Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0090
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(R)evolutionäre Trends bei Nutzfahrzeugen?
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Karsten Löwenberg
Hermann Riesen
Eine von der Consulting4Drive GmbH und der Forschungsgesellschaft Kraftfahrwesen mbH Aachen durchgeführte Studie analysiert die Chancen und Risiken einer zu erwartenden CO2-Gesetzgebung für den schweren Nutzfahrzeugbereich. Wie werden sich die führenden Hersteller im Hinblick auf Märkte, Anwendungsfelder und Technologiestrategien positionieren?
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MOBILITÄT Nutzfahrzeugmarkt Internationales Verkehrswesen (64) 4 | 2012 44 (R)evolutionäre Trends bei Nutzfahrzeugen? Eine von der Consulting4Drive GmbH und der Forschungsgesellschaft Kraftfahrwesen mbH Aachen durchgeführte Studie analysiert die Chancen und Risiken einer zu erwartenden CO 2 -Gesetzgebung für den schweren Nutzfahrzeugbereich. Wie werden sich die führenden Hersteller im Hinblick auf Märkte, Anwendungsfelder und Technologiestrategien positionieren? V or dem Hintergrund eines weltweit steigenden Bedarfs an Energie, Transportleistung und einer Verknappung der Rohölreserven sowie des globalen Anstiegs der CO 2 -Emissionen sind die Industrienationen gefordert, ihren CO 2 -Ausstoß, insbesondere im Verkehrssektor, zu reduzieren. In den vergangenen Jahren wurden in der Europäischen Union (EU) gesetzliche Regelungen zur Senkung des Flottenverbrauchs bei Pkw und leichten Nutzfahrzeugen N1 (bis 3,5 t) eingeführt. Gesetzliche Regelungen, verbunden mit Verbrauchszielwerten sollen künftig auch auf die Klasse der schweren Nutzfahrzeuge über 12 t (N3) ausgedehnt werden. Damit folgt die EU dem Vorbild von Japan und den USA, in denen bereits Grenzwerte für den maximalen Verbrauch pro Kilometer oder Transportleistung bestehen oder inal diskutiert werden. Die Einführung der Grenzwerte in diesen Ländern wird zwischen 2014 und 2017 erfolgen. Allein für Europa sind in der European Automobile Manufacturers' Association (ACEA) aktuell mehrere Arbeitsgruppen damit beschäftigt, den Nutzfahrzeugmarkt in Europa und seine CO 2 -Emissionswirkung zu analysieren und entsprechende Flottenwerte für die Hersteller abzuleiten. Auf Basis dieser Rahmenbedingungen und unter Berücksichtigung der Komplexität der Nutzfahrzeugbranche wurden im Rahmen dieser Studie mit mit den teilnehmenden Interviewpartnern die legislativen Entwicklungen in den Triade-Märkten Europa, USA und Japan, aber auch in den BRIC-Märkten diskutiert. Nach einer Analyse des Technologiepotenzials und der korrespondierenden Zusatzkosten wurden Chancen und Risiken für zukünftige Gesamtfahrzeugkonzepte bei schweren Nutzfahrzeugen bewertet. Mit der Einbeziehung der CO 2 -Emissionen in die Emissionsgesetzgebung wird der Betrachtungsfokus auf das Gesamtfahrzeug inklusive seines speziischen Fahrzeugaufbaus gelenkt. Die Autoren: karsten Löwenberg, Hermann riesen Graik: IAV GmbH/ Consulting4Drive Internationales Verkehrswesen (64) 4 | 2012 45 Die richtige Technologiestrategie ist entscheidend Demzufolge wurden in der Markt- und Technologiestudie sowohl die Zugmaschine, als auch der Fahrzeugaubau bzw. Trailer betrachtet. Dabei liegt der Fokus zunächst auf evolutionären Technologieentwicklungen wie Leichtbaukonzepten, aerodynamischen Optimierungen oder angepasstem Trailerdesign zur Reduzierung der Fahrwiderstände und somit des Verbrauchs. Einzelne technologische Maßnahmen wurden am Beispiel eines Fernverkehrsfahrzeugs mit den befragten Experten deiniert, miteinander verglichen und in einer strategischen Roadmap abgebildet. Aus der so entstandenen Technologie-Roadmap geht hervor, dass mit der Bündelung von bereits entwickelten, aber im Markt nicht etablierten Technologien der Kraftstofverbrauch um ca. 6 % gegenüber einem Basisfahrzeug reduziert werden kann und dies zu vertretbaren Mehrkosten von ca. 1000 - 1500 EUR führt. Diese Mehrkosten reinanzieren sich in Abhängigkeit von Jahresfahrleistung und Kraftstofpreis bereits in einem Zeitraum von 4 - 11 Monaten. Die Roadmap formuliert in modular aufeinander aubauenden Technologiepaketen ein maximales CO 2 -Einsparpotenzial von bis zu ca. 28 %. Die Realisierung einiger dieser Technologien wird jedoch durch bestehende legislative Rahmenbedingungen erschwert und erfordert einen intensiven Dialog zwischen Politik, Industrie und Wissenschaft. Nur so könnten in Zukunft progressive Gesamtfahrzeugkonzepte, z. B. der Teardrop Trailer, auf die Straße gebracht werden. nutzfahrzeughersteller werden zu systemanbietern Eine langfristige und nachhaltige Reduzierung der CO 2 -Emmissionen erfordert jedoch revolutionäre Gesamtfahrzeugkonzepte. Völlig neue Truck-Architekturen haben großes Potenzial: MAN präsentierte auf der Nutzfahrzeug IAA 2010 das Fahrzeug „Concept S“: Es verfügt über ein eigenständiges, an optimalen aerodynamischen Rahmenbedingungen ausgerichtetes Design. So läuft der Sattelaulieger im Heckbereich spitz zu wie ein Fisch und vermindert ungewollte Heckwirbel. Das Gesamtkonzept ist Abb. 1: Globale CO 2 -Gesetzgebung: In allen Schlüsselmärkten wird bis 2020 eine Regulierung der Emissionen für Nutzfahrzeuge erwartet. Quelle: C4D Marktstudie Abb. 2: CO 2 -Technologieroadmap: Konventionelle Technologien bieten ein hohes Einsparpotenzial, langfristig sind revolutionäre Technologiekonzepte gefragt. Quelle: C4D Marktstudie MOBILITÄT Nutzfahrzeugmarkt Internationales Verkehrswesen (64) 4 | 2012 46 natürlich revolutionär und wirft auch Fragen auf, die aus heutiger Sicht noch nicht geklärt sind, wie gesetzliche Rahmenbedingungen bei der Gesamtzuglänge und Fahrzeugbreite. Allerdings sind auch für die Be- und Entladung des Sattelanhängers neue Konzepte notwendig. Aerodynamik ließen sich 15 bis 18 % Kraftstof einsparen Dieses heute noch ungenutzte Potenzial könnte zum Strukturwandel in der Nutzfahrzeugindustrie führen. Zukünftig erfolgreiche Hersteller werden dann Anbieter eines Systemprodukts für ein Gesamtfahrzeug Sattelzugmaschine und Sattelanhänger sein. Im Gegensatz zum traditionellen Nutzfahrzeug-Produktgeschäft werden damit neben der notwendigen Gesamtzugentwicklung auch zusätzliche, weit über Engineering- Leistungen hinausgehende, umfangreiche Dienstleistungen benötigt, so zum Beispiel im Bereich des After Sales und der Finanzdienstleistungen für Fahrgestell, Fahrzeugaubauten und -anhänger. Solche Überlegungen beschränken sich bislang auf den Fernverkehr, der bei allen befragten OEM den stückzahlstärksten Bereich abbildet. Dies begünstigt die Entwicklung und Umsetzung von zum Teil sehr kostenintensiven Innovationen. Als weitere Maßnahme könnte man den leistungsstarken Motor durch eine schwächere Maschine ersetzen, die nur bei Bedarf von weiteren Antrieben unterstützt wird. Denkbar wäre eine Kombination aus einem Grundmotor in der Zugmaschine mit weiteren Motoren im Sattelaulieger. Optimierte Aerodynamik plus Downsizing des Motors haben das Potenzial, den CO 2 -Ausstoß um 20 bis 30 % zu reduzieren. Der Nutzfahrzeugmarkt ist aber nicht nur durch seine Vielzahl an Ausführungsvarianten des Fahrgestells mit seinen unterschiedlichen Fahrerhäusern und Achskombinationen für den Fernverkehr gekennzeichnet, sondern auch durch die zahlreichen Aufbauvarianten und Zugkombinationen in anderen Anwendungen. Dabei muss für jede einzelne Fahrzeuganwendung das Spannungsfeld in der Fahrzeugauslegung zwischen Fahrzeugstruktur, Antriebstrang und Nebenverbrauchern neu überdacht werden. Es gilt daher, die gesamte Produktvarianz der Nutzfahrzeuge eines Herstellers abzubilden, in marktspeziische CO 2 -Ziele einzuordnen und die resultierenden Anforderungen durch passende Technologiemaßnahmen umzusetzen. Die Antworten auf diese Aufgabenstellung müssen vor dem Hintergrund des globalen Wirkens der europäischen OEM in der detaillierten Analyse des aufgespannten Strategiekubus (Technologie-Markt-Anwendungssegmente) gesucht werden. Nur so kann eine selektive Entwicklung von kostenefektiven Zukunftstechnologien sichergestellt werden, die das Hauptkriterium für den zukünftigen Unternehmenserfolg sind. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Handlungsbedarf in der Nutzfahrzeugindustrie höher denn je ist, um CO 2 -sparende Maßnahmen einzuführen. Die zukünftigen Verbrauchsziele, in Europa gesetzt durch ACEA und die Europäische Kommission, geben dabei eine klare Richtung vor und folgen einem globalen Trend. Die zu erwartenden Gesetzesregelungen und der steigende Kostendruck für alle Beteiligten werden neue Kooperationen und Geschäftsmodelle entstehen lassen, die neben der Verbrauchseizienz der speziischen Transportlösung auch neue Wertschöpfungspotenziale für die Nutzfahrzeugindustrie eröfnen. Die Studie steht über die Homepage der Consulting4Drive zum Download zur Verfügung. ■ Abb. 3: Innovations- und Technologiestrategie: Die aktuelle Herausforderung eines jeden OEM besteht in der Entscheidung für den zukünftigen Technologiepfad. Quelle: C4D Marktstudie karsten Löwenberg, Dipl.-Wirt. Ing. Senior Consultant Consulting4Drive GmbH Berlin k.loewenberg@consulting4drive.com Hermann riesen, Dipl.-Wirt. Ing. Senior Consultant Consulting4Drive GmbH Berlin h.riesen@consulting4drive.com Abb. 4: Strategiekubus: Für den globalen Erfolg eines Nutzfahrzeugherstellers sind Fragestellungen innerhalb der drei aufgespannten Dimensionen zu beantworten. Quelle: C4D Marktstudie
