Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0115
91
2012
645
Sicherheit und Wirtschaftlichkeit in Einklang bringen
91
2012
Jörg Mosolf
Sichere Warenketten sind für die Transportwirtschaft elementar. Die Sicherheitsanforderungen dürfen jedoch nicht zu Handelshindernissen mutieren. Die Staaten sind gefordert, die rechtlichen Rahmen so umzusetzen, dass Unternehmen ihre Sicherheitsinvestitionen auf Grundlage transparenter Kriterien tätigen können. Welche Fallstricke es im Einzelnen geben kann, zeigt die Umsetzung neuer Regeln in nationales Recht im Luftverkehr.
iv6450024
Internationales Verkehrswesen (64) 5 | 2012 24 Sicherheit und Wirtschaftlichkeit in Einklang bringen Sichere Warenketten sind für die Transportwirtschaft elementar. Die Sicherheitsanforderungen dürfen jedoch nicht zu Handelshindernissen mutieren. Die Staaten sind gefordert, die rechtlichen Rahmen so umzusetzen, dass Unternehmen ihre Sicherheitsinvestitionen auf Grundlage transparenter Kriterien tätigen können. Welche Fallstricke es im Einzelnen geben kann, zeigt die Umsetzung neuer Regeln in nationales Recht im Luftverkehr. Ü ber eine Tatsache sollten wir uns immer im Klaren sein: eine 100 %ige Sicherheit gibt es nicht. Verschärfen wir die Sicherheitsanforderungen, wirkt sich das meist bremsend auf den Warenluss aus und treibt die Kosten in die Höhe. Vollumfängliche Kontrollen sind oftmals aufgrund fehlender Kapazitäten, Platzmangel und Personal gar nicht möglich. Daher müssen die Sicherheitsanforderungen an eine Lieferkette risikobasiert, verhältnismäßig, zielgenau, ressourceneizient und wirtschaftlich vertretbar sein. Die Einführung neuer Sicherheitsaulagen soll vor allem eines bringen: in der Summe muss sich die Sicherheit erhöhen. Wir müssen uns also genau überlegen, wo ein erhöhtes Risiko besteht und dahingehend die Prozesse intelligenter gestalten. Letztlich geht es darum, eiziente und sichere Warenströme umzusetzen. Kosten und Nutzen von Sicherheitsregimen Die deutsche Verkehrswirtschaft trägt ihre Sicherheitsinvestitionen selbst. In den USA Foto: Flughafen Berlin-Brandenburg dagegen sind solche Investitionen teils im Budget des Heimatschutzministeriums verankert. Die deutschen See- und Flughäfen investieren Millionen in Sicherheitsmaßnahmen, sei es für Röntgengeräte, Geländesicherung oder Personalschulungen. Solche Kosten werden auf die Preise aufgeschlagen und letzten Endes dem Kunden angelastet. Höhere Sicherheitsanforderungen bedeuten somit auch immer höhere Kosten. Wer geringere Sicherheitsaulagen erfüllt, hat einen Wettbewerbsvorteil, weil er preiswerter anbieten kann. Positive Tendenzen Im Jahr 2012 sind für die Unternehmen einige positive Entscheidungen im Bereich der Transportsicherheit sowohl auf internationaler als auch europäischer Ebene getrofen worden. Dabei ist zunächst an die gegenseitige Anerkennung des US-Sicherheitsregimes C-TPAT und des europäischen Sicherheitsregimes AEO (zugelassener Wirtschaftsbeteiligter) zu denken. Dadurch proitieren die Unternehmen im EU-US- Handel von schnelleren Kontrollen und geringerem Prüfungsaufwand im transatlantischen Warenverkehr. Auch im Luftfahrtbereich erkennen die USA das Konzept der „sicheren Lieferkette“ seit dem 1. Juni 2012 an, wodurch Doppelprüfungen entfallen. Dies ist ein wichtiger Schritt zur dringend notwendigen Harmonisierung der Sicherheitsanforderungen. In der EU werden die Sicherheitsmaßnahmen bereits vor der Verladung am Flughafen erbracht, weswegen von der „sicheren Lieferkette“ die Rede ist. Die dritte positive Entscheidung ist ein Beschluss der EU-Kommission zur Einrichtung einer permanenten Sachverständigengruppe für den Landverkehr. Experten aus der Wirtschaft sollen mit beratender Stimme dabei sein. Im Luft- und Seeverkehr gibt es ein solches Gremium bereits seit längerem. Risikobasierten Ansatz fördern Anfang 2012 veröfentlichte die US-Regierung ihre „Nationale Strategie zur globalen Lieferkettensicherheit“. Sie beschreibt den strategischen Weg zu mehr Sicherheit für den internationalen Gütertransport und fordert gleichzeitig ihre amerikanische Verwaltung auf, sich stärker mit den Interessen von Handelspartnerstaaten und den Beteiligten der Lieferkette international abzustimmen und zu koordinieren. Danach sollen Güter mit einem geringen Risiko möglichst ungehindert und schnell transportiert werden. Güter, mit einem erhöhten Gefahrenpotential dagegen, sollen stärker kontrolliert werden. Die Strategie ist bereits in Kraft getreten. Diese jüngste US- Sicherheitsstrategie ist ausdrücklich zu begrüßen. Allerdings steht sie im Widerspruch zur 100 % Scanning-Initiative der USA im Seeverkehr. Ursprünglich sollten ab dem 1.- Juli- 2012 sämtliche Seecontainer, die in die USA verschift werden, am Abgangshafen durchleuchtet werden. Der Zeitpunkt des In- Der Autor: Jörg Mosolf LOGISTIK Lieferkette Internationales Verkehrswesen (64) 5 | 2012 25 krafttretens wurde zunächst auf das Jahr 2014 verschoben. Damit ist die Hofnung verknüpft, dass das Gesetz praxisgerecht angepasst wird. Sowohl der amerikanische Rechnungshof als auch das Heimatschutzministerium äußerten sich kritisch zur 100 %igen Durchleuchtungsinitiative. Diverse Untersuchungen und Pilotprojekte zeigten zudem, dass eine Umsetzung aus technischen und verkehrlichen Gründen nicht praktikabel sei. Obendrein bestehen politische Bedenken. Die zweijährige Übergangszeit bis 2014 sollte genutzt werden, um das Gesetz zum 100 %igen Containerscanning der US-Sicherheitsstrategie zu ändern und stattdessen ein 100 % Screening der Lieferdaten mit risikobasierten Stichproben analog zum bisherigen Verfahren der Container-Security-Initiative durchzuführen. Andersfalls würde der transatlantische Warenverkehr erheblich beeinträchtigt. Auf europäische Unternehmen kämen enorme personelle und inanzielle Belastungen zu. Bei der europäischen Luftfrachtsicherheit gilt bereits ein risikobasierter Ansatz. Entsprechend einer EU-Verordnung muss die Fracht und Post vor dem Verladen sicher sein. Import-, Transit- und Exportfracht müssen seit Januar 2011 entsprechend einer anderen EU- Verordnung vorangemeldet werden, damit der Zoll Risikoanalysen durchführen kann. Wie bereits erläutert, erkennt die USA seit Juni 2012 die ‚sichere Lieferkette’ sowohl für Frachtals auch Passagiermaschinen an. Damit können aufwendige und kostenintensive Doppelprüfungen vermieden werden. Beides, die europäischen Verordnungen zur Luftfrachtsicherheit basierend auf einem Risikoansatz und die gegenseitige Anerkennung von Schutzregimen zwischen der EU und den USA sind als wichtig und richtig zu erachten. Neue Anforderung bei Luftfracht Generell darf Fracht in der EU nur per Flugzeug transportiert werden, wenn sie „sicher“ ist. Fracht kann auf zwei Arten den Status „sicher“ erlangen: Zum einen kann „unsichere“ Fracht durch eine Sicherheitskontrolle als „sicher“ erklärt. Die entsprechenden Untersuchungen führt entweder das Luftfahrtunternehmen selbst oder ein so genannter ‚reglementierter Beauftragter’ durch. Zum anderen kann das produzierende Unternehmen seine Fracht als „sicher“ versenden, wenn es sich als sog. bekannter Versender zertiizieren lässt. Damit gewährleistet es, dass die Ware vor unbefugtem Zugrif und Manipulation geschützt wird. Der Vorteil hierbei liegt auf der Hand: die Ware muss vor Ablug nicht erneut kontrolliert werden, was den Aufwand am Flughafen reduziert und Zeit spart. Logistikdienstleister werden als reglementierte Beauftragte durch das Luftfahrtbundesamt zugelassen. Neu ist, dass ab 25.-März-2013 auch der „bekannte Versender“ diesen Status amtlich durch das Luftfahrtbundesamt erhält. Bis zum 29.-April-2010 hatte der Gesetzgeber es den reglementierten Beauftragten überlassen den Versender als sicher anzuerkennen. Mehrere zehntausend Unternehmen besitzen den Status bekannter Versender, den sie jedoch mit Ablauf der Übergangsfrist beim Luftfahrtbundesamt neu beantragen müssen. Fehlende Umsetzung Allerdings verzögert sich in Deutschland die Umsetzung der geänderten europäischen Anforderungen zur sicheren Lieferkette in nationales Recht. Und das wird negative Folgen für die Wirtschaft haben, denn Ende März- 2013 drohen Staus bei zeitsensibler Luftfracht. Zum 24.-März-2013 endet die Übergangsfrist für bekannte Versender, ohne dass alle bekannten Versender ihren Status durch das Luftfahrtbundesamt bestätigen konnten. Dadurch wird sich das Verhältnis von sicherer und unsicherer Fracht umkehren. Während heute lediglich 10 bis 20 % der Luftfracht unsicher und damit vor Ablug zu untersuchen ist, werden es geschätzte 50 bis 90 % sein. Entsprechende Kontrollkapazitäten an Flughäfen fehlen. Anträge bleiben liegen Die Kontrolle sämtlicher Fracht am Flughafen ist logistisch nicht zu bewältigen. Deshalb ist die sichere Lieferkette so enorm wichtig, da die Beteiligten in der Lieferkette bereits für die Sicherheit der Fracht sorgen. Bislang sind rund 270 Unternehmen als bekannter Versender behördlich zugelassen und zirka 4300 wollen Anträge beim Luftfahrtbundesamt stellen. Da ein Zulassungsverfahren gut ein Jahr dauern kann, werden diese Anträge wohl nicht rechtzeitig vor Ende der Übergangsfrist bearbeitet sein. Auch angesichts der Tatsache, dass die behördlichen Personalressourcen unzureichend sind. Fehlen gesetzlicher Grundlagen Ein Grund für die anfänglich zögerliche Antragstellung seitens der Unternehmen ist das Fehlen klarer Rahmenbedingungen für die Zulassung. Die Umsetzung der europäischen Anforderungen in deutsches Recht erfolgt über das Luftsicherheitsgesetz und deren Folgeverordnungen. Dieses wartet jedoch weiterhin auf seine Novellierung. Das Luftsicherheitsgesetz beindet sich derzeit in der Ressortabstimmung zwischen den zuständigen Ministerien des Bundes, nachdem ein Entwurf eine Zeit lang unbearbeitet blieb - und damit auch die daraus abzuleitenden Verordnungen. Diese regeln die Verfahren und Gebühren. So wird für die Zulassung des bekannten Versenders eine Gebühr fällig, die bislang nicht bezifert werden kann, weil die Gebührenordnung fehlt. Ebenso unklar und damit nicht kalkulierbar sind die Anforderungen an die Personalschulung und den Investitionsumfangs für infrastrukturelle Anpassungen an den Standorten. Unternehmen können damit nicht einschätzen, ob sich das aufwendige Zulassungsverfahren rentiert oder sie ihre Luftfracht preiswerter durch einen Dritten sichern lassen. Darüber hinaus ist in Deutschland nur ein Bruchteil der europäisch empfohlenen Untersuchungsmethoden erlaubt. Während in den europäischen Nachbarstaaten auch Sprengstofspürhunde zugelassen sind, ist eine Zulassung in Deutschland erst in der Vorbereitung. Schnell handeln Damit es nicht zu einem Stau bei zeitkritischer Luftfracht an deutschen Flughäfen kommt, fordern wir schnelle Abhilfe. Die längst überfällige Novellierung des Luftsicherheitsgesetzes samt seiner Folgeverordnungen muss dringend erlassen werden. Für zügige Zulassungsverfahren sollten zudem private Zertiizierer hinzugezogen werden. Gleichzeitig sind ebenso wie in unseren Nachbarstaaten weitere Prüfmethoden und -technologien, wie sie die EU-Verordnung vorsieht, anzuerkennen. Die Logistik braucht an den gefährdeten Stellen eine risikobasierte Sicherheitsarchitektur. In der Luftfahrt wird die gesamte Lieferkette betrachtet und Sicherheitsmaßnahmen allein dort ergrifen, wo ein Risiko besteht. Ein Sicherheitslabel wie der ‚bekannte Versender’, der freiwillig von Unternehmen mit entsprechendem Bedarf erworben werden kann, ist sinnvoll. Der Sachverständigengruppe der Europäischen Kommission fällt die Aufgabe zu, Schwachstellen zu identiizieren und bei Bedarf auch für den internationalen Landverkehr adäquate freiwillige Sicherheitsarchitekturen zu entwerfen. Im Gegenzug muss den Unternehmen ein beschleunigter Warenluss als Mehrwert geboten werden. In Verbindung mit risikobasierten Kontrollen und Maßnahmen des Staates erhalten wir so eine praxisgerechte und eiziente Absicherung der Lieferkette. Dieses Konzept sollte zügig realisiert werden. ■ Jörg Mosolf, Dr. Präsidiumsmitglied DVF, Geschäftsführender Gesellschafter und Sprecher der Geschäftsführung, Horst Mosolf GmbH & Co. KG Internationale Spedition Kontakt: info@verkehrsforum.de
