Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0048
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Herausforderung Recycling von Schiffen
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Dirk Ruppik
Durch die sogenannte Hongkong-Verordnung wird das umweltschonende Recycling von Schiffen geregelt. Die Verordnung verlangt u. a. die Erstellung einer Inventurliste für Gefahrstoffe (Inventory for Hazardous Materials, IHM) von Reedern und Schiffseignern, die auf dem neuesten Stand gehalten werden muss. Es existieren viele Herausforderungen, die die Plege der IHM zu einer nahezu unmöglichen Aufgabe machen.
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tECHnOLOGiE Schifsreycling Internationales Verkehrswesen (64) 2 | 2012 69 Herausforderung Recycling von Schifen Durch die sogenannte Hongkong-Verordnung wird das umweltschonende Recycling von Schifen geregelt. Die Verordnung verlangt u. a. die Erstellung einer Inventurliste für Gefahrstofe (Inventory for Hazardous Materials, IHM) von Reedern und Schifseignern, die auf dem neuesten Stand gehalten werden muss. Es existieren viele Herausforderungen, die die Plege der IHM zu einer nahezu unmöglichen Aufgabe machen. Ü berkapazität und dramatisch sinkende Tarife besonders auf den Asien-Europa-Routen gehören aktuell wieder zur weltweiten Realität der Schiffahrtindustrie. Schon während der globalen Krise in 2008/ 09 musste eine große Anzahl von Schifen außer Dienst gestellt werden. Zudem wurde auf vielen Strecken die „Langsamfahrt“ eingeführt, um weitere Kapazität zu absorbieren. Der Bau und die Auslieferung von neuen Schifen wurden mit der Hofnung auf den nächsten Aufschwung verschoben. Von Anfang 2010 bis heute wurden massiv Neubauten in den Markt eingeführt − darunter viele Megacontainerschife mit 13 000 und mehr TEU. Diese drängen nun kleinere und ältere Schife aus dem Markt. Selbst vor dem Ablauf der eigentlichen Lebensdauer werden zunehmend Schife wie in 2008/ 09 zu Recyclingwerften meist in Indien, China, der Türkei und in Bangladesh sowie Pakistan überführt. Die Standards dieser Recyclingwerften sowohl im Umgang mit Schadstofen als auch bei der Arbeitssicherheit sind jedoch meist sehr ungenügend. Durch die im Mai 2009 verabschiedete International Convention for the Safe and Environmentally Sound Recycling of Ships oder kurz Hong Kong Convention (HKC) sollen nun Standards für das umweltfreundliche Recycling festgelegt werden. Reeder müssen in diesem Rahmen eine Inventurliste für Gefahrstofe (Inventory for Hazardous Materials, IHM) erstellen und auf dem neuesten Stand halten. In Neubauten dürfen künftig bestimmte Materialien wie z. B. Asbest nicht mehr verbaut werden. Zahl der stillgelegten Schife wächst wieder Laut der Pariser Agentur Alphaliner wächst die Anzahl der stillgelegten Schife seit Juni Abb. 1: Wegen sinkender Frachtraten werden immer mehr Schife verschrottet − neue Regelungen sollen dabei international die Umwelt schützen. 2011 wieder. Die ruhende Kapazität nahm von 75 000-TEU auf 806 000-TEU bis Mitte Februar 2012 zu. Alphaliner fügte an: „Die Marktbedingungen sind deutlich schlechter geworden, da der Handel mit den USA seit Juni schrumpft, während der Handel mit Europa kraftlos ist. Der Ausblick bleibt negativ und wir erwarten einen deutlichen Anstieg der stillgelegten Flotte.“ Falls aufgrund der Marktsituation weiterhin Schife außer Dienst gestellt werden müssen, droht das Recycling älterer Einheiten. Laut des Schifrecyclingexperten und Geschäftsführer der GSR Service Henning Gramann ist das durchschnittliche Alter der Flotte in Deutschland sehr gering, da ausgeprägte Neubaubestellungen in den vergangenen Jahren getätigt wurden. „Das erhöht den Druck auf ältere Einheiten, da diese mit ökonomischer operierenden Schifen konkurrieren müssen und häuig geringere Charterraten erzielen. Dennoch gibt es auch in Deutschland einige Schife, die potenzielle „Recyclingkandidaten“ sind. Generell können zwischen 90 und 97 % eines Schifes recycelt werden.“ Reichweite der HKC Die HKC umfasst den Entwurf, Bau und Betrieb sowie die Vorbereitung von Schiffen für das umweltschonende Recycling. Zudem werden Maßnahmen für den sicheren und umweltfreundlichen Betrieb von Schifrecyclingwerften festgeschrieben. Die Der Autor: Dirk Ruppik tECHnOLOGiE Schifsreycling Internationales Verkehrswesen (64) 2 | 2012 70 Einführung von geeigneten Maßnahmen für Recycling, Zertiizierung, Prüfung und Berichtswesen ist ebenfalls Bestandteil der Verordnung. Nach dem Inkrafttreten der Verordnung muss auf Schifen eine aktuelle Inventurliste für Gefahrstofe (Inventory for Hazardous Materials, IHM) mitgeführt werden. Im Anhang der HKC indet sich eine Liste von Gefahrstofen deren Gebrauch oder Verbau (z. B. Asbest, PCB, etc.) künftig nicht mehr zulässig ist. Die Recyclingwerften in den Ratiizierungsländern müssen einen Schifrecyclingplan vorweisen, in dem das Recycling des jeweiligen Schifes genau speziiziert wird. Für die Überwachung der Recyclingwerften entsprechend der Aulagen der Verordnung sind die Behörden des jeweiligen Landes verantwortlich. inkrafttreten der HkC bis 2015 unwahrscheinlich Das Inkrafttreten der Hongkong-Verordnung bis 2015 ist laut Gramann zumindest unter dem Dach der IMO unwahrscheinlich. Die Regeln dafür wurden während der Diplomatischen Konferenz in Hongkong insbesondere von Panama sowie den Bahamas verschärft. Dennoch ist dies unter den heutigen Umständen nicht mehr so relevant. Weltweit würde die HKC zirka 50 000 Schife über 500- GT sowie entsprechende Bauwerften, Hersteller, Zulieferer, Reeder und Abwrackwerften betrefen. Durch die Initiative der EU, die alle einlaufenden Schife unabhängig von der Flagge ins Visier nimmt, würden zirka 30 000 Schife betrofen sein. Bisher hat noch kein Land die HKC unterzeichnet. Es liegen nur „Signierungen“ von Frankreich, Italien, den Niederlanden, Saint Kitts and Nevis und der Türkei vor. Allerdings will China im nächsten Jahr ratiizieren. Identische Informationen liegen für Frankreich vor. Zusätzlich arbeiten Norwegen, die Türkei, Japan und einige andere Länder an der Ratiizierung. Allerdings sind dies langwierige Verfahren. Deutschland wird sich darum erst nach der Ratiizierung der Ballastwasserkonvention (in 2012 erwartet) kümmern. Zahlreiche Herausforderungen Es existieren Verständnisschwierigkeiten bei allen Beteiligten. In anderen Industrien wurde ein Großteil vergleichbarer Vorgaben auf technischer Seite bereits vor Jahren umgesetzt. Diese Erfahrungen müssen nun genutzt werden. Die Administrationen der jeweiligen Länder müssen die bestehenden Gesetzgebungen auf mögliche Konlikte bzw. Widersprüche mit der HKC überprüfen. Die Verordnung muss in die jeweilige Landessprache übersetzt werden; Entscheidungen über zusätzliche Maßnahmen und Anforderungen müssen gefunden werden. Es besteht die Notwendigkeit, für die Klassiikationsgesellschaften an einem einheitlichen Verständnis zu arbeiten und ein übereinstimmendes Vorgehen festzulegen. Darüber hinaus muss man sich auf bestimmte grundsätzliche Anforderungen einigen und das Training der Besichtiger vereinheitlichen. Ein völlig neuer Aspekt für die maritime Industrie ist, dass nun Zulieferer, Hersteller und Bauwerften alle relevanten Schadstofe erfassen müssen. Die Implementierung von Dokumentationsverfahren und der Datenaustausch muss eingerichtet werden. Dies kann laut Gramann nur auf Basis einer global vereinheitlichten Plattform geschehen, wenn der Aufwand einigermaßen erträglich bleiben soll. Bei den angelieferten Waren müssen Qualitätskontrollen eingeführt werden, da die Zusagen von Lieferanten oder Werften nicht ausreichen. Es werden immer noch verbotene Materialien an Bord von (neuen) Schifen gefunden. Durch die globalen Zulieferstrukturen sind die Risiken entsprechend groß, dass Rohstofe, Materialien und Bauteile verbotene Schadstofe enthalten. Ein Schif mit einem Asbestfreizertiikat zu ordern, ist bereits langjährige Praxis, allerdings wird dies von der Bauwerft ohne jegliche Kontrolle ausgestellt. Es gab Fälle, bei denen Schife zurück an die Bauwerft zwecks Dekontamination gesendet wurden. In einem Fall wurden 5000 Flanschdichtungen ausgetauscht. Die Kosten dafür beliefen sich auf rund 10 % des Baupreises. Nicht zuletzt sind die Schifseigener für die Implementierung der IHM-Plege, die Kommunikation und die Informationsbeschafung bei den Zulieferern verantwortlich. Die meisten Lieferanten sind darauf nicht vorbereitet und machen die IHM-Plege somit zu einer nahezu unmöglichen Aufgabe für die Eigner. ɷ Abb. 2: Schifsverschrottung in Bangladesh Abb. 3: Verheerende Arbeitsbedingungen: Ofenbar wurde asbesthaltige Isolierwolle mit einem Spaten entfernt, ohne dass ein Schutz zum Einsatz kam. Dirk ruppik Asien-Korrespondent und freier Fachjournalist mit Büro in Thailand dirk.ruppik@gmx.de
