eJournals Internationales Verkehrswesen 65/1

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0005
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2013
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Ein neuer Haarschnitt für das Eisenbahnrecht?

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Anne Steinmann
Das deutsche eisenbahnrecht ist in die Jahre gekommen. Fest steht, dass es einer Novellierung bedarf. Welche Änderungen aber sind bei der sektorspezifischen Regulierung erforderlich?
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Internationales Verkehrswesen (65) 1 | 2013 14 POLITIK Eisenbahnrecht Foto: © Viola Wehrhahn/ pixelio.de Ein neuer Haarschnitt für das Eisenbahnrecht? Das deutsche eisenbahnrecht ist in die Jahre gekommen. Fest steht, dass es einer Novellierung bedarf. Welche Änderungen aber sind bei der sektorspeziischen Regulierung erforderlich? I m Sinne des politischen Ziels, Mehrverkehr auf der Schiene zu fördern, sollte in Politik und Wirtschaft Einigkeit herrschen, dass es keine Alternative zum Eisenbahnregulierungsgesetz (ERegG) gibt. Was sind die berechtigten Erwartungen der Marktteilnehmer? Status quo der regulierung Die für die Eisenbahnregulierung in Deutschland zuständige Bundesnetzagentur (BNetzA) überprüft die Einhaltung der Vorschriften des Eisenbahnrechts 1 über den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur. Zur Eisenbahninfrastruktur zählen die Schienenwege und die Serviceeinrichtungen. Die Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU), die den Betrieb solcher Infrastrukturen zu ihrem Geschäftsgegenstand machen, unterliegen grundsätzlich der Regulierung und sind verplichtet, diskriminierungsfrei den Zugang zu ihrer Infrastruktur zu gewähren. Ein elementarer Baustein für diesen regelmäßig zu gewährenden Zugangsanspruch ist die transparente Darlegung der von den EIU aufzustellenden Nutzungsbedingungen, die neben dem technisch-betrieblichen Regelwerk auch die vom EIU anzuwendenden Entgeltgrundsätze enthalten müssen. Diese Entgeltgrundsätze stellen eine Besonderheit des Sektors dar und regeln die Preisbildung des EIU, beispielsweise die Aufteilung des Einzelpreises in Grundpreis und Zuschlag. Darüber hinaus sind die EIU grundsätzlich verplichtet, die hieraus resultierenden Entgelthöhen jährlich in einer Liste der Entgelte darzustellen 2 . Dementsprechend gelten für die EIU sowohl Vorschriften für den tatsächlich zu gewährenden Anspruch auf Nutzung der Infrastruktur als auch für die Bepreisung der allen Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) gleichermaßen zur Verfügung zu stellenden Leistungen. Das geltende Eisenbahnrecht stellte im Vergleich zur Rechtslage vor 2005 eine grundlegende Überarbeitung dar. Erstmals gab es kaufmännische Vorgaben, die die EIU zwingend zu beachten haben 3 . Vielen Beteiligten des Sektors ist jedoch nach nunmehr sieben Jahren der praktischen Anwendung deutlich geworden, dass gerade im Vergleich zu den anderen regulierten Netzwirtschaften die Eisenbahnregulierung noch in der ersten Phase der Implementierung steckt. Als ein großes Wachstumshindernis haben sich dabei die überwiegend einer Auslegung zugänglichen Vorgaben erwiesen, die von zwei Seiten zu betrachten sind: Zum einen kann die behördliche Aufgabenwahrnehmung von den EIU mit der Maßgabe angegrifen werden, dass eine konkrete Befugnis hierfür fehle, die in den anderen Sektoren aber ausdrücklich als Konkretisierung der Eingrifsverwaltung normiert wurde 4 . Zum anderen berufen sich die EIU auf ihren Die Autorin: anne Steinmann Internationales Verkehrswesen (65) 1 | 2013 15 Gestaltungsspielraum, der durch eine unternehmensfreundliche Auslegung in viele Vorschriften hinein gelesen werden kann. So ist aktuell streitig, ob das vom Betreiber der Schienenwege aufgestellte technischbetriebliche Regelwerk Plichtbestandteil der Nutzungsbedingungen sei, obwohl der Verordnungsgeber explizit geregelt hat, dass sowohl die Art des Schienenweges als auch etwaige Nutzungseinschränkungen öffentlich zu machen sind 5 . Viel Kritik erfährt insbesondere die Entgeltregulierung. Mit nur wenigen Worten wird eine Kostenzuschlagsregulierung normiert, in dem die dem EIU tatsächlich entstehenden Kosten zuzüglich einer marktüblichen Eigenkapitalrendite in die Zugangsentgelte eingepreist werden können. Die durch die Regulierung eines natürlichen Monopolisten gewünschten wettbewerbsüblichen Preise können nicht erreicht werden, adverse Anreize sind vielmehr die Folge: Es fehlen die im Wettbewerbsmarkt üblichen Anreize zur Senkung der Kundenpreise im Rahmen des Produktivitätsfortschritts 6 . Kernpunkte der Novellierung Mit dem Ziel, den Wettbewerb auf der Schiene weiter zu stärken und den Rahmen für eine eiziente Regulierung zu schafen, ist der Gesetzgeber an den Start gegangen. Erreicht werden soll dies durch die Neugestaltung der Entgeltregulierung, die Verbesserung der Zugangsrechte und die Stärkung der Befugnisse der BNetzA 7 . Die Entgelte für Betreiber der Schienenwege sowie die Entgelte für die Benutzung von Personenbahnhöfen sollen zukünftig der Genehmigung durch die BNetzA auf Basis einer Anreizregulierung unterliegen. Im ERegG ist die Variante der Price-Cap-Regulierung normiert, die im Rahmen der Privatisierung der British Telecom 1983 entwickelt wurde und die von der BNetzA bereits 2008 als die gewünschte Form der Entgeltregulierung ermittelt wurde 8 : Anders als beim Revenue- Cap, bei dem der Erlös und damit Preis und Menge begrenzt werden, sind durch ein Price-Cap Mengensteigerungen zulässig. Die jeweilige Preisobergrenze bestimmt sich dabei auf Basis der vergangenen Kosten, erhöht um die allgemeine Preissteigerungsrate bei gleichzeitiger Verminderung um den Produktivitätsfortschritt. Sowohl die allgemeine Preissteigerungsrate als auch die Produktivitätsfortschrittsrate sind für die EIU unbeeinlussbare Größen, wodurch die Berechnung der zulässigen Entgelthöhen weitgehend entkoppelt von den tatsächlichen Kostennachweisen erfolgt. Neben dieser Neugestaltung werden Lösungen für die bisherigen Schwierigkeiten in der Praxis der Zugangsregulierung angeboten: Erstmals wird ein Zugangsrecht zu Werksbahnen und eine Missbrauchskontrolle über die Belieferung mit Bahnstrom sowie den Vertrieb von Fahrausweisen normiert. Ebenso wird die diskriminierungsfreie Erbringung von Rangierdienstleistungen durch die EVU eingeführt. Die Überwachung des Unbundlings wird auf die BNetzA übertragen und die normativen Anforderungen für die Nutzungsbedingungen werden konkretisiert. Berechtigte erwartungen des Marktes Betrachtet man die soeben skizzierte Eisenbahnregulierung, hat sich der Gesetzgeber - um ein Bild aus dem Alltag zu nehmen - nach einer eingehenden Typberatung für einen neuen Haarschnitt entschieden. Fokussiert auf das Kernstück des Gesetzes, die Entgeltregulierung, indet ein beeindruckender Paradigmenwechsel statt: Die BNetzA hat nicht mehr jährlich im Rahmen eines sogenannten Widerspruchsrechtes die entstehenden Kosten einschließlich Gewinn zu prüfen - künftig soll für eine fünf Jahre dauernde Regulierungsperiode ein Preisentwicklungspfad unter Berücksichtigung von Eizienzanreizen festgelegt werden. Die BNetzA genehmigt hierbei grundsätzlich jährlich die vom EIU gewählte Preisstruktur und die beabsichtigten Entgelthöhen. Bei einer Kostenregulierung besteht für die Unternehmen ein großer Anreiz, der Regulierungsbehörde höhere als die tatsächlich angefallenen Kosten anzugeben 9 , denn sie dürfen sämtliche Kosten an die Netznutzer weitergeben. Überdies wird regulatorisch kein Anreiz zur Kostensenkung gesetzt. Der Grundgedanke einer Anreizregulierung leitet sich aus diesen Nachteilen ab, wobei die Informationsasymmetrie zu Lasten der Regulierungsbehörde akzeptiert und das Gewinnstreben der Unternehmen für die regulatorischen Zielsetzungen genutzt wird 10 . Durch die Entkopplung von den durch die EIU zu beeinlussenden Größen gelingt in einzigartiger Weise die Abschwächung der Informationsasymmetrie bei gleichzeitiger Erhöhung der Transparenz für alle Marktbeteiligten. Diese können somit erstmals regulatorische Anreize zu kostensenkenden Investitionen und eine äußerst geringe Manipulierbarkeit der Preise erwarten. Hierfür können die EIU im Gegenzug die nötige Preissetzungslexibilität erwarten 11 . Durch die Einführung der Anreizregulierung wird der Gesetzgeber somit der Kritik an der gegenwärtigen Kostenzuschlagsregulierung gerecht und hat sich mit dem Price-Cap- Modell für die im Infrastruktursektor sinnvollste Variante entschieden. Frisur sitzt, Kunde zufrieden? Der allgemeinen Lebensweisheit folgend, ist leider nie alles Gute beisammen. Die Länder versprechen sich auf Basis des Koalitionsvertrages ein Verbot, Gewinne aus Trassen- und Stationseinnahmen der Bundes-EIU abzuführen, und begrüßen eine Gesamtkapitalverzinsung auf Basis einer normierten Kapitalstruktur, die die Gemeinwohlziele der Infrastruktur berücksichtigt. Beiden Forderungen wird das ERegG nicht gerecht. Mit Ausschluss der Gewinnabführung werden wohl steigende Trassenpreise befürchtet, mit der Bestimmung einer marktüblichen Rendite unter Berücksichtigung der besonderen Risiko- und Finanzierungsbedingungen des Sektors irreversible Nachteile für die Bundes-EIU vermutet. Bei beiden Punkten kann wohl Entwarnung gegeben werden, bei letztgenanntem sogar mit wissenschaftlicher Unterstützung 12 . ausblick Die Erfahrung aus dem Alltag zeigt: Nach dem ersten Haarewaschen ist man zunächst unzufrieden mit einem neuen Haarschnitt - es braucht seine Zeit, sich mit der anderen Frisur wieder wohl zu fühlen. Auch dem ERegG sollten die Marktteilnehmer eine solche Chance geben, sonst bleibt nur viel Lärm um nichts. ■  1 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) und Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung (EIBV).  2 § 21 Abs. 7 EIBV.  3 § 14 Abs. 4 und 5 AEG i. V. m. §§ 20f EIBV.  4 Viele Verfahren werden bereits bei der Sachverhaltsaufklärung behindert. Die erste Überprüfung der DB-Stationspreise dauerte über 2,5 Jahre.  5 § 4 Abs. 2 EIBV i. V. m. Anlage 2; OVG NRW, B. v. 28.09.2012 - 13 B 1016-12; a.A. VG Köln, Urt. v. 18.05.2012 - 18 K 2771-10.  6 BERNDT, A: Die Anreizregulierung in den Netzwirtschaften, 2011, S. 69.  7 Bundesrat, BR-Drucksache 559/ 12, S. 1.  8 Abschlussbericht der Bundesnetzagentur zur Einführung einer Anreizregulierung im Eisenbahnsektor, 2008, abrufbar unter www.bundesnetzagentur.de.  9 WIED-NEBBELING, S.: Preistheorie und Industrieökonomik, 2009, Springer-Lehrbuch, S. 39. 10 BERNDT, A.: Anreizregulierung, S. 68. 11 Das EIU entscheidet, in welchem Bereich Ineizienzen gehoben werden. Es behält den über die Einsparungen hinaus erzielten Gewinn während der Regulierungsperiode. 12 FRONTIER ECONOMICS u.a.: Bestimmung der Kapitalkosten im Eisenbahninfrastrukturbereich unter den besonderen Bedingungen des deutschen Eisenbahnsektors, Bundesnetzagentur, 2009, S. 123f. anne Steinmann, Dr. iur. Leiterin des Referates für entgelte, Serviceeinrichtungen und Dienstleistungen, Bundesnetzagentur, Abteilung 7, Bonn anne.steinmann@bnetza.de