Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0080
61
2012
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»Bahnsektor taugt nicht als wettbewerbspolitisches Laboratorium«
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2012
Gerd Aberle
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KUrZ + KrITISCH Gerd Aberle Internationales Verkehrswesen (64) 4 | 2012 11 E U-Kommission, Monopolkommission, einige Verbandsvertreter sowie einzelne Wettbewerbswissenschaftler fordern hartnäckig das eigentumsrechtliche Unbundling von Netz und Transportaktivitäten bei der DB-AG. Es geht um die Zerschlagung des Konzerns durch Herauslösung der Infrastrukturgesellschaften und deren Überführung in die direkte Staatsverwaltung. Damit soll ein wesentlicher Teil der Bahnreform von 1994, verankert in Art.- 87e- (3) Grundgesetz und in Folgegesetzen, rückgängig gemacht werden. Ausdrücklich ist dort vorgegeben, das Netz als Wirtschaftsunternehmen in privatrechtlicher Form im Konzernverbund der staatseigenen Bahnholding zu führen (§- 2 Deutsche Bahn Gründungsgesetz). Die theoretische Begründung für das eigentumsrechtliche Unbundling wird aus der Essential-Facilities-Doktrin abgeleitet. Sie verlangt eine spezielle Regulierung dann, wenn aus technisch-ökonomischen Gründen eine wettbewerbliche Organisation wesentlicher Kapazitäten, die für alle Marktteilnehmer unabdingbar sind, nicht möglich ist. Damit sollen Diskriminierungen verhindert werden; im Grenzfall kann dies zur Herauslösung der als Essential Facility deinierten Kapazität aus einem vertikal integrierten Bahnunternehmen führen. Die inhaltliche Bestimmung dieses Grenzfalls bedarf jedoch einer nicht mit ideologischen Vorurteilen behafteten sorgfältigen Prüfung, zumal ein weites Regulierungsinstrumentarium zur Verfügung steht, das gerade in Deutschland bereits stark ausdiferenziert ist und stetig durch Gerichtsentscheidungen und Gesetzesergänzungen sowie die Aktivitäten der Bundesnetzagentur und der EU-Kommission erweitert wird. Neben der buchhalterischen und organisatorischen Trennung ist die Unabhängigkeit bei der Trassenzuweisung und Trassenpreisbildung bei der DB-AG realisiert. Die deutsche Bahnreform ermöglichte der DB AG, entscheidend geprägt durch die damalige Regierungskommission Bahn, durch den inanzpolitischen Kraftakt der Entschuldung, die Marktöfnung für dritte Bahnen, die Regionalisierung des SPNV sowie eine entscheidende Grundgesetzänderung, sich zu einem international führenden Logistikanbieter zu entwickeln. Statt der Milliardendeizite der Bundesbahn mit fundamentalen Bundeshaushaltsrisiken realisiert die DB-AG bei hohen Investitionen in Fahrzeuge und sonstige Ressourcen sowie beträchtlichen eigenen Netzinvestitionen (neben den zentralen Netzinvestitionszuschüssen des Bundes) steigende positive Ergebnisse. Sie werden inzwischen anteilig an den Bund »Eine Auflösung des komplexen Systemverbundes würde die Leistungsfähigkeit des gesamten deutschen Schienenverkehrs nachhaltig gefährden.« Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche »Bahnsektor taugt nicht als wettbewerbspolitisches Laboratorium« ausgeschüttet. Nie war nach dem 2.- Weltkrieg die Leistungsqualität des Bahnsektors so hoch wie gegenwärtig. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Verbund von Netz und Transportbetrieb in einem äußerst komplexen interdependenten Steuerungssystem. Es führt zu erheblichen investiven und prozessspeziischen Vorteilen, wenn ein in Transportsegmenten tätiger Marktteilnehmer die zentralen Koordinationsaufgaben wesentlich mitgestaltet. Im SPNV sind über 50 Schienenverkehrsanbieter wettbewerbsaktiv; von 1996 bis 2011 wurden 45,3- % der Ausschreibungen bzw. Vergaben von Wettbewerbern der DB gewonnen. Im Schienengüterverkehr konnten sie 2011 fast 26- % der Transportleistungen erbringen. Nur im Schienenpersonenfernverkehr hat sich bislang kein fühlbarer Wettbewerb eingestellt . Dies resultiert nicht aus künstlichen Wettbewerbsbarrieren, sondern aus natürlichen und nicht regulierungsnotwendigen Marktzutrittshemmnissen (Vertaktung der diferenzierten DB-Angebote, BahnCard-Kundenbindung mit Preisvorgabewirkung, begrenztes Marktvolumen durch intensive intermodale Konkurrenz von Pkw, Luftverkehr und Fernbusliberalisierung, hoher Finanzbedarf für Fahrzeuge und Wartungseinrichtungen). Eine Aulösung des komplexen Systemverbundes durch Abspaltung des Netzes würde die Leistungsfähigkeit des gesamten deutschen Schienenverkehrs mit derzeit nicht abschätzbaren Risiken nachhaltig gefährden. Als Experimentierfeld theoretisch begründbarer Modelle taugt die deutsche Bahnrealität nicht. Der Marktergebnistest verdeutlicht, dass ein funktionsfähiger Wettbewerb bei Vertikalintegration und einem diferenzierten Regulierungsdesign existiert. ■
