infrastruktur Viertes Eisenbahnpaket In dieser Ausgabe: Foto: Düvelmeyer - Fotolia Auseinder gehen die Meinungen von EU und CER in der Frage des Infrastrukturzugriffs 30.1.2012 | 5/ 12 dd 1 27.01.2012 13: 36: 18 Jetzt Probe lesen unter www.railbusiness.de DVV Media Group GmbH | Eurailpress · Postfach 10 16 09 · 20097 Hamburg Fax: +49 40/ 237 14-104 · E-Mail: service@eurailpress.de · www.eurailpress.de „Rail Business ist exzellent recherchiert und liefert mir einen Überblick über die aktuellen Geschehnisse. An der Druckausgabe gefällt mir besonders gut, dass sämtliche problematischen Punkte, die die Branche bewegen, aufgegriffen und hier die Schwerpunkte richtig gesetzt werden. 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