eJournals Internationales Verkehrswesen 64/6

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0138
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2012
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Versprochen ist versprochen?

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Werner Balsen
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Internationales Verkehrswesen (64) 6 | 2012 23 Versprochen ist versprochen? E uropäische Union - das ist für die meisten Brüssel. Sie sprechen entweder polemisch von unsäglichen Brüsseler Bürokraten oder wohlwollend von verdienstvollen Brüsseler Institutionen. In der Regel machen sich weder Skeptiker noch Befürworter klar, dass ihre jeweilige Regierung eine ganze Menge mit der EU zu tun hat - dass Berlin, Paris oder etwa Kopenhagen sehr viel stärker „EU sind“ als allgemein angenommen. Der Krümmungsgrad der Gurke etwa, den auch deutsche Politiker immer wieder gerne beifallheischend als Beleg für die Monstrosität der Brüsseler Bürokratie anführen, wurde auf maßgeblichen Druck der deutschen Regierung festgelegt, der die Handelskonzerne im Nacken saßen. Wie stark die nationalen Regierungen „EU sind“, zeigt sich derzeit bei einem verkehrspolitischen Thema, dem einheitlichen europäischen Luftraum (SES). Er sollte am Himmel logisches Pendant des einheitlichen europäischen Verkehrsmarkts am Boden werden. Am 4. Dezember 2012 sollten mehr als 30 nationale Flugsicherungen zu neun Funktionalen Luftraumblöcken (FAB) zusammengefasst sein. Dazu hatten sich die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten verplichtet. Erfüllt haben sie ihre Plicht bislang nicht. EU-Kommission, Europäisches Parlament und mit beiden die europäische Luftfahrtbranche müssen zähneknirschend zusehen, wie die meisten Regierungen ihren Beitrag zum SES einfach nicht liefern. So ändert sich am europäischen Himmel vorerst nichts. Es bleibt dabei, dass Piloten auf einem Flug von Wien nach Mailand - Entfernung: rund 400 km, Flugdauer: rund 40 min - mit drei verschiedenen Bodenkontrollen klarkommen müssen: Austrocontrol, Tirolcontrol, bei der die Schweiz und Italien bestimmen, und schließlich Italcontrol. Drei der 38 Flugsicherungsorganisationen, die über einen in 650 Sektoren aufgeteilten Luftraum für Ordnung und Sicherheit sorgen. Deren Überwachung muss sich oft den nationalen Grenzen anpassen, und dadurch zwingen sie die Fluggesellschaften immer wieder zum Zickzack-Kurs. Geradlinige Verbindungen zwischen Ablug- und Zielorten in Europa gibt es deshalb nur in den Bordmagazinen. Das ist ineizient und teuer. Die EU-Kommission und der Verband der Europäischen Airlines (AEA) bezifern die Kosten dieser lächerlichen Fragmentierung auf 5- Mrd.- EUR pro Jahr. Da ihrer Schät- Werner Balsen EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Logistik-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON WERNER BALSEN zung zufolge der Aufwand der Fluggesellschaften für die Luftraumüberwachung zwischen 6 und 12 % der Tarife ausmachen, zahlen Passagiere und Frachtkunden die Zeche. AEA geht von „Hunderten von Stunden“ Verspätungen aufgrund der ineizienten Luftraumüberwachung aus. Zickzack- und Umweglüge verlängern jeden Flug um durchschnittlich 42 km und sorgen für einen überlüssigen CO 2 - Ausstoß von 16- Mio.- t, immerhin 12 % des Ausstoßes aller europäischen Luftfahrtgesellschaften. Kerosin im Wert von 3,7- Mrd.- EUR wird dadurch vergeudet. Diese Zahlen machen die Untätigkeit der Mitgliedstaaten nicht gerade verständlich. Vor zehn Jahren wollte die Kommission ganz Europa zu einem einheitlichen Luftblock zusammenfassen, der zentral gesteuert wird. Ähnlich wie in den USA, wo eine Flugsicherungsorganisation den Luftraum zwischen Boston und Los Angeles überwacht. Auf Druck der nationalen Regierungen, die ihre eigene Luftraumüberwachung nicht aus der Hand geben wollten, wurde lediglich ein Kompromiss vereinbart: Der Himmel über Europa wurde unter Beteiligung einiger benachbarter Nicht-EU-Staaten in die erwähnten neun FAB aufgeteilt. Vier Wochen vor Ablauf der Frist ist kein einziger funktionstüchtig. Der wichtigste ist der sogenannte Fabec, dem Belgien, Frankreich, Deutschland, Luxemburg, die Niederlande und die Schweiz angehören. 55 % des EU-Luftverkehrs indet dort statt. Hier geht es nicht voran, weil Berlin und Paris sich über den Status der zentralisierten Luftüberwachung streiten: staatlich oder privat. Beide Staaten stehen unter dem Druck der Beschäftigten in den nationalen Luftkontroll-Unternehmen, die um ihre Besitzstände fürchten, wenn Kompetenzen zusammengelegt werden. Ähnlich sieht es in den meisten anderen FAB aus. Die Mitgliedstaaten zeigen den anderen Institutionen, wie sehr sie „EU sind“. Die EU-Kommission sollte nicht zögern, gegen die verantwortlichen Regierungen, die ihre eigenen Beschlüsse nicht umsetzen, Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. Das ist die einzige wirksame Sanktion, die sie in der Hand hat. Sie hat bereits einen strengeren Gesetzentwurf für das Frühjahr 2013 angekündigt. Der soll ihr durch Verschärfung der bestehenden Gesetze kräftigere juristische Mittel an die Hand geben, um gegen säumige Mitgliedstaaten vorzugehen. Nicht nur das Europäische Parlament, auch die Mitgliedstaaten müssen dem Gesetzentwurf zustimmen. Und die werden dann wieder zeigen können, wie sehr sie „EU sind“. ■ »Die EU-Mitgliedstaaten blockieren den einheitlichen Luftraum.«