Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0041
31
2012
642
Dicke Luft im Stadtverkehr?
31
2012
Jörg Adolf
Gunnar Knitschky
Andreas Lischke
Obwohl Kraftfahrzeuge immer sauberer werden, wächst die Zahl der Umweltzonen in Deutschland. Insbesondere die Emissionen von Nutzfahrzeugen sind ein wesentlicher Mitverursacher von Luftqualitätsproblemen in Ballungsräumen. Welche fahrzeugtechnischen Trends zeichnen sich im städtischen Nutzfahrzeugverkehr ab und welche technischen Optionen gibt es, um Nutzfahrzeugverkehre kurzfristig umweltfreundlicher zu gestalten?
iv6420050
MOBiLitÄt Nutzfahrzeuge Internationales Verkehrswesen (64) 2 | 2012 50 Foto: Shell Dicke Luft im Stadtverkehr? Obwohl Kraftfahrzeuge immer sauberer werden, wächst die Zahl der Umweltzonen in Deutschland. Insbesondere die Emissionen von Nutzfahrzeugen sind ein wesentlicher Mitverursacher von Luftqualitätsproblemen in Ballungsräumen. Welche fahrzeugtechnischen Trends zeichnen sich im städtischen Nutzfahrzeugverkehr ab und welche technischen Optionen gibt es, um Nutzfahrzeugverkehre kurzfristig umweltfreundlicher zu gestalten? D ie Zahl der Kfz in Deutschland steigt. Insgesamt sind (Stand: 1. Januar 2011) 50,9- Mio. Kfz amtlich registriert, darunter 42,3-Mio. Pkw, 2,6-Mio. Lkw und Sattelzugmaschinen, 76 000 Kraftomnibusse und rd. 260 000 Sonstige Kfz [1]. Doch obwohl die Fahrleistungen aller Kfz vor allem im Straßengüterverkehr steigen, gehen die Luftschadstofemissionen des Straßenverkehrs seit vielen Jahren kontinuierlich zurück (vgl. Abbildung-1). immer mehr umweltzonen Dennoch gibt es immer mehr Umweltzonen in Deutschland, und zwar deutlich mehr als in vielen anderen europäischen Ländern. Inzwischen sind Umweltzonen in mehr als 40 Städten eingerichtet worden oder geplant − mit deutlichen Schwerpunkten in den Ballungszentren Nordrhein-Westfalens sowie im Südwesten [2]. Grundlage von Maßnahmen und Aktionsplänen zur Verbesserung der Luftqualität ist die europäische Luftqualitätsrichtlinie 2008/ 50/ EG, die Immissionsobergrenzen für zahlreiche Schadstofe, darunter auch Feinstaub und Stickoxide, festlegt. Die Immissionsgrenzwerte wurden zum 1.- Januar- 2010 noch einmal verschärft. Vielfach werden diese jedoch nicht eingehalten. Der Handlungsdruck vor Ort steigt, zumal erste Übergangsfristen für deutsche Kommunen zur Einhaltung von Feinstaubgrenzwerten bereits abgelaufen sind. Eine stärkere Ausrichtung auf den ÖPNV, Fußgänger- und Radverkehr wird oftmals empfohlen. Doch ein wichtiger Verursacher von Luftschadstofemissionen und damit auch Zielgruppe lokaler Luftqualitätsmaßnahmen würde hiervon nicht erfasst − die Nutzfahrzeuge; gerade in Ballungsräumen tragen Nutzfahrzeuge (Lkw und Omnibusse) oftmals überproportional zu den lokalen Schadstofemissionen bei. Im Folgenden werden die im Stadtverkehr eingesetzten Fahrzeuge und deren Altersstruktur sowie die Bestandszahlen unterteilt nach Schadstoklassen (Euro- Normen) untersucht. Darüber hinaus wird abgeschätzt, welche zusätzlichen Luftqualitätspotenziale sich aus Kraftstofen und alternativen Antrieben ergeben. Wirtschaftsverkehr in Städten Der Wirtschaftsverkehr in Städten trägt einen hohen Anteil zu den lokalen Luftschadstofen bei [3]. Neben dem Lieferverkehr mit allen Lkw-Klassen und Sattelzugmaschinen indet Personenwirtschaftsverkehr mit Pkw (z. B. Taxi-, Dienst- und Sozialdienstfahrten) und leichten Nutzfahrzeugen (z. B. Handwerker) statt. Insgesamt wird der Anteil des städtischen Wirtschaftsverkehrs am Stadtverkehr auf durchschnittlich 25 − 30 % geschätzt. Auch sonstige Kfz, hierzu zählen zum Beispiel Müll- und Straßenreinigungsfahrzeuge, sind in den Städten unterwegs. Es gibt insgesamt 260 000; allerdings weisen große Anteile dieser Fahrzeuglotte, wie z. B. Einsatzfahrzeuge der Feuerwehren, nur geringe jährliche Fahrleistungen auf. Eine weitere relevante Nutzfahrzeugkategorie sind Kraftomnibusse, von denen es in Deutschland heute rd. 76 000 gibt. Die Fahrleistung ist mit 2- Mrd. Fzkm eher gering; die Personenverkehrsleistung ist mit rd. 80-Mrd. Pkm/ Jahr jedoch erheblich, zumal Omnibusse hauptsächlich in urbanen und suburbanen Räumen im öfentlichen Personennahverkehr und als Schulbusse eingesetzt werden [4]. fahrzeugalter und Euro-klassen Im Hinblick auf die Altersstruktur der einzelnen Fahrzeugklassen fällt auf, dass gerade die in den Städten anzutrefenden Nutzfahrzeuge zu Fahrzeugklassen gehören, die ein vergleichsweise hohes durchschnittliches Alter aufweisen. Lkw haben ein Durchschnittsalter von 7,6 Jahren, Die Autoren: Jörg adolf, Gunnar knitschky, andreas Lischke Internationales Verkehrswesen (64) 2 | 2012 51 Abb. 1: Entwicklung ausgewählter Emissionen des Straßenverkehrs (1995 = 100 %) Quelle: Umweltbundesamt [8] ; eigene Darstellung Kraftomnibusse von 8,8 und sonstige Kfz von 13,1 Jahren. Zudem absolvieren die im städtischen Wirtschaftsverkehr eingesetzten Fahrzeugklassen eher geringe jährliche Fahrleistungen. Hingegen haben Sattelzugmaschinen, die meist im Fernverkehr eingesetzt werden und hohe Fahrleistungen aufweisen, ein Durchschnittsalter von nur 4,2 Jahren [5]. Das hohe Alter spiegelt sich auch in den Schadstoklassen von Nutzfahrzeugen im Stadtverkehr wider. Abbildung 2 zeigt, wie sich die Euro-Schadstoklassen in den einzelnen Fahrzeugklassen des Güterverkehrs durchgesetzt haben. Zum 1.- Januar 2011 sind jeweils noch über 40 % der Flotte der Lkw unter 12 t zulässiges Gesamtgewicht und der leichten Nutzfahrzeuge unterhalb der Schadstoklasse Euro- 3/ III. Dies gilt auch für Kraftomnibusse und die sonstigen Kfz aufgrund des noch höheren durchschnittlichen Alters. Die Verschärfung der Euro-Normen führt folglich nicht unmittelbar zu einer wesentlichen Verringerung der Abgasemissionen des städtischen Wirtschaftsverkehrs. Die jährlichen Fahrleistungen der eingesetzten Fahrzeuge sind in der Regel gering, sodass die Fahrzeuganschafungskosten über lange Nutzungsperioden verteilt werden müssen. Die Nachrüstung mit Katalysatoren und Partikeliltern ist eine Möglichkeit. Sie wird jedoch häuig nur bei entsprechender inanzieller Förderung angenommen. Von daher stellt sich die Frage, ob und inwieweit Kraftstofe zur Luftreinhaltung in Städten beitragen könnten. Bessere kraftstofe? Nutzfahrzeuge jeglicher Art basieren heute vorwiegend auf dem Prinzip des Verbrennungsmotors. Die Antriebsenergie wird in der Regel aus lüssigen mineralölstämmigen Kraftstofen gewonnen. Es dominiert der Dieselantrieb; bei leichten Nutzfahrzeugen gibt es noch einen Anteil von etwa 7 % Benzinern. Ein größerer Beitrag zur Luftreinhaltung könnte zum einen durch eine Verbesserung herkömmlicher Kraftstofe erfolgen, zum anderen durch den Einsatz sauberer lüssiger Ersatz- oder Ergänzungskraftstofe. Die Mindestanforderungen an Diesel- und Ottokraftstofe werden von der EU- Kraftstofqualitäten-Richtlinie 98/ 70/ EG und ihren Aktualisierungen deiniert. Die Kraftstofqualitäten wurden umweltbezo- Abb. 2: Fahrzeugbestand nach Emissionsklassen, 1995 - 2011 [Millionen] Quelle: Kraftfahrt-Bundesamt [9] MOBiLitÄt Nutzfahrzeuge Internationales Verkehrswesen (64) 2 | 2012 52 gen festgelegt, um so bestimmte Luftqualitätsziele besser einhalten zu können. Dies beinhaltete neben anderen Parametern die Reduktion polyzyklischer aromatischer Kohlenwasserstofe sowie die Verringerung des Schwefelgehaltes - seit 2003 werden in Deutschland nur noch schwefelfreie Kraftstofe angeboten. Weitere Änderungen bei den Kraftstoinhaltsstofen konventioneller Kraftstofe zeichnen sich vorerst nicht ab. Aktueller Schwerpunkt bei der Kraftstofregulierung ist der verstärkte Einsatz von Biokraftstofen. Nachhaltige Biokraftstofe werden in erster Linie wegen ihres Treibhausgasminderungspotenzials eingesetzt. Das Verbrennungsverhalten der heute eingesetzten Biokraftstofe - veresterter Biodiesel oder Bioethanol - ist ähnlich konventionellen Kraftstofen. Die Abgasemissionen von Biokraftstofen sind für die meisten Luftschadstofe geringer. Allerdings lassen Abweichungen in einzelnen Qualitätsparametern nur eine sehr begrenzte Beimischung von traditionellen Biokraftstofen zu konventionellen Kraftstofen zu - maximal 7 % Biodiesel (FAME) zu Diesel; andernfalls sind spezielle Fahrzeugausrüstungen erforderlich. Um schon heute zur Luftreinhaltung beizutragen, müssten alternative Kraftstofe aber (weitgehend) nahtlos im Flottenbestand eingesetzt werden können. Solche „Drop-in Fuels“ könnten synthetische Kraftstofe sein, die mithilfe des Fischer- Tropsch-Verfahrens aus Biomasse, Erdgas oder Kohle hergestellt werden. Die Herstellung aus Kohle ist aufgrund hoher Treibhausgasemissionen ökologisch nicht sinnvoll und für die Herstellung aus Biomasse gibt es bislang nur Demonstrationsprojekte. Am weitesten vorangeschritten ist die Herstellung synthetischen Dieselkraftstofes aus Erdgas - sogenanntes Gas-to-Liquids (GTL). Synthetischer Diesel besitzt eine höhere Cetanzahl von mindestens 70 (statt 51 beim Diesel) und ist praktisch aromatenfrei. Hierdurch wird auch bei heutiger Dieseltechnologie eine sauberere Verbrennung ermöglicht [6]. Allerdings ist auch GTL bisher nur in begrenzten Mengen verfügbar und kommt daher vorerst nur für spezielle Anwendungen in Frage, zum Beispiel im Flottenbetrieb in Ballungsgebieten. und alternative antriebe? Nutzfahrzeuge mit alternativen Antrieben sind heute weitgehend als Nischenfahrzeuge zu betrachten. Am höchsten sind die Anteile alternativer Antriebe bei Kraftomnibussen mit 2,3 % und bei den volumenstarken leichten Nutzfahrzeugen mit 1,26 % (vgl. Abbildung 3); bei sonstigen Kfz sind es nur 0,67 % und bei Lkw 0,26 %. Unter den Alternativen dominiert im Nutzfahrzeugbereich komprimiertes Erdgas (CNG). Gasfahrzeuge gehören mit zu den saubersten Fahrzeugen, doch erreicht der Dieselantrieb mit Euro- V bereits ein ähnliches Emissionsniveau. Aus Nutzersicht ist die Wirtschaftlichkeit von CNG-Fahrzeugen mit der Fortführung der geltenden Mineralölsteuerermäßigung verbunden. Die höheren Anschafungskosten sowohl für diese als auch für Hybridfahrzeuge und Fahrzeuge mit elektrischem Antrieb werden auf vergleichsweise geringe Fahrleistungen umgelegt; die Nutzung fokussiert sich damit vorerst auf einzelörtliche, ökologisch motivierte Flottenprojekte [7]. fazit Der urbane Wirtschaftsverkehr mit Lkw, Omnibussen und sonstigen Kfz wird noch zu häuig mit Kfz niedriger Euro- Klassiizierung abgewickelt. Eine rasche Flottenmodernisierung - ähnlich wie im Straßengüterfernverkehr - vollzieht sich jedoch gerade im städtischen Verkehr sehr langsam. Eine wirtschaftliche Alternative zur kurzfristigen Verringerung von Abgasemissionen könnten deshalb synthetische „Drop-in Fuels“ insbesondere im lokalen Flottenbetrieb darstellen. Alternative Antriebe haben demgegenüber eine eher längerfristige Perspektive. ɷ Abb. 3: Leichte Nutzfahrzeuglotten: Antriebe und Kraftstofe zum 1. Januar 2011 Quelle: Kraftfahrt-Bundesamt [10] Jörg adolf, Dr. Chefvolkswirt Shell Deutschland Oil GmbH, Hamburg joerg.adolf@shell.com Gunnar knitschky, Dipl.-Volksw. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Institut für Verkehrsforschung im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) gunnar.knitschky@dlr.de andreas Lischke, Dipl.-Ing. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Institut für Verkehrsforschung im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) andreas.lischke@dlr.de LITERATUR [1] Vgl. Kraftfahrt-Bundesamt, Der Fahrzeugbestand im Überblick am 1. Januar 2011, Statistische Mitteilungen. [2] Vgl. http: / / gis.uba.de/ Website/ umweltzonen/ start.htm sowie http: / / www.lowemissionzones.eu/ [3] IFEU, Auswirkungen zukünftiger NO x - und NO 2 -Emissionen des Kfz-Verkehrs auf die Luftqualität in hoch belasteten Straßen in Baden-Württemberg, Februar 2010, S. 21. [4] Vgl. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Verkehr in Zahlen 2011/ 12, Berlin 2011, S. 78-82. [5] Kraftfahrt-Bundesamt, Fahrzeugzulassungen, Bestand an Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern nach Fahrzeugalter, 1. Januar 2011, FZ 15. [6] Vgl. CEN-Vor-Norm CWA 15940, Class A. [7] Vgl. Shell Lkw-Studie, Fakten, Trends und Perspektiven im Straßengüterverkehr bis 2030, S. 36-51, Hamburg 2010, www. shell.de/ lkwstudie. [8] Vgl. Umweltbundesamt, Nationale Trendtabellen für die deutsche Berichterstattung atmosphärischer Emissionen, 1990-2009 (Endstand: 8.3.2011, v. 1.3.0). [9] Kraftfahrt-Bundesamt, Statistische Mitteilungen, Reihe 1: Kraftfahrzeuge - Neuzulassungen, Besitzumschreibungen, Löschungen, Bestand, Heft 12, Dezember (1996-2000), Heft 2, Februar (2001-2006); Fahrzeugzulassungen - Bestand an Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern am 1. Januar des Jahres, Sammelband, FZ 6, (2007-2011). [10] Kraftfahrt-Bundesamt, Fahrzeugzulassungen, Bestand an Kraftfahrzeugen nach Emissionen und Kraftstofen, 1. Januar 2011, FZ 13.
