Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0118
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Bedrohungen frühzeitig erkennen
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Christian Beßler
Oliver Eggert
Unvorhergesehene Umstände, wie der Unfall eines Lkw, bringen ganze Lieferketten zum Stillstand. Der Auftrag kann nicht ausgeführt werden und es entstehen erhebliche Kosten. Ein konsequentes Supply Chain Risk Management macht derartige Szenarien beherrschbar und reduziert die Kosten.
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LOGISTIK Risikomanagement Internationales Verkehrswesen (64) 5 | 2012 30 Bedrohungen frühzeitig erkennen Unvorhergesehene Umstände, wie der Unfall eines Lkw, bringen ganze Lieferketten zum Stillstand. Der Auftrag kann nicht ausgeführt werden und es entstehen erhebliche Kosten. Ein konsequentes Supply Chain Risk Management macht derartige Szenarien beherrschbar und reduziert die Kosten. E in Lkw hat Material für einen Just-in-time-Prozess bei einem Hersteller (OEM) geladen und verunglückt. Die bereits genutzten Puferbestände beim OEM sind nahezu verbraucht. Aufgrund der langen Distanz zwischen Zulieferer und OEM kann eine Ersatzlieferung nicht zeitgerecht bereitgestellt werden. Die Produktion beim OEM wird unterbrochen. Dadurch können mit dem Kunden des OEM vereinbarte Liefermengen nicht mehr eingehalten werden. Diese Ereigniskette ist mit vielen „Wenndann-Bedingungen“ verbunden und zeigt ansatzweise die Komplexität heutiger Lieferketten. Nicht aufgeführt sind z. B. Mehrfachauswirkungen oder -ursachen. Hier kommt es schnell zu unübersichtlichen Diskussionen an deren Ende mehr Verwirrung als Klarheit steht. Risikomanagement als Unterstützung für Unternehmen Störungen in der Lieferkette sind mit einem konsequenten Supply Chain Risk Management (SCRM) besser beherrschbar und vermeiden erhebliche Kosten. Risikomanagement mit System ist ein wichtiger Weg zur Klarheit. Denn im Kern geht es darum, Transparenz über die aktuelle Risikosituation zu schafen, um so notwendige Entscheidungen für die Zukunft auf einer verlässlichen Basis trefen zu können. Risikomanagement ist dabei auf zukünftige Ereignisse fokussiert und stellt ein zentrales Unterstützungselement der Unternehmenssteuerung dar. Dabei ist es kein Buch mit sieben Siegeln oder nur ein Thema für Fachabteilungen. Doch was genau ist ein Risiko und was bedeutet eigentlich Risikomanagement? Ein Risiko selbst stellt zunächst nur eine Unsicherheit in der Zielerreichung dar und ist deiniert als Summe aus Ursache, Ereignis und Wirkung. Diese Unsicherheit kann sich als Bedrohung, aber auch als Gelegenheit zeigen. Ziel eines Risikomanagements ist es, anhand eines nachvollziehbaren Prozesses zu einer objektivierten Entscheidung zu kommen. Diese Entscheidung kann z. B. in einer Maßnahme bestehen, eine bestimmte Bedrohung zu vermeiden oder deren Eintrittswahrscheinlichkeit zu reduzieren. Solche Entscheidungen werden täglich in der Logistikbranche getrofen, manchmal ohne sich der vorherigen Punkte bewusst zu sein. Risikomanagement steht nicht für sich allein über anderen Feldern, sondern ist integrativer Bestandteil von Projektgeschäft und Business as usual und somit ein wichtiger Teil der Unternehmensführung. Es muss ein in sich konsistentes System sein, was fachspeziisch genutzt wird (vgl. Abbildung 1). SCRM ist die Anwendung von Risikomanagement-Know-how im Supply Chain Management. Einerseits entlang der gesamten Lieferkette, aber auch mit Konzentration auf einzelne Punkte in der Lieferkette. Spricht man über Sicherheit in Transport und Verkehr, spricht man auch über Risikomanagement. Viele assoziieren dies oftmals mit großen Unglücksfällen und Naturkatastrophen, wie z. B. Fukushima oder Aschewolken über Europa aufgrund eines Vulkanausbruchs. Dabei inden sich viele praktische und alltagsrelevante Anwendungsbeispiele. Themen wie Arbeitsschutz, Ladungssicherheit und Gefahrgutwesen seien hier nur als erste Anknüpfungspunkte genannt und sind in Unternehmen präsent. Diese Themen stellen eigene Risikogebiete dar und werden meistens getrennt voneinander betrachtet. Ein Risikomanagementsystem bietet die Die Autoren: christian Beßler, Oliver eggert Abb. 1: Risikomanagement Internationales Verkehrswesen (64) 5 | 2012 31 Möglichkeit, bisher separat betrachtete Gebiete ganzheitlich und integriert zu steuern und entsprechenden Nutzen daraus zu ziehen. Wichtig ist es, neben der Detailarbeit auch den Blick fürs Ganze zu behalten und dadurch Lücken oder Überschneidungen zu vermeiden. Risikomanagement ist fester Bestandteil des Projektmanagements. Der Detaillierungsgrad nimmt mit zunehmendem Projektfortschritt zu. Risikomanagement in Krisengebieten Logistikprojekte in Krisengebieten stellen besonders hohe Anforderungen an alle Beteiligten und erfordern im Projektmanagement ein durchdachtes SCRM. So ist z. B. die Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit von Verkehrsträgern in den seltensten Fällen gegeben und erfordert einen erheblich größeren Organisationsbedarf. Politische Instabilitäten mit zusätzlicher Beeinträchtigung der Verfügbarkeit von Verkehrsträgern, aufgrund der oft unsicheren innenpolitischen Situation, schlechte Wegenetze und damit verbundene deutlich längere Transportzeiten bestimmen die Rahmenbedingungen der Logistikprojekte in Krisenregionen. In einem Food-Supply-Chain-Projekt (Lebensmitteltransporte in allen Kühlzonen: Trocken, Kühl und TK) in einer Krisenregion mussten die grundsätzliche Verfügbarkeit, Kosten und Zuverlässigkeit der unterschiedlichen Verkehrsträger analysiert werden. Ergebnis der Analyse war unter anderem, dass die Eisenbahn als Verkehrsträger nicht zur Verfügung stand, das Schif nur für Teilstrecken eingesetzt werden konnte, Luftfracht zwar möglich, aber vergleichsweise teuer war, und die Straße somit den eigentlichen Hauptverkehrsträger darstellte. Jedoch mussten gerade beim Straßengüterverkehr erheblich größere Bedrohungen wie Überfälle und mögliche terroristische Anschläge beachtet werden. Im Rahmen der Gefahrenreduzierung bei den Straßentransporten wurde eine regelmäßige Änderung der Routenführung vorgenommen. Alternativ zum Straßentransport wurde die Versorgung über den Luftweg geprüft. Der Einsatz von Luftfracht stellte eine gute Alternative für eine kurzfristige Versorgung mit hoher Zuverlässigkeit dar. Die Einbindung eines strategischen Partners für den Lufttransport bot die Möglichkeit, die Auswirkungen eines Risikos (Lieferausfall des Straßentransports) deutlich zu reduzieren. Sie wurde genutzt, um die Lebensmittelversorgung in jedem Fall sicher zu stellen. Es mussten hierfür allerdings deutlich höhere Transportkosten berücksichtigt werden. Um die Gefährdung der Lebensmittellieferungen durch Verzug, Raub oder Verderben zu mindern, wurden diverse Maßnahmen getrofen. Angefangen bei einer Sachversicherung für verdorbene Waren über den Einsatz von lokal vernetzten und erfahrenen Transportanbietern hin zur Implementierung eines Hygienemanagement-Konzeptes (HACCP). Das SCRM stellte sicher, dass es während des Projektes zu keinen für den Kunden spürbaren Lieferengpässen kam. Die Nutzung eines SCRM bei logistischen Projekten in Krisengebieten ist zwingend erforderlich. Wie sieht es nun aber mit der Einführung und Nutzung eines SCRM unter normalen Bedingungen aus? Vierstufiger Beratungsansatz Die Einführung eines SCRM in ein Unternehmen kann stufenweise erfolgen, dabei werden die Kunden mit einem vierstuigen Beratungsansatz, der Flexibilität und Kundenzufriedenheit in den Mittelpunkt stellt, unterstützt. Die vier Stufen können separat aufeinander aubauend beauftragt werden. Der Risikomanagementansatz baut methodisch auf Management of Risk (M_o_R®) auf. Dies bietet eine gute Operationalisierung des weltweit anerkannten Standards ISO 31000. Mitarbeiter der LOG sind zertiiziert und haben intensive Erfahrung im Risikomanagement in internationalen Projekten. Stufe 1: Bestandsaufnahme Im ersten Schritt erfolgt eine systematische Erfassung des Ist-Zustandes der Organisationsstruktur und der bereits vorhandenen Abläufe. Ziel ist es, ein möglichst realistisches Bild des Unternehmens zu erhalten, um alle notwendigen Einlussgrößen und Restriktionen für die spätere Projektdurchführung festzuhalten. Eine Analyse des Änderungsbedarfs und eine Ableitung von Maßnahmen schließt sich an. Am Ende dieser Phase werden die Eckpunkte und das weitere Vorgehen mit dem Kunden abgestimmt. Stufe 2: Konzepterstellung Die Konzepterstellungsphase schließt sich direkt an und setzt die Ergebnisse aus der ersten Phase in ein auf den Kunden zugeschnittenes Risikomanagementkonzept um. Dieses Konzept bildet die Grundlage für die zwei folgenden Schritte der eigentlichen Implementierung in das Unternehmen. Stufe 3: Erfassung der Risikosituation des Unternehmens Aubauend auf dem Konzept wird unter enger Einbindung der später Handelnden im Risikomanagement die Analyse der Risikosituation entlang der Lieferkette durchgeführt. Nach der Risikoanalyse werden passende Maßnahmen entwickelt und zur Entscheidung vorbereitet. Dies geschieht anhand des Risikoregisters und speziischer Risikobewältigungspläne. Stufe 4: Implementierung des Risikomanagementsystems (RMS) in das Unternehmen Bei der Einführung des Risikomanagements verfolgt die LOG einen ganzheitlichen Change Managementansatz, um das SCRM im Bewusstsein der Mitarbeiter zu verankern. Dabei stehen die Handelnden nicht vor einem leeren System, das sie mit der gerade erlernten Methodik füllen müssen. Die Analysemethodik und die entsprechenden Organisationsmittel hat der Anwender bereits in der dritten Phase kennengelernt. Nun werden die Erkenntnisse in den Organisationsrahmen eingepasst und organisationsspeziisch vertieft. Diese Phase ist anfangs von einzelnen Workshops und später durch bedarfsgerechte Coachings geprägt, so dass das RMS im Unternehmen auf eigenen Beinen steht. Möglichst wenig Zusatzaufwand In der Praxis ist ein RMS mit möglichst wenig Zusatzaufwand zu etablieren. Dem Ziel: „Transparenz für Entscheidungen zu gewährleisten“ folgend, empiehlt es sich, das Risikomanagement der Aubauorganisation folgen zu lassen. Grundsätzlich gibt es zwei Lösungen: erstens die zentrale Lösung, d. h. die Bildung einer Stabsstelle oder Abteilung, die Risiken unter Einbindung der Linienverantwortlichen identiiziert, bewertet und Maßnahmen entwickelt. Alternativ bietet sich die dezentrale Lösung an. Hier liegt die Verantwortung für das Risikomanagement auf der Aubauorganisation mit entsprechenden Kommunikations- und Berichtswegen. Weiterhin muss der Kreis der direkt Beteiligten festgelegt werden. Hier bieten sich die Ebenen der Abteilungsleiter aufwärts an. Unterhalb dieser Ebene werden Mitarbeiter miteinbezogen, jedoch auf abgestufte Weise. Das organisatorisch-administrative Rückgrat des Risikomanagements wird über ein Risikomanagementhandbuch bzw. eine Verfahrensanweisung abgebildet. Darin inden sich auch die notwendigen Prozessschritte und sonstigen Werkzeuge zur praktischen Durchführung. Die eigentliche Einführung des Systems wird durch ein Veränderungsmanagement begleitet. Das RMS in Gang zu setzen und es am Laufen zu halten, ist eine Herausforderung für jedes Unternehmen. Es kann jedoch handhabbar gemacht werden. LOGISTIK Risikomanagement Internationales Verkehrswesen (64) 5 | 2012 32 Da nicht jeder alle Risikobereiche im Blick hat, werden einzelnen Personen Verantwortungsbereiche zugewiesen. Dies geschieht unter deren Einbindung und Mitwirkung, so dass die Last auf mehrere Schultern verteilt wird. Ein begleitendes Coaching hilft den Handelnden, Fragen und Probleme vertrauensvoll zu klären und Sicherheit in der Sache zu erlangen. Nach einem Jahr sollte das eingeführte RMS überprüft werden. Dies kann z. B. in Kombination mit der Vorbereitung auf die Re-Auditierung nach ISO- 9001 erfolgen. Der organisatorische Rahmen wurde beschrieben, aber wie sieht es in der Praxis aus? Die bereitgestellten Methoden und Techniken helfen Risiken übersichtlich darzustellen, sodass sie wie in Abbildung- 2 und Abbildung- 3 dargestellt, schnell erfasst werden können. Wie bei dem Wellenefekt wirkt sich eine Störung in der Supply Chain auf alle anderen Glieder der Logistikkette aus (vgl. Abbildung-2). Wenn die Welle zurückschlägt, treten Folgewirkungen auf, die das Ausmaß des Schadens noch vergrößern (vgl. Abbildung-3). Abb. 2: Auswirkungen einer Störung in der Supply Chain Abb. 3: Folgewirkungen einer Störung in der Supply Chain Fazit Egal, wie gut man sich vorbereitet: Nicht alle Risiken können oder müssen vermieden werden. Bei der Wahl der Risikomaßnahmen gilt es immer, Kosten und Nutzen abzuwägen. Ebenso werden gewisse Risiken bewusst eingegangen, da sie eine Chance für die positive Entwicklung der eigenen Unternehmung darstellen. Risikomanagement ist somit auch immer Chancenmanagement. Voraussetzung für diese Entscheidungen ist ein klares Lagebild über die Risikosituation. Durch den Einsatz erprobter Werkzeuge und Techniken, werden Risiken identiiziert und bewertet. Weiterhin unterstützt die LOG bei der Entwicklung, Steuerung und Überwachung geeigneter Risikomaßnahmen. Abschließend soll nochmals auf den vielfältigen Nutzen hingewiesen werden. Er liegt bei einem konsequenten Supply Chain Risk Management in den folgenden Aspekten: • Transparenz bei der Risikosituation des Unternehmens • Erkennen von Handlungsbedarf • schnellere und fundierte Entscheidungen • deinierte Rollen und Verantwortlichkeiten • klare, durchgängige und aktuelle Methodik • Schafung eigener Risikomanagementkompetenz • System zur Risikofrüherkennung • Unterstützung des Unternehmensziels Durch Supply Chain Risk Management gelingt Unternehmen folglich eine umfassende Absicherung. ■ christian Beßler, Dipl.-Geogr. Teamleiter Logistics Consulting LOG GmbH, Bonn christian.bessler@logmbh.de Oliver eggert, Dipl.-Kfm. Practitioner in M_o_R®, PRINCE2® u. P3O® LOG GmbH, Bonn oliver.eggert@logmbh.de
