eJournals Internationales Verkehrswesen 64/4

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0082
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2012
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Herausforderung nachhaltige Mobilität

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Ben  Möbius
Wie gelingt eine nachhaltige Verkehrspolitik? Klima und Umwelt schonen, Wertschöpfung stärken, erschwingliche Mobilität sichern – das sind die Eckpunkte einer epochalen Herausforderung. Nur gemeinsam können Politik und Wirtschaft sie meistern. Doch mit welcher Aufgabenverteilung?
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PolITIK Verkehrspolitik Internationales Verkehrswesen (64) 4 | 2012 18 Foto: Siemens Herausforderung nachhaltige Mobilität Wie gelingt eine nachhaltige Verkehrspolitik? Klima und Umwelt schonen, Wertschöpfung stärken, erschwingliche Mobilität sichern - das sind die Eckpunkte einer epochalen Herausforderung. Nur gemeinsam können Politik und Wirtschaft sie meistern. Doch mit welcher Aufgabenverteilung? D as Leitbild eines direkt lenkenden Staates ist ofenbar schnell zur Hand. So legt die Europäische Kommission Quoten fest, wie viele Güter im Jahr- 2050 auf Schiene, Wasser und Straße transportiert werden sollen. Der Staat möge, meinen manche, steuerpolitisch dekretieren, wie groß ein Auto oder wie günstig eine Flugreise sein darf. Einige Umweltverbände glauben zu wissen, welcher Kraftstof sich durchsetzen wird. Wer überzeugt ist, die Politik habe ehrgeizige Ziele zu setzen, nicht aber Wege dorthin vorzugeben, reibt sich die Augen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) setzt dieser wachsenden Staatsorientierung in der Verkehrspolitik ein anderes Paradigma entgegen: die soziale Marktwirtschaft. Die Politik deiniert demnach technologieneutral Ziele und schaft gute Rahmenbedingungen. Die Industrie entwickelt Lösungen - innovativ und marktfähig. Aus diesem Paradigma resultieren fünf Leitlinien für gute Verkehrspolitik. 1. Investitionen sichern Das Ritual bleibt: Alle Jahre wieder wird über bedarfsgerechte Investitionen für die Bundesverkehrswege gestritten. Die Misere auch: Der Bund hat, außer 2009 und 2010, seit 2001 jährlich nur rund 10- Mrd.- EUR in Erhalt, Aus- und Neubau der Verkehrswege investiert. Nötig wären aber mindestens 12- Mrd.- EUR. Die beschlossene zusätzliche Milliarde ist gut, gleicht aber eher dem Tropfen auf den heißen Stein. Es ist originäre Aufgabe des Bundes, seine Verkehrswege - Straße, Schiene, Wasserstraße - à jour zu halten. Sonst hinterlassen wir unseren Kindern und Enkeln untragbare Lasten. Inzwischen sind die Folgen der Unterinanzierung teils dramatisch. Ein vom BDI in Auftrag gegebenes Gutachten dokumentiert beispielsweise den alarmierenden Zustand älterer Großbrücken. Das erforderliche Investitionsvolumen liegt bei 5 bis 7-Mrd.-EUR binnen der nächsten rund fünf Jahre. Schon jetzt sind viele marode Brücken an Autobahnen für schwere Lastwagen gesperrt. Allein in Nordrhein- Westfalen müssen in den nächsten zehn Jahren 300- Großbrücken saniert werden. Doch das Geld fehlt. So läuft Deutschland Gefahr, einen entscheidenden Standortvorteil zu verspielen. Eine Industrienation braucht Investitionen in die Zukunft, für Bildung, für Forschung, für Familien, für die Infrastruktur - das darf nicht gegeneinander ausgespielt werden. Außerdem lassen sich die Mittel eizienter einsetzen. Der BDI hat einen Entwurf für einen Zustandsbericht vorgelegt, der die Qualität der Infrastruktur transparent abbildet. Prioritäten sind nach nationaler Relevanz statt Länderproporz zu setzen. Wo sinnvoll, sollten öfentlich-private Partnerschaften zum Zuge kommen. 2. Vernetzung verbessern Verkehrsträger sind nicht beliebig substituierbar, sie ergänzen einander. Aufgabe der Politik ist darum nicht, mit Quoten zu jonglieren, sondern die Eizienz jedes Verkehrsträgers und die intermodale Vernetzung zu fördern. Der Güterverkehr wird im Takt der globalen Arbeitsteilung wachsen. Wichtig ist, den Kombinierten Verkehr weiter zu stärken. Überdies sollte die Bundesverkehrswegeplanung das gesamte Netz in den Blick nehmen, leistungsfähige Verknüpfungen der See- und Binnenhäfen sowie der Flughäfen sichern und transeuropäische Vorhaben priorisieren. Neue Dimensionen der intrawie intermodalen Vernetzung erlauben intelligente Verkehrssysteme. Verkehrsträgerübergreifende, IT-gestützte Logistik ist ökologisch wie ökonomisch vorteilhaft. Telematik kann, etwa dank dynamischer Informationssysteme, die Kapazität einer Autobahnstrecke um bis zu 25 % erhöhen und staubedingte CO 2 -Emissionen senken. Das von der EU- Kommission vorangetriebene Monitoring Der Autor: Ben Möbius Internationales Verkehrswesen (64) 4 | 2012 19 von Seeschifen ermöglicht es, die Zollformalitäten an europäischen Häfen zu vereinfachen und so den maritimen Transport von bürokratischen Hindernissen zu befreien. 3. Wettbewerb stärken Wettbewerbsfähigkeit entsteht durch Wettbewerb. Das gilt für alle Verkehrsträger. Für den wachsenden Güterverkehr bietet gerade die Schiene hohes Potenzial. Mit der Bahnreform hat Deutschland 1994 einen erfolgreichen Weg eingeschlagen. Nun muss es weitergehen. Der BDI unterstützt die Bundesregierung darin, das Regulierungsrecht für den Eisenbahnsektor zu novellieren. Eine Anreizregulierung der Trassen- und Bahnhofsentgelte kann Wettbewerb, Transparenz und die Unabhängigkeit der Schieneninfrastruktur deutlich stärken. Erforderlich ist eine Ex-ante-Regulierung, die Eizienz und Investitionen fördert. Weil etwa die Hälfte des Schienengüterverkehrs heute grenzüberschreitend ist, muss eins ins andere greifen: deutsche und europäische Regulierung. Um die Liberalisierung der Eisenbahnmärkte sowie die Interoperabilität voranzubringen und den einheitlichen europäischen Eisenbahnraum zu realisieren, hat die EU-Kommission mit dem „Recast“ viele Ansätze vorgelegt, die der BDI unterstützt. Indessen gerät eine Politik im Alleingang zum fatalen staatlichen Eingrif in den Wettbewerb. Gewiss hat die Luftverkehrsbranche die Klimaeizienz weiter zu erhöhen. Nur: Der seit Anfang- 2012 geltende EU-Emissionshandel für den Luftverkehr - den China, die USA und Indien ablehnen - benachteiligt europäische Fluggesellschaften, hat internationale Spannungen heraubeschworen und schont das Klima keineswegs. Hier muss die EU-Kommission dringend einlenken. Die ICAO arbeitet an einem globalen Regime. Obendrein verzerrt die nationale Luftverkehrssteuer den Wettbewerb zu Lasten deutscher Flughäfen und Airlines. Die Verteuerung von Inlands- und Interkontinentallügen trift sie weit überproportional. 2011 entielen fast 60 % des Steueraukommens von 959- Mio.- EUR auf deutsche Fluggesellschaften. So stärkt die Bundesregierung deren globale Konkurrenten, die ohnehin oft Wettbewerbsvorteile genießen. Das ist ordnungspolitisch grotesk. Auch wird die Umwelteizienz eines Fluges nicht erhöht, indem er von einem ausländischen Flughafen startet. Diese Steuer gehört abgeschaft. 4. Innovationen fördern Der ehemalige IBM-Chef Thomas Watson soll einmal gesagt haben, es werde auf der Welt einen Bedarf von vielleicht fünf Computern geben. Niemand kann heute wissen, welche Antriebe, Kraftstofe, Techniken für weniger Lärm sich in zehn Jahren als die besten erweisen werden. Wenn die Politik daran geht, Technologiepfade eng abzustecken, kanalisiert sie unvertretbar einen kreativen Wettbewerb um beste Lösungen. Dirigistische Politik ist fehleranfällig. Technologien werden sich diversiizieren. Deshalb kommt es auf eine technologieofene Förderung von Forschung und Entwicklung an. Im Straßenverkehr werden batterieelektrische, Brennstofzellen- und Hybridlösungen neben eiziente Verbrennungsmotoren treten. Mit Recht hat die Bundesregierung, den Empfehlungen der Nationalen Plattform Elektromobilität folgend, 1- Mrd.- EUR Förderung primär für Forschung, Entwicklung, Ausbildung und die vier Schaufensterregionen der Elektromobilität zugesagt. Auf diese Förderung muss, Mindereinnahmen bei Energie- und Klimafonds hin oder her, Verlass sein. In der EU muss die Standardisierung etwa der Stecker rasch gelingen. Für längere Fahrstrecken kann Wasserstof ein wichtiger Energieträger sein. Infolge des steigenden Weltenergiebedarfs werden fossile Kraftstofe knapper und teurer. Auch zertiizierte Biokraftstofe bilden eine wertvolle Option. Der Weltverband der Fluglinien IATA hat das Ziel gesetzt, die CO 2 -Emissionen des Luftverkehrs bis 2050 um 50 % zu reduzieren. Weil die Luftfahrt auf den Verbrennungsmotor angewiesen bleibt, wird der Einsatz von Biosprit unverzichtbar. Das Potenzial: Auf über 1200- Testlügen zwischen Hamburg und Frankfurt mit biosynthetischem Kerosin wurden 1500 t CO 2 - Emissionen vermieden. In der Schiffahrt wird, um Emissionen zu senken, als alternativer Treibstof primär verlüssigtes Erdgas (LNG) und auch Flüssiggas (LPG) eingesetzt werden. Hier sind ein international abgestimmter regulatorischer Rahmen, die Infrastruktur in Häfen und die Forschungsförderung zentrale Stellschrauben. Um negative Folgen der Mobilität wie Emissionen und Lärm weiter zu reduzieren, setzt vor allem die EU-Kommission auf die „Internalisierung externer Kosten“. Das Ziel ist unstrittig, dieses Instrumentarium nicht. Meist sind maßgeschneiderte Instrumente einem solchen staatlich verordneten „One size its all“-Ansatz überlegen. Ein Beispiel: Dank der Spreizung der deutschen Lkw- Maut nach NO x -Emissionen liegt der Anteil der von Euro-V-Lkw erbrachten Transportleistungen hierzulande bei rund zwei Dritteln. Das Bonus-Malus-Modell wirkt also - ohne methodisch anfechtbare Monetarisierung externer Kosten. 5. Akzeptanz erhöhen Mobilität braucht Akzeptanz. Sehr zu recht erwarten die Bürgerinnen und Bürger, dass sie über große Verkehrsprojekte rechtzeitiger informiert werden und ihre Ideen Gehör inden. Der BDI setzt sich hier seit langem für frühere Bürgerbeteiligung und eine aktive Kommunikation ein. Bessere Partizipation und schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren sind kein Widerspruch - im Gegenteil, sie bedingen einander. Großvorhaben allerdings einem Plebiszit zu unterwerfen, mag nach mehr Demokratie klingen, doch geht etwa die Elbvertiefung allein die Anrainer an oder gleichviel z. B. die Süddeutschen, deren Wirtschaft auf den Hamburger Hafen angewiesen ist? Weil Akzeptanz mit der Akzeptanz des Bedarfs beginnt, müssen Politik und Wirtschaft den Wert von Infrastruktur und Logistik besser vermitteln. Und: Verkehr muss leiser werden. Erforderlich sind Schallschutzprogramme und Anreize für lärmarme Technik, im Luftverkehr lärmabhängige Landeentgelte, im Schienengüterverkehr ein lärmbasiertes Wagenbonussystem sowie die Förderung der Umrüstung von Güterwagen auf Verbundstobremssohlen. Fazit Europa ist dank seiner starken Industrie dazu prädestiniert, für die künftige emissionsarme Mobilität global beste Lösungen zu liefern. Europas Politik ist gut beraten, die strukturellen Voraussetzungen dafür zu sichern - durch sinnvolle Rahmensetzung und verlässliche Klimaschutzziele. Politik, Wirtschaft und Bürgerinnen und Bürger tragen gemeinsam Verantwortung für die Mobilität von morgen. Die Herausforderung ist gewaltig. Doch das ist kein Grund, die politische Bühne mit einem düsteren Grundton von Verzicht und staatlicher Lenkung zu bespielen. Vielmehr geht es um technologische Innovationen, ofene Märkte und exzellente Infrastruktur. Die Herausforderung nachhaltige Mobilität bedeutet deshalb nicht Heulen und Zähneklappern, sondern enthält im Gegenteil eine Verheißung: die umweltverträgliche Sicherung unseres Wohlstands und unserer Lebensqualität. ■ Ben Möbius, Dr. Abteilungsleiter Mobilität und Kommunikation des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e. V. (BDI), Berlin B.Moebius@bdi.eu