eJournals Internationales Verkehrswesen 64/2

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0043
31
2012
642

Bellende Hunde beißen nicht

31
2012
Christian Dahm
iv6420055
Internationales Verkehrswesen (64) 2 | 2012 55 Bellende Hunde beißen nicht I n Moskau kamen im Februar Vertreter aus 23 EU-Drittstaaten zusammen, um über ein gemeinsames Vorgehen gegen die Einbeziehung von Fluggesellschaften in das EU- Emissionshandelssystem (ETS) zu beraten. Am Ende der Konferenz in der russischen Hauptstadt stand jedoch nur eine Gemeinsame Erklärung, in der Gegenmaßnahmen „erwogen“ werden. Die EU-Kommission gibt sich derweil gelassen - ganz nach dem Motto: „Hunde, die bellen, beißen nicht.“ Und Grund zur Panik gibt es nun wirklich keinen, solange die ETS-Gegner nur die Zähne letschen. Denn die in Moskau von großen Nationen à la China, Russland oder den USA geäußerten Drohungen, sprich: Handelskrieg oder Entzug von Überlugrechten, sind nicht neu und beeindrucken bislang weder die Europäische Kommission noch die EU-Mitgliedsländer. So hat bislang noch keine nationale Regierung die Kommission aufgefordert, die Initiative auszusetzen oder zu verschieben. Druck erhält die EU-Kommission nur vereinzelt aus dem Europäischen Parlament. „Frau Hedegaard sollte sich eingestehen, dass das Vorhaben, alle Fluglinien mit einer Klimaagabe zu belegen, gescheitert ist“, betont der deutsche CDU-Abgeordnete Herbert Reul. Da sich Schwergewichte wie die USA, China und Russland nicht am Emissionshandelssystem beteiligen wollten, würde dessen Beibehaltung zu einer einseitigen Belastung der europäischen Luftfahrt und damit zu einer massiven Wettbewerbsverzerrung führen. In die gleiche Kerbe schlagen die Fluggesellschaften: „Die Einbeziehung des Luftverkehrs wird die Luftfahrtindustrie bis zum Jahr 2020 insgesamt 17,5-Mrd.-EUR kosten.“ Das betonen der Verband der Europäischen Fluglinien AEA, der Verband der Europäischen Regionalluglinien ERA und der Internationale Fluggesellschaftsverband IACA in einer gemeinsamen Stellungnahme. Damit widersprechen die drei Verbände Äußerungen der EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard. Sie hatte die vorgesehene kostenlose Zuteilung von Emissionszertiikaten an die Airlines als potenzielle Einnahmequelle bezeichnet: „Bei dem aktuellen Marktpreis sind die kostenlosen Zertiikate für die nächsten zehn Jahre über 20-Mrd.-EUR wert.“ Die Kommission geht davon aus, dass die Fluggesellschaften dieses Geld auf den Preis von Tickets aufschlagen. „Zertiikate als Einnahmequelle zu bezeichnen, ist absurd“, betont hingegen AEA-Generalsekretär Ulrich Schulte-Strathaus. Die drei Verbände machen geltend, dass die Obergrenze für den Ausstoß von Abgasen ab 2012 auf Basis der Jahre 2004 bis 2006 berechnet wird. In der Zwischenzeit sei der Verkehr aber gestiegen. Darum müssten die Airlines auch mehr Zertiikate kaufen, unterstreichen die Verbände. Sie gründen ihre Kalkulation dabei auf einen geschätzten Zertiikatepreis von 28- EUR pro Christian Dahm EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Logistik-Zeitung in Brüssel B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON CHRISTIAN DAHM Tonne CO 2 -Ausstoß im Jahr 2020. Zurzeit sind es weniger als 14-EUR. Nach Angaben des auf den Energiesektor spezialisierten Forschungsunternehmens Thomson Reuters Point Carbon ist von allen Fluggesellschaften British Airways am meisten betrofen. Die Experten bezifern die Belastung durch zusätzliche Zertiikate auf 49,6-Mio.-EUR. An zweiter Stelle folgt Lufthansa. Die Rechnung für die deutsche Airline beläuft sich auf 33,5-Mio.-EUR. In Moskau haben unterdessen die 23- EU-Drittstaaten nach einer ähnlichen Konferenz in Delhi erneut eine Möglichkeit ausgelassen, den Schulterschluss hinzubekommen. Denn in der Gemeinsamen Erklärung gibt es nur einen konkreten Schritt, der gegen die EU-Regelung in Erwägung gezogen wird: das Streitbeilegungsverfahren gemäß Artikel-84 der Chicago Convention der internationalen Luftfahrtorganisation Icao. Dieses Verfahren ist aber nicht mehr als ein stumpfes Schwert. Es hat weder eine aufschiebende Wirkung, noch führt es zwingend zu einer formalen und verbindlichen Entscheidung. Vielmehr ist das Ziel eines solchen Verfahrens, eine einvernehmliche Lösung zwischen den Parteien zu inden. Zudem bescheinigen Rechtsgutachten und last, but not least der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass die EU-Verordnung völkerrechtlich zulässig ist. Der Handel mit Emissionszertiikaten stelle weder eine Gebühr, Steuer oder eine zollgleiche Abgabe dar noch sei sie diskriminierend. Es sieht ganz so aus, als dürften die ETS-Gegner große Schwierigkeiten haben, einen Verstoß gegen die Chicago-Konvention geltend machen zu können. Vielmehr sieht es danach aus, dass die Drittstaaten zum Einlenken bereit sind. Diese Überzeugung hat zumindest EU-Verkehrskommissar Siim Kallas. Es gebe insbesondere positive Signale aus den USA und China, über ähnliche EU-Maßnahmen zum Klimaschutz durch den Luftverkehr nachzudenken. Damit wäre auch die Gefahr gebannt, dass die EU-Verordnung verpufe und europäische Fluggesellschaften benachteiligt wären, wenn sich die Airlines aus den wichtigsten Drittstaaten nicht am Emissionshandel beteiligen. ɷ »Gegner des Emissionshandels für Airlines fletschen weiterhin nur die Zähne.« das EU-Emissionshandelssystem Die EU hat einseitig beschlossen, den Luftverkehr von 2012 an in das europäische Handelssystem mit Treibhausgasemissionen ETS einzubeziehen. Alle Fluggesellschaften, die in Europa starten oder landen, bekommen Höchstgrenzen an Kohlendioxid zugewiesen. Weil den Fluggesellschaften mit der Zeit immer weniger Zertiikate zugewiesen werden, dürfen sie weniger Klimagase in die Luft blasen. Überschreiten die Airlines die Höchstgrenzen, müssen sie Emissionsrechte hinzukaufen oder ein Bußgeld bezahlen. 2012 werden 85 % der Emissionsrechte den Airlines kostenlos zugeteilt. Von 2013 bis 2020 verringert sich dieser Anteil auf 82 %. LUFTvERKEHR