eJournals Internationales Verkehrswesen 64/6

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0148
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Der Lkw auf der Datenautobahn

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Ralf Kalmar
Jens Knodel
Die Vernetzung mit der IT-Infrastruktur macht künftig auch Fahrzeuge künftig zu einem Teil des Internets. Innovative Systeme integrieren Fahrzeuge in Arbeits- und Geschäftsprozesse der Unternehmen. Auch untereinander werden Fahrzeuge immer stärker vernetzt sein. Entscheidende Grundlagen hierfür liefert der Fraunhofer-Innovationscluster „Digitale Nutzfahrzeugtechnologie“.
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Internationales Verkehrswesen (64) 6 | 2012 52 Der Lkw auf der Datenautobahn Die Vernetzung mit der IT-Infrastruktur macht künftig auch Fahrzeuge künftig zu einem Teil des Internets. Innovative Systeme integrieren Fahrzeuge in Arbeits- und Geschäftsprozesse der Unternehmen. Auch untereinander werden Fahrzeuge immer stärker vernetzt sein. Entscheidende Grundlagen hierfür liefert der Fraunhofer-Innovationscluster „Digitale Nutzfahrzeugtechnologie“. I n den vergangenen Jahren ist Software zu einem der wichtigsten Faktoren für Produktivitätssteigerungen in der Wirtschaft geworden. Zum einen werden komplexe Abläufe mit Fahrzeugbezug in Geschäftsprozessen automatisiert und durch die Verfügbarkeit von Informationen und Daten in Echtzeit optimiert. Zum anderen haben Software und Elektronik die Steuerung und Qualität der Fahrzeuge selbst verbessert, so dass ohne Zutun der Software Innovationen kaum noch möglich sind. Zukünftige Funktionen setzen diesen Trend fort und vernetzen die Fahrzeuge immer stärker mit der digitalen Welt der Daten und Dienste. Der Lkw wird also zu einem Knoten im Netz, der sowohl Erzeuger als auch Nutzer von Daten ist, d. h. innovative Dienste interagieren dynamisch mit den Fahrzeugen und beobachten, steuern und optimieren den Verkehr. Für einzelne Systeme lassen sich die Fragestellungen bei der Erzeugung und Auswertung von Daten in Echtzeit noch verhältnismäßig leicht lösen. Aber bereits bei einem unternehmensübergreifenden Logistikszenario, wie im Forschungsprojekt ADiWa (Allianz digitaler Warenluss [1]) behandelt, zeigen sich vielfältige Herausforderungen: Notwendige Informationen werden nicht bereitgestellt oder Datenschnittstellen sind überaus heterogen. Außerdem sind Prozesse derzeit eher reaktiv ausgelegt, ohne die vorhandenen Echtzeit-Informationen für proaktives Handeln zu nutzen. Durch eine Integration unterschiedlicher Technologiebausteine konnte bei ADiWA gezeigt werden, dass hohes Nutzenpotenzial besteht. Das Logistikszenario greift allerdings nur auf wenige Fahrzeugfunktionen zu. Dies ändert sich, sobald Fahrzeuge Teil des „Internets der Dinge“ werden. Software übernimmt die wesentliche Rolle bei der Realisierung dieser Zukunftsvision. Physische Objekte (sprich: Fahrzeuge, Verkehrsinfrastruktur, etc.) und digitale Dienste werden zu Teilnehmern in einem „Software-Ökosystem“, das die unterschiedlichen Systeme, Dienste, Prozesse und Objekte zu einem Ganzen integriert und sich bei Änderungen dynamisch an neue Situa- Die Autoren: Ralf Kalmar, Jens Knodel Abb. 1: Vorreiter in der Vernetzung zwischen Fahrzeugen und IT-Infrastrukturen ist die Logistik. Doch dies ist erst der Anfang. TECHNOLOGIE Vernetzung Internationales Verkehrswesen (64) 6 | 2012 53 tionen anpasst (vgl. Abbildung- 2). Der Lkw fährt auf der Datenautobahn und wird Teil des Ökosystems. Der Fraunhofer-Innovationscluster „Digitale Nutzfahrzeugtechnologie“ [2], ein durch das Land Rheinland-Pfalz, den europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) und die Fraunhofer-Gesellschaft gefördertes Vorhaben, beschäftigt sich seit 2010 mit Herausforderungen der Integration von Fahrzeugen mit der IT-Infrastruktur: • Methoden zur Konstruktion von Systemen für das Ökosystem, die eine Zusammenarbeit mit anderen Systemen im Ökosystem ermöglichen und dabei einerseits ofen, andererseits aber auch sicher und zuverlässig sind; • Technologien zur Beherrschung der Komplexität bei der Entwicklung und zur Qualitätssicherung des eigenen Systems innerhalb des Ökosystems. Lösungsansätze werden im Rahmen von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten im Fraunhofer-Innovationscluster vorangetrieben. Dabei arbeiten die Clusterpartner vorwettbewerblich zusammen, setzen darauf aubauend aber auch einzelne Lösungsschritte bilateral mit Forschern und Dienstleistern um. Darüber müssen tragfähige Geschäftsmodelle gefunden werden, die auch über Wertschöpfungsketten und Systemgrenzen hinweg funktionieren und damit zur Antriebsfeder des Software-Ökosystems werden. Konstruktion ofener Systeme Die wichtigste Entscheidung bei der Konstruktion von Systemen, die innerhalb eines Ökosystems operieren, ist die Frage über den Grad der Öfnung. Welche Daten und welche Funktionen dürfen wann, wie und auf welche Weise von anderen Teilnehmern des Ökosystems genutzt werden. Zudem muss über die Mechanismen zur Öfnung des Systems und den Zeitpunkt der Einbindung von Erweiterungen (statisch während der Entwicklung oder dynamisch zur Laufzeit) bestimmt werden. Je intelligenter das Ökosystem gestaltet ist, desto dynamischer muss jedes einzelne System auf Änderungen in seinem Kontext reagieren. Im einfachen Fall sind dies Änderungen von Datenwerten, die nur lokale Auswirkungen auf ein System haben (z. B. die Berechnung einer Ankunftszeit). Dynamische Anpassungen zur Laufzeit können jedoch auch Auswirkungen auf das gesamte Ökosystems verursachen (z. B. die Verfügbarkeit von Diensten) und damit Beeinträchtigungen von anderen Systemen zur Folge haben (Zeitverhalten, Dienstqualität). Solche Änderungen können bei komplexen Software-Ökosystemen nicht mehr zur Entwicklungszeit vorhergesehen werden; insbesondere Permutationen und Wechselwirkungen einzelner Änderungen machen dies praktisch unmöglich. Daher müssen die Systeme sich selbst zur Laufzeit adaptieren. Zu den größten Herausforderungen zählt dabei, die Rückwirkungen einer Adaption auf die Integrität, Sicherheit und Zuverlässigkeit des Gesamtsystems zu bestimmen und ggf. korrigierend einzugreifen. In der Forschung werden dazu derzeit Methoden zu modularen und bedingten Nachweisen für die Funktionssicherheit (Safety) untersucht [3]. Ebenso wie die Systeme selbst setzen sich die Nachweise zur Qualitätssicherung auch dynamisch aus einzelnen Teilen zusammen. Der Nachweis der Funktionssicherheit wird also zur Laufzeit erbracht, und zwar jeweils für das konkrete Zusammenspiel der einzelnen Funktionen im Ökosystem. In einem Internet der Dinge müssen Fahrzeuge zusätzlich gegen böswillige Angrife abgesichert werden (Security). Dies stellt gerade für Hersteller von Nutzfahrzeugen oft noch Neuland dar. Darüber hinaus stellen die Daten des Fahrzeugs wertvolle Informationen dar, die nicht für jeden einsehbar sein sollen. Bei der Vernetzung von Fahrzeugen geht es deshalb insbesondere auch darum, kritische Wechselwirkungen von Security und Safety zu unterbinden. Wer möchte schon, dass ein Hacker auf der Autobahnbrücke eine Vollbremsung des Fahrzeugs auslöst? Fraunhofer-Forscher arbeiten daran, die etablierten Verfahren des Safety-Engineerings mit den Methoden des Security-Engineering zu integrieren, um neben Bedrohungen für die Unversehrtheit der Systemnutzer auch böswillige Angriffe auf die Verfügbarkeit und Integrität des Systems durch konstruktive Maßnahmen zu vereiteln. Beherrschung der Komplexität Software-Ökosysteme sind ein komplexes Gebilde, bei dem klassische Entwicklungsmethoden an ihre Grenzen stoßen werden. Das Zusammenspiel vieler Teilnehmer, die ständige Weiterentwicklung von einzelnen Systemen, die Einbindung neuer sowie der Wegfall bestehender Systeme innerhalb des Ökosystems verhindern, das Ökosystem als Ganzes zu erfassen, geschweige denn zu beherrschen. Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma folgt dem Paradigma „Teilen und Herrschen“. Der Architektur kommen dabei zentrale Aufgaben zu: die Deinition von modularen Systemkomponenten, die Festlegung von Schnittstellen, die Regelung des Verhaltens sowie die Zusicherung der Abb. 2: Verschiedene Ebenen in einem Software-Ökosystem TECHNOLOGIE Vernetzung Qualitätseigenschaften im Zusammenspiel mit anderen, während der Entwicklung oft noch unbekannten Komponenten in verschiedenen Versionen und Varianten. Nur wenn Fahrzeuge als eigenständige Komponenten innerhalb des Ökosystems begrifen werden, kann der Erfolg letztendlich auch wirtschaftlich möglich sein. Die Modularisierung ermöglicht nicht nur die Reduktion von Komplexität, sie sorgt auch dafür, dass schnell auf Änderungen bei Anforderungen reagiert werden kann. Ähnliches gilt für die Qualitätssicherung: Nur wenn es gelingt, von zwei nachweislich sicheren Teilsystemen wiederum die Sicherheit des Gesamtsystems nachzuweisen, ohne dabei die Teilsysteme wiederholt zu prüfen, können abgesicherte Ökosysteme rund ums Fahrzeug entstehen. Der Aspekt der Integration von sicheren Teilsystemen wird in aktuellen Forschungsprojekten bearbeitet [4]. Der Lkw im Internet der Dinge In einem zukünftigen Internet der Dinge sind neben den Nutzfahrzeugen auch andere physische Objekte wie Ampeln, Parkplätze, Ladehöfe oder Transportkisten in smarten Umgebungen miteinander vernetzt. Die so entstandenen Ökosysteme ermöglichen die dynamische Optimierung der Arbeits- und Geschäftsprozesse nach unterschiedlichen Kriterien und befähigen regionale Unternehmen, ihre Erfahrungen und Kenntnisse im Anwendungsfeld gewinnbringend einzubringen - solche Systeme sichern damit die Zukunft in einer globalisierten Wirtschaft [5]. Der Lkw wird also zu einem Knoten im Netz, der Dienste nutzt, aber auch anbietet. Dies mag sich heute noch wie Science- Fiction anhören − um jedoch in zehn Jahren eigene Produkte in ein entsprechendes Software-Ökosystem einzubringen, müssen Unternehmen schon jetzt die Grundlagen schafen. Forschungsseitig werden die technologischen Herausforderungen seit einigen Jahren angegangen und es gibt vielversprechende Lösungsansätze, z. B. im Bereich der funktionalen Sicherheit. Spannend bleibt die Frage der Geschäftsmodelle: Wer in den Zukunftsszenarien das meiste Geld verdient, ist noch ofen - die etablierten Hersteller, Zulieferer oder Firmen wie Google, Apple oder IBM? Sicher ist nur: Die Fähigkeit einer Organisation, schnell auf neue Anforderungen zu reagieren, entscheidet über den Markterfolg. ■ LITERATUR [1] BERGER, WEBEL, u. a.: ADiWa: Luftfrachtlogistik im digitalen Zeitalter, Deine Bahn, Ausgabe 03/ 2012, S. 34f, BFV, Berlin. [2] Fraunhofer-Innovationscluster „Digitale Nutzfahrzeugtechnologie; Fahrzeug-Umwelt-Mensch-Interaktion“, www. nutzfahrzeugcluster.de (besucht: September 2012) [3] SCHNEIDER, D.; TRAPP, M.: A Safety Engineering Framework for Open Adaptive Systems, In Proceedings of the Fifth IEEE International Conference on Self-Adaptive and Self-Organizing Systems, Ann Arbor, Michigan, USA; October 3 - October 7, 2011. [4] SeSaM − Secure and Safe Microkernel Made in Germany: Förderprojekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, http: / / www.sysgo.com/ company/ about-sysgo/ rdprojects/ the-sesam-project/ (besucht September 2012) [5] PORTER, M. E.: „Unternehmen können von regionaler Vernetzung proitieren“, Harvard Business Manager 3/ 1999, S. 55. Ralf Kalmar Geschäftsfeldleiter Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE), Kaiserslautern ralf.kalmar@iese.fraunhofer.de Jens Knodel, Dr. Leiter Forschungsbereich „Vertically integrated Systems“, Fraunhofer- Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE), Kaiserslautern jens.knodel@iese.fraunhofer.de Handbuch Erdbauwerke der Bahnen Planung - Bemessung - Ausführung - Instandhaltung Handbuch Erdbauwerke der Bahnen informiert über die wesentlichen Zusammenhänge und Abhängigkeiten zwischen Oberbau, Unterbau und Untergrund unter den Einwirkungen aus dem System Fahrzeug-Fahrweg. Einbezogen wurden wesentliche Änderungen und Erweiterungen, wie vor allem die Einführung des Eurocode 7 (EC 7) mit dem neuen Teilsicherheitskonzept bei der Bemessung geotechnischer Bauwerke der Eisenbahn, die Weiterentwicklung der Richtlinie Ril 836 der DB AG, der neu entwickelte Nachweis der dynamischen Stabilität als Teil des Grenzzustandes der Gebrauchstauglichkeit, - Neuentwicklungen in der Bau- und Verfahrenstechnik, - Änderungen bei Begrifen, Deinitionen und Formelzeichen sowie neuentwickelte Berechnungsbeispiele nach EC 7. Dieses Handbuch ist ein praxisorientiertes Nachschlagewerk und eine Handlungsanleitung für ein instandhaltungsarmes Fundament des Fahrweges. ISBN: 978-3-7771-0430-0 Preis: EUR 68,00 ; 555 Seiten Zweite komplett überarbeitete und erweiterte Aulage Bestellen Sie Ihr Exemplar unter www.eurailpress.de/ HEB Hier inden Sie auch eine Leseprobe. 5114_anz_erp_hb_erdbauwerke_210x148.indd 1 19.11.2012 10: 53: 21