eJournals Internationales Verkehrswesen 65/1

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0017
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2013
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Liegt die Zukunft der E-Mobilität bei zweirädrigen Fahrzeugen?

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2013
Ueli Haefell
Heidi Hofmann
Die automobile Elektromobilität hat sich in den letzten Jahren weniger stark entwickelt als von vielen erhofft. Elektrische Zweiräder hingegen werden seit einigen Jahren nicht nur auf dem asiatischen, sondern auch auf dem europäischen Markt vermehrt nachgefragt. Dies gilt in besonderem Maße für die Schweiz, wo beispielsweise 2012 17% der verkauften Fahrräder mit einem Elektromotor ausgestattet waren. erste Langzeitdaten zur Entwicklung des Marktes liegen nun vor und erlauben vertiefte Aussagen zur Sozioökonomie der Nutzenden, zu ihrem Mobilitätsverhalten und zu den Perspektiven der Elektromobilität ganz generell.
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Internationales Verkehrswesen (65) 1 | 2013 50 MOBILITÄT Elektrofahrräder Liegt die Zukunft der E-Mobilität bei zweirädrigen Fahrzeugen? Die automobile elektromobilität hat sich in den letzten Jahren weniger stark entwickelt als von vielen erhoft. elektrische Zweiräder hingegen werden seit einigen Jahren nicht nur auf dem asiatischen, sondern auch auf dem europäischen Markt vermehrt nachgefragt. Dies gilt in besonderem Maße für die Schweiz, wo beispielsweise 2012 17% der verkauften Fahrräder mit einem elektromotor ausgestattet waren. erste Langzeitdaten zur entwicklung des Marktes liegen nun vor und erlauben vertiefte Aussagen zur Sozioökonomie der Nutzenden, zu ihrem Mobilitätsverhalten und zu den Perspektiven der elektromobilität ganz generell. E lektrischen Zweirädern (Pedelecs) lässt sich gegenüber Elektroautos aus einer Nachhaltigkeitsperspektive ein wesentlicher Zusatznutzen attestieren. Vor allem verbrauchen sie weniger Energie - ein Pedelec verbraucht umgerechnet 0,1 bis 0,2 l Benzin pro 100 km - und Platz, was besonders im Stadtverkehr bedeutsam ist. Der schweizerische Markt für elektrische Zweiräder unterscheidet sich vor allem in zwei Aspekten deutlich vom deutschen [1]. Erstens sind in der Schweiz stärkere Pedelecs zugelassen - der Begrif „Pedelec“ steht hier für Fahrräder, bei denen der Motor den Fahrer nur unterstützt, wenn dieser selber in die Pedale tritt; in der Schweiz ist der Begrif „Pedelec“ nicht gebräuchlich, stattdessen wird von „E-Bikes“ gesprochen, ein Begrif wiederum, der in Deutschland für Kleinkrafträder verwendet wird. In Die Autoren: ueli Haefeli, Heidi Hofmann Foto: newride.ch Deutschland darf die Tretunterstützung nicht über 25 km/ h hinausgehen (Schweiz: 45 km/ h), die Motorleistung darf 250 Watt nicht übersteigen (Schweiz: 1000 W). Die schnellen und in der Regel vergleichsweise teuren Produkte werden in der Schweiz stark nachgefragt. Zweitens hat die Marktdurchdringung in der Schweiz früher eingesetzt, unter anderem auch als Folge des Großversuchs mit Leicht-Elektromobilen zwischen 1994 und 2001 [2], weshalb inzwischen auch vermehrt Daten zu Langzeiterfahrungen mit elektrischen Zweirädern vorliegen. Nach den Niederlanden weist die Schweiz den zweithöchsten Pro-Kopf-Anteil an Elektrozweirädern in Europa auf. Der vorliegende Artikel stellt in erster Linie auf Daten zu Pedelec-Käufen im Kanton Basel-Stadt im Zeitraum von 2003 bis 2011 ab [3]. Das Amt für Umwelt und Energie des Kantons Basel-Stadt förderte in dieser Zeit den Kauf von Elektrozweirädern mit gezielten inanziellen Beiträgen an Privatpersonen. 1 Dem Fördergesuch beigelegt war ein Fragebogen, in welchem sozioökonomische und mobilitätsspeziische Angaben erfragt wurden. Insgesamt konnten 1703 Fragebogen ausgewertet werden. Eine vergleichbare Zeitreihe mit solchen Daten gibt es unseres Wissens in Europa nicht. Damit lassen sich neuartige Aussagen zur Entwicklung des Marktes machen, welche wohl auch für das umliegende europäische Umfeld aussagekräftig sind. Darüber hinaus beziehen wir die Ergebnisse aus verschiedenen, teilweise noch laufenden Untersuchungen zum Mobilitätsverhalten der E-Zweirad- Nutzenden ein. Proil der Pedelec-Kundschaft Pedelecs sprechen vor allem eine Kundschaft mittleren Alters an: Das Durchschnittsalter beim Kauf lag 2011 bei gut 50 Jahren (vgl. Bild 1). Nach einem stetigen Anstieg zwischen 2003 und 2006 setzte seit 2007 eine Konsolidierung ein. Bei beiden Geschlechtern sind die 40bis 64-Jährigen im Vergleich zur gesamten Bevölkerung des Kantons deutlich übervertreten. Die männliche Käuferschaft ist durchschnittlich etwas älter als die weibliche, obwohl im Kanton Basel-Stadt bei den Personen ab 65 Jahren die Frauen klar stärker vertreten sind. Dieser Unterschied hat sich in den letzten Jahren jedoch etwas verringert. Die Tendenz zu einer älter werdenden Pedelec-Käuferschaft ist primär auf die weibliche Kundschaft zurückzuführen. Die Difusion von Pedelecs scheint somit ähnlichen Gesetzen zu unterliegen wie jene anderer technischer Geräte: Jüngere, vor allem männliche Nutzer bilden vorerst ein exklusives Kundensegment, bevor das Produkt auch geschlechts- und altersneutral auf Interesse stößt. In dieselbe Richtung deutet der sozioökonomische Indikator Bildung. Die Käuferschaft von Pedelecs weist im Durchschnitt über den ganzen Zeitraum eher hohe Bildungsabschlüsse auf. Es zeigt sich jedoch ein Trend hin zu einer Käuferschaft mit weniger akademischem Hintergrund. Insgesamt wird aber auch deutlich, dass sich Basler Käuferinnen und Käufer auf einem überdurchschnittlich hohen Einkommensniveau bewegen. Bezüglich der Ausstattung der Pedelec- Käuferschaft mit Mobilitätswerkzeugen ergaben sich folgende Hauptergebnisse: Die Pedelec-Haushalte im Kanton Basel- Stadt besitzen im Vergleich zur Schweizer Gesamtbevölkerung zwar seltener ein Auto (68 % gegenüber 79 %) [4]. Aber gegenüber der ganzen Bevölkerung der Stadt Basel, wo 2010 lediglich 45 % der Haushalte über ein Auto verfügten, ist die Pedelec-Käuferschaft stärker motorisiert. Darüber hinaus geht der Pedelec-Besitz häuiger mit einer Mitgliedschaft bei einer Carsharing-Organisation einher: 11 % aller Käuferinnen und Käufer von Pedelecs gaben an, Mitglied einer Carsharing-Organisation zu sein. Im Vergleich dazu nutzten 2007 im Kanton Basel-Stadt nur 2,3 % aller Einwohnerinnen und Einwohner ein solches Angebot. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass Carsharing-Angebote mit Elektroautos bei der Kundschaft auf Interesse stossen könnten [5]. Ein ähnliches Bild zeigt sich im öfentlichen Verkehr: die Pedelec-Käuferschaft nutzt den öfentlichen Verkehr stärker als dies im gesamtschweizerischen Durchschnitt der Fall ist: 53 % der Stadtbasler Bevölkerung besitzen ein ÖV-Abonnement, bei der E-Scooter-Käuferschaft sind es 39 % und im gesamtschweizerischen Durchschnitt 24 %. 2 In der Summe deuten diese Befunde darauf hin, dass das Mobilitätsverhalten der Pedelec-Kundschaft im Vergleich sowohl zum eher autoorientierten Schweizer Durchschnitt als auch zur eher auf den Umweltverbund fokussierten Stadtbasler Bevölkerung stärker multibeziehungsweise intermodal geprägt ist. Dies bestätigt sich beim folgenden Rückgrif auf weitere Studien zum Mobilitätsverhalten von E-Zweirad- Nutzenden. Kontakt: DVV Media Group GmbH, Nordkanalstr. 36, 20097 Hamburg, Germany, Telefon: +49 40/ 237 14-440, E-Mail: buch@dvvmedia.com Technische Daten: ISBN 978-3-7771-0439-3, 166 Seiten, Format 205 x 235 mm, Hardcover, Preis: € 42,00 inkl. MwSt., zzgl. Versandkosten Was ist ein Verbund? Warum gibt es ihn? Was macht der MVV genau? Wie hat sich in den vergangenen 40 Jahren alles entwickelt? Nach einer Zeitreise durch Themen wie Verbundtarif, Fahrgastinformation, ֚entlichkeitsarbeit und Verkehrsforschung ziehen die Autoren Bilanz und bieten einen Blick sowohl auf die Gegenwart als auch auf die Zukunft des MVVs. Zahlreiche Grußworte runden das Geburtstagsbuch ab. Jetzt bestellen unter www.eurailpress.de/ mvv Das MVV - Geburtstagsbuch Vierzig Jahre Münchener Verkehrs- und Tarifverbund MOBILITÄT Elektrofahrräder Internationales Verkehrswesen (65) 1 | 2013 52 e-Scooter vor dem durchbruch? Aus einer ökologischen Perspektive ist auch der Einsatz von E-Scootern (Elektrorollern) wünschenswert. Untersuchungen zum Mobilitätsverhalten im Rahmen des erwähnten Großversuchs haben gezeigt, dass mit E- Scootern in weit höherem Maß Autofahrten ersetzt wurden als mit Pedelecs. Bei letzteren wurden jährlich etwa 600 km Autofahrten ersetzt (und in je ähnlichem Ausmass ÖV- und Fahrradkilometer), bei den E-Scootern waren es ungefähr zehn Mal mehr, weil die Fahrleistungen der E-Scooter höher waren und weil eher Autofahrten ersetzt wurden [6]. Ein Zwischenresultat einer laufenden Untersuchung bestätigt dies: 44% der E-Scooter-Wege ersetzten Autofahrten (N-=-42 E-Scooter) [7]. Die Marktdurchdringung von E-Scootern ist im Vergleich zur Marktdurchdringung von Pedelecs allerdings in der Schweiz noch sehr gering, obwohl der Rollermarkt insgesamt boomt. Der Marktanteil beträgt zurzeit sowohl bei den E-Scootern als auch bei den Autos mit alternativen Antrieben (wie Hybrid-, Erdgas/ Biogas-, Elektro- und Plug-in-Hybridautos) 2 bis 3 %. Immerhin hat die schweizerische Post 2006 begonnen, ihre gesamte Benzinrollerlotte von ungefähr 7000 Fahrzeugen durch E- Scooter zu ersetzen. Die bisherigen Erfahrungen mit über 3000 Fahrzeugen zeigen gemäß Aussagen der Verantwortlichen bei der Post, dass solche Flotten gegenüber Benzinrollern keine Kostennachteile ausweisen und sehr zuverlässig funktionieren. Private kaufen dagegen heute nur selten E-Scooter. Im oben erwähnten, laufenden Forschungsprojekt wird dies folgendermaßen erklärt: Nachfrageseitig ist der Zusatznutzen der Produkte für den Einzelnen gegenüber Benzinrollern gering, während Pedelecs gegenüber herkömmlichen Velos schneller sind und ein weniger verschwitztes Ankommen am Zielort ermöglichen. E- Scooter werden bisher kaum als „trendige“ Produkte wahrgenommen. Angebotsseitig wird die Qualität der Produkte in der öffentlichen Wahrnehmung teilweise noch in Zweifel gezogen. Zudem ist die Schweiz für große Produzenten ein kleiner Markt (mit teilweise speziellen Anforderungen), weshalb viele große Hersteller zögern, in diesen Markt einzutreten. Weiter ist das Händlernetz noch lose geknüpft, die Margen sind oft gering. Und schließlich wird der Kaufpreis einiger Produkte als hoch wahrgenommen, die im Vergleich zum Benzinroller deutlich niedrigeren Unterhaltskosten werden von potenziellen Käuferinnen und Käufern zu wenig gewichtet. Fazit und ausblick Elektrozweiräder können in nachhaltigen, auf Multi- und Intermodalität ausgerichteten Mobilitätskonzepten ofensichtlich eine wichtige Rolle spielen. Aufgrund ihres geringen Energiekonsums, weil sie wenig Platz brauchen, weil sie in verstopften Innenstädten viele Autofahrten ersetzen und zu den schnellsten Verkehrsmitteln zählen, weisen sie gegenüber dem Elektroauto wichtige Zusatzvorteile auf. Zudem haben sich Pedelecs im Gegensatz zu anderen Elektrofahrzeugen auf dem schweizerischen Markt bereits etabliert und müssen LIterAtur [1] PAETZ, ALEXANDRA-GWYN et al. (2012): Wer nutzt Pedelecs und warum? , in: Internationales Verkehrswesen (64) 1, 34-37. [2] HAEFELI, UELI (2010): Die Renaissance des Elektromobils in der Schweiz nach 1970. Visionärer Technologiepfad oder Weg in die Sackgasse? , in: Schiedt, Hans-UIrich et al. (Hrsg.), Verkehrsgeschichte, Schweizerische Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte - Société Suisse d’histoire économique et sociale, Band 25, Zürich: Chronos, 343-356. [3] HAEFELI, UELI et al. (2012): Langzeitproil der E-Bike-Käuferschaft in Basel, Luzern, <http: / / www.newride.ch/ documents/ forschung/ F_Langzeitproil.pdf> (Zugrif. 16.1.2012). [4] Städtevergleich Mobilität. Vergleichende Betrachtung der Städte Basel, Bern, Luzern, St.- Gallen, Winterthur und Zürich (2012): Hrsg.: Planungsämter der jeweiligen Städte, <http: / / www.bs.ch/ mm/ staedtevergleich_mobilitaet _2012.pdf> (Zugrif. 28.1.2012). (Es handelt sich um eine Spezialauswertung des Mikrozensus Verkehr und Mobilität 2010.) [5] Vgl. dazu: KNIE, ANDREAS et al. (2012): E-Carsharing als Bestandteil multimodaler Angebote, in: Internationales Verkehrswesen (64) 1, 42-45. [6] HAEFELI, UELI et al. (2005): Elektro-Zweiräder, Auswirkungen auf das Mobilitätsverhalten, in: Jahrbuch der Schweizerischen Verkehrswirtschaft 2004/ 2005, 111-125. [7] <http: / / www.ikaoe.unibe.ch/ forschung/ e-scooter/ index. html> (Zugrif. 16.1.2012) [8] HOFMANN, HEIDI; BRUPPACHER, SUSANNE (2008): Erfahrungen aus der Praxis bei der gezielten Verbreitung von E-Bikes als Innovation im Mobilitätsbereich., in: Umweltpsychologie, Jg. 12, Heft-Nr. 1, S. 49-65. MORENI, GIANNI et al. (2006): Finanzielle Anreize für eiziente Fahrzeuge, in: Jahrbuch der Schweizerischen Verkehrswirtschaft 2005/ 2006, 203-224. ueli Haefeli, Prof. Dr. Interface Politikstudien Forschung Beratung und Universität Bern haefeli@interface-politikstudien.ch Heidi Hofmann, lic. phil hist. Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Interfakultären Koordinationsstelle für Allgemeine Ökologie (IKAÖ) der Universität Bern heidi.hofmann@ikaoe.unibe.ch Bild 1: entwicklung der Käuferschaft nach Geschlecht und Durchschnittsalter von 2003 bis 2011. Quelle: Fragebogen Amt für Umwelt und energie des Kantons Basel-Stadt, (Geschlecht: N = 1685; Alter: N = 1417) vom Staat nicht mehr mit Subventionen gefördert werden [8]. Vieles spricht also dafür, dass Elektrozweiräder von der Verkehrspolitik in Zukunft mehr beachtet werden sollten. ■ 1 Für Pedelecs wurden Förderbeiträge im Umfang von 10 % des Kaufpreises und eine Vergütung für Solarstrom für zwei Jahre von 98 SFR gewährt. 2 Um die Stammkundschaft des ÖV zu eruieren, sind bei diesen Werten die für gelegentliche Nutzende attraktiven Halb-Tax-Abonnemente (entspricht der BahnCard 50 in Deutschland) nicht mitgerechnet.