Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0065
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Effizienz durch bessere An- und Abflugverfahren
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Kerstin Zapp
Ralph Beisel
2,1 Mio. gewerbliche Flugbewegungen (2,7 % mehr Starts und Landungen als 2010), 198,2 Mio. ein- und aussteigende Passagiere (plus 5 %) und gut 4,4 Mio. t Frachtumschlag (plus 4,8 %) waren im vergangenen Jahr an deutschen Flughäfen zu verzeichnen. Gute Zahlen, doch auch geprägt durch die Ausfälle in 2010 aufgrund des Vulkanausbruchs und des kalten Winters. Kerstin Zapp fragte Ralph Beisel, Hauptgeschäftsführer der ADV, was den Luftverkehr in Deutschland derzeit umtreibt.
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INFRASTRUKTUR Interview Ralph Beisel Internationales Verkehrswesen (64) 3 | 2012 36 Eizienz durch bessere An- und Ablugverfahren 2,1 Mio. gewerbliche Flugbewegungen (2,7 % mehr Starts und Landungen als 2010), 198,2 Mio. ein- und aussteigende Passagiere (plus 5 %) und gut 4,4 Mio. t Frachtumschlag (plus 4,8 %) waren im vergangenen Jahr an deutschen Flughäfen zu verzeichnen. Gute Zahlen, doch auch geprägt durch die Ausfälle in 2010 aufgrund des Vulkanausbruchs und des kalten Winters. Kerstin Zapp fragte Ralph Beisel, Hauptgeschäftsführer der ADV, was den Luftverkehr in Deutschland derzeit umtreibt. Herr Beisel, 65 Jahre gibt es die ADv nun schon. Worin liegt heute ihre Daseinsberechtigung? Als Sprachrohr der Flughäfen gilt es, die Positionen der Flughäfen gegenüber der Politik, den Medien und der Öfentlichkeit mit großem Engagement zu vertreten. Der Erfolg unserer politischen Kommunikation basiert auf einer fundierten Facharbeit. Die ADV setzt sich für einen wettbewerbsfähigen Luftverkehr und moderne, leistungsfähige Flughäfen in Deutschland ein. Im Zuge dessen wird es aber auch immer bedeutsamer, für ein gutes Miteinander von Anwohnern und Flughäfen einzutreten. Stichwort Wettbewerb: Laut ADv ist die Luftverkehrssteuer der Grund, warum zwei Drittel aller deutschen Flughäfen 2011 mit stagnierenden oder rückläuigen Passagierzahlen kämpften. Tatsächlich hat die Einführung der Luftverkehrssteuer im vergangenen Jahr deutliche Spuren in der Verkehrsentwicklung an den Flughäfen hinterlassen. Ein großer Teil des Wachstums in 2011 geht auf statistische Basisefekte zurück. Insgesamt hat das Marktwachstum im Passagierverkehr in Deutschland bei lediglich plus 3,0 % gelegen. Hinzu kommt, dass sich diese Zuwächse vor allem auf die größeren Flughäfen und solche mit Drehkreuzfunktionen konzentrieren. Während viele kleinere grenznahe Flughäfen in Deutschland teilweise erhebliche Passagierverluste hinnehmen mussten, sind grenznahe Flughäfen im benachbarten Ausland deutlich stärker gewachsen. Der innerdeutsche Luftverkehr hat mit einem Zuwachs von lediglich plus 1,6 % praktisch stagniert und vor allem im Low-Cost-Verkehr ist ein deutlicher Rückgang von minus 5,2 % eingetreten. Diese Entwicklung ist eindeutig auf die Luftverkehrssteuer zurückzuführen, die den deutschen Flughäfen einen erheblichen Standort- und Wettbewerbsnachteil beschert hat. Darüber hinaus ist die Steuer iskalisch ein Flop. Zwar wurden die erwarteten Einnahmen erreicht. Doch die inanziellen Einbußen der Flughäfen haben letztlich zu Mindereinnahmen bei Steuern und Sozialbeiträgen und Mehrausgaben bei Ländern und Kommunen geführt, Neben Luftverkehrssteuer und Luftfrachtsicherheitsgebühr ist für die europäische Branche die Einbeziehung in den Emissionshandel seit Anfang 2012 ein Problem. Ist eine Lösung in Sicht? Wir fordern weiterhin, den Emissionshandel wettbewerbsneutral auszugestalten. Zahlreiche Drittstaaten haben angekündigt, sich dem EU-ETS nicht unterwerfen zu wollen, darunter die USA und China. Immer mehr Staaten verlangen Ausnahmen für sich und drohen andernfalls mit empindlichen Gegenmaßnahmen. Eine Eskalation des Streits mit vielen unserer wichtigsten Handelspartner wäre fatal. Im Frühjahr 2013 startet voraussichtlich der neue Berliner Willy-Brandt-Flughafen. Was zeichnet ihn aus? Der neue Flughafen Berlin-Brandenburg wird zweifellos einer der modernsten Flughäfen der Welt sein. Mit der Inbetriebnahme wird der Luftverkehr der Hauptstadtregion „unter einem Dach“ gebündelt. Das schaft neue Möglichkeiten für die Fluggesellschaften bei kurzen Wegen für die Reisenden. Zusätzlich werden Luft-, Bahn- und Straßenverkehr am BER eizient miteinander vernetzt. Er setzt Maßstäbe für die Intermodalität. In welchen Bereichen könnten Prozesse überhaupt noch eizienter gestaltet werden, um den Durchsatz an Passagieren und Gepäck zu erhöhen? Viele Prozesse, wie wir sie heute kennen, sind schon sehr weit ausgereizt. Dies gilt insbesondere für die Bodenverkehrsdienste. Große Sprünge sind hier durch eine Optimierung nicht mehr zu erwarten. Eizienzgewinne sehen wir noch bei der Steuerung der Abfertigungs- und Terminalprozesse und an der Schnittstelle zu Airlines und Dienstleistern. Welche Bedeutung hat künftig der Hauptstadtlughafen im Ranking der deutschen Flughäfen? Die beiden Berliner Flughäfen lagen 2011 mit rund 24 Mio. Ein- und Aussteigern zusammen auf Platz 3 der größten deutschen Flughäfen hinter den Drehkreuzen Frankfurt und München. Auch der neue Berliner Flughafen wird seinen Platz sicher behaupten können. Die Eröfnung des Hauptstadt-Airports ist aber auch für alle deutschen Flughäfen ein sehr wichtiges Signal: Wenn Deutschland den Anschluss an die neuen Wachstumsregionen in der Weltwirtschaft künftig nicht verlieren und im Wettbewerb mit den neuen Schwergewichten in Asien, im Mittleren Osten und in Südamerika mithalten will, dann brauchen wir auch künftig leistungsfähige Infrastrukturen und bedarfsgerechte neue Kapazitäten. Internationales Verkehrswesen (64) 3 | 2012 37 Die Berliner beschwerten sich schon im vorfeld über den möglichen Lärm. Lärmdiskussionen werden auch an anderen Standorten geführt. Bleibt Deutschland als Luftverkehrsstandort da noch wettbewerbsfähig? Der umfassende Schutz vor Fluglärm hat seine Berechtigung und darf nicht vernachlässigt werden. Lange Genehmigungsverfahren machen es aber allen Seiten schwer, den Überblick zu behalten und transparente und nachvollziehbare Entscheidungen zu trefen. Es gilt, alle Anstrengungen zu unternehmen, um das Verkehrswachstum vom Fluglärm zu entkoppeln. Auf der Grundlage des neuen Fluglärmschutzgesetzes leisten die Flughäfen passiven Schallschutz, beispielsweise durch den Einbau entsprechender Fenster. Hinzu kommen die Maßnahmen des aktiven Schallschutzes. Dabei geht es um die Lärmvermeidung an der Quelle. Gemeinsam mit der Deutschen Flugsicherung müssen wir bei der Optimierung der An- und Ablugverfahren besser werden. Zusammen mit den Airlines haben wir den Einsatz von lärmarmen und sauberen Flugzeugen weiter zu befördern. Trotz aller Belastungen bleibt der Luftverkehr eine Wachstumsbranche. In diesem Jahr werden wir erstmals die Schwelle von 200 Mio. Passagieren überspringen. Für das Jahr 2025 erwarten wir 300 Mio. Passagiere. Hier müssen die Flughäfen mit Investitionen in eine hochleistungsfähige Infrastruktur Zukunftsvorsorge betreiben. Woher wird das Geld für die Infrastruktur künftig kommen? Hier haben wir in Deutschland ein strukturelles Problem. Es gilt das Prinzip der Nutzerinanzierung. Tatsächlich decken die Einnahmen aus Flughafenentgelten derzeit lediglich etwa 80 % der Kosten der Infrastruktur. Über die Nutzungsdauer werden die Flughäfen versuchen müssen, die Kostenunterdeckung für ihre Infrastruktur zu verringern. Ist eine privatwirtschaftliche Finanzierung aufgrund des Marktdrucks der Airlines nicht möglich, so setzt sich der Flughafenverband ADV für eine Lockerung der beihilferechtlichen EU-Vorschriften ein, so dass eine staatliche Mitinanzierung von Flughafeninfrastruktur nicht ausgeschlossen ist. Und wie könnte die vorhandene Infrastruktur noch besser genutzt werden? Flughäfen operieren vielerorts zumindest in Der Flughafenverband ADV wurde 1947 gegründet und zählt derzeit 22 internationale Verkehrslughäfen, 16-große Regionallughäfen sowie acht korrespondierende Flughäfen in Österreich und der Schweiz zu seinen Mitgliedern. Dazu kommen diverse außerordentliche Mitglieder. www.adv.aero den Spitzenzeiten an ihrer Kapazitätsgrenze. Für die optimale Nutzung der Start- und Landebahnen, der Vorfelder aber auch des Luftraums um die Flughäfen ist die Deutsche Flugsicherung DFS ein entscheidender Partner. Hier erwarten wir mehr noch als bisher innovative An- und Ablugverfahren. Ein Facharbeitsschwerpunkt der ADv ist „vernetzte verkehrsplanung“. Was steckt dahinter? Ein Flughafen ist schon lange keine singuläre, quasi alleinstehende, Infrastruktur mehr. Die Menschen denken immer stärker in Reiseketten, fordern abgestimmte Anschlüsse und kurze Wege. Deshalb brauchen wir optimal miteinander vernetzte Verkehrswege. Der Schwerpunkt vieler Verkehrsinvestitionen liegt deshalb heute auch zu Recht auf „den Knoten“, wie zum Beispiel den Flughäfen. Und hier müssen wir künftig noch stärker dafür werben, die An- und Einbindung der Flughäfen in den Straßen- und Schienenverkehr zu verbessern. Im Rahmen der ADV tauschen die Flughäfen ihre Erfahrungen zu diesem wichtigen Thema aus, stimmen Strategien zu nationalen oder europäischen Förderprogrammen ab und werben gemeinsam bei der Politik für die richtigen Schwerpunkte. Wie wird der Luftverkehrsmarkt zum 75. Geburtstag der ADv aussehen? Mit dem erwarteten wachsenden Passagieraukommen sind große wirtschaftliche Chancen für den Wirtschaftsstandort Deutschland verbunden. Umso wichtiger ist es für die Flughäfen, die Infrastruktur und Kapazitäten eizient nutzen zu können. Hier ist die Politik gefragt. Darüber hinaus ist auch eine Konsolidierung im Luftverkehr möglich, bei den Airlines ebenso wie bei den Flughäfen. Auch werden wir weitere grenzüberschreitende Allianzen und Beteiligungen bei Airlines wie Flughäfen sehen. Herr Beisel, vielen Dank für das Gespräch. ■ Ralph Beisel ist Hauptgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrslughäfen (ADV) e.V., Berlin. Zuvor war er für Arthur D. Little und die Thomas Cook AG tätig. ZUR PERSON ZUM UNTERNEHMEN Fotos: ADV
