Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0095
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Beständig Richtung Ziel
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Kerstin Zapp
Matthias Wissmann
Die Bundesregierung erwartet bis zum Jahr 2025 eine Steigerung des Güterverkehrs um 70 % gegenüber 2004. Das macht ein noch besseres Zusammenspiel von Lkw, Bahn und Binnenschiff notwendig. Aber an Kraftstoffverbrauch und CO2-Ausstoß der Lkw muss ebenfalls weiter gearbeitet werden, da sie auch künftig den Löwenanteil des Güterverkehrs tragen. Kerstin Zapp sprach darüber mit Matthias Wissmann, dem Präsidenten des Verbands der Automobilindustrie (VDA).
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TECHnOLOGIE Interview Matthias Wissmann Internationales Verkehrswesen (64) 4 | 2012 60 Beständig Richtung Ziel Die Bundesregierung erwartet bis zum Jahr 2025 eine Steigerung des Güterverkehrs um 70 % gegenüber 2004. Das macht ein noch besseres Zusammenspiel von Lkw, Bahn und Binnenschif notwendig. Aber an Kraftstofverbrauch und CO 2 -Ausstoß der Lkw muss ebenfalls weiter gearbeitet werden, da sie auch künftig den Löwenanteil des Güterverkehrs tragen. Kerstin Zapp sprach darüber mit Matthias Wissmann, dem Präsidenten des Verbands der Automobilindustrie (VDA). Herr wissmann, bis 2020 will die Fahrzeugindustrie den CO 2 -ausstoß schwerer Nutzfahrzeuge um 20 % gegenüber den Werten des Jahres 2005 senken. Wie weit ist die Reduzierung bisher vorangekommen? Die Öko-Bilanz des Lkw hat sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten kontinuierlich verbessert. Wir sind daher auf einem guten Weg, dieses Ziel in acht Jahren zu erreichen. Pauschalurteile, die andere Verkehrsträger als per se klimafreundlich etikettieren, sind heute überholt, wie aktuelle Studien zeigen. Der Lkw hat demnach für zahlreiche Relationen und Transportarten auch ökologisch die Nase vorn. Wir arbeiten konsequent daran, dass sich diese Erkenntnis weiter durchsetzt. Wie verträgt sich die Reduzierung von CO 2 mit der gleichzeitigen Minderung der klassischen Schadstofe? Die Reduzierung der Schadstofabgase hat - physikalisch bedingt - den Preis einer Erhöhung der CO 2 -Emissionen: Nutzfahrzeuge ganz ohne Euro-Abgasstandard würden 17 % weniger Kraftstof verbrauchen und damit auch weniger CO 2 ausstoßen als heutige Euro-5-Fahrzeuge. Dennoch haben es die Nutzfahrzeughersteller mit erheblichen Investitionen geschaft, den Kraftstofverbrauch weiter zu senken. Auch mit der Einführung von Euro-6-Fahrzeugen wird der Verbrauch weiter sinken. Stichwort neuer Abgasstandard Euro- 6 1 : Glauben Sie, dass anlässlich der Einführung eine neue Mauthöheverordnung verabschiedet wird und im Juni 2013 in Kraft tritt? Es wäre wünschenswert. Um dem umweltfreundlichen Euro-6-Standard zum Durchbruch zu verhelfen, kommt es darauf an, den Unternehmern frühzeitig Planungssicherheit zu geben. Der VDA und der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) setzen sich daher gemeinsam für die neue Mautgestaltung ein, mit der es auch eine eigene, günstigere Mautklasse für Euro-6-Fahrzeuge geben soll. Damit entstehen entscheidende Anreize zur Flottenerneuerung. Auf der 64.- IAA Nutzfahrzeuge im September stellen die Hersteller ihre neu entwickelten Euro- 6-Lkw vor. Die ersten Stadt- und Reisebusse mit Euro- 6 aus deutscher Produktion sind übrigens schon am Markt. Ein Mittel zur Eizienzverbesserung auf der Straße kann auch der Einsatz von Lang-Lkw sein. Wie läuft der Feldversuch? Mit dem Feldversuch macht Deutschland einen wichtigen Schritt zu einem zukunftsfähigen Straßengüterverkehr: Bisher sind sechs Speditionen mit elf Fahrzeugen verbindlich angemeldet, etwa 50 weitere Spediteure stehen in den Startlöchern. Angepeilt ist, dass bis zu 400- Lang-Lkw im Versuchseinsatz sind. Wie und wo werden sich Lang-Lkw durchsetzen können? Lang-Lkw können ihren Vorteil vor allem auf längeren Autobahnstrecken ausspielen. Bei rund 80 % der Transporte ist nicht das Gewicht, sondern das Ladevolumen der begrenzende Faktor. Im Straßengüterverkehr werden heute überwiegend leichte, aber voluminöse oder sperrige Güter transportiert. Daher kommt der Lang-Lkw im Normalbetrieb mit einem Gesamtgewicht von 40 t aus - aber zwei Lang-Lkw können das Transportvolumen von drei herkömmlichen Lkw bedienen. Damit sinken CO 2 -Emissionen und Verbrauch um rund 30 % und deshalb sprechen wir auch vom Öko-Laster. Für Benzin-Pkw gibt es E10 - wo liegt die Alternative für Lkw? Beim Diesel - ob Lkw oder Pkw - kommt „B7“ erfolgreich zum Einsatz, also die Beimischung von bis zu 7 % Diesel aus biologisch-planzlichen Stofen. Autogas ist eine bewährte Alternative für Pkw, die Umrüstung relativ günstig und die Infrastruktur relativ gut ausgebaut. Trotzdem gibt es nur wenige dieser Fahrzeuge. Welche Chance räumen Sie Lkw mit Gasmotoren ein? LPG stellt gegenüber dem Dieselmotor beim Nutzfahrzeug keinen Vorteil dar. Das liegt an der hohen Eizienz des Dieselmotors, die von LPG nicht übertrofen werden kann. Zudem ist bei LPG eine Beimischung von nicht-fossilen Elementen kaum möglich. Strategisch setzt die Automobilindustrie daher eher auf den Kraftstof CNG, bei dem in Kombination mit Erdgasmotoren im Bereich leichter Nutzfahrzeuge eine hohe Eizienz und niedrige CO 2 -Emissionen möglich sind. Auch kann hier zunehmend Biogas eingesetzt werden. In welchen Bereichen sehen Sie Hybridantriebe und batterieelektrisch angetriebene Nutzfahrzeuge als sinnvolle Alternative? Um den Verbrauch weiter zu reduzieren, werden zunehmend Hybridantriebe mit kombiniertem Verbrennungs- und Elektromotor zum Einsatz kommen. Das gilt insbesondere im Verteilerverkehr. Für den innerstädtischen Lieferverkehr mit kurzen Strecken werden auch batterieelektrische Fahrzeuge eingesetzt werden können. Dies werden wir so in den Schaufensterprojekten Elektromobilität sehen können. Der innerstädtische Verteilverkehr verfügt über ein nahezu ideales Nutzungsproil für diese batterieelektrischen Fahrzeuge. Ebenso sind Busse für Hybridantriebe bestens geeignet. Internationales Verkehrswesen (64) 4 | 2012 61 Im Fernverkehr wird der Dieselantrieb wohl weiterhin die zentrale rolle spielen: wo besteht am Motor oder bei anderen technischen Komponenten noch verbesserungspotenzial? Großes Potenzial liegt insbesondere noch in der Aerodynamik. Entsprechend optimierte Sattelzüge können sogar den niedrigeren cw- Wert eines Pkw erreichen. Damit wäre eine Kraftstofersparnis von bis zu 20 % verbunden. Allerdings sind zur Umsetzung teilweise größere Längen erforderlich, sonst geht zu viel Laderaum verloren. Hierfür brauchen wir die Unterstützung der Politik. Gewinner wäre die Umwelt über nochmals niedrigeren Spritverbrauch und CO 2 -Ausstoß. Die 64. Iaa Nutzfahrzeuge in Hannover steht vor der Tür. welche Highlights erwarten Sie? Die IAA Nutzfahrzeuge 2010 verzeichnete einen Weltpremieren-Rekord. Das schloss komplette Fahrzeuge ebenso ein wie technische Neuerungen von Zulieferern, beispielsweise am Antriebsstrang. Für diese IAA gehen wir davon aus, dass Fachleute und Publikum abermals mehr Innovationen zu sehen bekommen als auf jeder anderen Nutzfahrzeugmesse auf der Welt: neue Transporter und Busse mit alternativen Antriebsarten, technische Lösungen zur weiteren Senkung des Kraftstofverbrauchs und der CO 2 -Emissionen sowie intelligente Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit beim Transport wie etwa Notbremsassistent oder Spurverlassenswarner. Was das hohe Niveau der Ausstellerzahlen betrift - 2010 waren es über 1700 aus 42 Ländern - beinden wir uns 2012 ebenfalls auf einem guten Weg. verbesserungen am Fahrzeug und Schulung der Fahrer sind die eine Seite. andererseits muss die Infrastruktur leistungsfähiger werden, damit beste Fahrzeuge nicht im Stau steckenbleiben. wo liegen hier aus Ihrer Sicht die Möglichkeiten? Über die Hälfte aller Staukilometer auf Autobahnen werden durch hohes Verkehrsaukommen ausgelöst. Da das Aukommen weiter steigt, werden wir um den punktuellen Ausbau der Straßeninfrastruktur nicht herumkommen. Ärgerlich dabei ist, dass die Lkw-Maut das Fuhrgewerbe zwar mit rund 4- Mrd.- EUR pro Jahr belastet, aber die Haushaltsmittel entsprechend gekürzt werden. Der Staat kann aber auch mit verhältnismäßig geringem Aufwand schon Verbesserungen herbeiführen, beispielsweise durch mehr verkehrsstärkeabhängige Geschwindigkeitsvorgaben oder die temporäre Freigabe von Seitenstreifen. Das erhöht die Kapazität der Strecke um 10 bis 25 %. welcher Schritt auf dem weg zum noch umweltverträglicheren und eizienteren Straßengüterverkehr ist Ihrer Meinung nach der derzeit dringendste? Ein 40-Tonner verbraucht heute im Durchschnitt nur noch gut 30 l auf 100 km - und nicht mehr 50 l wie noch vor wenigen Jahrzehnten. Dieser Erfolg ist das Ergebnis vieler kleiner Schritte: eizientere Motoren, verbesserte Getriebe, leichtere Materialien, verringerter Roll- und Luftwiderstand. Hinzu kommen immer weniger Emissionen: Mit der Einführung von Euro- 6 beispielsweise wird eine Reduktion um bis zu 97 % gegenüber 1990 erreicht! Auf diesem Weg werden wir weiterfahren und mit jeder neuen Fahrzeuggeneration weitere Fortschritte im Sinne von Umwelt, Klimaschutz und bei der Sicherheit auf unseren Straßen erzielen. Herr wissmann, vielen Dank für dieses Gespräch. ■ 1 Die Abgasnorm Euro- 6 für schwere Nutzfahrzeuge wurde von Europäischen Parlament und Ministerrat im Dezember 2008 verabschiedet. Sie sieht gegenüber der Vorgängernorm Euro-5 eine Senkung der Stickoxid-Emissionen (NOx) um rund 80 % und des Partikelausstoßes um rund zwei drittel vor. alle neu zueglassenen Nutzfahrzeuge müssen vom 31.-Dezember-2013 an die neuen Euro-6-Standards erfüllen, neue Fahrzeugtypen bereits vom 31.-Dezember-2012 an. Matthias Wissmann ist seit Juni 2007 Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA) und seit November 2007 Vizepräsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Er hat Jura studiert und war von Mai 1993 bis Oktober 1998 Bundesminister für Verkehr. ZUr PErsOn Das zentrale Engagement des VDA gilt den Interessen der gesamten deutschen Automobilindustrie auf nationaler und internationaler Ebene. Seine Mitglieder setzen sich aus Automobilherstellern, Zulieferern und den Herstellern von Anhängern, Aufbauten und Bussen zusammen. Darüber hinaus ist der VDA Veranstalter der Internationalen Automobilausstellungen (IAA) für Pkw und Nutzfahrzeuge. ZUM VErBanD Fotos: VDA
