Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0117
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2012
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Die Freiheit endet an den Küsten
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Bernhard Lohmann
Viele Staaten kennen Kabotageverbote und nutzen diese, um das eigene Transportgewerbe gegen Wettbewerber aus dem Ausland zu schützen. Doch welche Rolle spielen diese Handelsbeschränkungen in einer globalisierten Welt?
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LOGISTIK Seetransport Internationales Verkehrswesen (64) 5 | 2012 28 Die Freiheit endet an den Küsten Viele Staaten kennen Kabotageverbote und nutzen diese, um das eigene Transportgewerbe gegen Wettbewerber aus dem Ausland zu schützen. Doch welche Rolle spielen diese Handelsbeschränkungen in einer globalisierten Welt? D as Transportwesen ist eine Subfunktion der Volkswirtschaft, deren Aufgabe es ist, Ortsveränderungen für Rohstofe, Zwischenprodukte und Fertigwaren möglichst kostengünstig zu organisieren, damit die Eizienzvorteile der zentralisierten Massenproduktion realisiert werden können. 1 Verbindet man diese Erkenntnisse mit der Außenhandelstheorie 2 , lässt sich nachweisen, dass die Transportnachfrage eine indirekte Nachfrage ist, die sich aus der Preisdiferenz für die gleiche Ware in zwei unterschiedlichen Regionen ergibt. Oder anders ausgedrückt: Die Nachfrage nach Warentransporten - und damit auch der internationale Handel - hängt außer von den Transportkosten auch von der Diferenz der Warenpreise im Quell- und Senkegebiet der Transportrelation ab. Seetransporte spielen im internationalen Handel eine große Rolle, weil sie die preisgünstigste Transportvariante sind und nur wenigen Mengenrestriktionen unterliegen. Aus der Souveränität für die Küstengewässer 3 und deren Nutzung leitet sich das Kabotageverbot für die Seeschiffahrt her. Die Rechtsvorschriften der einzelnen Länder unterschieden sich sehr stark entsprechend ihrer nationalen Interessen und lassen sich in drei Gruppen einteilen (vgl. Tabelle 1). 4 US-Kabotagevorschriften Unmittelbar nach der Unabhängigkeit von England (1789) verboten die Vereinigten Staaten von Amerika jeglichen Handel mittels ausländischer Schife sowie Küstenschiffahrt für ausländische Schife. Geschützt durch diese strengen Vorschriften und durch den Marktdruck der amerikanischen Wirtschaftsverfassung entwickelten sich schnell leistungsstarke und eiziente Reedereien. 1920 wird das Kabotageverbot auf die Küstenschiffahrt beschränkt und für amerikanische Schife werden folgende Kriterien festgelegt: 1. Stapellauf in den USA 2. Registrierung in den USA 3. In amerikanischem Eigentum stehend, d. h. amerikanische Reedereien müssen folgende Anforderungen erfüllen: • Vorstandsvorsitzender muss US-Bürger sein • Mindestens 50 % der Vorstandsmitglieder müssen US-Bürger sein Tab. 1: Kabotagevorschriften und ihre Auswirkungen auf einzelne Länder Strenge Kabotagevorschriften Gemäßigte Kabotagevorschriften Liberale Kabotagevorschriften Bedeutung der Handelslotte groß groß klein Bedarf an nationaler Küstenschiffahrt viel wenig wenig Nationales Interesse an Protektionismus bilateraler Liberalisierung genereller Liberalisierung Beispiele USA, Japan, China, Phillipinen Norwegen, Großbritannien, Dänemark Belgien, Zypern, Israel, Singapur Der Autor: Bernhard Lohmann Foto: HHM / M. Lindner Internationales Verkehrswesen (64) 5 | 2012 29 • Mindestens 75 % des haftenden Kapitals muss aus den USA stammen. Der Jones Act wurde häuig novelliert; spätestens seit 2006 gelten außerdem folgende Anforderungen um Seetransporte zwischen US-Häfen durchführen zu dürfen: 1. Mindestens 75 % der Besatzung müssen US-Bürger oder Menschen mit ständigem Aufenthaltsrecht in den USA sein 2. Stahl von Reparaturen in ausländischen Werften darf 10 % nicht überschreiten. Diese restriktiven Vorschriften behindern den Wettbewerb zwischen amerikanischen und internationalen Werften; ausländischen Schifen werden Umwege über Häfen in Drittstaaten aufgezwungen. Beides führt zu einer Verteuerung der Gütertransporte zur See gegenüber den Wettbewerbspreisen. Die höheren Transportpreise für die amerikanische Wirtschaft schlagen sich wiederum in höheren Warenpreisen, insbesondere für die Bürger Alaskas (1900 USD jährlich je Haushalt 6 ) und Hawaiis (~- 3000- USD jährlich je Haushalt 7 ) nieder. Dieser volkswirtschaftliche Schaden steht dem nationalen Interesse der USA, über eine technologisch führende und leistungsstarke Werftbranche und ein vom Ausland unabhängiges Transportsystem zu verfügen, gegenüber. Japanische Kabotagevorschriften Japan fordert, dass für Transporte zwischen japanischen Häfen nur Schife und Fähren unter japanischer Flagge eingesetzt werden dürfen. 8 Schife unter japanischer Flagge müssen zu mindestens 50 % in japanischem Eigentum stehen und dürfen ausschließlich japanische Besatzungen beschäftigen. Damit gelten hier ähnliche Vorschriften wie in den USA. Zugelassen sind Kabotagetransporte über viele bilaterale Verträge, wenn es sich um einen internationalen Transport handelt, eine „durchlaufende“ Bill of loading verwendet wird und das Vertragsland japanischen Schifen das gleiche Recht einräumt. Diese Ausnahme erlaubt es zum Beispiel, einem britischen Schif in London Güter für Tokio und Osaka zu laden und nach dem Löschen in Tokio Osaka direkt anzulaufen. Zulässig wäre sogar ein Umladen der Sendung nach Osaka in Tokio, sofern für den Weitertransport die gleiche Bill of loading verwendet wird. Der bilaterale Charakter dieser Ausnahmen verschaft japanischen Reedern einen Wettbewerbsvorteil, weil ihre Schife mehrere ausländische Häfen direkt nacheinander anlaufen und sie so günstigere Frachtraten im internationalen Geschäft anbieten können. Gleichzeitig werden japanische Exportwaren mit geringeren Frachtkosten belegt und international wettbewerbsfähiger. Da Japan ein rohstofarmes Industrieland ist, werden primär Rohstofe importiert, die ebenfalls mit geringeren Frachtkosten belegt sind. Auch das macht die japanische Wirtschaft wettbewerbsfähiger. chinesische Kabotagevorschriften Die Volksrepublik verfügt über den weltweit größten Markt für Küstenschiffahrt. Außerdem ist die chinesische Transportbranche eher schwach entwickelt und arbeitet oft ineizient. Das chinesische Kabotageverbot kennt keine Vorschriften hinsichtlich des Stapellaufs oder der Wartung der Schife. 9 Chinesische Werften brauchen im weltweiten Vergleich keinen Preiswettbewerb zu fürchten; Protektionismus macht hier keinen Sinn. Um Küstenschiffahrt zwischen chinesischen Häfen anbieten zu können, verlangt China; dass 50 % des haftenden Kapitals der Reederei in chinesischer Hand ist. Das heißt, die Küstenschiffahrt steht Joint- Venture-Unternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung in China ofen. Der Weitertransport internationaler Sendungen zwischen chinesischen Häfen ist ausländischen Schifen grundsätzlich untersagt. 10 Eine Ausnahme stellt hier der Hafen von Hongkong dar; seine Bedeutung im internationalen Handel mit China ist aber rückläuig. China gehört wie Japan und die USA zur ersten Staatengruppe, die ein hohes Interesse an protektionistischen Maßnahmen haben. Trotzdem verfügt die Volksrepublik innerhalb dieser Staatengruppe über die liberalsten Handelsbarrieren für ausländische Wettbewerber auf dem heimischen Markt der Küstenschiffahrt. Das liegt am verhältnismäßig hohen Druck der internationalen Gemeinschaft gegen Diskriminierung und am allgemeinen Interesse jeder Exportnation an geöfneten Märkten in anderen Ländern. eU-Kabotagevorschriften Die Europäische Kommission verfolgt das Ziel, den europäischen Wirtschaftsraum zu liberalisieren und zu harmonisieren. Deshalb gibt es seit 2004 zwischen den Mitgliedstaaten der EU kein Kabotageverbot mehr. Ausnahmen und Übergangsregelungen bestehen noch für Frankreich. Die Bemühungen der Kommission zum weiteren Abbau von Markzugangsbarrieren zielen ausschließlich auf den freien Marktzugang der anderen Mitgliedstaaten, Drittstaaten bleiben davon unberührt. 11 Je nach nationalen Interessen wurde die Liberalisierung des Kabotageverbots für Schife anderer EU-Staaten unterschiedlich in nationales Recht umgesetzt. Das liberalere Kriterium der Registrierung in einem anderen Mitgliedstaat wurde dabei von mehr Mitgliedstaaten angewandt als das strenge der Flagge, unter der das Schif fährt. Obwohl die Küstenschiffahrt im Transportsystem der EU eine zu vernachlässigende Rolle spielt, war bisher eine Liberalisierung nicht durchsetzbar. Auch in den kommenden Jahren ist nicht mit einer weiteren Liberalisierung in der EU zu rechnen. Fazit Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die großen Wirtschaftsnationen in allen Regionen der Erde ihre Verkehrsmärkte stark regulieren und gegen ausländische Wettbewerber abschotten. Das Kabotageverbot stellt hierfür ein geeignetes, etabliertes und akzeptiertes Instrument dar. Diese Entwicklung steht dem Gemeinwohlinteresse eines liberalen Welthandels entgegen, stimmt aber mit den nationalen Interessen sowohl der großen EU-Staaten wie auch der USA und der BRIC-Staaten überein. Dass einige kleine Staaten wie Singapur auf ein Kabotageverbot in der Seeschiffahrt verzichten, spielt aus Welthandelssicht nur eine untergeordnete Rolle, weil bei Seetransporten immer die nationalen Bestimmungen des „Ausfuhr-“ und des „Einfuhrlandes“ beachtet werden müssen. Aus wirtschaftstheoretischer Sicht und im Sinne eines freien und fairen Welthandels sollten diese Handelsbarrieren allerdings abgeschaft werden, um niedrigere Güterpreise realisieren zu können und so die Wohlfahrt der Nationen insgesamt zu mehren. ■ 1 Adam Smith „Vom Wohlstand der Nationen“ (1776) 2 David Riccardo „On the principles of political economy and taxation“ (1917), Ohlin „Handelns Teori (Diss) (1924) 3 UN-Seerechtskonferenzen in Genf (1958), (1960) 4 US Transportministerium von (2003) 5 Merchant Shipping Act/ Jones Act (1920) 6 GAO Report (1988) 7 Government of Hawaii (1992) 8 Japan’s Ship Act (1988) 9 Jia Dashan “Cargo Relay - of diferent impacts on Chinese ports” (2010) 10 Han Jingwei “Cargo Relay - impacts on Chinese shipping enterprises” (2010) 11 EU Resolutionen 954/ 7, 4044/ 86 und 3577/ 92 Bernhard Lohmann, Dipl.-Verkehrswirt Senior Consultant bei Ingenics, Shanghai, Regionalbotschafter der TU Dresden in China bernhard.lohmann@ingenics.cn
