Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0136
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Fachkräfte fehlen, bessere Bedingungen auch
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Kerstin Zapp
Fachkräftemangel in der Verkehrsbranche – das lässt sich so pauschal nicht sagen. Einerseits sind die hier vertretenen Berufe äußerst vielfältig und reichen von kaufmännischen Mitarbeitern über Arbeiter, Fahrer und Ingenieure bis zu Wissenschaftlern diverser Disziplinen. Andererseits gibt es sowohl regionale als auch verkehrsträger- und fachspezifische Unterschiede, etwa bei Ingenieuren.
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Internationales Verkehrswesen (64) 6 | 2012 16 Fachkräfte fehlen, bessere Bedingungen auch Fachkräftemangel in der Verkehrsbranche - das lässt sich so pauschal nicht sagen. Einerseits sind die hier vertretenen Berufe äußerst vielfältig und reichen von kaufmännischen Mitarbeitern über Arbeiter, Fahrer und Ingenieure bis zu Wissenschaftlern diverser Disziplinen. Andererseits gibt es sowohl regionale als auch verkehrsträger- und fachspeziische Unterschiede, etwa bei Ingenieuren. D er demograische Wandel soll dazu führen, dass der deutschen Wirtschaft im Jahr- 2025 bis zu 6- Mio.- Menschen im erwerbsfähigen Alter fehlen. Entsprechend kümmern sich diverse Bundesministerien darum, dem Wirtschaftsstandort Deutschland langfristig eine ausreichende Fachkräftebasis zu sichern. Ebenso sind die Unternehmen aktiv, um auch künftig Stellen und Ausbildungsplätze besetzen zu können. Die politische Seite unterstützt Maßnahmen, die die Erwerbstätigkeit von Frauen und Älteren erhöhen, arbeitslose Menschen qualiizieren, die Abbrecherquoten bei Schülern, Auszubildenden und Studenten senken sowie die Zuwanderung qualiizierter Arbeitnehmer aus dem Ausland ankurbeln. Ein Großteil der deutschen Unternehmen konnte im Jahr-2011 seinen Fachkräftebedarf noch vollständig decken. Zu diesem Ergebnis kam kürzlich das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung nach einer repräsentativen Befragung von 16 000 Betrieben. Viele Firmen stellten sich jedoch auf einen erwarteten Fachkräfteengpass ein. Jeder vierte Betrieb will laut Umfrage ältere Beschäftigte länger halten. Mehr als zwei Drittel der Ausbildungsabsolventen wurden 2011 übernommen. Auf 53 Prozent gestiegen ist der Anteil der Unternehmen, die ausbilden. Gestiegen ist ebenfalls der Anteil der Mitarbeiter, die sich weiterbilden. Dazu gehören auch immer mehr ältere Arbeitnehmer. Laut der Studie „Fachkräftemangel- 2012“ der Manpower Group Deutschland haben dagegen aktuell 42 % der deutschen Unternehmen Schwierigkeiten bei der Suche nach geeigneten Fachkräften. Das hat der Personalberater Ende Mai bekannt gegeben. Für Deutschland wurden 1007 Unternehmen quer durch alle Branchen befragt. Die Autorin: Kerstin Zapp POLITIK Fachkräftemangel Foto: Gregor Schläger/ Lufthansa Technik AG Internationales Verkehrswesen (64) 6 | 2012 17 Logistik bleibt auf Rekordniveau - Umsatz und Arbeitsplätze in Deutschland (Quelle: BVL) Was gilt für die Verkehrsbranche? Das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) hat im Herbst den vierten Turnusbericht zur Arbeitsmarktsituation und zu den Arbeitsbedingungen in Güterverkehr und Logistik im Jahr- 2011 vorgestellt. Die Vernetzung der globalen Handels- und Verkehrsströme habe in den vergangenen Jahren zu einer steigenden Nachfrage nach Speditions-, Transport- und Logistikdienstleistungen geführt, so der Bericht. In der Folge hätten sich in weiten Teilen der Branche ein wachsender Personalbedarf und eine insgesamt erhöhte Nachfrage nach qualiizierten Arbeitskräften gezeigt. In einigen Bereichen der Verkehrsbranche bereite den Unternehmen die Deckung des Fachkräftebedarfs und der Stellenbesetzungen zunehmend Schwierigkeiten. Im Schienengüterverkehr könnte das Personal in den kommenden Jahren zu einem limitierenden Faktor für Wachstum werden, so der BAG-Bericht. Hier sind besonders Lokführer zu nennen. Ebenso wie LKW-Fahrer klagen sie über schlechte Bezahlung und Arbeitsbedingungen. Bei den Fahrern kommt hinzu, dass das Image des Berufs mäßig ist, so Dirk Lohre, Professor für Verkehrslogistik und logistische Dienstleistungen an der Hochschule Heilbronn. „Dass die Fahrer ein besseres Image beinahe genauso hoch bewerten wie eine angemessene Vergütung, hat uns auch überrascht“, sagte er mit Blick auf eine von ihm geleitete Studie. Doch auch andere Mitarbeitergruppen in Verkehr und Logistik klagen, obwohl die Zukunft des Wirtschaftsbereichs Logistik laut Bundesvereinigung Logistik (BVL) vielversprechend ist. Entsprechend liegt „eine nachhaltige Verbesserung der Arbeits- und Einkommensbedingungen im existenziellen Interesse der Branche“, wie Prof. Dr. Gerd Aberle in Ausgabe 5/ 12 von „Internationales Verkehrswesen“ formulierte. Aberle spricht ebenfalls ein weiteres Problem an: eine ungünstige öfentliche Einschätzung der Branche sowie Negativberichte in den Medien und Negativdarstellungen des Speditionsgewerbes in Krimis. Dagegen steht, dass 2011 in Deutschland ein Rekordjahr der Logistik war. Der Umsatz stieg nach BVL- Angaben auf 222- Mrd.- EUR, plus 5,5 Prozent gegenüber 2010. Für 2012 erwartet die Arbeitsgruppe für Supply Chain Services, die das statistische Basiswerk für den Wirtschaftsbereich Logistik erstellt, ein Umsatzwachstum von minus 1 bis plus 2 Prozent. Die Zahl der Arbeitsplätze, die in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen ist, soll laut BVL von gut 2,8- Millionen in 2011 nochmals um rund 50 000 steigen. Etwa ein Drittel der Ausbildungsplätze in Verkehr, Logistik, Schutz und Sicherheit waren laut Bundesagentur für Arbeit (BA) zum Ausbildungsbeginn 1.- August- 2012 noch ofen. Das entsprach 10 313 ofenen Lehrstellen. Allein in der Lehrstellenbörse der Industrie- und Handelskammern (IHK) gab es noch rund 960 Stellenangebote im Transport- und Logistiksegment, wobei die kaufmännischen Berufe nach Angaben der BA am besten zu besetzen sind. Große Logistiker hätten zudem keine Probleme, Auszubildende zu inden, und zum Teil die Zahl ihrer Lehrstellen aufgestockt. Als Ursache für die unbesetzten Plätze gibt die BA schrumpfende Schülerzahlen an. Verkehrsträgerspeziische Besonderheiten Auch IT-Spezialisten und Ingenieure sind erforderlich, um die Unternehmen der Branche am Laufen zu halten. Noch mehr Ingenieure brauchen die Zulieferer und Fahrzeughersteller - ob LKW, Bus, Bahn, Schif oder Flugzeug. Ebenso sind die Infrastrukturbauer und -instandhalter auf Ingenieure diverser Sparten angewiesen. Entsprechend laut tönen die Klagen des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), des Verbands Deutscher Ingenieure (VDI) und von berufsspeziischen Ingenieurverbänden wie dem Verband Deutscher Eisenbahn-Ingenieure (VDEI). Fachkräftelücken von mehr als 100 000 Ingenieuren werden angeführt - und von anderer Stelle wieder in Frage gestellt. Und nicht nur das: Andere sprechen von lautem Geschrei, um aus noch mehr Bewerbern nur die allerbesten auswählen und zudem das Gehaltsniveau drücken zu können. Grundsätzlich gilt, dass Statistiken wie so oft Interpretationssache sind. Schon die Fragen, aus welchen Bereichen die ofenen Stellen einbezogen oder welche Faktoren für die tatsächliche Berechnung der Zahl ofener Stellen zugrunde gelegt werden, lassen Spielraum. Hinzu kommen 20 000 arbeitslose Ingenieure und eine Gehaltsentwicklung, die nicht für eine Knappheit spricht: Laut Untersuchung der Personalberatung Kienbaum bekamen Ingenieure im Jahr-2011 2,9 % mehr Geld als 2010 - das VDV-Zahlen Die mehr als 350 deutschen Personenverkehrsbetreiber im Verband deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) beschäftigen 130 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im ÖPNV und weitere 106 000 im SPNV. Davon sind laut VDV im ÖPNV fast 60 000 Arbeitnehmer in der Personenbeförderung mit Bus und Bahn tätig, rund 33 000 sorgen für die tägliche Instandhaltung von Bussen, Bahnen und der dazugehörigen Infrastruktur (Gleise, Schienen, Fahrleitungen, Betriebshöfe usw.). Mehr als 24 000 Menschen arbeiten in Kundenbetreuung, Marketing und kaufmännischen sowie betrieblichen Managementfunktionen. Etwa 4100 Auszubildende sind gemeldet. Besonders Busfahrer - erfahrene ebenso wie Ausbildungsanwärter - sind schwer zu inden. Von 2009 bis 2015 will die Branche insgesamt 32 000 neue Mitarbeiter einstellen. Grund: 36 % der Beschäftigten sind älter als 50 Jahre und werden in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen. Der Frauenanteil in den Unternehmen soll ebenfalls steigen, in Führungspositionen beispielsweise von derzeit 5 auf 11 %. ÖPNV UND SPNV POLITIK Fachkräftemangel Internationales Verkehrswesen (64) 6 | 2012 18 Ergebnis eines Boomjahrs. Darüber hinaus führt Karl Brenke, Referent des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), in einer Studie aus, dass es auch im Maschinenbau keinen Grund zur Sorge gebe. Pro Jahr würden in der Wirtschaft nur 9000 Stellen für Maschinenbauer frei, während die Universitäten 22 000 Absolventen ausspuckten. Sicher ist aber, dass die Bahnindustrie schwerer Ingenieure indet als Flugzeug- und PKW-Bauer. Auch sie hat ein angestaubtes Imageproblem. Dabei sind gerade in diesem Bereich die Studienbedingungen sehr gut: wenige Studenten, viele Praxisprojekte mit der Industrie und meist schon vor Abschluss des (Master-) Studiums ein Arbeitsvertrag. Master deshalb, weil der Bachelor dem bisherigen Dipl.-Ing. hinterherhinkt (mehr Informationen zur Karriere in der Bahnbranche: www. eurailpress. de). Davon können andere Ingenieure nur träumen. Viele führt der Weg nach dem Studium in projektbezogene Zeitverträge oder in Zeitarbeitsirmen mit entsprechender Bezahlung. - Und das, nachdem man sich durch die Studienzeit gebissen hat ohne aufzugeben. Studienabbrecher und Auszubildende, die die Prüfungen nicht schafen, sind ein weiteres Problem für die Nachwuchsrekrutierung - ebenso wie junge Menschen, denen Grundlagenkenntnisse in Grammatik, Rechnen oder Mathematik fehlen und die zunächst geschult werden müssen, um ihre Deizite ausgleichen zu können - nicht nur in Brückenkursen an Hochschulen, sondern auch in ausbildungswilligen Unternehmen. In der Schiffahrt wird vor allem ein Mangel an Nachwuchs in nautischen Berufen gemeldet, also jenen, die zur See fahren. Schon heute könnten nicht alle ofenen Stellen besetzt werden, die Negativschlagzeilen etwa über Piratenangrife täten ihr Übriges, so der Verband Deutscher Reeder (VDR). Dabei macht der Handelsschiffahrt besonders die Altersstruktur der derzeitigen Seeleute Sorgen. Anders die Luftfahrtindustrie. Einerseits sind die Ingenieursstellen im Flugzeugbau etwa bei Airbus oder Lufthansa Technik, aber auch bei den diversen Zulieferern, äußerst begehrt. Andererseits fährt die größte deutsche Fluggesellschaft derzeit ein strenges Sparprogramm, das auch den Personalstand betrift. Ende September hatte Lufthansa-Konzernchef Christoph Franz angekündigt, sein Unternehmen werde noch schärfer sparen als bislang vorgesehen. Die Fortschritte des Sparprogramms „Score“, mit dem der Gewinn des Unternehmens bis 2014 um 1,5-Mrd. Euro gesteigert werden soll und das Einsparungen von rund einem Viertel der bisherigen Personalkosten vorsieht, würden in diesem Jahr nicht wie gewünscht „ergebnisverbessernd sichtbar“. Dabei hat das Unternehmen im 3.- Quartal einen Gewinnsprung verzeichnet. Im Mai hatte der Konzern bereits angekündigt, in den nächsten Jahren allein in Deutschland 2500 Verwaltungsjobs einsparen zu wollen - weltweit werden 3500 der knapp 17 000 Stellen in diesem Bereich wegfallen. Insgesamt beschäftigt Lufthansa rund 120 000 Mitarbeiter. Abhilfe Die demograische Entwicklung in Deutschland wird immer wieder angeführt, um einen drohenden Fachkräftemangel plausibel darzustellen. Wie will die Verkehrsbranche Abhilfe schafen? Vor allem durch Versuche, ihr Image in den verschiedenen Sparten etwa auf Messen und durch Informationskampagnen aufzupolieren. Initiativen wie sie kürzlich auf der IAA, der Innotrans und der SMM zu erleben waren oder auf der „transport logistic“ in München üblich sind, sind entsprechende Beispiele. Zudem gibt es diverse Aktionen, die speziell junge Frauen ansprechen sollen, sich für die Berufe der Verkehrsbranche und auch für Ingenieurstudiengänge der so genannten Mint-Fächer (Mint = Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) zu interessieren (weitere Informationen: http: / / www. eurailpress.de/ jobs-karriere/ bahnbranchedaten-fakten-frauen.html). Es arbeiten bisher deutlich weniger Frauen als Männer in Logistikunternehmen. In Führungsjobs und Positionen des mittleren Managements liegt der Frauenanteil noch niedriger als bei der Gesamtbelegschaft. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Fokusgruppenbefragung der Bundesvereinigung Logistik (BVL) unter ausgewählten Unternehmen. Immerhin nehme die Zahl der jungen Akademikerinnen, die sich für ein Logistikstudium entscheiden, zu. Der akademische Nachwuchs - ob Ingenieure, BWLer, männlich oder weiblich - wird jedoch nicht allein weder den aktuell stark steigenden Bedarf noch den langfristigen Bedarf an Fachkräften in der Logistik decken können. Zudem machen die Dynamik und die kontinuierlichen Veränderungen im Tätigkeitsfeld lebenslanges Lernen und berufsbegleitende Weiterbildungen notwendig, nicht nur in der Logistik. ■ Wenige Übernahmezusagen Im letzten Jahr der Ausbildung haben mehr als die Hälfte der Auszubildenden noch keine Übernahmezusage. Zu diesem Ergebnis kommt eine Ende Juni 2012 veröfentlichte Befragung der DGB-Jugend unter Auszubildenden in sechs Bundesländern im letzten Ausbildungsjahr. Danach gaben nur 43 Prozent der Befragten an, dass sie bereits eine sichere Perspektive im Betrieb über die Ausbildungszeit hinaus haben. 25 % wissen, dass sie nicht übernommen werden. Die, die einen Anschlussvertrag erhalten, werden oft nur zeitlich befristet übernommen (59 % der Azubis mit Übernahmezusage). AUSZUBILDENDE Mehr Mitarbeiter, mehr Frauen Bis Ende 2012 will die Deutsche-Bahn-AG mehr als 300 000 Mitarbeiter beschäftigen. Das gab Ulrich Weber, Personalvorstand des Konzerns, im Oktober bekannt. Ende September seien 299 400 Arbeitnehmer bei der DB AG tätig gewesen, davon 104 100 im Ausland. In den ersten neun Monaten wuchs die Belegschaft unterm Strich um 2200 Menschen. Weber will im Konzern die Vielfalt an Arbeitszeitmodellen erhöhen, damit die Beschäftigten bei steigenden Anforderungen Beruf und Privatleben in den jeweiligen Lebensphasen besser in Einklang bringen könnten. Der Anteil von Frauen im gesamten Unternehmen soll bis 2015 von derzeit 21 auf 25 % wachsen, der Anteil weiblicher Führungskräfte von derzeit knapp 16 auf 20 %. Dazu hat die DB AG mehrere Aktionen gestartet. Eine ausdrückliche Frauenförderung soll es allerdings nicht geben, so Ute Plambeck, Konzernbevollmächtigte für die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein bei DB-Mobility-Networks-Logistics. Aktuell sind bei der DB in Deutschland (ohne Schenker Logistik und Busgesellschaften) mehr als 33 000 Frauen beschäftigt. DEUTSCHE BAHN Kerstin Zapp (zp) freie Fachjournalistin Redaktionsteam „Internationales Verkehrswesen“, DVV Media Group GmbH, Hamburg kerstin.zapp@dvvmedia.com
