eJournals Internationales Verkehrswesen 64/6

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0135
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Der neue Standard EN 16258

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Martin Schmied
Philipp Wüthrich
Bislang fehlen in allen Normen und Standards konkrete Regelungen, wie die Klimaauswirkungen speziell von Transporten bilanziert werden sollen. Die neue europäische Norm EN 16258 „Methode zur Berechnung und Deklaration des Energieverbrauchs und der Treibhausgasemissionen bei Transportdienstleistungen (Güter- und Personenverkehr)“ soll dies nun ändern und macht den Unternehmen der Transportbranche wie Fluggesellschaften, Bahnunternehmen, ÖPNV-Betrieben oder Firmen der Logistik- und Speditionsbranche entsprechende Vorgaben.
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POLITIK Umwelt Internationales Verkehrswesen (64) 6 | 2012 12 Der neue Standard EN 16258 Bislang fehlen in allen Normen und Standards konkrete Regelungen, wie die Klimaauswirkungen speziell von Transporten bilanziert werden sollen. Die neue europäische Norm-EN-16258 „Methode zur Berechnung und Deklaration des Energieverbrauchs und der Treibhausgasemissionen bei Transportdienstleistungen (Güter- und Personenverkehr)“ soll dies nun ändern und macht den Unternehmen der Transportbranche wie Fluggesellschaften, Bahnunternehmen, ÖPNV-Betrieben oder Firmen der Logistik- und Speditionsbranche entsprechende Vorgaben. Z war schreiben die ISO- Norm- 14064-1 und die „Corporate Accounting and Reporting Standards“ des Greenhouse Gas (GHG)-Protocol bereits heute vor, wie Klimabilanzen von Unternehmen - sogenannte Corporate Carbon Footprints - erstellt werden müssen [1]. Für die Klimabilanzen von Produkten deinieren der in Großbritannien entwickelte „PAS- 2050“ oder der „Product Life Cycle Accounting and Reporting Standard“ des GHG-Protocol klare Anforderungen, und für solche Product Carbon Footprints wird zudem Mitte 2013 die ISO-Norm-14067 als weiterer Standard zur Verfügung stehen [2]. Jedoch fehlen in all diesen Normen und Standards konkrete Regelungen, wie die Klimaauswirkungen speziell von Transporten bilanziert werden sollen. Deshalb stellte Frankreich im Jahr- 2008 einen Normungsantrag beim European Committee for Standardisation (CEN). Bereits damals beabsichtigte Frankreich, die Transporteure gesetzlich dazu zu verplichten, ihren Kunden die transportbedingten CO 2 -Emissionen auszuweisen. Allerdings war unklar, nach welcher Methode die Emissionen ermittelt werden sollten. In der Zwischenzeit sind die Arbeiten an der neuen europäischen Norm abgeschlossen. Die Norm, die Anfang-2013 vom Deutschen Institut für Normung als DIN-EN-16258 veröfentlicht wird [3], beschreibt die Methodik zur Berechnung von Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen von Transportdienstleistungen, deiniert hierzu Systemgrenzen und gibt Empfehlungen, welche Daten für die Berechnung verwendet werden können. Zudem macht sie Vorgaben für die Deklaration der Ergebnisse. Adressaten und Systemgrenzen Die Norm richtet sich an Unternehmen, die Transportdienstleistungen anbieten oder organisieren, sowie deren Kunden. Die Anwendung der Norm ist freiwillig. Es ist jedoch davon auszugehen, dass vor allem Logistiker und Spediteure, da von ihren Kunden eingefordert, zukünftig den neuen Standard anwenden werden. Die Norm fokussiert in der bisherigen Form ausschließlich auf Transportdienstleistungen, d. h. auf Transporte von Personen und Waren unabhängig davon, ob diese Transporte selbst oder von Dritten (sog. Subdienstleistern) durchgeführt werden. Der Umschlag von Gütern oder auch der Energieverbrauch von Flughäfen oder Bahnhöfen werden in der vorliegenden Version des Standards nicht erfasst. Auch die Herstellung der Fahrzeuge oder der Verkehrsinfrastruktur bleiben durch die Norm bisher unberücksichtigt (Tabelle- 1). Zukünftige Ausgaben des Standards sollen zumindest den Umschlag von Waren einschließen. Bis dahin können die Treibhausgasemissionen dieser nicht erfassten Bereiche bilanziert werden, müssen aber getrennt von den „normkonform“ berechneten Ergebnissen der Transporte dargestellt werden. Die dazu verwendeten Methoden sollen transparent beschrieben werden. Wer die Norm zukünftig anwendet, muss nicht nur die Treibhausgasemissionen der Transporte, sondern auch den damit verbundenen Energieverbrauch normiert in Joule ausweisen. Die Treibhausgasemissionen müssen außer CO 2 auch die anderen im Kyoto-Protokoll aufgeführten, klimawirksamen Emissionen wie z. B. Methan oder Lachgas berücksichtigen. Neben dem direkten Energieverbrauch des Fahrzeugs und den direkten verbrennungsbedingten Emissionen (als „Tank-to-Wheel“ bezeichnet, kurz: TTW) müssen auch Energieverbrauch und Emissionen bei der Kraftstof- oder Stromproduktion berücksichtigt werden („Well-to-Wheel“, kurz: WTW). Dies ist notwendig, um die Klimawirksamkeit von elektrisch angetriebenen Verkehrsmitteln oder Biokraftstofen richtig darzustellen. Vorgehensweise Sofern Kraftstof- oder Stromverbrauch der Transportdienstleistung bekannt sind, ist die Berechnung des normierten Energieverbrauchs in Joule und der Treibhausgasemissionen in kg als TTW- und WTW-Werte mit Hilfe der Norm leicht möglich. Sie liefert die passenden Umrechnungsfaktoren pro Liter oder kg Kraftstof, die auf aktuellen europäischen und internationalen Quellen basieren (Tabelle- 2). Für Strom enthält die Richtlinie keine konkreten Umrechnungsfaktoren, da diese vom Lieferanten Die Autoren: Martin Schmied, Philipp Wüthrich Tab. 1: Systemgrenzen der europäischen Norm EN 16258 Enthaltene Prozesse Nicht enthaltene Prozesse • alle Transporte unabhängig davon, ob es sich um eigene Transporte oder um Transporte von Subdienstleistern handelt • Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen (alle sechs Kyoto-Gase) • Tank-to-Wheel und Well-to-Wheel (also inkl. Herstellung von Kraftstofen und Strom) • Energieverbrauch und Emissionen von Lagern, Büros und Umschlagseinrichtungen • Hilfsmittel für Handling und Umschlag • Herstellung, Unterhalt und Entsorgung von Fahrzeugen und Verkehrsinfrastrukturen • Kältemittelverluste • mögliche höhere Klimawirkung des Luftverkehrs Internationales Verkehrswesen (64) 6 | 2012 13 oder vom Bezugsnetz abhängen. Vorgabe ist, dass der gesamte Herstellungsprozess − Gewinnung der Energieträger, deren Transport in die Kraftwerke, deren Umwandlung in Strom und die Netzverluste − einbezogen werden muss. Um Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen einer Transportdienstleistung zu bestimmen, müssen die Verbrauchswerte (Kraftstof, Strom) getrennt für jede Teilstrecke ermittelt werden, auf der kein Fahrzeug- oder Verkehrsmittelwechsel stattindet. Dabei ist es nicht ausreichend, die Energieverbräuche nur für den Streckenabschnitt zu ermitteln, auf dem die betrachtete Person oder Sendung unterwegs ist. Nach der Norm muss der Energieverbrauch für den gesamten Fahrzeugumlauf (in der Norm als Fahrzeugeinsatzsystem bzw. Vehicle Operation System bezeichnet), einschließlich Leerfahrten, ermittelt werden. Hierzu lässt die Norm vier Möglichkeiten zu (Abbildung 1): • individuelle Messung • Messung als Durchschnitt für die konkret eingesetzten Fahrzeugtypen oder für die betrachtete Route (als „Speziischer Wert des Transportdienstleisters“ bezeichnet), • Messungen als Durchschnitt für die Fahrzeuglotte des Transportdienstleisters („Flottenwert des Transportdienstleisters“), • Verwendung von Vorgabewerten (sogenannte Default-Werte). Die Norm bevorzugt explizit individuelle Messungen, die konkret für das Fahrzeugeinsatzsystem durchgeführt werden, mit dem die betrachtete Person oder Sendung transportiert wurde. Die speziischen Werte oder Flottenwerte des Transportdienstleisters müssen repräsentativ für die betrachtete Transportdienstleistung sein, können aber als Mittelwert über einen längeren Messzeitraum (z. B. Jahr) ermittelt werden. Vorgabewerte - z. B. Standard-Dieselverbräuche für einen 40 t-Sattelzug bei gegebener Auslastung - sollten als letztes Mittel verwendet werden, wenn keine gemessenen Werte vorliegen. Die Norm führt hierzu im Anhang mögliche Quellen auf (z. B. Handbuch für Emissionsfaktoren des Straßenverkehrs 1 oder EcoTransIT 2 ). Liegt schließlich der Energieverbrauch für das Fahrzeugeinsatzsystem vor, muss er auf die einzelnen Passagiere und Sendungen aufgeteilt werden. Für diesen Schritt, der als Allokation bezeichnet wird, empiehlt die Norm die Kenngrößen Personenkilometer und Tonnenkilometer, erlaubt aber auch andere Angaben (z. B. Anzahl Sendungen oder Paletten-Kilometer beim Güterverkehr). Die so für jede Teilstrecke ermittelten Energieverbräuche und Treibhausgasemissionen müssen dann abschließend wieder zum Gesamtwert für die Transportdienstleistung aufsummiert werden (Abbildung 2). Deklaration und Zertiizierung Dem Kunden von Transportdienstleistungen müssen laut Norm in einer Deklaration immer alle vier berechneten Werte (TTW- und WTW-Energieverbrauch sowie TTW und WTW-Treibhausgasemissionen) sowie die verwendete Methodik kommuniziert werden. Es besteht aber auch die Möglichkeit, auf einem Fahrschein oder einer Rechnung nur die WTW-Treibhausgasemissionen aus- Normierter Energieverbrauch Treibhausgasemissionen (berechnet als CO 2 -Äquivalente) Tank-to-Wheel Well-to-Wheel Tank-to-Wheel Well-to-Wheel MJ/ kg MJ/ l MJ/ kg MJ/ l kgCO 2 e/ kg kgCO 2 e/ l kgCO 2 e/ kg kgCO 2 e/ l Benzin 43,2 32,2 50,5 37,7 3,25 2,42 3,86 2,88 Ethanol 26,8 21,3 65,7 52,1 0,00 0,00 1,56 1,24 Diesel 43,1 35,9 51,3 42,7 3,21 2,67 3,90 3,24 Biodiesel 36,8 32,8 76,9 68,5 0,00 0,00 2,16 1,92 Erdgas (CNG) 45,1 x 50,5 x 2,68 x 3,07 x Flüssiggas (LPG) 46,0 25,3 51,5 28,3 3,10 1,70 3,46 1,90 Flugbenzin 44,3 35,4 51,8 41,5 3,13 2,50 3,76 3,01 Kerosin 44,1 35,3 52,5 42,0 3,18 2,54 3,88 3,10 Schweröl (HFO) 40,5 39,3 44,1 42,7 3,15 3,05 3,41 3,31 Marine Diesel Oil (MDO) 43,0 38,7 51,2 46,1 3,24 2,92 3,92 3,53 Marine Gas Oil (MGO) 43,0 38,3 51,2 45,5 3,24 2,88 3,92 3,49 Tab. 2: Umrechnungsfaktoren für standardisierten Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen nach der Norm EN 16258 Abb. 1: Die vier Möglichkeiten der Norm zur Ermittlung des Energieverbrauchs für den gesamten Fahrzeugumlauf POLITIK Umwelt Internationales Verkehrswesen (64) 6 | 2012 14 zuweisen. Dann müssen die anderen Werte und methodische Hinweise z. B. auf einer Internetseite zur Verfügung gestellt werden. Grundsätzlich müssen alle Abweichungen von Empfehlungen der Norm, die zur Allokation genutzten Größen (z. B. Anzahl Sendungen oder Tonnenkilometer) sowie alle verwendeten Default-Werte und deren Quellen zusammen mit den Ergebnissen mitgeteilt werden. Damit trägt die Norm nicht nur zur Vereinheitlichung der Berechnungsmethode bei, sondern führt zu einer transparenten Darstellung der Vorgehensweise. Eine Zertiizierung der Berechnungen sieht die Norm übrigens nicht vor. Unternehmen können ihre Berechnung freiwillig zertiizieren lassen, müssen dann aber die Regelungen der DIN- EN- 45011 (zukünftig die DIN-EN-ISO/ IEC-17065) einhalten, die Zertiizierung darf also nur durch akkreditierte Zertiizierer erfolgen. Die französische CO 2 -Verordnung In der Zwischenzeit wurde auch die französische Verordnung Nr.- 2011-1336 zur „Information über die Menge der Kohlendioxidemissionen einer Beförderungsleistung“ veröfentlicht. Sie schreibt vor, dass bis spätestens 31.12.2013 CO 2 -Werte von kommerziell durchgeführten Personen- und Gütertransporten, die einen Start- oder Zielpunkt in Frankreich haben, dem Kunden ausgewiesen werden müssen. Methodisch entspricht die Verordnung grundsätzlich dem europäischen Standard. Es gibt aber auch deutliche Unterschiede zur Norm. Philipp Wüthrich Senior Projektleiter der INFRAS AG in Bern, Schweizer Vertreter beim CEN-Arbeitsausschuss philipp.wuethrich@infras.ch Martin Schmied Bereichsleiter Umwelt und Verkehr der INFRAS AG in Bern Obmann des DIN-Arbeitsausschusses zur Norm EN 16258 martin.schmied@infras.ch LITERATUR [1] Kranke, A.; Schmied, M.; Schön, A.: CO2-Berechnung in der Logistik: Datenquellen, Formeln, Standards. München: Verlag Heinrich Vogel, 2011 [2] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit; Bundesverband der Deutschen Industrie: Produktbezogene Klimaschutzstrategien: Product Carbon Footprint verstehen und nutzen. Berlin: 2010 [3] Beuth Verlag: DIN EN 16258. Methode zur Berechnung und Deklaration des Energieverbrauchs und der Treibhausgasemissionen bei Transportdienstleistungen (Güter- und Personenverkehr). Berlin: Februar 2013 (geplanter Erscheinungstermin) [4] Deutscher Speditions- und Logistikverband: Berechnung von Treibhausgasemissionen in Spedition und Logistik: Begriffe, Methoden, Beispiele / Schmied, M.; Knörr, W. Köln: 2011 So müssen nach der französischen Verordnung ausschließlich CO 2 -Emissionen ermittelt und dem Kunden ausgewiesen werden. Die CO 2 -Umrechnungsfaktoren pro Liter oder kg Kraftstof müssen einem Erlass des französischen Verkehrsministeriums entnommen werden. Diese Umrechnungsfaktoren basieren auf französischen Quellen und entsprechen nicht denen der Norm EN 16258. Ein weiterer wichtiger Unterschied ist: Der französische Erlass schreibt vor, welche Default-Werte für den speziischen Energieverbrauch pro Fahrzeug-, Bahn- oder Schifskilometer zu verwenden sind. Die europäische Norm EN- 16258 hat sich bewusst gegen die Vorgabe strikter Werte entschieden. Insbesondere beim Güterverkehr gibt es zu viele betriebliche Situationen, die mit solchen Werten kaum korrekt berechnet werden können. Ausblick Die neue europäische Norm EN- 16258 ermöglicht es Unternehmen erstmals, Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen von Transporten nach einer europaweit einheitlichen Methode zu berechnen. Deklarationen in Übereinstimmung mit der Norm werden zudem dazu beitragen, dass Kunden der Transporte die Berechnungen besser nachvollziehen können. Nationale Regelungen, wie sie Frankreich derzeit umsetzt, sind dabei wenig zielführend. Gerade bei Gütertransporten in einer globalisierten Welt machen sie wenig Sinn. Es wäre vielmehr zu begrüßen, wenn die europäische Norm EN- 16258 als Vorlage für eine internationale ISO-Norm dienen könnte. Standardisierte Treibhausgasberechnungen werden oft gefordert, um Transportdienstleistungen unter ökologischen Gesichtspunkten besser vergleichen zu können. Dies wird aber auch zukünftig trotz Norm nur dann möglich sein, wenn es sich um Transporte mit exakt gleichen Rahmenbedingungen handelt. Weniger wird gesehen, dass die Norm EN- 16258 den Transportunternehmen selbst helfen wird, eine verlässliche Zahlenbasis für ihre Klimaschutzstrategien zu erheben. Denn es gilt: “What you cannot measure you cannot manage.” Hilfestellung für die normkonforme Berechnung inden Logistiker im Leitfaden „Berechnung von Treibhausgasemissionen in Spedition und Logistik“, den der Deutsche Speditions- und Logistikverband mit inanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und des Umweltbundesamtes herausgegeben hat [4]. 3 Für ÖPNV-Unternehmen wird in Kürze das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung einen entsprechenden Leitfaden veröfentlichen. ■ 1 Siehe www.hbefa.net. 2 Siehe www.ecotransit.org. 3 Siehe www.spediteure.de/ de/ site/ 1575/ / n64/ page/ n64/ index.xml. Aktuell wird der Leitfaden an die endgültige Fassung der Norm EN 16258 angepasst. Abb. 2: Vorgehensweise zur Ermittlung der Energieverbräuche