eJournals Internationales Verkehrswesen 64/6

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2012-0151
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2012
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Telematik für schwere Lkw

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Ralf Forcher
Das Transportgewerbe mit schweren Lkw hat ein gewaltiges Päckchen zu schultern, um die künftigen Herausforderungen des europäischen Güterverkehrs zu bewältigen. Mit Hilfe von Telematiksystemen können Reserven angezapft werden, die bei einem ressourcenschonenden Fahrzeugumgang eine nicht unerhebliche Rolle spielen.
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TECHNOLOGIE Telematik Internationales Verkehrswesen (64) 6 | 2012 60 Telematik für schwere Lkw Das Transportgewerbe mit schweren Lkw hat ein gewaltiges Päckchen zu schultern, um die künftigen Herausforderungen des europäischen Güterverkehrs zu bewältigen. Mit Hilfe von Telematiksystemen können Reserven angezapft werden, die bei einem ressourcenschonenden Fahrzeugumgang eine nicht unerhebliche Rolle spielen. S eit der Öfnung des Binnenmarkts in Europa steht ein breites Warenangebot zur Auswahl und sorgt für den kontinuierlichen Aufwärtstrend von Gütertransportleistungen. Laut Statistischem Bundesamt stieg das Transportaukommen in Deutschland 2011 um 6,5 % gegenüber dem Vorjahr auf 4,3 Mrd. t, die höchste Steigerung gegenüber einem Vorjahr seit 1994. Den stärksten Anteil daran hatte mit 77,5 % und 3,4 Mrd. t der Beförderungsmenge der Straßengüterverkehr. Europaweit gehen drei Viertel der Güterverkehrsleistungen auf das Konto der Straße. Bis 2030 soll die europäische Transportleistung bei mehr als 3700-Mrd. Tonnenkilometer liegen; beim Modal Split, der Aufteilung der Marktanteile der einzelnen Verkehrsträger, bleibt die Straße federführend. Trotz optimistischer Langfristprognosen ist das Gütertransportgeschäft kein Zuckerschlecken. Steigende Kosten, sinkende Frachterlöse und knapper Laderaum verteuern Transporte für Verlader und Ein- Abb. 1: Entwicklung des Güterverkehrs in der EU-27 bis 2030 käufer. Jede Dieselkraftstof-Preiserhöhung trift die Transportbranche hart und lässt Speditionen ins Straucheln geraten. Hinzu kommen Engpässe bei der Verkehrsinfrastruktur, der Ruf nach grünen Logistikprozessen, Aulagen und Einschränkungen, etwa durch die Lkw-Maut oder Lenk- und Ruhezeitenverordnung. Diese Einlussfaktoren führen zu Veränderungen bei Verkehrsverhalten, Gestaltung von Logistikabläufen und Einsatz treibstofsparender Technologien. In den frühen 1980er Jahren wurden in der Daimler AG bereits erste Prototypen zur Verknüpfung von Fahrzeuginformationen und Dispositionszentrale konzipiert. Als 1990 die Welt noch analog war, verbaute Mercedes-Benz bereits elektronische Fahrzeugdiagnosesysteme und stellte zur IAA Nutzfahrzeuge 1998 erstmalig das Telematiksystem Fleet- Board in Form eines Bordrechners vor. Steigende Datenübertragungsmengen und sinkende -gebühren führten zur Etablierung internetbasierter Telematikdienste. Telematiksysteme greifen mittels einer im Fahrzeug verbauten Hardware, auch On- Board-Computer genannt, über eine Fahrzeugschnittstelle auf die Elektronik des Lkw zu. Via mobiler Datenübertragung werden Fahrzeug-, Einsatzanalyse- und Auftragsdaten an Server übermittelt und von dort aus in Form von Telematikdiensten gesichert und passwortgeschützt über das Internet zur Verfügung gestellt. Fiktives Beispiel Über den gesamten Tagesablauf eines Disponenten geschaut, spielen Telematiksysteme eine wesentliche Rolle. Um das an einem iktiven Beispiel zu verdeutlichen: Nachdem sich Disponent Lehmann der europaweit tätigen Beispielspedition in seine Flotte bestehend aus Mercedes-Benz Nutzfahrzeugen und Lkw anderer Hersteller eingeloggt hat, verschaft er sich einen ersten Überblick über die 35-Beispielfahrzeuge auf der digitalen Europakarte − bei Bedarf bis auf Straßenebene. Einige Lkw setzen 30-Sekunden-Positionsintervalle ab. Be- und Entladeorte von Bestandskunden sind als POI (Point of interest) markiert. Besonders im grenzüberschreitenden Verkehr und bei der Ansteuerung großer Ballungszentren ist hoch aulösendes Kartenmaterial ein Segen. Mittels elektronischer Fahrtenaufzeichnung hat Herr Lehmann Fahrt- und Standzeiten, Fahrten und Pausen, Tankfüll- und Kilometerstände im Blick. So erhält der Disponent über die Telematik in seinem bestehenden Speditionssoftwareprogramm alle für seine Arbeit notwendigen Informationen aufgezeigt. Damit plant er die anstehende Tour zum Transport von Elektroteilen und versendet alle Auftragsdetails, z. B. sensible Ware, Kontaktinformationen und Packstückliste über das Fahrzeug-Endgerät DispoPilot.mobile direkt an Fahrer Wohlfahrt ins Fahrerhaus. Die erweiterte Worklow-Funktion leitet den Fahrer optimal an: Er kann den Auftrag durch Bestätigung der einzelnen Prozessschritte abarbeiten und bei Bedarf durch Freitextmeldungen während der Tour mit Der Autor: Ralf Forcher Internationales Verkehrswesen (64) 6 | 2012 61 Abb. 2: Über die gesamte Nutzungsdauer eines Lkw gehören vor allem Kraftstof-, Personal- und Verwaltungskosten zu den maßgeblichen Faktoren, die über die Wirtschaftlichkeit entscheiden. der Zentrale kommunizieren. Wohlfahrt übernimmt die geokodierte Zieladresse per Knopfdruck in die Lkw-Navigation und startet seinen neuen Mercedes-Benz Actros- 1845 BlueTec- 6. Unterwegs beachtet er die Gebote des wirtschaftlichen Fahrens; so kann er sich am Steuer entspannen. Sein Fahrzeug ist standardmäßig mit dem Fleet- Board-Fahrzeugrechner ausgestattet, der alle Fahrdaten an die Zentrale übermittelt. Da der Beispiel-Fahrer auf Basis der Telematikdaten regelmäßig geschult wird, weiß er um die Auswirkung eines höheren Retardereinsatzes und wann welche Leistung sinnvoll ist. Herr Lehmann freut sich über die Sensibilisierung seiner Fahrer in puncto verschleiß- und verbrauchsreduzierter Fahrweise. Er analysiert wöchentlich mit Hilfe der Einsatzanalyse alle Fahrdaten seines Mischfuhrparks, wie Geschwindigkeiten, Bremseinsatz, Motorkennfeld, Stopps und Standzeiten mit laufendem Motor sowie die Schwere der Einsätze mit mittlerer Steigung und Fahrzeuggewicht. So kann er z. B. schlussfolgern, ob Geschwindigkeitsproile dem Einsatz angemessen sind. Die neuen Actros liefern ihm weitere Einsatzmerkmale, wie z. B. Tempomat, Eco-Roll oder Kickdown-Nutzung. Auf Basis des FleetBoard Datenfundus wird das eiziente Fahrverhalten in Notenform berechnet und darauf basierend Trainingsmaßnahmen abgeleitet. Die kontinuierliche Arbeit an einem wirtschaftlichen Fahrstil kann 5 bis 15 % Kraftstofreduktion, auf Fahrzeug und Jahr gerechnet, bringen. Einen Teil der Ersparnis gibt Herr Lehmann in Form von Prämien an seine Fahrer weiter und wirbt bei seinen Kunden mit einer nachhaltigen Transportabwicklung. Fahrer Wohlfahrt ist in einen Stau geraten und gibt mittels DispoPilot.mobile über die Verzögerung Bescheid. Disponent Lehmann informiert umgehend den Auftraggeber, denn dessen Beladungszeitfenster sind eng getaktet. Für den Verlader ist das in Ordnung, da er über die telematikgestützte Gebietsüberwachung rechtzeitig eine Information erhält, sobald Wohlfahrt 20 km vom Werk entfernt ist. Der Informationsluss zwischen Wohlfahrt, Rampe- 8 und Herrn Lehmann läuft perfekt. Herr Schneider ist gestern an der österreichischen Grenze gestartet und fährt mit einer Ladung Medikamente auf der A3 zum Umschlagbahnhof Köln-Eifeltor. Da er durch die Nacht gefahren ist, verfügt er kaum noch über Restlenkzeit und muss pausieren. Lehmann weiß durch die direkte Anbindung der Telematik-Hardware an den digitalen Tachographen Bescheid und hatte das bei der Tourenplanung berücksichtigt. Zum Ende des Monats wird er die Arbeitszeiten seiner Fahrer an die Lohnbuchhaltung weiterleiten. Mit Hilfe des im DispoPilot.mobile integrierten Barcodescanners erfasst Wohlfahrt an Rampe-8 die zu transportierenden Pakete und setzt Beladebeginn und -ende als Statusmeldung ab. Sollte er zu einem falschen Paket greifen, gibt es eine Fehlermeldung. Nach Auslieferung der Ware wird der Autohersteller den Empfang mittels elektronischer Unterschrift auf dem DispoPilot. mobile quittieren und die Disposition kann fast zeitgleich den Rechnungslauf starten. Der gesamte Transportauftrag wird professionell abgewickelt, ohne dass ein direkter Kontakt zwischen Fahrer und Dispo erfolgte. Auf der A7 kurz vor Hamburg gibt es Probleme: Ein dringendes Termingut muss bis 18 Uhr einen Containerterminal im Hafen erreichen und der Lkw ist liegen geblieben. Das Fahrzeug steht kurz vor der Wartung, die mit Unterstützung des Telematiksystems von der Vertragswerkstatt geplant wurde. Über die Wartungsplanung hatte sich auch Lehmann vor zwei Tagen bezüglich Abnutzungsgrad der Bremsbeläge und Verschleißteile informiert. Doch ein Fehler am Steuergerät führt zum Fahrzeugstillstand. Die Werkstatt kann mittels Remote- Diagnose das Fehlerbild analysieren, ohne das Fahrzeug abzuschleppen, indem der Fahrer die Diagnosedaten per Knopfdruck über das Telematiksystem an die Werkstatt überträgt. Ein Service-Mitarbeiter fährt mit dem passenden Austauschsteuergerät zum Pannenort, wo das Problem direkt behoben werden kann. Fazit Die Einbindung von Telematikdiensten in den Transportalltag bedeutet nicht nur große Erleichterung und Ersparnis, sondern trägt gleichermaßen zu einer verantwortungsvollen Abwicklung von Warentransporten und Unfallprävention bei. Eine zunehmend wichtige Rolle spielt die Bereitstellung von Fahr-, Auftrags- und Fahrzeuginformationen auf Smartphones, um via iPhone oder iPad jederzeit und von überall Flottensteuerung zu betreiben. So kann man sich z. B. spontan über Fahrzeugpositionen oder Restlenkzeiten informieren, um einen kurzfristigen Auftrag anzunehmen und Leerfahrten zu vermeiden. Auf mehr Unterstützung bei der pünktlichen und sicheren Fahrzeugführung ohne waghalsige Wendemanöver können sich Fahrer freuen. Im Fahrzeug werden neue Generationen von Navigationssystemen mit großen und hochaulösenden Displays den Fahrer besser und situativer unterstützen. Dazu gehören unter anderem Detailkarten von Logistiklächen oder Hafengeländen, auf denen die einzelnen Laderampen exakt vermerkt sind. Gerade dieses letzte Stück des Weges kann dem Fahrer große Schwierigkeiten bereiten. Und gerade die aus modernen Transportunternehmen nicht mehr abkömmlichen Telematiksysteme können Disposition und Fahrer dabei wirkungsvoll unterstützen, bei den steigenden Anforderungen in puncto Globalität, Nachhaltigkeit und Sicherheit des Transportgewerbes eine stabile, umweltschonende und vernetzte Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. ■ Ralf Forcher, Dr.-Ing. Geschäftsführer Daimler FleetBoard ralf.forcher@daimler.com