Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0025
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Treibjagd
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Gerd Aberle
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KurZ + KrITISCH Gerd Aberle Internationales Verkehrswesen (65) 2 | 2013 9 E s ist schon beeindruckend, mit welcher Intensität und Ausdauer zum Sturm auf die wirtschaftlich erfolgreiche Deutsche Bahn AG geblasen wird. Obgleich Deutschland wie kaum ein anderes europäisches Land die Barrieren für einen nachhaltigen intramodalen Eisenbahnwettbewerb beseitigt hat, wächst die agressive Kritik insbesondere der EU-Kommission. Trotz des Scheiterns der EU-Kommission mit ihrem Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof am 28. Februar 2013, mit dem sie eine eigentumsrechtllche Abtrennung des Schienennetzes erzwingen wollte, versucht sie nunmehr auf unterschiedlichen Wegen, ihr Unbundling-Ziel zu erreichen. Am 21. November 2012 brachte sie ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen angeblich unzulässiger Nutzung des Ergebnisabführungsvertrages zwischen der DB Netz AG und der Deutsche Bahn AG auf den Weg. Und seit dem 30. Januar 2013 versucht die EU-Kommission im Rahmen ihres Vorschlages für ein 4. Eisenbahnpaket erneut, das Unbundling dadurch durchzusetzen, dass entweder vertikal integrierte Organisationslösungen in Zukunft gar nicht oder aber nur unter außerordentlich restriktiven Aulagen zulässig sind. Diese Aulagen führen zu einem faktischen Unbundling, da sie jede Steuerungsmöglichkeit von Netzbetrieb und Netzinstitution nach den Erfordernissen eines eizienten und innovativen Eisenbahnsystems unterbinden. Es verärgert, mit welcher Einseitigkeit und theoretischer Argumentationsarmut die EU-Kommission vorgeht. So werden Behauptungen von angeblichen Trassenpreissenkungen und hieraus resultierenden volkswirtschaftlichen Gewinnen durch ein Unbundling vorgebracht. Einziger Bezugspunkt sind Lehrbuchaussagen zum natürlichen Monopol und zu essential facilities. Real existierende Wettbewerbsverhältnisse werden nicht berücksichtigt, wie etwa die hohe intermodale Konkurrenz von Straßen-, Luft- und Binnenschifsverkehr oder die seit 2000 ständig steigenden Marktanteile der intramodalen Wettbewerber. Dubiose Befragungsergebnisse müssen in der neuen Unbundling-Strategie als Begründung ausreichen. Die mittlerweile zahlreichen systematischen Untersuchungen zu den Systemvorteilen integrierter Bahnunternehmen bei gleichzeitiger sonstiger Regulierung des Netzsektors werden ignoriert. Zwar gilt der neue EU-Vorschlag für alle Bahnunternehmen, zielt aber vorrangig auf die DB. Dabei verschärft sich die Wettbewerbssituation im deutschen Bahnsektor ständig. So versuchen einige bedeutende SPNV-Aufgabenträger, bei den anstehenden hohen Ausschreibungsvolumina der Jahre 2013 bis 2015 möglichst DB- Wettbewerber erfolgreich werden zu lassen. Das französische Staatsunternehmen RATP, das den gesamten ÖPNV im Großraum »Es verärgert, mit welcher Einseitigkeit und-theoretischen Argumentationsarmut die EU-Kommission vorgeht.« Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche Treibjagd Paris als Monopolanbieter betreibt, will die DB AG aus ihrem S- Bahn-Betrieb Berlin verdrängen. Ein Berliner Erfolg soll zum Nukleus für seine weitere Deutschland-Expansion werden. Andererseits kann sich RATP über Verkehrsverträge für alle ÖPNV-Aktivitäten im Großraum Paris bis 2039 (! ) freuen, also über eine unangreibare Besitzstandsposition. Gleichzeitig wächst der intermodale Fernbus-Wettbewerb durch den neuen massiven Auftritt einer Vielzahl kleiner und mittelständischer Fernbusanbieter sowie deutscher und ausländischer Großorganisationen wie Aldi-Bus, Deutsche Post/ ADAC, Deutsche Touring, National Express (UK) und weitere. Zunehmend werden ICE-Strecken konkurrenziert, und dies zusätzlich zu den Niedrigpreisangeboten im Luftverkehr. Dieser in der ökonomischen Theorie beim klassischen Fall des natürlichen Monopols nicht enthaltene, aber im konkreten Fall sehr bedeutsame intermodale Wettbewerb auf allen Feldern der Bahnaktivitäten interessiert die Brüsseler Regulierer nicht. Ebenso wenig interessiert sie der durch ein zwangsweises Unbundling auftretende Eizienzverlust, die strukturellen Verwerfungen im Eisenbahnsystem oder die inanzpolitischen Konsequenzen. Die DB AG hat dem Netz durch Verlustübernahmen, Kapitalerhöhungen und Eigenmittelinvestitionen rund 18 Mrd. EUR zugeführt. Eine durch eigentumsrechtliche Abtrennung erforderliche Kontenbereinigung und die Beendigung dieser Mittelzuführungen würde den Steuerzahler erheblich belasten. Die permanenten Jagdauftritte der EU-Kommission rational nachzuvollziehen ist nicht möglich. Es scheint, dass das Erringen einer Zerschlagungstrophäe zum polit-emotionalen Anliegen geworden ist, das durch die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte der deutschen Eisenbahnpolitik noch neidvoll verstärkt wird.
