Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
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Mehr professionell ausgebildete Aufsichtsräte!
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Patrick Ulrich
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GaSTKOMMeNTar Patrick Ulrich Internationales Verkehrswesen (65) 1 | 2013 74 Mehr professionell ausgebildete Aufsichtsräte! V om amerikanischen Managementdenker Peter M. Senge stammt der Ausruf „How can a team of committed board members with individual IQs above 120 have a collective IQ of 60? “. Bisher weitgehend unerklärt durch Forschungsarbeiten scheinen individuell fähige Entscheidungsträger ihre Fähigkeiten plötzlich zu verlieren, sobald sie aktiv als Mitglieder in Aufsichtsräten wirken - oder ist es doch eher so, dass die „falschen“ Aufsichtsräte mit den „falschen Fähigkeiten“ in solchen Gremien sitzen? Letztendlich resultiert eine schlechte Unternehmensaufsicht in Unternehmenskrisen. Verstärkt wird die Krise der aktuellen Unternehmensaufsicht, wenn man sich die Fälle politischer Beteiligung in Aufsichtsräten ansieht. Betrachten wir die auch in Deutschland in der jüngeren Vergangenheit anführbaren Negativbeispiele von Daimler, Ferrostaal und Siemens, zuletzt auch vom Flughafen BER und Thyssen-Krupp, so dürfen ernsthafte Zweifel an der Eizienz und Efektivität der jetzigen deutschen Unternehmensaufsicht geübt werden. Betrachten wir die Aufgaben eines Aufsichtsgremiums: Dem Aufsichtsrat deutscher Prägung obliegt gemäß § 111 AktG die Überwachung des Vorstands. Neben weiteren Prüfungs- und Berichtsplichten vertritt er jedoch auch die Gesellschaft gegenüber dem Vorstand und soll diesen im Sinne des Unternehmens beraten. In der Praxis gewinnt man jedoch häuig den Eindruck, der Aufsichtsrat sei kein kritisches, an einer positiven Unternehmensentwicklung interessiertes, sondern eher ein passives, auf Harmonie ausgerichtetes Gremium, das Entscheidungen des Vorstands hinterfragt. Dies mag auch an der individuellen zeitlichen Belastung und Ämterkumulation vieler aktueller Aufsichtsräte liegen. Hinzu kommt, dass noch immer zu viele Aufsichtsratsposten „unter der Hand“ und im engeren Freundes- und Bekanntenkreis vergeben werden. Neben der angesprochenen mangelnden Eizienz werden auch die geringe Arbeitsintensität sowie die mangelnde Internationalität deutscher Aufsichtsräte im internationalen Vergleich angeführt. In Folge von Sarbanes-Oxley und der steigenden Haftungsproblematik individueller Aufsichtsratsmitglieder klagen Vorstände vermehrt darüber, dass sich ihre Aufsichtsräte nur noch mit potentiellen individuellen Haftungsproblemen und nicht mehr mit strategischen Fragen der Unternehmensführung beschäftigen. Die deutsche Debatte scheint sich zu sehr auf die Ordnungsmäßigkeit der Unternehmensführung als ihre strategische Sinnhaftigkeit zu beziehen. Anstatt Handlungsempfehlungen auf Basis konkreter Praxisfälle oder empirischer Belege zu geben, befasst man sich zu häuig mit den theoretisch zulässigen Handlungsspielräumen von Aufsichtsräten. Auf der funktionalen Ebene sind sicher einige Aspekte an der aktuellen Aufsichtsratspraxis zu kritisieren. Der Aufsichtsrat ist primär ein Aufsichts- und kein Beratungsgremium, wie dies bspw. für einen freiwillig eingerichteten Beirat der Fall ist. Kontrolle und Beratung schließen sich nicht immer, aber manchmal im Grundsatz aus. Auch die institutionelle Ebene birgt Kritikpunkte. Deutsche Aufsichtsräte sind bei (im Normalfall von DAX-Unternehmen) 20 Mitgliedern einfach zu groß, um vor allem ihrer Aufsichts- und Vertretungsaufgabe nachzukommen. Auch die Mitbestimmung und mangelnde Berücksichtung internationaler Arbeitnehmer wirken nicht unbedingt positiv. Die größte Problematik ergibt sich jedoch durch die immer noch enge Verlechtung von Vorstand, Kapitalgebern und Aufsichtsrat. Hier wurden durch Begrenzung der maximal möglichen Aufsichtsratsmandate sowie Einführung der Cooling-of-Periode beim Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat erste Erfolge erreicht. Auf der personalen Ebene ist vor allem die bereits angesprochene Mandatshäufung zu bemängeln. Des Weiteren entsteht zumindest der Eindruck, viele Aufsichtsgremien ließen die unabdingbaren Eigenschaften wie kritisches, analytisches Denken, Engagement, Motivation und Interesse komplett vermissen. Insbesondere von der Bildung von Ausschüssen sowie vom Recht der Bestellung von Sachverständigen zur Überprüfung von relevanten Sachverhalten kann man sich positive Impulse erhofen. Sicherlich ist der Wunsch nach Harmonie ein menschliches Grundbedürfnis. Im Unternehmenskontext gelten jedoch andere Spielregeln. Wer nur nach Harmonie und nicht nach Ergebnis trachtet, wird langfristig vom Markt verschwinden. Aufsichtsräte sollten sich vielmehr fragen, wie sie die ihnen übertragenen Aufgaben im Sinne der Unternehmenszwecke optimal erfüllen können. ■ Patrick ulrich, Dr. rer. pol. seit 2007 Projektleiter des Deloitte Mittelstandsinstituts an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Er promovierte zur Corporate Governance in mittelständischen Familienunternehmen und ist Autor mehrerer Bücher und Fachartikel zu Aufsichtsräten und Beiräten im Mittelstand. Zur PerSON Foto: Privat
