Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0071
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Seit 111 Jahren elektrisiert
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Stephan Anemüller
Köln feiert in diesem Jahr das 111jährige Jubiläum seiner ersten elektrischen Straßenbahn. Auf den ersten Blick scheint dies lediglich ein Ereignis der Verkehrshistorie zu sein. Doch der Blick in die Vergangenheit regt auch einen Vergleich mit der aktuellen politischen Entwicklung zur E-Mobilität an.
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MOBILITÄT ÖPNV Internationales Verkehrswesen (64) 3 | 2012 56 Seit 111 Jahren elektrisiert Köln feiert in diesem Jahr das 111jährige Jubiläum seiner ersten elektrischen Straßenbahn. Auf den ersten Blick scheint dies lediglich ein Ereignis der Verkehrshistorie zu sein. Doch der Blick in die Vergangenheit regt auch einen Vergleich mit der aktuellen politischen Entwicklung zur E-Mobilität an. Abb. 1: Die Erste Elektrische im Museum der E-Mobilität, dem Straßenbahnmuseum in Köln- Thielenbruch Foto: Sammlung Straßenbahn-Museum Thielenbruch A m 15. Oktober 1901 fuhr die erste elektrische Straßenbahn, heute kernig „Erste Elektrische“ genannt, über die ersten Strecken des kommunalen Schinennetzes in Köln, das in nur wenigen Jahren aus dem Netz verschiedener Pferdebahnen heraus- und weiterentwickelt wurde. Am 16. Juni 2012 wird deshalb die Erste Elektrische zusammen mit weiteren historischen Fahrzeugen der Kölner Straßenbahngeschichte auf dem Kölner Neumarkt zu begutachten sein. Die Der Autor: Stephan Anemüller Kölner Verkehrs-Betriebe AG (KVB) nutzen das 111jährige Jubiläum, um auf die lange Tradition der E-Mobilität im ÖPNV hinzuweisen (im traditionellen Köln sind alle 11er-Zahlen oder durch elf teilbaren Zahlen „rund“). Erstmalig wurden 1901 im Kölner Stadtverkehr Bahnfahrzeuge durch Strom angetrieben und bedienten bald die Ringbahn als Verbindung um den Innenstadtkern und die Strecke vom Kölner Dom zur Flora. Zuvor hatte die Pferdebahn, die allmählich aus dem alltäglichen Stadtbild verschwand, durch die Kombination von Fahrzeug und Schiene bereits einen städtischen Verkehrsstandard mit festen Linien vorgezeichnet 1 . Das Automobil hatte das Stadtbild noch nicht als regelmäßige Erscheinung erreicht. Innerhalb von nur drei Jahren „gelang die Elektriizierung fast des gesamten bestehenden Bahnnetzes und der Aubau neuer Strecken nach modernsten Standards“ [Lindemann 2002]. Erst am 1.- April- 1900 hatte die Stadt Köln die Pferdebahnen verschiedener Privatunternehmen übernommen. Der zunächst vorausgegangene verkehrspolitische Diskurs der Kommune umfasste Diskussionen über die geeignete Spurweite, die zu wählende Form der Energiezuführung, den Fahrgastkomfort, die Linienführung, die Fahrzeugbeschafung etc. Im Übrigen: Für die KVB, das Nachfolgeunternehmen des damaligen kommunalen Eigenbetriebs, ist die Entwicklung der Ersten Elektrischen auch eine wichtige „Blaupause“ für das aktuelle Projekt des Umbaus von Stadtbahnen der Serie- 2100. In der Fahrzeugentwicklung spielte damals die Verwendbarkeit der alten Pferdebahnen als Beiwagen für das neue, strombetriebene System eine große Rolle. Die Qualität der Wagenkästen war anscheinend ausgesprochen gut. Zugleich galt es, Kosten zu sparen. Auch wurden die Arbeiten an Fahrzeug und Infrastruktur weitgehend durch die Stadt und den sich damals bildenden Eigenbetrieb „Bahnen der Stadt Cöln“ geleistet. Dieses Grundmodell indet sich auch heute beim Umbau der „alten“ 2100er Stadtbahnwagen aus den 1980er- Jahren zu moderneren Fahrzeugen der neuen Baureihe-2400. Die Erste Elektrische stand in Köln für die wachsende Stadt Die Entscheidung zur Elektriizierung des Kölner ÖPNV iel im 1895/ 96 in eine Zeit hoher Prosperität der Stadt Köln während Internationales Verkehrswesen (64) 3 | 2012 57 Abb. 2: Stadtbahn Köln Foto: Stephan Anemüller der Industrialisierung. Damals wie heute hatte die Straßenbahn (respektive Stadtbahn) die Funktion eines Rückgrats im städtischen Verkehr und darüber hinaus auch der städtischen Entwicklung. Köln beabsichtigte um die Jahrhundertwende die städtischen Vororte besser an das Stadtzentrum anzuschließen, neue Wohngelände zu entwickeln, Wirtschaftsverbindungen zu schafen und die ländlichen Gemeinden im Rheintal wurden für die prosperierende Stadt immer bedeutender. Mit der Etablierung der elektrischen Bahn wurden Strecken in die Peripherie verlängert und das innerstädtische Netz verdichtet. Lindemann listet auf, dass das übernommene Netz der Pferdebahnen eine Gesamtlänge von 66 km umfasste. Weitere 57 km sollten bis 1903 hinzukommen. Auf insgesamt 13- Bahnstrecken wurden nicht weniger als 17-Linien im ersten Straßenbahnnetz unter Strom geführt. 2010 wurde eine Streckenverlängerung der KVB-Linie- 5 um 1,8 km in das Gewerbegebiet Butzweilerhof in Köln-Ossendorf gerade von den dortigen Unternehmen gefordert und tatkräftig durch einen inanziellen Zuschuss von 5- Mio.- EUR gefördert. Insgesamt 400- Unternehmen mit zusammen 11 000 Beschäftigten sind „am Butz“ beheimatet. In weniger als 25- min erreichen sie den Kölner Hauptbahnhof und die Innenstadt. Die Zahl der Fahrgäste zeigt die Bedeutung der Stadtbahn, die etwa zwei Drittel der Unternehmensleistung erbringt. Insgesamt 275-Mio. Fahrgäste nutzten im Jahr-2011 die Stadtbahnen und Busse des Unternehmens auf elf Stadtbahn- und 51-Buslinien. In einer aktuellen Expertise hat die KVB ermitteln lassen, wie hoch der in Geldwerten umrechenbare Nutzen ihrer Verkehrsleistung für Verkehrsteilnehmer, Unternehmen, Bürger und Stadt ist. Das Ergebnis: Für jeden Euro der in den Betrieb der KVB-Verkehre hineinließt, entsteht an verschiedenen Stellen ein Gesamtnutzen in Höhe von 5,3- EUR. Unter anderem würden die Kommune und die Verkehrsteilnehmer jährlich etwa 100- Mio.- EUR mehr für Mobilität aubringen müssen, wenn die Verkehrsleistung der KVB nur halb so groß wäre, wie sie es heute ist. 2 Sind die politischen Ziele richtig justiert? Im Gegensatz zur Automobilindustrie ist die E-Mobilität im ÖPNV also bereits seit über 100- Jahren Standard und beweist ihren gesellschaftlichen Nutzen. Die Einführung elektrischer Bahnen erfolgte im Gleichklang mit starken Impulsen für die Stadtentwicklung. Die Elektriizierung wurde seinerzeit vor allem durch die Kommune inanziell getragen. Fast parallel zur Elektriizierung des öfentlichen Personenverkehrs traten die ersten Innovationen des motorisierten Individualverkehrs hervor: Nicolaus August Otto erfand 1876 den Verbrennungsmotor, Gottlieb Daimler entwickelte in diesen Jahren sein erstes angetriebenes Fahrzeug und Carl Benz meldete 1886 ein Patent auf seinen Motorwagen an. Im Jahr-1900 sollen es weltweit bereits 12 000 Motorwagen gewesen sein. Im Individualverkehr galt es genauso wie im öfentlichen Personenverkehr, die Pferdekutsche abzulösen. Heute gilt es für beide Bereiche, die Abhängigkeit von fossilen Brennstofen zu reduzieren oder gar zu brechen. Auch der ÖPNV wird im Bereich des Busverkehrs noch auf Basis des Dieselkraftstofes angetrieben und unterliegt somit den, vor allem durch den Weltmarkt getriebenen, Preissteigerungen. Während der Bund zur Einführung der E-Mobilität im Individualverkehr sehr umfangreiche Finanzsummen beisteuert, droht gleichzeitig ein zentrales Finanzierungsinstrument des ÖPNV wegzubrechen. Nicht weniger als 3,8- Mrd.- EUR beabsichtigt der Staat in den nächsten Jahren für die Forschung und Entwicklung von Elektroautos bereitzustellen. Gleichzeitig will der Bund ab 2014 den Umfang der Finanzmittel nach dem alten Gemeindeverkehrsinanzierungsgesetz (GVFG) drastisch reduzieren. Dieses Thema wird u. a. auch die VDV-Jahrestagung in diesem Jahr mitbestimmen. Derzeit weist der Bund den Ländern jährlich etwa 1,3- Mrd.- EUR zu, mit denen die Verkehrsverhältnisse in den Kommunen verbessert werden sollen. Nordrhein-Westfalen erhält hiervon einen Anteil von 19,43 %. Im Jahr 2013 werden es noch 259,49-Mio.-EUR sein, von denen jeweils die Hälfte den Investitionen des ÖPNV und dem kommunalen Straßenbau zugute kommt. Im Jahr 2018 sollen es nach jährlichen Reduzierungen insgesamt nur noch 153,22- Mio.- EUR für NRW sein. Die Zukunft der Förderung nach 2018 ist insgesamt fraglich. Während im Bereich der Automobilindustrie viel Geld in ganz Neues investiert wird, reduziert der Staat im bewährten ÖPNV seine aktive Rolle und entzieht dem Rückgrat wichtige Investitionsmittel. Für die KVB bedeutet das konkret, dass zum Beispiel die Bestrebungen zum weiteren Ausbau der Barrierefreiheit genauso in Frage gestellt werden müssen wie die Kapazitätserweiterung zur Bewältigung des starken Fahrgastzuwachses in den Spitzenzeiten, der Ausbau der dynamischen Fahrgastinformation oder die Erneuerung von Fahrtreppen. Die Erfolgsgeschichte des Kölner ÖPNV gerät in Gefahr. Zeitgleich inden die e-mobilen Automobilprodukte gerade einmal die ersten zehn Tankstellen im Kölner Netz. Ob die Justierung der politischen Schwerpunkte hier richtig geraten ist, mag bezweifelt werden. Eigentlich heißt es doch das eine zu tun, ohne das andere zu lassen. ■ Stephan Anemüller Mediensprecher Kölner Verkehrs-Betriebe AG stephan.anemueller@kvb-koeln.de 1 LINDEMANN, DORIS (2002): Kölner Mobilität. 125 Jahre Bahnen und Busse. Insbes. S. 87 f. Herausgegeben durch die Kölner Verkehrs-Betriebe AG. 2 Kölner Verkehrs-Betriebe AG (Hrsg., 2012): Mobilität in Köln. Regionaler Nutzen der Kölner Verkehrs-Betriebe.
