eJournals Internationales Verkehrswesen 64/2

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0044
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2012
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Immer ein ökonomischer Kompromiss: Leichtbau

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2012
Kerstin Zapp
Andreas Büter
Ob Automobilbau, Flugzeugbau, Lagertechnik oder andere Bereiche: Das Schlagwort „Leichtbau“ ist in aller Munde. Was sich genau dahinter verbirgt, wo die größten Potenziale und Herausforderungen stecken, hat Kerstin Zapp bei Prof. Dr. Andreas Büter, Geschäftsführer der Fraunhofer-Allianz Leichtbau, erfragt.
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tECHnOLOGiE Interview Andreas Büter Internationales Verkehrswesen (64) 2 | 2012 56 Immer ein ökonomischer Kompromiss: Leichtbau Ob Automobilbau, Flugzeugbau, Lagertechnik oder andere Bereiche: Das Schlagwort „Leichtbau“ ist in aller Munde. Was sich genau dahinter verbirgt, wo die größten Potenziale und Herausforderungen stecken, hat Kerstin Zapp bei Prof. Dr. Andreas Büter, Geschäftsführer der Fraunhofer-Allianz Leichtbau, erfragt. Herr Professor büter, was versteht man genau unter „Leichtbau“? Leichtbau bedeutet die Realisierung einer Gewichtsminderung bei hinreichender Steiigkeit, dynamischer Stabilität und Betriebsfestigkeit. 1 Hierbei ist zu gewährleisten, dass die entwickelten Bauteile und Konstruktionen ihre Aufgabe über die Einsatzdauer sicher erfüllen. Die Stabilität beeinlussende Faktoren wie Steiigkeit, Dämpfung, Masseverteilung und Konstruktion werden durch Parameter wie Material, Geometrie, Bauweise und Kosten bestimmt. Hinsichtlich der Festigkeit erfordern zyklische Betriebsbelastungen eine Bauteilauslegung gegenüber Ermüdung (Betriebsfestigkeit) unter Berücksichtigung nicht nur der Werkstofe, sondern auch der konstruktiven Formgebung, des Herstellungsprozesses, der Umgebungsbedingungen wie Temperatur, Feuchte und Medien sowie der Kosten. Die Kosten für Reklamationen, Inspektion und/ oder Wartung stehen in Relation zum Aufwand für detailiertere Untersuchungen, so dass es hier aus Sicht der Gesamtaufwendungen ein Optimum als Teil der Life-Cycle-Costs-Analyse gibt. Leichtbau heißt somit aus Sicht der betriebssicheren Konstruktion, immer einen ökonomischen Kompromiss zwischen Gewichtsminderung auf der einen und sicherer Konstruktion auf der anderen Seite zu inden. Eine gewichtsoptimale, betriebsfeste Auslegung von Komponenten und Strukturen setzt daher die genaue Kenntnis der im Betrieb auftretenden schädigungsrelevanten Belastungen 2 bzw. Beanspruchungen 3 voraus. welche Unterteilungen gibt es? Man unterteilt den Leichtbau in Optimierung nach: ƀǁ den Lasten (betriebsfester Leichtbau) - je genauer die Lasten bekannt sind, für die ein Bauteil ausgelegt werden soll, desto leichter wird das Bauteil, da Unsicherheitsfaktoren wegfallen. ƀǁ dem Material (Materialleichtbau) - je besser das Material für die Aufgabe geeignet ist, desto leichter wird das Bauteil, wobei hier gewichtsbezogene Eigenschaften zum Tragen kommen. Das sind z. B. gewichtsbezogene Steiigkeiten oder gewichtsbezogene Festigkeiten. Hierdurch kann, je nach Einsatzproil, eine Stahlkonstruktion leichter sein als eine Aluminiumkonstruktion. ƀǁ der Form (Formleichtbau) - das Ziel ist hier bezüglich der Aufgabenstellung (Steiigkeit, Festigkeitsanforderungen) die optimale Form/ Bauweise für ein Bauteil zu inden, z. B. auch durch Nutzung bionischen Prinzipien. Die Formgebung bestimmt sehr stark die Steiigkeit einer Struktur und wird durch die Möglichkeiten der Fertigung, inklusive Fügen, bestimmt. ƀǁ der Fertigung/ Bauweise (Fertigungsleichtbau) - Fertigungs- und Fügetechniken ermöglichen oder ermöglichen nicht die Realisierung einer gewünschten, speziellen Formgebung, und sie bestimmen darüber hinaus nicht unwesentlich über ihre Qualität die Tragfähigkeit der Struktur. Das Ziel ist, für die Aufgabenstellung das Fertigungs- und Fügeverfahren zu wählen, mit dem sich bei maximaler Tragfähigkeit die gewünschte gewichtsoptimale Form realisieren lässt. Die Qualität kann hier über zerstörungsfreie und zerstörende Prüfverfahren quantiiziert werden. Es gibt zudem noch Sonderformen wie den funktionsintegrierten Leichtbau: Ziel ist es hier, durch die Zusammenfassung/ Integration verschiedener Funktionen in einem Bauteil das Gewicht zu reduzieren. Unter Funktionsintegration wird hier die Zusammenfassung mehrerer passiver, aktiver, oder auch sensorischer Funktionen in einem Bauteil verstanden. Das Bauteil wird dadurch komplexer, die Anzahl der Bauteile aber geringer. Durch die Funktionsintegration lassen sich Kosten, Fertigungsaufwand, Bauraum und Gewicht einsparen. warum ist der Zusammenschluss diverser Fraunhofer-Institute in einer „Allianz Leichtbau“ sinnvoll? Lasten, Material, Formgebung, Fertigung und Fügeverfahren bestimmen in optimaler Kombination die Möglichkeiten des Leichtbaus. Als Allianz von 14 Fraunhofer- Instituten decken wir die gesamte Kette ab. Daher entwickeln wir besonders folgende Forschungsschwerpunkte weiter: ƀǁ neue Materialien und Materialverbünde ƀǁ Fertigungs- und Fügetechnologien aus Sicht des Leichtbaus ƀǁ Funktionsintegration ƀǁ Konstruktion und Auslegung ƀǁ zerstörungsfreie und zerstörende Prüfverfahren. Schwerpunkt ist die Bündelung der Aktivitäten zur Erforschung und Entwicklung von Verfahren zur Beurteilung der Leichtbauelemente im Hinblick auf die Einhaltung von Sicherheitsanforderungen. Als Allianz 1 nach Wiedemann: „Leichtbau“; Springer Verlag; 1996 2 Belastung: alle von außen auf die Struktur einwirkenden äußeren Kräfte und Momente. 3 Beanspruchung: die durch die Belastung in der Struktur generierten inneren Kräfte (Spannungen). Internationales Verkehrswesen (64) 2 | 2012 57 wollen wir die gesamte Kette abdecken, um so potenzielle Kunden optimal bei der Produktentwicklung zu unterstützen und zu begleiten. welche institutsübergreifenden Projekte laufen derzeit? Wir sind in den verschiedensten Fraunhofer internen, regionalen, nationalen und internationalen Projekten aktiv. Leichtbau ist beispielsweise entscheidend für die Elektromobilität. In der Fraunhofer Systemforschung Elektromobilität haben 33 Institute gemeinsam die gesamte Bandbreite der Elektromobilität erforscht. Innovative Leichtbaukonzepte wurden insbesondere für Batteriegehäuse und ein CFK-Rad mit integriertem Radnabenmotor eingesetzt. Ein regionales Projekt ist etwa das Karlsruher Innovationscluster „Technologien für den hybriden Leichtbau - KITe hyLITE“, in dem mit externen Partnern Fraunhofer ICT, Fraunhofer IWM und Fraunhofer LBF im Bereich Fertigung, Berechnung und Optimierung von Multimaterialsystemen aktiv sind. Im Rahmen der inhaltlichen Arbeiten stehen vier verschiedene Technologiekorridore im Bereich der Faserverbundwerkstoffe im Fokus: ƀǁ LFT - langfaserverstärkte Thermoplaste ƀǁ SMC - Sheet Moulding Compound ƀǁ PUR - Polyurethan-Fasersprühen ƀǁ RTM - thermoplastisches und duromeres Resin-Transfer-Moulding. Diese Technologien beinden sich bereits im industriellen Einsatz und bieten unter der Voraussetzung der Einbindung der führenden Industriepartner und Forschungsinstitute weiteres großes Innovationspotenzial. Auf Basis dieser Faserverbundtechnologien werden im Rahmen von KITe hyLITE hybride Leichtbauansätze ganzheitlich hinsichtlich innovativer Werkstofe, der für die Serienfertigung benötigten Produktionstechnologien und der zur Evaluierung und Absicherung erforderlichen Methoden (Berechnung, Auslegung) entwickelt. Ziel ist grundsätzlich ein Beitrag zur wirtschaftlichen Gewichtsreduzierung von Bauteilen und Modulen in der Fahrzeugtechnik. Im EU-FP7-Projekt „PolyBright“ (Extending the process limits of laser polymer welding with high-brilliance beam sources) arbeiten 16 verschiedene europäische Partner im Bereich des Laserschweißens von Kunststofen zusammen. wo liegen die größten Herausforderungen im Leichtbau? In den Kosten. Die Untersuchungen, die Optimierung und die Fertigung eines Bauteils sind mit Kosten verbunden, die sich beim Verkauf des Produkts erwirtschaften lassen müssen. Was sind wir bereit, für ein leichteres Produkt mehr zu bezahlen? Aus der Antwort ergeben sich dann die möglichen Aufwendungen zur Gewichtsreduktion und hieraus werden die Grenzen des Leichtbaus deutlich. Auf welchen Materialien ruhen große Hofnungen? Besonders auf hybriden Materialsystemen. Doch jedes Material hat seine Besonderheiten. Die Kunst ist, an den richtigen Stellen die richtigen Materialien zu verwenden. Das erfordert aber geeignete Verbindungstechniken. die da wären? Kleben, Laserschweißen, Nähen … - je nach Material. Einerseits leicht, andererseits auch sicher. Oder sind hier Kompromisse erforderlich? Bei Sicherheit gibt es keine Kompromisse. wo haben Leichtbauteile schon den durchbruch geschaft? Das Ziel, leicht zu bauen, ist nicht neu. Ich behaupte mal: Seit der Mensch Werkzeuge oder technische Produkte erzeugt, denkt er über Optimierung bzw. Leichtbau nach. Die Frage ist, wie viel Aufwand kann er und ist er bereit zu treiben. Das „kann er“ ist durch die Möglichkeiten und Werkzeuge deiniert - und da haben wir heute natürlich mehr Möglichkeiten als in der Vergangenheit. Die Bereitschaft dagegen ist durch den Markt und den Gesetzgeber bestimmt. Was ist man bereit, für ein eingespartes Kilogramm zu bezahlen? Hier gibt es branchenspeziische Unterschiede. Generell gilt: Die Weiterentwicklung der verschiedenen Werkstoklassen ist sehr wichtig, um in Zukunft neue Möglichkeiten im Leichtbau zu erschließen und das große Potenzial auszuschöpfen. In welchem bereich liegt künftig das größte Potenzial der Allianz? In der Zusammenführung der Aktivitäten und Forschungsergebnisse der verschiedenen Institute. So kann die Erforschung und Entwicklung von Verfahren zur kostengünstigen Entwicklung und Fertigung von Leichtbauelementen unter Berücksichtigung aller Sicherheitsanforderungen zeitnah vorangetrieben werden. In der Fraunhofer-Allianz Leichtbau haben wir die Möglichkeit, alle Einlussgrößen zu optimieren. Herr Professor büter, vielen dank! ɷ andreas Büter, Prof. Dr.-ing. ist seit September 2009 Professor an der Hochschule Darmstadt im Fachbereich Maschinenbau und Kunststoftechnik sowie seit 2004 Leiter des Kompetenzcenters Betriebsfester Leichtbau am Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF in Darmstadt. Zur PErSOn Fotos: Fraunhofer LBF