eJournals Internationales Verkehrswesen 64/6

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0146
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Bezahlbare E-Mobilität

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Achim Kampker
Die Veränderung und Weiterentwicklung der Mobilität gehört zu den zentralen Bestandteilen unserer modernen Welt. Keiner weiß, wie wir uns in 50 Jahren fortbewegen werden. Sicher ist nur, dass wir dies anders tun werden. Damit eine positive Zukunft stattinden kann, müssen wir Szenarien ersinnen und diese erforschen, aber auch erleben, testen und umsetzen.
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MOBILITÄT Szenarien Internationales Verkehrswesen (64) 6 | 2012 47 Bezahlbare E-Mobilität Die Veränderung und Weiterentwicklung der Mobilität gehört zu den zentralen Bestandteilen unserer modernen Welt. Keiner weiß, wie wir uns in 50 Jahren fortbewegen werden. Sicher ist nur, dass wir dies anders tun werden. Damit eine positive Zukunft stattinden kann, müssen wir Szenarien ersinnen und diese erforschen, aber auch erleben, testen und umsetzen. D ie Zukunft der Mobilität wird den Lebensalltag aller Menschen entscheidend prägen. Zwei Kernfragen spielen dabei eine zentrale Rolle: Bleibt die individuelle Mobilität für die breite Masse erschwinglich und gelingt es, nachhaltige Lösungen massenmarkttauglich zu machen? Sicher ist: Ohne wesentliche Kosteninnovationen ist das Konzept der individuellen Mobilität ein Auslaufmodell. Autos von morgen müssen nicht nur attraktiv für Kunden sein, sondern auch für breite Käuferschichten bezahlbar bleiben und die immer strikteren gesetzlichen Aulagen erfüllen. Nur wenn dies gelingt, wird das Auto auch in Zukunft das weltweit bevorzugte Fortbewegungsmittel bleiben. Die Durchschnittsgeschwindigkeit für Autos in Städten, die oft infrastrukturell ungenügend ausgestattetet sind, wird zukünftig unter zehn Stundenkilometern liegen, bei einer Autonutzungsdauer von etwa drei Stunden pro Tag! Und das, obwohl im urbanen Verkehr 60 % der Wege kürzer sind als 5 km. Die sich daraus ergebenden Stre- Abb. 1: Stadtfahrzeug als Ergänzung zu den bisherigen Fahrzeugklassen ckenproile unter 150 km sind zumeist für den eizienten Einsatz von Verbrennungsmotoren nur bedingt geeignet und durch hohe Energieverbräuche gekennzeichnet. Gerade bei diesen Proilen kommt die Stärke des E-Antriebs zum Tragen. Trotz geringer km-Leistungen liegt ein hoher Energieverbrauch vor und damit sind die laufenden Kosten von E-Fahrzeugen deutlich geringer. Auf diese Herausforderung wird die E-Mobilität ein Teil einer positiven Antwort sein. Allerdings müssen hierfür neue Wege und intelligente Ansätze verfolgt werden. Tatsache ist, dass E-Fahrzeuge heute teurer als konventionelle Fahrzeuge sind und weniger Reichweite besitzen. Aber wer will oder kann „mehr Geld für weniger Leistung“ ausgeben? Befragungen zeigen, dass die Menschen kaum mehr für Elektrofahrzeuge ausgeben möchten als für herkömmliche Fahrzeuge. Die Lösung dieser Herausforderung liegt zum einen in den Gesamtkosten von E-Fahrzeugen, den sogenannten Total Cost of Ownership, denn die laufenden Kosten sind deutlich geringer als bei vergleichbaren konventionellen Autos. Zum anderen liegt die Lösung in E-Fahrzeugen, die genau auf einen Anwendungszweck ausgerichtet sind - das sog. „Purpose Design“ - und damit an keiner Stelle zu viel oder zu wenig Auto für den Kunden bedeuten. Das Netzwerk rund um die StreetScooter GmbH hat sich den beschriebenen Herausforderungen gestellt. Über 80 Industrieunternehmen sind Partner im Verbund und treiben Ideen rund um das E-Fahrzeug voran. Im Gesamtergebnis entstehen wirtschaftlich wettbewerbsfähige, nachhaltige Mobilitätslösungen. Das Ziel: jenseits etablierter Prozesse und Methoden ein kostengünstiges Elektroauto entwickeln und die Produzierbarkeit nachweisen. Hierfür haben sich Automobilzulieferer aus den Kompetenzbereichen Karosserie, Thermomanagement, Antriebsstrang, Batterieentwicklung, Bordnetz und Herstellung zum StreetScooter-Konsortium zusammengeschlossen. Dieser „Grüne-Wiese“-Ansatz bietet Freiräume für eine hochagile Zusammenarbeit, in der Produkt- und Prozessinnovationen gleichzeitig und gleichberechtigt entstehen. Für die Entwicklung des E-Mobils „Concept Zeitgeist“ werden auch organisatorische Innovationen in Struktur und Ablauf unter der Überschrift „Disruptive Network Approach“ verfolgt. Dieser Ansatz zeichnet sich aus durch lache Strukturen und kurze Wege. Alle Partner liefern auf Augenhöhe untereinander Ideen und Lösungen, sodass die Innovationsausbeute in der Wertschöpfungskette überdurchschnittlich groß ausfällt. Man konzentriert sich auf den Bedarf bestimmter Segmente im Mobilitätsangebot. Übergeordnet wird die Klasse der „Short Distance Vehicle“ gebildet. Allen Derivaten liegt also die Annahme zugrunde, dass Streckenproile unter 150 km am Tag und Fahrzeug vorhanden sind. Für die Strecken, die eine höhere Streckenleistung beinhalten, müssen andere Fahrzeugen genutzt werden. Der StreetScooter ist nicht als Konkurrenz gegenüber Fahrzeugen derzeitiger Automobilhersteller zu verstehen, sondern vielmehr als eiziente Ergänzung. Er wird Der Autor: Achim Kampker MOBILITÄT Szenarien Internationales Verkehrswesen (64) 6 | 2012 48 vorerst nicht zum Kauf für Privatkunden angeboten, sondern über Carsharing-Unternehmen oder andere Flottenbetreiber dem Markt zur Verfügung gestellt. Gewerbliche Flotten haben bei der Verbreitung von E-Mobilität eine Schlüsselrolle, weil sie gleich große Stückzahlen ordern. Laut Marktforschungsinstitut Polk haben Flotten mit 57 % (in 2010) zudem den größeren Anteil an Neuzulassungen. Das Fahrzeug „StreetScooter“ wird daher nicht als „Einzelstück“, sondern gleich in größeren Stückzahlen vermarktet - on demand und an gewerbliche Flottenbetreiber. Als Dienstwagen, Auslieferungsfahrzeuge oder als Mietwagen für eine Carsharing-Flotte. Stückzahlen für interessierte Flottenbetreiber sind bereits ab 100-Fahrzeugen möglich. Daher konzentriert man sich bei StreetScooter auf die „Total Cost of Ownership“, sprich: die Gesamtausgaben für die Fahrzeuge bzw. die benötigte Mobilität. Neben den technischen Aspekten des Fahrzeugs werden Schadensanalysen und reale Fahrzyklen für bestimmte Kundengruppen zugrunde gelegt und so die Service- und Reparaturkosten für die Fahrzeuglotte minimiert, in dem z. B. an bestimmten Stellen leicht austauschbare, günstige Teile eingesetzt werden, die im Falle leichter Schäden am Fahrzeug schnell und günstig zu ersetzen sind. Weiterhin werden verschiedene Partner und Experten für eine speziische Innenraumgestaltung - z. B. für den Transport spezieller Werkzeuge - eingebunden. Ein erstes, aber bedeutendes Beispiel für diesen Ansatz ist ein Projekt zwischen der Deutschen Post DHL und StreetScooter. Hier wird gemeinsam ein Konzept für ein Elektroauto speziell für die Brief- und Paketzustellung entwickelt. Diese Produktentwicklung erfolgt in enger Zusammenarbeit mit dem Kunden, was bislang noch einzigartig ist. Somit kann das Fahrzeug direkt entsprechend kundenspeziischer Wünsche und Anforderungen konzipiert werden. Das spezielle Ziel der Kooperation ist es, ein vollkommen neues Zustellfahrzeug zu schafen, das die besonderen Anforderungen der Deutschen Post hinsichtlich Alltagstauglichkeit im Betrieb und Wirtschaftlichkeit erfüllt und zudem vollständig emissionsfrei unterwegs ist. Auf Basis der bereits bestehenden Plattform wird bis zum Herbst- 2012 ein fahrbereiter Prototyp entstehen. Umweltschutz ist ein erklärtes Ziel der Deutschen Post DHL. Als Betreiber einer der größten Fahrzeuglotten in Deutschland besteht besonderes Interesse, emissionsfreie und dabei wirtschaftliche Fahrzeuge einzusetzen, die auch den harten Belastungen des Postalltags gewachsen sind. Das neu zu entwickelnde Elektrofahrzeug für die Brief- und Paketzustellung der Deutschen Post muss bis zu 200- Stopps und Anfahrvorgänge bewältigen und bis zu 300- Tage im Jahr im Einsatz sein. Das Fahrzeug muss genügend Ladevolumen für die Briefe und Pakete haben und außerdem über eine robuste Ausstattung verfügen, die allen Sicherheitsanforderungen entspricht. Die aktuell auf dem Markt vorhandenen Elektrofahrzeuge erfüllen diese Anforderungen nur zum Teil und sind in der Produktion noch nicht wirtschaftlich. Das speziell für die Deutsche Post konzipierte Fahrzeug muss keine hohen Geschwindigkeiten fahren und ist speziell für Kurzstrecken konzipiert. Somit liegt ein Beispiel vor, wie „Purpose Design“ zu wirtschaftlichen und nachhaltigen Lösungen führen kann. Dies soll nun schrittweise auf andere Flottenbetreiber übertragen werden. Dieses Beispiel beweist, dass für jeden beliebigen Flottenbetreiber ein individuelles Elektrofahrzeug auf Basis des Street- Scooter entwickelt werden kann. Außerdem verspricht eine integrierte Produkt- und Prozessentwicklung eine optimale, kostengünstige Produktion der Fahrzeuge, da bereits in der Entwicklungsphase unnötige Kostentreiber der Produktion identiiziert und weitestgehend vermieden werden. Dies wird durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Produktentwicklern und Fachleuten für die Fahrzeugproduktion erzielt. Für eine gesamthaft attraktive Lösung braucht es aber nicht nur ein Elektrofahrzeug, das von Null neu konstruiert werden muss, sondern eines, das von Anfang an mit der Infrastruktur verbunden ist und sich in ganzheitliche Mobilitätskonzepte einbindet. Deshalb beinhaltet das Konzept weitere Leistungen und Angebote rund um die Mobilität von morgen. So ist der StreetScooter durch ein weitreichendes Serviceangebot der Hess-Gruppe (mit Werkstätten, Autoteilen etc.) sehr gut für den laufenden Betrieb gerüstet. Zudem wird der Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge zusammen mit den Stadtwerken Aachen (STAWAG) vorangetrieben. ■ Achim Kampker, Prof. Dr.-Ing. Lehrstuhl für Produktionsmanagement der RWTH Aachen und Geschäftsführer der StreetScooter GmbH A.Kampker@wzl.rwth-aachen.de Abb. 2: Speziische E-Fahrzeugfunktionen umfassen sowohl die ferngesteuerte Ladekontrolle und das Auladen des Akkus als auch die Steuerung der thermischen Vorbereitung von Akku und Innenraum per Fernbedienung. Abb. 3: Auch der Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge ist Teil eines ganzheitlichen Mobilitätskonzepts.