Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0006
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2013
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Plädoyer für ein neues Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz
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2013
Felix Huber
Klaus J. Beckmann
Kommunen sind Quelle und Ziel von Verkehr – doch wie lässt sich die Infrastruktur erhalten? Das rund 40 Jahre alte Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) genügt den Herausforderungen der heutigen Zeit oft nicht mehr. es gibt gute Gründe für eine Nachfolgeregelung in Form eines GVFG 2050.
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Internationales Verkehrswesen (65) 1 | 2013 16 POLITIK Infrastrukturinanzierung Foto: © egon Haebich/ pixelio.de Plädoyer für ein neues Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz Kommunen sind Quelle und Ziel von Verkehr - doch wie lässt sich die Infrastruktur erhalten? Das rund 40-Jahre alte Gemeindeverkehrsinanzierungsgesetz (GVFG) genügt den Herausforderungen der heutigen Zeit oft nicht mehr. es gibt gute Gründe für eine Nachfolgeregelung in Form eines GVFG 2050. D er Aubau der Verkehrsinfrastruktur 1 mündete Anfang der 1970-er Jahre in ein als Programm zur Gesundung des deutschen Verkehrswesens vom damaligen Bundesverkehrsminister Georg Leber vorgestelltes verkehrspolitisches Grundsatzprogramm für die Bundesrepublik Deutschland. Hintergrund war eine umfassende Ursachenanalyse. Stark steigende Zahlen an Kraftfahrzeugen 2 und erhebliche Probleme mit der Verkehrssicherheit 3 im Straßenverkehr erzeugten Handlungsbedarf. Dieses als Leber-Plan bezeichnete verkehrspolitische Gesamtkonzept sah auch vor, die Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden im Rahmen eines von Bund und Ländern gemeinsam aufzustellenden Mehrjahresprogramms zu verbessern. Ein Ergebnis dieses Prozesses war unter anderem das Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden in der Fassung vom 18. März 1971 (BGBl. I S. 239) auch Gemeindeverkehrsinanzierungsgesetz oder kurz GVFG genannt. Verkehrspolitische Herausforderungen Heute steht unsere Generation wieder vor einer vergleichbar fundamentalen Aufgabe. Es gilt, ein verkehrspolitisches Gesamtkonzept mit dem Zielhorizont 2050 zu entwickeln. Die Herausforderungen: • Wir verfügen über ein weitgehend fertiggestelltes Fern- und Stadtstraßensystem und einen in großen Teilen gut ausgebauten Öfentlichen Nahverkehr. Dieses reife Infrastrukturangebot gilt es zu erhalten, zu erneuern und an neue verkehrliche Anforderungen anzupassen (qualitatives Wachstum). • Klimawandel, Peak Oil und Energiewende markieren die neuen verkehrspolitischen Herausforderungen des umfassenden Strukturwandels einer zunehmend postfossil orientierten Gesellschaft. Die Autoren: Felix Huber, Klaus J. Beckmann Internationales Verkehrswesen (65) 1 | 2013 17 • Die Menschen verlangen die gesunde Stadt, die Green City und liveable streets. • Die Politik garantiert eine umfassende Barrierefreiheit. • Die vielfältigen Formen der Elektromobilität stellen neue infrastrukturelle Anforderungen. • Die Bundesregierung hat sich zur Förderung der Baukultur bekannt. Eine neue Mobilitätskultur ist wesentlicher Teil davon. • Infrastrukturprojekte erhalten heute nur noch bei qualiizierter Bürgerbeteiligung die notwendige Akzeptanz. Das GVFG ist etabliert; seine Verfahrenswege sind geläuig und geübt; das GVFG hat vielerorts sehr viel Nutzen gestiftet. Ideen für ein neues GVFG Wie könnte also eine Neuaulage, ein Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden 2050 (GVFG 2050), aussehen? Die nachfolgenden Vorschläge einer Aktualisierung auf der Grundlage der früheren Struktur sollen zur Diskussion anregen: § 1-Finanzhilfen des Bundes Der Bund gewährt den Ländern Finanzhilfen für Investitionen zur Verbesserung der Mobilitätsangebote und Verkehrsinfrastrukturen der Gemeinden mit dem Ziel, • die Gesamtsumme der Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2020 um mindestens 25 Prozent und bis zum Jahr 2050 um mindestens 80 Prozent im Vergleich zu den Gesamtemissionen des Jahres 1990 zu verringern und • die Barrierefreiheit für alle Menschen zu sichern und zu verbessern, • die besonderen Anforderungen der Baukultur zu erfüllen. Diese Ziele sind bewusst allgemein formuliert, um den Wettbewerb der Ideen zu befördern. Sie werden durch die Deinition der Vorhaben konkretisiert: § 2-Förderungsfähige Vorhaben (1) Die Kommunen können folgende Vorhaben durch Zuwendungen aus den Finanzhilfen fördern: • die Erneuerung, Neugestaltung, den Bau oder Ausbau von Hauptwegen für Fußgänger und den Radverkehr einschließlich - kommunaler und interkommunaler Radschnellwege - Abstellanlagen für den Radverkehr einschließlich gesicherter Ladestationen für Elektrofahrräder. • die Erneuerung, den Bau oder Ausbau von Verkehrswegen der Straßenbahnen, Hoch- und Untergrundbahnen sowie Bahnen besonderer Bauart, einschließlich der Beschafung der Fahrzeuge mit alternativen Antrieben soweit sie dem öfentlichen Personennahverkehr dienen. • die Erneuerung, Neugestaltung, den Bau oder Ausbau von Verknüpfungspunkten mit dem öfentlichen Personennahverkehr einschließlich - der Stellplatzanlagen für Fahrräder und ihrer Umgrifslächen und-Vorplätze - öfentlicher Flächen für in-Bebauungsplänen ausgewiesenen Anlagen des Fernbusverkehrs. Das jährlich neu aufgelegte Statistik-Handbuch „Verkehr in Zahlen“ gibt eine aktuelle und zuverlässige Übersicht zu allen Daten und Fragen der Mobilität und Verkehrswirtschaft. Auf der CD be nden sich umfangreiche Daten, die sich direkt oder als Gra k leicht weiterverarbeiten lassen. Herausgeber ist das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Weitere Informationen, das komplette Inhaltsverzeichnis sowie das Vorwort nden Sie unter www.eurailpress.de/ VIZ Der Verkehr in Tabellen, Zahlen und Übersichten Ein Standardwerk zur Entwicklung von Verkehr und Verkehrswirtschaft Technische Daten: ISBN 978-3-87154-473-6, 367 Seiten, Format 135 x 180 mm, Broschur, Preis : € 53,50 mit CD-ROM inkl. MwSt., zzgl. Porto Kontakt: DVV Media Group GmbH · Telefon: +49/ 40/ 2 37 14 - 440 · E-Mail: buch@dvvmedia.com NEU NEU POLITIK Infrastrukturinanzierung Internationales Verkehrswesen (65) 1 | 2013 18 • den Bau oder Ausbau von Anlagen für Bike- und Car-Sharing-Angebote. • die Erneuerung oder Neugestaltung von - verkehrswichtigen innerörtlichen Straßen mit Ausnahme von Anlieger- und Erschließungsstraßen - Verkehrsleitsystemen - Umsteigeparkplätzen zur Verringerung des motorisierten Individualverkehrs - öfentlichen Verkehrslächen für in Bebauungsplänen ausgewiesene Anlagen des Wirtschaftsverkehrs - Maßnahmen zur Erhöhung der Verlässlichkeit im öfentlichen Personennahverkehr. Das bisherige GVFG wies mit seinen Vorgaben und deren länderspeziischen Interpretationen eine Reihe von Unzulänglichkeiten auf. Diese haben zu Fehlsteuerungen des Mitteleinsatzes, zum Beispiel in aufwendige Infrastruktur bei fehlenden Mitteln für den laufenden Betrieb, die Erhaltung und Erneuerung, geführt. Sie haben sinnvolle Maßnahmen in Form einer ortsbezogenen Abweichung von der Regelwerklösung verhindert. Qualitative Aspekte einer Bau- und Mobilitätskultur ielen oft der übermäßigen methodischen Betonung der Finanzierungsfrage (z.B. Standardisierte Bewertung) zum Opfer. Welche Voraussetzungen müssten daher Maßnahmen erfüllen, die durch ein GVFG 2050 gefördert werden sollten? § 3-Voraussetzungen der Förderung (1) Voraussetzung für die Förderung von Maßnahmen nach §-2 ist, dass 1. Mobilitätsangebote und Verkehrsinfrastrukturen gefördert werden, die die Ortsveränderung von Personen, Gütern und Informationen mit Körperkraft, hoher Energieeizienz und erneuerbaren Energieträger ermöglichen, 2. diese in einem integrierten Stadt- und Verkehrsentwicklungsplan oder einem für die Beurteilung gleichwertigen Plan vorgesehen sind, 3. sie das Ergebnis qualiizierter Planungs- und Beteiligungsprozesse sind, 4. diese gestalterisch, bau- und verkehrstechnisch einwandfrei und unter Beachtung der Anforderungen der Baukultur und des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit in einer Life-Cycle- Betrachtung geplant sind, 5. die Belange behinderter und anderer Menschen mit Mobilitätsbeeinträchtigung berücksichtigt werden und den Anforderungen der Barrierefreiheit möglichst weitreichend entsprechen, 6. für die geförderte Maßnahme die dauerhafte Finanzierung der laufenden Betriebskosten und der Unterhaltung durch die Kommune nachgewiesen ist, 7. private Anbieter von Mobilitätsdienstleistungen dadurch nicht diskriminiert werden. Gute Gründe für eine Nachfolgeregelung Mit der Eröfnung einer inhaltlichen Diskussion um eine GVFG-Nachfolgeregelung stellt sich eine Reihe von Fragen: Warum benötigen wir ein solches GVFG 2050? War es nicht richtig, die Systeme der Mischinanzierung von Bund und Ländern zugunsten einer klaren Aufgabenzuweisung abzubauen? Warum benötigen wir eine Diskussion um ein GVFG 2050? Sind die Länder nicht in der Lage, die mit der Föderalismusreform I vollständig übernommene Verantwortung für den Ausbau der Verkehrswege in den Gemeinden selbst zu übernehmen? Und ist es überhaupt legitim, in Zeiten einer hohen Verschuldung der öfentlichen Haushalte eine solche Diskussion zu eröfnen? Folgende Gründe sprechen für die Forderung nach einer Nachfolgeregelung in Form eines GVFG 2050: Die Regelungen des Entflechtungsgesetzes sind nicht auf Dauer angelegt. Die Fortführung nach 2019 steht derzeit grundsätzlich infrage. Infrastrukturinvestitionen bedürfen aber einer planerischen und inanziellen Verlässlichkeit. • Die Gestaltung der Verkehrsverhältnisse in Deutschland verlangt nach einer länderübergreifenden Einheitlichkeit. Im Verkehrssektor kann nicht davon gesprochen werden, dass alle Bundesländer ihrer neu gewonnen föderativen Verantwortung gerecht werden. Die Kommunen dieser Länder haben das Nachsehen. • Viele Kommunen sind auf absehbare Zeit nicht in der Lage, die vorhandene Verkehrsinfrastruktur zu erhalten und grundlegend zu erneuern - solange sie nicht in Kürze inanziell so gestellt werden, dass sie im Sinne ihrer Planungshoheit wieder eigenverantwortlich in größere Projekte investieren können. • Viele Anforderungen der Verkehrspolitik auf Bundesebene - zum Beispiel die Forderung nach Barrierefreiheit, Klimaschutz, Energiewende, Elektromobilität und Baukultur - lösen Investitionsbedarf auf kommunaler Ebene aus. Diesen Anforderungen stehen keine entsprechenden Mittel gegenüber. • Nur der Bund ist in der Lage, neue Mittel für die anstehenden gesellschaftlichen Herausforderungen in Bezug auf Klaus J. Beckmann, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Wissenschaftlicher Direktor und Geschäftsführer Deutsches Institut für Urbanistik gGmbH (Difu), Berlin beckmann@difu.de Felix Huber, Univ. Prof. Dr.-Ing. Lehr- und Forschungsgebiet Umweltverträgliche Infrastrukturplanung und Stadtbauwesen, Fachzentrum Verkehr, Bergische Universität Wuppertal huber@uni-wuppertal.de LIterAtur Gemeinsamer Bericht des Arbeitskreises „Straßenbaupolitik“ und „Öfentlicher Personenverkehr“ der Vorsitzenden der GKVS zur Revision des Entlechtungsgesetzes (erstellt im Auftrag der VMK), Abschluss im Dezember 2010 Bericht der Daehre-Kommission: „Zukunft der Verkehrsinfrastrukturinanzierung“, Dezember 2012; Download unter http: / / newsletter.dvv-hosting.net/ railbusiness/ Daehre_Kommission. pdf die Erhaltung, Erneuerung und Entwicklung der Infrastruktur zu akquirieren (z.B. Ausweitung der Lkw-Maut, Pkw- Maut, zusätzlicher Verkehrs-Cent auf Mineralöl usw.). • Die Gemeinden könnten verpflichtet werden, im Zusammenhang der doppischen Haushaltsführung im Abstand von fünf Jahren Infrastruktur-Zustandsberichte vorzulegen, um die notwendigen Unterhaltungsmaßnahmen aus dem kommunalen Haushalt zu sichern. Kommunen sind die Quelle und das Ziel von Verkehr. Sie sichern die Teilnahme der Menschen und wirtschaftliche Austauschprozesse, das heißt Personen-, Wirtschafts- und Güterverkehr. Sie sind am raschesten und umfassendsten in der Lage, neue Anforderungen einer veränderten Verkehrspolitik baulich und organisatorisch umzusetzen. Ein den Planern und politischen Entscheidungsträgern bekanntes, bewährtes, aber inhaltlich völlig neu ausgerichtetes Gesetz zur Investitionsförderung im Bereich Infrastruktur könnte hier rasch eine neue Aufbruchsstimmung erzeugen. ■ 1 Im Straßenbau wurden zwischen 1950 und 1966 88 Mrd. DM investiert. Mit Ausnahme der Vereinigten Staaten waren 1967 in keinem anderen Land der Welt mehr Straßen gebaut worden. 2 1960: 4 Mio., 1966: 10,3 Mio., Prognose 1980: 20 Mio. Pkw 3 16.800 Menschen getötet und 423 000 Menschen verletzt
