eJournals Internationales Verkehrswesen 64/5

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0110
91
2012
645

Staatliche Eingriffe in die Preisbildung auf dem Benzinmarkt?

91
2012
Ziel dieser Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ist es, Maßnahmen für eine Verbesserung der Benzinpreispolitik zu prüfen und hinsichtlich ihrer Effizienz zu bewerten.
iv6450012
POLITIK Preispolitik Internationales Verkehrswesen (64) 5 | 2012 12 Staatliche Eingrife in die Preisbildung auf dem Benzinmarkt? Ziel dieser Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ist es, Maßnahmen für eine Verbesserung der Benzinpreispolitik zu prüfen und hinsichtlich ihrer Eizienz zu bewerten. D ie Preisentwicklung auf dem Benzinmarkt 1 wird von vielen Politikern und Verbrauchern als missbräuchliche Ausnutzung kartellartiger Marktmacht der großen Mineralölkonzerne bewertet, auch wenn das Bundeskartellamt in einer mehrjährigen, breit angelegten Marktuntersuchung keine rechtlich verwertbaren Hinweise auf derartige Kartellabsprachen ermitteln konnte. Neben dem als zu hoch empfundenen Preisniveau stehen auch die häuigen Preisanpassungen in der Kritik. Deshalb legte der Bundeswirtschaftsminister jüngst einen Gesetzentwurf vor, der eine umfassende staatliche Aufsicht über die Preispolitik der Mineralölkonzerne vorsieht. Er wurde am 3.- Mai- 2012 vom Bundeskabinett gebilligt. Kontraproduktive Maßnahmen gegen Preisanstieg Kernstück des Gesetzentwurfs ist die Einrichtung einer sogenannten Markttransparenzstelle, der die Tankstellenbetreiber sämtliche Preisänderungen melden müssten. Gleiches soll für die Großhandelspreise, also die Einkaufspreise der Tankstellenbetreiber von den Rainerien, gelten. Damit soll eine Diskriminierung kleinerer Anbieter verhindert werden, insbesondere der Freien Tankstellen, die überwiegend nicht über eigene Raineriekapazitäten verfügen, sondern den Treibstof von einem der großen, vertikal integrierten Mineralölkonzerne beschafen müssen, mit denen sie auf dem Benzinmarkt konkurrieren. Ofen ist bislang, wem die so erfassten Daten zugänglich sein sollen. Gerade diese Frage ist aber wettbewerbspolitisch von zentraler Bedeutung. Politisch wird daneben auch die Einführung einer sogenannten Benzinpreisbremse nach dem Vorbild Österreichs bzw. Westaustraliens intensiv diskutiert. Die Tankstellenbetreiber dürften ihre Preise nach diesem Modell nur ein einziges Mal am Tag ändern. Es handelt sich aus ökonomischer Sicht dabei um eine temporäre Preisbindung, die sowohl Preiserhöhungen als auch Preissenkungen im vorgegebenen Zeitraum verbietet. In der politischen Diskussion beindet sich schließlich auch eine kompensatorische Erhöhung der Pendlerpauschale, um die efektive Belastung von Autofahrern durch die als zu hoch empfundenen Benzinpreise zu verringern. Der Wissenschaftliche Beirat bewertet alle drei Maßnahmen als kontraproduktiv und rät aus folgenden Gründen von ihrer Einführung ab: Reale Benzinpreise stabil Fragwürdig ist zunächst die Ausgangsvermutung, die sich hinter dem Wunsch nach staatlichen Eingrifen in die Benzinpreisbildung verbirgt: • Nicht übersehen werden sollte in diesem Zusammenhang zunächst, dass der Benzinpreis - freilich mit ausgeprägten Schwankungen - inlationsbereinigt und in Inlandswährung berechnet (früher DM, heute Euro) seinen historischen Höchststand nach der ersten Ölkrise Anfang der 1970er Jahre bislang nie wieder erreicht hat; selbst heute liegt er noch immer knapp darunter, und dies trotz eines kontinuierlichen Anstiegs der Steuerbelastung je Liter Benzin in eben diesem Zeitraum. • Zieht man alternativ den Indikator „Kaukraft je Lohnminute“ zur Abbildung der Preisentwicklung auf dem Benzinmarkt heran, zeigt sich sogar ein deutlicher Rückgang in den letzten 50- Jahren. So musste der durchschnittliche deutsche Arbeitnehmer 1960 noch 14-Minuten für einen Liter Benzin arbeiten. Derzeit sind es nur noch etwa 3,6-Minuten, was ebenfalls knapp niedriger ist als der Vergleichswert nach der ersten Ölkrise 1973 (der bisherige Tiefpunkt wurde 1990 mit ca. 2,4-Minuten erreicht). • Auch die (bisher) häuigen Preisänderungen auf dem deutschen Benzinmarkt sprechen grundsätzlich gerade für einen vergleichsweise intensiven Konkurrenzkampf sowie eine starke Orientierung der Anbieter an der aktuellen Nachfrage und Zahlungsbereitschaft der Verbraucher. Zudem erschweren die Preisschwankungen gerade die Koordination eines Kartells. Preisdiferenzierung als Reaktion auf zeitliche Nachfrageschwankungen ist auch im Bahn- und Flugverkehr der wettbewerbspolitisch in aller Regel unbedenkliche Normalfall. • Schließlich zeichnet sich der deutsche Benzinmarkt im europäischen Vergleich keineswegs durch das höchste absolute Preisniveau aus. Dies gilt gerade auch gegenüber Ländern mit einem ähnlichen prozentualen Steueranteil je Liter wie Italien, Schweden oder der Niederlande. Foto: dpa/ picture-alliance Internationales Verkehrswesen (64) 5 | 2012 13 Zuviel Marktransparenz Die Wettbewerbstheorie besagt, dass ein Übermaß an Markttransparenz auf engen Oligopolmärkten die Wahrscheinlichkeit von abgestimmtem Verhalten, insbesondere die Kartellbildung, substantiell erhöht. Dies gilt besonders für Märkte, auf denen gleichartige (homogene) und wenig innovative Güter gehandelt werden und die sich in der Sättigungsphase beinden, wie Beispiele für Kartelle aus der Baustof- oder auch Stahlindustrie zeigen. Die Gefahr wettbewerbsbeschränkender Absprachen der Anbieter nimmt noch zu, wenn diese über eine ähnliche Kostenstruktur verfügen, die Kosten für benötigte Vorleistungen von ihnen kaum beeinlussbar sind und Steuern, insbesondere spezielle Verbrauchsteuern, einen wesentlichen Anteil des Endverbraucherpreises ausmachen. Kaum Einluss durch Tankstellenbetreiber Diese Voraussetzungen liegen auf dem Benzinmarkt in geradezu lehrbuchartiger Weise vor. So beläuft sich der Marktanteil der fünf großen Mineralölkonzerne (Aral, Shell, Jet - ConocoPhillips, Esso und Total) auf 70 %, 10 % entfallen auf die im bft organisierten Freien Tankstellen und die verbleibenden 20 % auf sonstige Anbieter, i. d. R. kleinere Mineralölunternehmen. Dabei machen die Beschafungskosten der Mineralölkonzerne pro Liter E5-Superbenzin ca. 37 % des Endverkaufspreises aus. 56 % entfallen demgegenüber auf steuerliche Abgaben (Mineralölsteuer sowie Mehrwertsteuer) und nur 7 % auf den Deckungsbeitrag, in dem die Kosten für Transport und Lagerung sowie die Marge der Unternehmen enthalten sind. Weit über 90 % des Endverkaufspreises sind demnach der Gestaltung durch die Tankstellenbetreiber (komplett oder weitestgehend) entzogen. Preisvorgaben folgen Konkurrenz Werden vor diesem Hintergrund die staatlich erfassten Preisdaten allen Anbietern zugänglich gemacht, erleichtern Preismeldestellen wie die geplante Markttransparenzstelle folglich grundsätzlich die Kartellbildung bzw. festigen ein eventuell bereits bestehendes Kartell. Es ist daher kein Zufall, dass sich in der Vergangenheit Kartelle in anderen Branchen häuig dieses Instruments als Mittel des inneren Kartellzwangs bedient haben, um eine verdeckte Unterbietungskonkurrenz durch unsolidarische Kartellmitglieder aufzuspüren und wirksam zu unterbinden. Schließlich begünstigen Preismeldestellen auch das kartellrechtlich nicht sanktionierbare, bewusste Parallelverhalten. Dabei stimmen die Anbieter ihre Preise zwar nicht in rechtswidriger Manier untereinander ab. Sie folgen aber eng den Preisvorgaben eines von ihnen als Preisführer identiizierten Konkurrenten, was in Form der sogenannten barometrischen Preisführerschaft derzeit oft zu beobachten ist und auch vom Bundeskartellamt so bestätigt wurde. Benzinpreisbremse bringt höhere Preise Wird schließlich zusätzlich zur Markttransparenzstelle noch eine Benzinpreisbremse eingeführt, die Preiskorrekturen temporär ausschließt, ergeben sich zwei Efekte, die auch von den österreichischen und westaustralischen Erfahrungen bestätigt werden: Zum einen werden die Anbieter versuchen, den Benzinpreis jeweils möglichst hoch anzusetzen. Zum anderen verhindert die Preisbremse temporär ein „Abbröckeln“ der Preise und unterbindet damit den wettbewerblichen Nachstoßprozess. Dieses „Abbröckeln“ lässt sich auf dem deutschen Benzinmarkt jedoch nahezu täglich beobachten. So sind die Benzinpreise werktags in der Regel morgens am höchsten und am frühen Abend am niedrigsten - ein gerade für Vielfahrer leicht erkennbares und ausnutzbares Muster. Zu befürchten ist daher, dass infolge des geplanten staatlichen Eingrifs die Kartellbildung auf dem Benzinmarkt deutlich erleichtert und sich daher ein höheres durchschnittliches Preisniveau herausbilden würde. Leidtragende dieser Politik wären die Verbraucher, während sowohl die Benzinanbieter als auch der Staat (aufgrund des höheren Steueraukommens) davon proitieren würden. Ob und in welchem Ausmaß derzeit schon Kartellbildung auf dem Benzinmarkt vorherrscht, ist davon unabhängig: Die Gefahr und Stärke der Kartellbildung wird durch die geplanten Eingrife in jedem Falle größer. Die vorgeschlagene Erhöhung der Pendlerpauschale würde ebenfalls nicht problemlösend, sondern im Gegenteil problemverschärfend wirken. Sie führt, wie jede Form der subventionierten Mobilität, gesamtwirtschaftlich zu nicht unerheblichen negativen Externalitäten (z. B. Flächenverbrauch durch Zersiedlung, mehr Emissionen durch längere Pendelwege, Staukosten). Diese sozialen Kosten des Verkehrs würden durch eine Erhöhung der Sätze weiter zunehmen. Fazit Diese grundsätzlichen Überlegungen vermögen die Existenz eines Kartells nicht mit letzter Sicherheit ausschließen. Welche Maßnahmen können also empfohlen werden, wenn doch ein hinreichend schädliches Kartell vermutet wird? Wie gezeigt wurde, erweist sich eine Marktransparenzstelle, deren Daten allgemein zugänglich sind, auf der Endnachfrager-Stufe des Benzinmarktes als wettbewerbspolitisch kontraproduktiv. Ein anderes Bild ergibt sich dagegen auf der vorgelagerten Großhandelsstufe. Hier besitzen die großen Mineralölkonzerne erhebliches Diskriminierungspotential gegenüber den freien Tankstellen und anderen kleineren Wettbewerbern („Squeezing“ bzw. „Raising rivals‘ costs“) - ähnlich wie die vertikal integrierte DB AG beim Netzzugang im Verhältnis zu unabhängigen dritten Wettbewerbern. Hier wäre eine Meldeplicht der Raineriebetreiber gegenüber einer Wettbewerbs- oder Regulierungsbehörde wie dem Bundeskartellamt ein prinzipiell geeignetes Instrument zur Unterbindung preislicher wie nicht-preislicher Verdrängungspraktiken marktbeherrschender Anbieter gegenüber ihren nicht vertikal integrierten Wettbewerbern auf der Einzelhandelsstufe des Benzinmarktes. Voraussetzung wäre aber, dass die Daten ausschließlich den Aufsichtsbehörden zugänglich gemacht werden. ■ 1 Unter dem Begrif „Benzinmarkt“ wird im Folgenden der Markt für Kraftstofe zur Nutzung in Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren verstanden. Damit sind in die Argumentation selbstverständlich auch Dieselkraftstofe inkludiert, auch wenn konkrete Beispiele sich am „Benzin“ orientieren. Wolfgang Stölzle, Prof. Dr., St. Gallen Vorsitzender Axel Ahrens, Prof. Dr.-Ing., Dresden Herbert Baum, Prof. Dr., Köln Klaus J. Beckmann, Prof. Dr., Berlin Manfred Boltze, Prof. Dr.-Ing., Darmstadt Alexander Eisenkopf, Prof. Dr., Friedrichshafen Hartmut Fricke, Prof. Dr.-Ing., Dresden Ingrid Göpfert, Prof. Dr., Marburg Christian von Hirschhausen, Prof. Dr., Berlin Günther Knieps, Prof. Dr., Freiburg Andreas Knorr, Prof. Dr., Speyer Kay Mitusch, Prof. Dr., Karlsruhe Stefan Oeter, Prof. Dr., Hamburg Franz-Josef Radermacher, Prof. Dr. Dr., Ulm Volker Schindler, Prof. Dr., Berlin Bernhard Schlag, Prof. Dr., Dresden Jürgen Siegmann, Prof. Dr.-Ing., Berlin wissenschaftlicher Beirat beim BMvBS