eJournals Internationales Verkehrswesen 64/6

Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
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Amsterdam mit neuem Betriebsleitsystem

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Volker Vorburg
Wegen unbefriedigender Pünktlichkeit und mangelhafter Qualität der Fahrgastinformation hat die niederländische GVB in Amsterdam mit einem modernen, leistungsfähigen Betriebsleitsystem eine neue Ära eingeläutet.
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TECHNOLOGIE Fahrgastinformation Internationales Verkehrswesen (64) 6 | 2012 58 Amsterdam mit neuem Betriebsleitsystem Wegen unbefriedigender Pünktlichkeit und mangelhafter Qualität der Fahrgastinformation hat die niederländische GVB in Amsterdam mit einem modernen, leistungsfähigen Betriebsleitsystem eine neue Ära eingeläutet. A ußer den knapp 800 000 Einwohnern bevölkern jährlich zehn Millionen Touristen die niederländische Metropole Amsterdam. Die GVB (Gemeente Vervoer Bedrijf ) in Amsterdam, das größte städtische Verkehrsunternehmen der Niederlande, befördert in diesem Ballungsraum mit fast 600 Fahrzeugen täglich fast 800 000 Fahrgäste. Das Streckennetz umfasst heute 42 Bus-, 16 Straßenbahn- und vier U-Bahnlinien sowie fünf Fährverbindungen. Die GVB bedient ein außerordentlich dicht besiedeltes Gebiet; nicht zuletzt darum heißt es für alle Fahrzeuge: Green Power. Der Strom für Straßen- und U-Bahnen stammt aus der Müllverbrennung. Und seit 2004 beteiligt sich das Verkehrsunternehmen an einem europäischen Projekt mit Brennstofzellen. Die Zellen nutzen Wasserstof als Energiequelle, den sie in elektrischen Strom umwandeln. Die Busse treibt dann ein Elektromotor an. Moderne Ausstattung Zu Beginn des neuen Jahrtausends stattete die GVB ihre Busse und Straßenbahnen mit neuen Bordrechnern aus, um mit einem modernen rechnergestützten Betriebsleitsystem (RBL) die Qualität der Dienstleistungen und Fahrgastinformationen zu steigern. Darüber hinaus erhielt die Berliner PSI Transcom GmbH im August-2002 nach einer Ausschreibung den Auftrag zur Realisierung des neuen Betriebsleitsystems auf der Basis ihrer Systemplattform PSItraic. Zum Auftragsumfang gehörten neben Standardfunktionen wie permanenter Verfolgung der Fahrzeugpositionen oder Anzeige dynamischer Fahrgastinformationen auch spezielle Lösungen wie die Integration vorhandener Infrastruktur, beispielsweise der Weichenstellung. Auch eine Vielzahl von Schnittstellen - etwa zum Analogfunk oder der Fahreranmeldung auf den Bordrechnern - sollten programmiert werden. Regularität entzerrt Die neuen Bordrechner hatten allerdings Probleme, die korrekte Fahrzeugposition zu ermitteln. Das gyroskopische Ortungsverfahren kombiniert mit GPS und Sensoren an den Rädern sowie ein häuig ausfallender Datenfunk führten teilweise zu Abweichungen von mehreren hundert Metern. Trotzdem nahm die GVB das neue ITCS (Intermodal Transport Control System) 2005 in Betrieb. Seither stiegen die Anforderungen der Gemeinde Amsterdam an die Pünktlichkeit und die Prognosequalität - die an den Haltestellen angezeigten Ankunftszeiten - stetig an. In Amsterdam gibt es ein Bonus-Malus-System, das die Verkehrsunternehmen zu Bußgeldzahlungen verplichtet, wenn sie Verkehre nicht bedienen oder eine bestimmte Pünktlichkeitsrate nicht erfüllen. Daher galt es, Pünktlichkeit und Informationen stetig anzupassen und zu verbessern. Zu diesen Verbesserungen tragen ausgeklügelte Funktionen wie die Steuerung der Regularität, also der Regelmäßigkeit, bei. Eine Straßenbahnlinie besteht aus einer bestimmten Anzahl von Haltestellen, die zehn oder 20 Fahrzeuge in einem bestimmten zeitlichen Takt bedienen. Gibt es eine Störung im Streckenverlauf, stauen sich die Bahnen. Können sie schließlich wei- Der Autor: Volker Vorburg Foto: Chris0693 Internationales Verkehrswesen (64) 6 | 2012 59 Abb. 1: Brennstofzellenbus (Foto: GVB) Abb. 2: Haltestellendisplays (Foto: PSI Transcom) terfahren, kommt ein ganzer Pulk an der Endhaltestelle an. Da es wenig sinnvoll ist, alle wieder gemeinsam auf die Rückfahrt zu schicken, gibt es im ITCS den Dienst „Regelmäßigkeit“, der den Verkehr entzerrt. Er zeigt den Fahrern an den Endhaltestellen auf dem sogenannten EndPointHouse ihre veränderten Abfahrtzeiten, so dass sie schließlich ungefähr in ihrem ursprünglichen zeitlichen Abstand fahren. Displays stets aktuell An der Centralstation, dem wichtigsten Verkehrsknoten Amsterdams, gibt es für die Straßenbahnen vier Spuren zu den Bahnsteigen, an denen immer jeweils zwei Bahnen halten können. Die Zufahrt zu diesen Tracks ist aber einspurig. Nun kann es passieren, dass die Linien- 1 und 5 in dieser Reihenfolge ankommen, fahrplanmäßig aber in umgekehrter Reihenfolge abfahren müssten. PSItraic bildet dann anhand der Positionsmeldungen eine Zufahrtsreihenfolge zu den Bahnsteigen, die eine fahrplanmäßige Abfahrt gewährleistet und steuert die Weichen und Anzeigedisplays entsprechend. Entstehen Störungen im Streckenverlauf, kann das ITCS eine Umleitung organisieren. Das sind in der Regel im Vorfeld deinierte Strecken, die das System automatisch schaltet. Der Dispatcher kann aber auch eine spontane freie Umleitung zwischen zwei Punkten aktivieren. In jedem Fall aktualisiert das System den Streckenverlauf, berechnet die neuen Abfahrtzeiten, korrigiert die Weichenstellungen und zeigt alle Änderungen im gesamten Streckenverlauf in den Displays der Haltestellen an. Positionstelegramme Inzwischen besteht eine konstante partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen GVB und PSI Transcom. Erst im vergangenen Jahr wurden die Anforderungen wieder erhöht. Die Positionsmeldungen, die auf GPS-Daten, Geschwindigkeitsmessungen, der Sensortechnik an den Rädern und gyroskopischen Messergebnissen basieren, sind bei hoher oder niedriger Geschwindigkeit oft ungenau. Bei über 450 Fahrzeugen reichen bereits kleine Ungenauigkeiten, um ein Fahrzeug in einer Zufahrtsliste fälschlich um ein oder zwei Positionen nach vorn oder hinten zu verschieben. Das wiederum bringt die gesamte Weichensteuerung in Gefahr. Um den Positionsalgorithmus der Bordrechner zu umgehen, schickt jetzt jedes Fahrzeug beim Verlassen einer Haltestelle zusätzlich ein Telegramm. Alle Informationen laufen im System zusammen, das sie für die Positionsanzeigen und die Kalkulation der Ankunfts- und Abfahrtszeiten nutzt. Immer, wenn eine Positionsmeldung kommt, berechnet das System die aktuelle Fahrt sowie die nächsten zwei Folgefahrten. Fazit Und noch etwas Neues brachte das vergangene Jahr. Die niederländische Regierung möchte alle Nahverkehrsunternehmen bündeln und deren Informationen an einem zentralen Ort zusammenzufassen. Ziel ist es, öfentliche Displays - etwa am Flughafen oder im Internet - mit aktuellen Verkehrsinformationen zu versorgen und die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit des Verkehrs zu überprüfen. Dazu mussten Schnittstellen für die Übermittlung sämtlicher Soll- und Istdaten programmiert werden. Heute ermöglichen diese Schnittstellen Routenplaner, deren Informationen auf wenige Sekunden alten Daten beruhen. Die Positionsmeldung eines Busses oder einer Straßenbahn kann so bereits nach sieben Sekunden weltweit genutzt werden. Aufgrund des Bonus-Malus-Systems der Stadt Amsterdam musste GVB in den letzten Jahren keine Strafzahlungen mehr leisten. Im Gegenteil, vor zwei Jahren zahlte die Stadt eine große Summe zurück. ■ Volker Vorburg Journalist und Redakteur mit den Themenschwerpunkten IT, Telematik, Telekommunikation und Logistik Vaihingen/ Enz V.Vorburg@gmx.de