Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0130
91
2012
645
»Großprojekte brauchen proaktive Kommunikation!«
91
2012
Harald Zulauf
iv6450078
GASTKOMMeNTAR Harald Zulauf Internationales Verkehrswesen (64) 5 | 2012 78 »Großprojekte brauchen proaktive Kommunikation! « A ußen vor blieben die Gegner von Stuttgart- 21 in der Frühphase des Projekts keinesfalls. In einem Planfeststellungsverfahren hatten sie die Chance, ihren Einwänden Gehör zu verschafen. 11 500 Einsprüche nennt die IG Bürger für Baden-Württemberg e. V. auf ihrer Website www.fuerstuttgart21.de. Die parlamentarische Legitimation erfuhr das Projekt ebenfalls: in Stuttgart, wo Gemeinderat und Landtag deutlich zustimmten, und selbst im Deutschen Bundestag. Die bloße Konzentration darauf, rechtliche Vorgaben zu erfüllen, birgt allerdings Gefahr. Denn wer seine Sache nicht auch proaktiv nach außen ofen kommuniziert, muss unter Umständen mit einem öfentlichen Nachspiel rechnen. Für den Großteil der Stuttgarter mag der Tiebahnhof in den Neunzigern weit entfernt gewesen sein. Als die Bauarbeiten begannen, war das anders. Demonstrationen folgten - man fühlte sich nicht ausreichend informiert. Wie in und um Berlin. Die Deutsche Flugsicherung schlug im September- 2010 für den neuen Airport BBI Startrouten vor, die von denen im Planfeststellungsbeschluss abwichen. Das war rechtlich durchaus legitim, nur informierte darüber lange niemand die Öfentlichkeit. Berlins und Brandenburgs Regierungschefs räumten damals Deizite in der Kommunikation ein. Mit Blick auf das Bahnhofsprojekt in Stuttgart sprach Thomas Strobl, Baden-Württembergs CDU-Generalsekretär, gar von einem „Kommunikations-GAU“. Unrecht hatte er sicher nicht. Den Verantwortlichen in Stuttgart und Berlin fehlte es schlichtweg an Proaktivität in der Außendarstellung. Abseits des „rechtlichen Plichtprogramms“, so war man lange der Meinung, seien kaum kommunikative Anstrengungen erforderlich. Doch der Bedarf der Bürger an umfassender Kommunikation hat in den letzten Jahren zugenommen - der Social-Media-Siegeszug bietet nur ein Beispiel. Ein Vorbild in Sachen Dialog kann die Schweiz, das Mekka der Referenden, sein. Initiativ-Kommunikation ist bei Großprojekten eine Notwendigkeit, wie der kleine Alpenstaat mustergültig vorführt. Und so kommt es nicht von ungefähr, dass die Schweizer Bevölkerung ihrer Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) trotzdem mehrfach das Vertrauen aussprach, obwohl die Kostenschätzungen immer wieder erhöht wurden. Die Schweizer fühlten sich gut informiert und dieses erreichte Kommunikationsziel war auch für ihr positives Votum ausschlaggebend. Die Conclusio: Bei großen Verkehrsvorhaben ist es wichtig, parallel zu den rechtlichen Planfeststellungsverfahren, frühzeitig auch auf die Öfentlichkeit zuzugehen. Es gilt, potenzielle Gegner zu identiizieren sowie die passenden Kommunikationsmaßnahmen und -kanäle zu sondieren. Auch sollte der mögliche Krisenfall Berücksichtigung inden: bei Verkehrsprojekten etwa die Szenarien Finanzierungs-, Umwelt- und Zeitprobleme. Die Durchführung der Informationskampagne muss vor allem eines prägen: Transparenz und Glaubwürdigkeit. Um ihr Projekt zu kommunizieren, sollten Träger Nähe demonstrieren. Dazu gehören sicher lokale Infoveranstaltungen mit den Verantwortlichen. Dazu gehört jedoch auch die Präsenz in sozialen Medien - die Projektgegner wissen Facebook und Youtube deinitiv zu schätzen. Zum anderen bedingt Glaubwürdigkeit, nicht nur leidenschaftlich Vorteile deutlich zu machen, sondern zugleich frühzeitig und ernsthaft auf Ängste oder gegnerische Ansichten einzugehen. Zu lange schienen Politik und Bahn bei S21 auf rechtlicher Sicherheit zu beharren. Ofenheit ist eine grundlegende Tugend. Hätten die Verantwortlichen beim Airport-Projekt die Praxis der Startroutenfestlegung früher in die Öfentlichkeit getragen, wäre der Aufschrei damals wohl auch groß gewesen - Täuschung hätte man später jedoch niemandem vorgeworfen. Wer mögliche Probleme proaktiv kommuniziert, der agiert, statt in den Medien zum Getriebenen zu werden. Zwar liegt selbst in proaktiver Kommunikation das Risiko, potenzielle Gegner auf den Plan zu rufen. Doch helfen die gewonnene Transparenz und Glaubwürdigkeit im Zusammenspiel mit einem Planfeststellungsverfahren, später öfentlichen Ärger zu minimieren. Rechtzeitige proaktive Kommunikation hilft, Befürworter zu mobilisieren und Kritiker vielleicht zu überzeugen - zumindest aber gibt sie allen das Gefühl, informiert und gehört zu werden. ■ Harald Zulauf ist seit 1993 geschäftsführer der MEDIA ConSULTA Deutschland gmbH und seit 2001 CEo der MC International Holding Ag. MC ist eine internationale Full-Service-Agentur, deren netzwerk sich auf 68 Staaten weltweit erstreckt. ZUR PeRSON Foto: Media Consulta
