eJournals Internationales Verkehrswesen 64/3

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0056
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2012
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»Was ein Logistikchef glaubt feststellen zu müssen …«

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Gerd Aberle
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KUrZ + KrItISCH Gerd Aberle Internationales Verkehrswesen (64) 3 | 2012 13 D er Kunde zahlt für das Auto und nicht für die Logistik - dies die kürzlich in einer Fachzeitschrift veröfentlichte Interviewmeinung des Logistikchefs eines bedeutenden süddeutschen Automobilherstellers. Wäre diese Aussage nicht vor dem Hintergrund von Preisverhandlungen mit Transportunternehmen gefallen, dann hätte man sie als unsinnige Bemerkung abtun können. Denn dass bei allen gehandelten Gütern die Logistikleistungen eingepreist und selbstverständlich als Produktbestandteil angesehen werden, ist unstrittig. Die gleichen Tatbestände gelten für alle anderen Vorleistungen, wie etwa Reifen, Autolacke, Sitze, Steuerungselektronik u. ä., aber auch für Marketingmaßnahmen und die milliardenschweren Werbeausgaben. Hier wäre übrigens die Frage angebracht, ob der Kunde beim Autokauf diese Werbeaufwendungen in Zeitschriften und elektronischen Medien wirklich bezahlen möchte. Jeder Kunde weiß, dass aufgrund des hohen Outsourcing von Teilelementen des Endprodukts die Transportlogistik entscheidend zur Produktentstehung und Marktfähigkeit beiträgt, ja unverzichtbar ist. In der Automobillogistik kommt noch hinzu, dass der Pkw-Endnachfrager in der Regel mit vergleichsweise hohen Überführungsentgelten vom Produktionsort bis zum Händler belastet wird. Diese sog. Überführungskosten werden jedoch nur anteilig den speziellen Transportdienstleistern vergütet und stellen damit sogar noch Zusatzerlöse für die Hersteller dar. Nein, die mehr als eigenwillige Feststellung des Logistikchefs ist keine amüsierende oder einfach nur Kopfschütteln bewirkende These. Das Problem liegt tiefer, ist genereller Natur und seit vielen Jahren den Beteiligten im Logistikmarkt (un-)wohl bekannt. Es geht um das Spannungsfeld von wirtschaftlicher Macht und Logistik. Die meist bei der modellhaften Ableitung optimierter Logistikkonzepte unterstellte Machtfreiheit geht an der Logistikrealität vorbei, einer Realität, die sehr häuig solche Logistikkonzepte umsetzt, die der marktstärkere Logistikpartner zur Optimierung seiner Abläufe durchsetzt. Dies bedeutet zugleich, dass Logistikkosten auf die schwächeren Marktteilnehmer verlagert werden und nur partielle Optimierungen der Logistikkette möglich sind. Zu diesen marktmachtschwächeren Logistikpartnern zählen viele Zulieferer generell und die Transportwirtschaft speziell. Bei fast allen Transportunternehmen, ob Güterbahnen oder Straßengüterverkehr, Binnen- oder Seeschiffahrt, zeigen sich strukturelle und gra- »Es geht um das Spannungsfeld von wirtschaftlicher Macht und Logistik.« Prof. Gerd aberle zu themen der Verkehrsbranche »Was ein Logistikchef glaubt feststellen zu müssen …« vierende Margenschwächen. Auf der anderen Seite können Verlader im Industriebereich vergleichsweise hohe, oft mit dem Faktor-3 und höher ausgestattete Margen erzielen. Und neben dem Preisdruck bei den Transportdienstleistern verdeutlicht ein zunehmend rüder Verhandlungsstil, wer letztlich das Sagen, sprich: die Marktmacht hat. Das spüren nicht nur kleine und mittelständische Transportbetriebe, sondern auch große und international aufgestellte Verkehrsunternehmen mit Milliardenumsätzen, aber fast existenzgefährdend niedrigen Umsatzrenditen im Transportgeschäft. Wenn derzeit, also in einer Phase hoher Verkäufe und satter Gewinne in der Premiumklasse der Automobilindustrie, einer dieser Hersteller die Logistikkosten als nicht vom Kunden akzeptierte Kosten darzustellen versucht, ist das nichts anderes als eine spezielle Ausprägung des Machtfaktors bei Ausschreibungen und Preisverhandlungen. Eine altbekannte betriebswirtschaftliche Erkenntnis lautet: Der Gewinn eines Unternehmens wird vor allem im Einkauf realisiert. Dies bedeutet aber auch, dass Vorleistungsprodukte einem ständigen und sich verschärfenden Margendruck unterliegen. Insbesondere die Transportwirtschaft kann hiervon mehr als ein Lied singen. Sich dann aber vom Logistikchef eines hochproitablen Industrieunternehmens sagen zu lassen, dass seine Kunden nicht bereit seien, für die Logistikleistungen zu zahlen, um mit dieser Feststellung Ausschreibungen und Preisverhandlungen zu begleiten, ist ein trauriges Beispiel für die Ausspielung von Marktmacht. Aber auch für die Verrohung der Umgangsformen im Logistikgeschäft.