Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0045
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CO2-Regulierung und Kosten der Batterie: Ausweg Leichtbau?
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Kerstin Zapp
Bis 2020 müssen die Fahrzeughersteller in Europa die durchschnittlichen CO2-Emissionen ihrer Flotten unter 95 g/km senken, sonst drohen Strafzahlungen. Wie lassen sich die Werte entsprechend anpassen?
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tECHnOLOGiE Leichtbau Internationales Verkehrswesen (64) 2 | 2012 58 CO 2 -Regulierung und Kosten der Batterie: Ausweg Leichtbau? Bis 2020 müssen die Fahrzeughersteller in Europa die durchschnittlichen CO 2 -Emissionen ihrer Flotten unter 95 g/ km senken, sonst drohen Strafzahlungen. Wie lassen sich die Werte entsprechend anpassen? L eichtbau spielt besonders in der Luftfahrt, im Automotive-Sektor und bei der Gewinnung von Windenergie eine Rolle. Während Flugzeuge bereits zu 78 % aus Leichtbauteilen gefertigt werden und dieser Anteil bis 2030 auf 85 % steigt, liegt der Anteil bei Windrädern derzeit bei 26 % und wird sich voraussichtlich nicht signiikant verändern, da nur die Blätter möglichst leicht sein müssen, der Mast nicht. In der Automobilindustrie werden heute zu 29 % leichte Werkstofe eingesetzt. Bis 2030 erwartet das Beratungshaus McKinsey einen Anstieg auf 67 %. Dieser Bereich zeigt einen Trend zu Materialkombinationen. Insgesamt wird der Markt getrieben durch CO 2 -Vorgaben und einen hohen Kostendruck, der besonders die Automobilindustrie trift. Die Optimierung konventioneller Motoren und Leichtbaumaßnahmen sind vielversprechende Schritte, um die Flottenemissionen zu senken. Doch bei einer weiteren Verschärfung der Grenzwerte sowie einem hohen Anteil an relativ schweren Ober- und Luxusklassefahrzeugen im Herstellerportfolio stoßen diese Maßnahmen an ihre Grenzen. Daher werden die Fahrzeugbauer außer auf die Optimierung konventioneller Motoren künftig auch auf den Elektroantrieb setzen, um die CO 2 -Grenzwerte einzuhalten. Das geht aus den Ergebnissen der Studie „Lightweight materials and design - a perspective across key industries“ von McKinsey & Company hervor. „Selbst extreme Leichtbaukonzepte können langfristig nicht zu akzeptablen Kosten eine ausreichende CO 2 -Reduzierung bei Mittelklassefahrzeugen darstellen“, erklärt McKinsey-Partnerin und -Leichtbauexpertin Ruth Heuss. Weniger Gewicht kontra kosten Beispiel: Ein Kotlügel aus Karbonfasern bietet zwar etwa 50 % Gewichtsersparnis gegenüber herkömmlichem Stahl, ist aber fast sechs Mal so teuer wie ein aus Stahl gefertigter. Dies liegt vor allem an der noch nicht möglichen bzw. ausgereiften Serienfertigung. Zudem: Karbonfasern werden bisher aus dem Rohstof Öl hergestellt. Zwar laufen Versuche, auf textilbasiertes Material, Lignin oder Cellulose umzustellen, doch bisher mit unbefriedigenden Ergebnissen. Unter Kostengesichtspunkten verliert Leichtbau als Methode, Fahrzeuge umweltfreundlicher zu machen, bis 2030 an Boden, sind die McKinsey-Forscher überzeugt. Hybrid Electric Drive etc. werden unter Berücksichtigung billigerer und besserer Batterien die günstigeren CO 2 -Sparmethoden sein. Seine eigentliche Bedeutung für die Hersteller erlangt der Leichtbau daher als Gegenmittel, um die Gewichtszunahme durch veränderte Antriebe auszugleichen. Schon die kraftstofeiziente Optimierung von Verbrennungsmotoren, beispielsweise durch Start-Stopp-Automatik oder den Einsatz von Turboladern, macht das Fahrzeug um durchschnittlich 50 kg schwerer. Mit bis zu 150 kg Zusatzgewicht schlägt die Batterie in Hybridfahrzeugen und „Range- Extender“-Fahrzeugen (E-Pkw mit kleinem Verbrennungsmotor zur Reichweitenvergrößerung) zu Buche. Rein batteriebetriebene Fahrzeuge bringen sogar 250 kg mehr auf die Waage als vergleichbare konventionelle Fahrzeuge. Mehr Gewicht kostet ebenfalls Neben den negativen Auswirkungen auf die Fahrdynamik verursacht das Zusatzgewicht höhere Gesamtkosten, da beispielsweise größere Bremsen zur Gewährleistung der einzuhaltenden Bremswege benötigt werden. „In Leichtbaukonzepte zu investieren, ist besonders sinnvoll, wenn dadurch die Batteriegröße von Elektrofahrzeugen reduziert werden kann“, resümiert Nicolai Müller, Partner und Fachmann für Leichtbau und Elektromobilität bei McKinsey. Sollten die Batteriekosten weniger schnell sinken als erwartet, habe Leichtbau ebenfalls noch sehr gute Chancen. Die Autorin: kerstin Zapp Anteil von Leichtbaumaterialien im Vergleich im Flugzeug-, Windrad-und Automobilbau Quelle: McKinsey Internationales Verkehrswesen (64) 2 | 2012 59 Es stellen sich folgende Fragen: Unter welchen Bedingungen wären die Fahrzeughersteller bereit, für leichte Bauteile mehr zu bezahlen - und wie viel könnte dies sein? Je nach Fahrzeugklasse rechnen sich unterschiedliche Leichtbau-Materialmixe: Ein konventioneller Mix mit 50 % hochfestem Stahl beispielsweise eignet sich für Klein- und Mittelklassefahrzeuge, bei denen sich Kosten von rund 3-EUR pro Kilogramm Gewichtsreduktion lohnen. Im Massenmarkt ist die Bereitschaft der Kunden, mehr für ein Auto zu bezahlen, sehr gering. In der Oberklasse werden sich hybride Metall-/ Kunststof-Kombinationen mit hohem Aluminiumbzw. Magnesiumanteil und einem kleinen Anteil an Karbon bzw. glasfaserverstärkten Kunststofen durchsetzen, da sich hier auch Kosten von 5 bis 14-EUR pro Kilogramm Gewichtsabnahme rechnen. Im Luxussegment werden zunehmend faserverstärkte Kunststofe eingesetzt werden. Für den noch kleinen Markt der Karbonfaserverbundstofe kalkulieren die McKinsey- Berater bis 2030 mit einem Wachstum um 20 %, wenn die mögliche 70 %ige Kostensenkung auf bis zu 15- EUR pro Kilogramm erreicht wird. Aber auch bei einer geringeren Kostensenkung werde Karbon eine wichtige Rolle im Luxussegment spielen: „Da die Karbonfaser bei Luxusfahrzeugen ein wichtiges Diferenzierungselement darstellt, wären hier selbst Kosten von mehr als 20- EUR pro Kilogramm Gewichtseinsparung wirtschaftlich vertretbar“, so Nicolai Müller. innovation durch kosten Positiv ist auch, dass ein neuer Wachstumsmarkt für Zulieferindustrie und Anlagenbau entsteht: Der Jahresumsatz mit Leichtbauteilen aus hochfestem Stahl, Aluminium und karbonfaserverstärktem Kunststof dürfte je nach Rohstofpreisentwicklung bis 2030 von derzeit etwa 70-Mrd.-EUR auf mehr als 300- Mrd. EUR wachsen, geht aus der Studie hervor. Danach wird hochfester Stahl künftig herkömmliche Stähle in vielen Bereichen ablösen und seinen Marktanteil in der Automobilindustrie von 15 auf 40 % steigern. Damit bleibt er der wichtigste Leichtbauwerkstof, während Karbonfaser- Verbundstofe (CFK) mit 20 % pro Jahr am schnellsten wachsen. Die Kosten der jeweiligen Materialien sind auch abhängig von den künftigen Energiekosten, denn Energie ist zur Gewinnung/ Herstellung erforderlich. Aber gerade bei Karbon werden die Herstellungskosten durch verbesserte Fertigungstechniken sinken. Der Kostendruck entfacht eine enorme Innovationskraft in der Industrie, ist McKinsey überzeugt. OEMs und Zulieferer würden gemeinsam versuchen, das Fahrzeug neu zu erinden. Die Forscher rechnen mit sehr vielen verschiedenen innovativen Lösungen und sehen gleichzeitig große Chancen für die Zulieferindustrie und Maschinenbauunternehmen in der Entwicklung neuer Werkzeuge, Be-und Verarbeitungsprozesse. Die Leichtbaukompetenz vermutet die Beratung zunächst bei den Fahrzeugherstellern, da die Fahrfunktion die Basis aller Entwicklungen bleibt. Entsprechend werde hier Know-how aufgebaut und gehalten. Noch zu lösende Fragen betrefen beispielsweise Reparaturmethoden, Instandhaltung, Recycling und Versicherungen. Langfristig werde ein Kompetenzmix bei OEMs und Zulieferern entstehen. Und ganz klar lägen deutsche Unternehmen im Leichtbau derzeit vorn. ɷ kerstin Zapp (zp) freie Fachjournalistin Redaktionsteam „Internationales Verkehrswesen“, DVV Media Group GmbH, Hamburg kerstin.zapp@dvvmedia.com Allein zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes ist der Einsatz eines hohen Anteils von Leichtbaumaterialien im Szenario 2010 zu teuer… Quelle: McKinsey … Und daran ändert sich auch bis 2030 nichts, wenn die Batteriekosten in dem Maß sinken, wie es erwartet wird. Quelle: McKinsey
