eJournals Internationales Verkehrswesen 64/4

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0098
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2012
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Neue Horizonte im Stadtverkehr

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Ralf Haase
Weltweit leistet der Elektrobus einen Beitrag zur aktiven Klimapolitik, effektiven Ressourcenschonung und wirtschaftlichen Verkehrsdurchführung. Neben Oberleitungsbussystemen in innovativer Weiterentwicklung nehmen neuartige elektrische Antriebskonzepte für Stadtbusse eine Schlüsselstellung in einem technologieoffnen Wettbewerb statt. Am 23. und 24. Oktober 2012 wird die 3. Internationale Trolleybus Konferenz von trolley:motion in Leipzig neue Impulse setzen.
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VEransTaLTUnGEn Internationale Trolleybus Konferenz Internationales Verkehrswesen (64) 4 | 2012 66 Neue Horizonte im Stadtverkehr Weltweit leistet der Elektrobus einen Beitrag zur aktiven Klimapolitik, efektiven Ressourcenschonung und wirtschaftlichen Verkehrsdurchführung. Neben Oberleitungsbussystemen in innovativer Weiterentwicklung nehmen neuartige elektrische Antriebskonzepte für Stadtbusse eine Schlüsselstellung in einem technologieofenen Wettbewerb statt. Am 23. und 24. Oktober 2012 wird die 3. Internationale Trolleybus Konferenz von trolley: motion in Leipzig neue Impulse setzen. A ls im Jahre 1882 Werner von Siemens im Berliner Grunewald mit dem „Elektromote“ den ersten elektrischen Omnibus erprobte, konnte er die Tragweite seiner Erindung kaum abschätzen. Wenn gegenwärtig weltweit mehr als 40 000 Elektrobusse in 312- Städten von 47- Staaten im öffentlichen Nahverkehr arbeiten, dann kann das als Nachweis für die technologische Reife dieses Verkehrssystems in den zurückliegenden 130- Jahren gewertet werden. Trotz technischer Umbrüche in den Antriebstechnologien vor allem durch die Vervollkommnung der Verbrennungskraftmaschine hat sich der Elektroantrieb behauptet. Der traditionelle Elektrobus, aufgrund der Art seiner Energieübertragung als Oberleitungs- oder Trolleybus bezeichnet, beindet sich derzeit in einem systemischen Wandel und trägt in Deutschland dank neuer tech- Abb. 1: Stadtbus Solaris „Urbino 18“ in Hybridbauweise im Linieneinsatz in Leipzig Foto: J. Kazah nologischer Konzepte zu einer Renaissance des ÖPNV bei [1]. Denkbarrieren reichen bis in die Vergangenheit Von ehemals 72 deutschen O-Busstädten sind mit Solingen, Esslingen a.-N. und Eberwalde noch drei Kommunen übrig geblieben. Die Gründe sind vielfältig. Seit mehr als 40- Jahren spielen Denkbarrieren allem in den Köpfen der Stadt- und Verkehrsplaner eine maßgebende Rolle. Sie führten hinlänglich zu einer einseitigen Beratung der politischen Entscheidungsträger in den Kommunen. Die Dieseltechnologie, für die Deutschland Weltmarktführer ist, zwang dem Elektrobus ein Imageproblem auf: Als „Dinosauriertechnologie“ bezeichnet sei sie technisch veraltet und investiv viel zu teuer, hieß es oft abschätzend. Dass der traditionelle Elektrobus aber derzeit eine ausgereifte, betriebssichere und wirtschaftliche Technologie verkörpert, lokal emissionsfrei und lärmarm arbeitet, iel als Argument häuig unter den Tisch. Aus heutiger Sicht schoben sich Fahrzeugindustrie und kommunale Gebietskörperschaften gegenseitig die Schuld an der Technologiemisere in die Schuhe. Doch dank wachsender Absatzmärkte im Ausland hat die deutsche Elektrobusindustrie seit einiger Zeit wieder Fahrt aufgenommen. Die gestiegenen Exporte haben die Branche am Leben gehalten. Der Elektrobus ist auch in Deutschland besser als sein ruf Unter Nutzung der Entwicklungen beim Dieselbus (Design, Unterlurbauweise, Gefäßgröße, technische Ausstattung usw.) brachte der Trolleybus auch eigene Innovationen hervor (zusätzliche Energiespeicherung, Rekuperation von Bremsenergie, Vervollkommnung der Leistungselektronik und Sensortechnik, automatisches An- und Abdrahten der Fahrleitung usw.). Dies alles hat zu gestiegener Akzeptanz, aber auch zu höherer Wirtschaftlichkeit geführt. Ständig steigende Rohölpreise erhöhen das Kostenniveau des Dieselbusses. Steigende Absätze am Elektrobusmarkt führen auch zu wachsenden Losgrößen in der Fertigung. Der Wettbewerb hat international eine neue Dimension erreicht. Die scheinbaren „Killerkriterien“ für den Elektrobus (zu hohe Investitionskosten für Fahrzeuge, Fahrleitung und Masten, geringere Flexibilität im Netz, Unterhaltung kombinierter Werkstädten usw.) verlieren immer mehr an Bedeutung. Die zusätzlichen Energiespeicher im Fahrzeug erlauben mehr und mehr, die sensiblen Stadtquartiere ohne Fahrleitungsbespannung zu befahren. Die technische Verknüpfung der Energieversorgung von Stadt- oder Der Autor: ralf Haase Internationales Verkehrswesen (64) 4 | 2012 67 Straßenbahnen mit Elektrobussen auf gemeinsamen Trassenabschnitten stellt eine Innovation dar. Für den Elektrobus spricht auch die Tatsache, dass die Investitionen für den Bau einer häuig in Erwägung gezogenen Stadtbahn in verschiedenen deutschen Großstädten sechsmal höher liegen als beim Trolleybus [2]. Generell kann konstatiert werden, dass die Kundenakzeptanz des Elektrobusses gegenüber Dieselbussen weiter gewachsen ist. Die Netzorientierung aufgrund der „Schienen am Himmel“, das gestiegene Umweltbewusstsein der Menschen und ein verbessertes Fahrzeug- und Ausrüstungsdesign zeichnen dafür verantwortlich. Die Entscheidungen der Städte Solingen, Esslingen und Eberswalde zum Erhalt und zum Ausbau des O-Bussystems verlangen deshalb in Zeiten schmaler Kassen uneingeschränkte Wertschätzung. Auch andere deutsche Städte stellen ernsthafte Überlegungen für eine Machbarkeitsstudie an. Im Rahmen einer integrierten Stadt- und Verkehrsplanung sollte der Elektrobus überall dort untersucht werden, wo • ein Systemwechsel im ÖPNV geplant ist • bestehende Verkehrsnetze in Großstädten erweitert oder erneuert werden sollen (Teil- und Randnetze, Anbindung von Siedlungs- und Gewerbegebieten an kompakte städtische Infrastrukturen) • die Optimierung bestehender Bedienungsnetze ins Auge gefasst ist. regierungsprogramm wirkt als fortschrittsgenerator Mit der schrittweisen Umsetzung des nationalen Entwicklungsplans „Elektromobilität“ und den damit verbundenen Förderprogrammen hat sich seit dem Jahr 2009 ein Prozess verstärkt, den elektrischen Stadtbus in die zukünftige Verkehrsplanung zu integrieren. Die vom BMVBS aufgrund von Ausschreibungsprogrammen ausgewählten Modellregionen Berlin/ Brandenburg, Bremen/ Oldenburg, Hamburg, München, Rhein/ Main, Rhein/ Ruhr, Stuttgart und Sachsen (mit den Städten Dresden und Leipzig) öfnen sich in sechs von acht Regionen dem Einsatz von Hybridbussen in sog. „Schaufensterprojekten“. Damit ist auch der Ansporn für den Ingenieur gesetzt, den Weg vom Trolleybus zum Elektrobus ohne Fahrleitung mittels „technologischer Leuchttürme“ schneller und eizienter zu vollziehen. [3] Wir beinden uns auf einem Pfad aufsteigender Hierarchien zu völlig neuen Antriebskonzepten. Inzwischen ist nahezu überall die Erkenntnis gereift, dass die Hybridtechnologie nur eine Brückentechnologie auf dem Weg zum vollelektrischen Bus darstellt. Deshalb müssen Projekte „technologieofen“ gefördert werden, um technische Innovationen auch im traditionellen Elektrobussektor Platz greifen zu lassen. Im Bereich der Hybridisierung geschieht dies vor allem über den Einbau von zusätzlichen Energiespeichern, um die E-Fahrfähigkeit der Busse zu erweitern. Generell konzentrieren sich die Entwicklungsarbeiten besonders auf die schnellere Verfügbarkeit von leistungsfähigen Batterie- und Ladesystemen. Die angestrebten Innovationen richten sich heute auf • Elektrobusse mit Batteriespeicher und Nachladefunktion an Haltestellen und / oder an Linienendpunkten • Elektrobusse, deren Energiespeicher ausreichen, um im Betriebshof einen Batterietausch vorzunehmen • Elektrobusse, die eine induktive Energieversorgung aus der Straße erhalten (System PRIMOVE) • Elektrobusse mit wasserstofgestützter Brennstofzelle. [4] Gegenwärtig ist noch nicht absehbar, mit welcher Geschwindigkeit diese Technologien praxistauglich werden. Es wird auch ein wirtschaftliches Problem sein, zu welchen Kosten solche Systeme am Markt angeboten werden. Doch der eingeschlagene Weg ist in Deutschland inzwischen unumkehrbar. In aufsteigender Hierarchie von Dieselbus, Trolleybus (vollelektrisch mittels Oberleitung), Hybridbus (teilelektrisch mit Batterie), Batteriebus und Brennstofzellenbus entstehen neue straßengebundene Verkehrssysteme, die eine tragende Säule für die angestrebte Marktführerschaft Deutschlands in Sachen „Elektromobilität“ darstellen können. Die am 23. und 24. Oktober 2012 in Leipzig stattindende 3. Internationale Trolleybus Konferenz von trolley: motion wird hier neue Impulse setzen. ■ ralf Haase, Dr. oec. habil. Vorstandsmitglied im Friedrich-List-Forum Dresden e. V. TU Dresden dr.ralfhaase@t-online.de LITEraTur [1] Tagungsbände der Elektrobuskonferenzen des DLR-Bereich Verkehrsstudien Berlin: Solingen 2007, Esslingen a. N. 2009 und Eberswalde 2011. [2] HAASE, RALF; Der Stadtbus von morgen; Internationales Verkehrswesen, Heft 5/ 2011, S.-84. [3] Regierungsprogramm Elektromobilität der Bundesregierung, Berlin vom 18.-Mai 2011. [4] HAASE, RALF; Der Elektrobus in Deutschland - eine Renaissance nach 130- Jahren; Vortrag auf den 23.- Verkehrswissenschaftlichen Tagen 2012 der Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ an der TU Dresden; Dresden 29./ 30. März - Tagungsband. Abb. 2: Imagekampagne zum Elektrobus Graik: BBG GmbH Eberswalde Abb. 3: Solaris 18 m-Gelenktrolleybus in Salzburg Foto: R. Roletschek