eJournals Internationales Verkehrswesen 64/3

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0074
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2012
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Zwischen Jobmotor und Lärmteppich

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Alexander Eisenkopf
Hartmut Fricke
Der Luftverkehr ist sowohl im Bereich der Passage als auch der Luftfracht ein bedeutsamer Wirtschaftsfaktor. Doch Politik und Luftverkehrswirtschaft müssen sich zunehmend dem Antagonismus zwischen positiven wirtschaftlichen Effekten des Luftverkehrs für die Gesellschaft insgesamt und Belastungsfaktoren z. B. auf regionaler Ebene durch Flughafeninfrastrukturen stellen. Die Aufarbeitung dieser komplexen Problematik hat sich das 19. Forum Luftverkehr der DVWG am 13. Juni 2012 in Berlin zum Ziel gesetzt.
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Internationales Verkehrswesen (64) 3 | 2012 62 Wie geht es weiter mit den Flughäfen in Deutschland? Zwischen Jobmotor und Lärmteppich Der Luftverkehr ist sowohl im Bereich der Passage als auch der Luftfracht ein bedeutsamer Wirtschaftsfaktor. Doch Politik und Luftverkehrswirtschaft müssen sich zunehmend dem Antagonismus zwischen positiven wirtschaftlichen Efekten des Luftverkehrs für die Gesellschaft insgesamt und Belastungsfaktoren z. B. auf regionaler Ebene durch Flughafeninfrastrukturen stellen. Die Aufarbeitung dieser komplexen Problematik hat sich das 19.-Forum Luftverkehr der DVWG am 13.-Juni-2012 in Berlin zum Ziel gesetzt. L uftverkehr ermöglicht unserer Gesellschaft (fast) grenzenlose Mobilität und damit auch ein Stück persönlicher Freiheit. Zugleich hat er eine enorme volkswirtschaftliche Bedeutung: Knapp 200- Mio. Passagiere und 4,4- Mio.- t Fracht sind 2011 auf deutschen Flughäfen abgefertigt worden. Dies entspricht einem Wachstum von 5 % gegenüber dem Vorjahr. Mehr als 850 000 Arbeitsplätze und Einkommen hängen in Deutschland direkt oder indirekt vom Luftverkehr und damit von der zukünftigen Entwicklung der Flughäfen und deren Kunden ab. Die Verfügbarkeit von Luftverkehrsleistungen stellt mittlerweile vor allem für die immer bedeutenderen Dienstleistungsbranchen und den Tourismus eine Basisressource dar. Ohne einen leistungsfähigen Luftverkehrssektor dürften in vielen Bereichen der Wirtschaft die Wachstumsaussichten begrenzt bleiben. Einschlägige Studien belegen, dass eine gute Luftverkehrsanbindung die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschlands erhöht und somit Investitionen sowie Arbeitsplätze sichert. Für international agierende Unternehmen stellt eine adäquate Luftverkehrsanbindung sogar einen der wichtigsten Standortfaktoren dar, Die Autoren: Alexander Eisenkopf, Hartmut Fricke VERANSTALTUNgEN 19. Forum Luftverkehr Foto: Fraport Internationales Verkehrswesen (64) 3 | 2012 63 denn sie müssen die weltweite Mobilität Ihres Managements gewährleisten. Der Luftverkehr ist sowohl im Bereich der Passage als auch der Luftfracht ein bedeutsamer Wirtschaftsfaktor. Mit dem Wachstum der Weltwirtschaft und der fortschreitenden Globalisierung ist der wirtschaftliche Austausch in zunehmendem Maße auf den Luftfrachtverkehr angewiesen. In Bezug auf das Gewicht der grenzüberschreitend transportierten Güter hat die Luftfracht zwar nur einen Anteil von weniger als 1 %. Auf den Warenwert bezogen entfallen allerdings 40 % des Welthandels auf den Luftfrachtverkehr, der sich traditionell auf hochwertige, kurzlebige und verderbliche Güter konzentriert; mehr und mehr ist die Luftfracht heute auch in Just-in-time-Logistikkonzepte der Industrie eingebunden. Die hohe Relevanz des Luftfrachtsektors für die Weltwirtschaft lässt sich bereits daraus ablesen, dass die Entwicklung des Luftfrachtaukommens als guter Indikator für die globale konjunkturelle Entwicklung gilt. Auf der anderen Seite beindet sich der Luftverkehr im Konzert mit anderen Verkehrsträgern in Deutschland seit geraumer Zeit in einer gesellschaftlich exponierten Position. In Teilen der Bevölkerung und der Politik wird die Kritik am Luftverkehr lauter. Sie bezieht sich in genereller Form auf das schnelle Wachstum dieses vermeintlich als energie- und ressourcenintensiv qualiizierten Sektors und die damit verbundenen Externalitäten. Insbesondere die CO 2 -Emissionen des Luftverkehrs und deren Wirkungen auf die Erreichung der politisch deinierten Klimaschutzziele werden problematisiert. Die CO 2 -Emissionen des weltweiten Luftverkehrs machen zwar derzeit nur ca. 3 % der weltweiten anthropogenen Treibhausgasemissionen aus. CO 2 wird jedoch durch Luftfahrzeuge auch in ca. 10 km Höhe emittiert, wobei Kondensstreifen und Veränderungen der Bewölkung auftreten, die den Strahlungshaushalt zusätzlich im Sinne des Treibhausgasefekts beeinlussen können. Daher wird geschätzt, dass die Klimawirksamkeit des Luftverkehrs das Zweibis Vierfache eines vergleichbaren bodengebundenen CO 2 -Ausstoßes ausmacht. Hinzu kommt die auf internationaler Ebene auch in Zukunft ungebremste Wachstumsdynamik dieses Sektors, die alle vorhersehbaren Erfolge zur Eizienzsteigerung bei der Kraftstofnutzung überkompensieren wird. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie die auf europäischer Ebene aus internationaler Sicht sehr kritisch gestartete Einbeziehung des Luftverkehrs in ein CO 2 -Emissionshandelssystem zu bewerten ist und ggf. welche alternativen bzw. lankierenden Wege beschritten werden sollten. Negative externe Efekte wirken sich jedoch nicht nur auf globaler Ebene, sondern auch lokal aus. Hier steht insbesondere der Ausbau von Flughafeninfrastruktur im Fokus der Kritik, der in einem dicht besiedelten Land wie Deutschland fast zwangsläuig Kompromissbereitschaft von den Anwohnern verlangt. Flughäfen werden in einschlägigen Studien zwar gerne als „Job- Maschinen“ gerechtfertigt, entfalten jedoch auch negative Efekte wie Lärm, Schadstofe und Unfallrisiken, die seit Jahren in eine gesellschaftliche Gesamtbewertung im Rahmen von Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren einließen. Obwohl somit die aktuellen, für den Luftverkehr im Verkehrsträgervergleich einzigartig ausgestalteten Internalisierungsmethoden dieser externen Efekte konsequent angewendet werden, ist der Ruf nach umfassenden Kosten-Nutzen-Analysen seitens der direkt Betrofenen deutlich wahrzunehmen. Wie die aktuellen Auseinandersetzungen um die gerade in Betrieb genommene Landebahn am Flughafen Frankfurt oder den geplanten Bau einer dritten Start- und Landebahn in München zeigen, eröfnet sich mit diesem Thema ein Potenzial für explosiv wirkende gesellschaftliche Auseinandersetzungen, dem sich das Verkehrsministerium jüngst mit einem Handbuch für eine gute Bürgerbeteiligung bei Großvorhaben im Planungssektor zuwendet. Insgesamt müssen sich Politik und Luftverkehrswirtschaft dem Antagonismus zwischen positiven wirtschaftlichen Efekten des Luftverkehrs für die Gesellschaft insgesamt und Belastungsfaktoren z. B. auf regionaler Ebene durch Flughafeninfrastrukturen stellen. In einer demokratisch verfassten Gesellschaft, in der die Interessen betrofener Bürger vor Ort ernst genommen werden, können Flughafenprojekte nicht allein durch positive Wirkungen auf Wachstum und Beschäftigung legitimiert werden. Andererseits ist kritisch zu hinterfragen, mit welcher Legitimation geltendes Recht infrage gestellt werden darf, wie es sich insbesondere beim Thema Fluglärm und damit implizit auch beim Thema Flugrouten darstellt: Hier ist das komplexe Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm samt Berechnungsverfahren unter Beachtung der Fluglärmwirkforschung gerade erst im Jahre-2007 aktualisiert worden. Die Verkehrswissenschaft ist aufgefordert, für diese Diskussion auf der Grundlage einer objektiven fachlichen Argumentation Entscheidungshilfe zu leisten. Hierzu sind einerseits die Wachstums- und Wohlstandsefekte des Luftverkehrs herauszuarbeiten und einer kritischen Analyse zu unterziehen. Die Rechtfertigung infrastruktureller Maßnahmen im Luftverkehr bedarf belastbarer und objektiver Berechnungsgrundlagen, dies insbesondere in den zentralen Bereichen der Bedarfsbegründung über Verkehrsprognosen und Start-/ Landebahndimensionierungen. Auch Zielkonlikte zwischen Bauträgern in Flughafennähe und den Flughäfen selbst bedürfen klarer Regeln und somit einer Detaillierung aktuell geltender Richtlinien zu Bauschutzbereichen. So sollen auf wissenschaftlicher Basis Antworten für die ernstzunehmenden Bedenken der Bürger gefunden werden, um die Balance zwischen ökonomischen und gesellschaftlichen Ansprüchen zu halten. Die Aufarbeitung dieses Problemkontextes hat sich das 19.- Forum Luftverkehr der DVWG am 13.-Juni-2012 in Berlin zum Ziel gesetzt. Als unabhängige Plattform will die DVWG Experten aus Wissenschaft, Praxis und Politik zusammenbringen und damit die Akteure der Luftfahrt anregen, gemeinsam und im gesellschaftlichen Konsens nach Lösungen und Ansätzen für die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen zu suchen. ■ Alexander Eisenkopf, Prof. Dr. rer. pol. Phoenix-Lehrstuhl für Allgemeine BWL & Mobility Management Zeppelin Universität, Friedrichshafen alexander.eisenkopf@zu.de Hartmut Fricke, Prof. Dr.-Ing. habil. Professur für Technologie und Logistik des Luftverkehrs, TU Dresden fricke@il.tu-dresden.de »Insgesamt müssen sich Politik und Luftverkehrswirtschaft dem Antagonismus zwischen positiven wirtschaftlichen Effekten des Luftverkehrs für die Gesellschaft insgesamt und Belastungsfaktoren z. B. auf regionaler Ebene durch Flughafeninfrastrukturen stellen.«