Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0026
61
2013
652
Mobilität 2013+
61
2013
Dirk Fischer
Sören Bartol
Oliver Luksic
Sabine Leidig
Stephan Kühn
Das Bedürfnis der Deutschen nach Mobilität wächst weiter. Wo es der Nahverkehr in den Ballungsräumen zulässt, schwindet die Bedeutung des eigenen Autos immer weiter. Reicht das aber aus, um in den Städten, den urbanen Regionen und in der Fläche tragfähige Mobilitätsstrukturen zu erhalten und womöglich auszubauen? Ist die Politik bereit, für die rechtlich und finanziell notwendigen Rahmenbedingungen zu sorgen? Im Vorfeld der Bundestagswahl fragte Internationales Verkehrswesen die im Bundestag vertretenen Parteien nach ihren Ideen, Konzepten und Strategien für den Verkehr von morgen.
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POLITIK Verkehrsstrategie Internationales Verkehrswesen (65) 2 | 2013 10 Mobilität 2013+ Parteien im Bundestag zum Verkehr der Zukunft Das Bedürfnis der Deutschen nach Mobilität wächst weiter. Wo es der Nahverkehr in den Ballungsräumen zulässt, schwindet die Bedeutung des eigenen Autos immer weiter. Reicht das aber aus, um in den Städten, den urbanen Regionen und in der Fläche tragfähige Mobilitätsstrukturen zu erhalten und womöglich auszubauen? Ist die Politik bereit, für die rechtlich und inanziell notwendigen Rahmenbedingungen zu sorgen? Im Vorfeld der Bundestagswahl fragte Internationales Verkehrswesen die im Bundestag vertretenen Parteien nach ihren Ideen, Konzepten und Strategien für den Verkehr von morgen. Cdu: Ganz oben auf der Liste steht die Verkehrssicherheit dirk Fischer, MdB, Verkehrspolitischer Sprecher der CDU/ CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag; dirk.ischer@cducsu.de Der Verkehr der Zukunft muss bei gesicherter Finanzierung der Infrastruktur noch sicherer, zuverlässiger, ressourcenschonender, innovativer und leiser werden, ohne dass auf Mobilität verzichtet werden muss. Das sind in knappen Worten die wichtigsten Herausforderungen für die Verkehrspolitik. Ganz oben auf der Prioritätenliste steht die Verkehrssicherheit, die wir weiter verbessern wollen, indem besonders gefährdete Risikogruppen wie Kinder, Fußgänger und Radfahrer geschützt werden müssen. Die Zahl der getöteten Verkehrsopfer und der verletzten Unfallopfer muss weiter gesenkt werden. Der abnehmende Trend der vergangenen 20 Jahre ist dabei Ansporn für die sehr gute Verkehrssicherheitsarbeit in Deutschland. Auch für Fahranfänger kann das Lernangebot verbessert werden, ohne-dass der Führerscheinerwerb zu teuer wird. Bei der Aufstellung des neuen Bundesverkehrswegeplans müssen wir uns neben dem Schwerpunkt Erhalt auf Vorhaben konzentrieren, die Engpässe beseitigen und Knoten entlasten. Die Sanierung von Brücken und Kanälen wie dem Nord-Ostsee-Kanal stehen dabei im Mittelpunkt genauso wie der bedarfsgerechte Ausbau der seewärtigen Zufahrten und Hinterlandanbindungen. In der Grundkonzeption der Bundesregierung für den neuen Bundesverkehrswegeplan ist mit der neuen Kategorie „Vordringlicher Bedarf Plus“ bereits angelegt, dass Vorhaben mit überregionaler Bedeutung besonders berücksichtigt werden müssen. Die Bundesländer sollten dies bei ihren Anmeldungen im Auge haben und sich idealerweise auch mit anderen Ländern abstimmen, wenn es um diese Kategorie geht. Auch den Anforderungen des demographischen Wandels wollen wir gerecht werden, indem Mobilität in der Stadt und auf dem Land sichergestellt wird. In den Ballungsräumen werden neben dem guten Netz des Öfentlichen Personennahverkehrs neue innovative Mobilitätskonzepte zum Einsatz kommen. Emissionsarme und platzsparende Lösungen wie die Elektromobilität und das Car-Sharing aber auch Mietfahrrad-Systeme erfordern die passenden Rahmenbedingungen, z. B. die Ausweisung von Stellplätzen und eine entsprechende (Lade-)Infrastruktur. Auf dem Land werden Bürger- und Anrubusse oder der rollende Verkaufsladen eine wichtigere Rolle bei der Versorgung der Menschen spielen. Nachhaltige Mobilität beruht vielfach auf technischen Innovationen. Alternative Antriebstechnologien (z.B. Batterie, Wasserstof oder Brennstofzelle) werden weiter entwickelt, wobei ein technologieneutraler Förderansatz verfolgt wird. Insbesondere in der Luftfahrt werden Biokraftstofe (der zweiten Generation basierend auf Zellulose) künftig eine wichtigere Rolle spielen. Die Akzeptanz von Infrastrukturvorhaben wollen wir verbessern. Die Bürger sind neben den Fachleuten aufgerufen, sich frühzeitig zu informieren und einzubringen. Die Projektbeiräte an der Rheintalbahn sind ein positives Beispiel für einen konstruktiven Prozess der Bürgerbeteiligung. Verkehrslärm und Emissionen wie CO 2 müssen weiter verringert werden - dies ist eine zentrale Aufgabe, um einerseits dem steigenden Verkehrsaukommen zu begegnen und um andererseits die Akzeptanz bei den Bürgern zu erhöhen, wenn es um den notwendigen Ausbau der Infrastruktur geht. Weitere Maßnahmen des Lärmschutzes sind erforderlich, um vor allem den Anwohnern in der Nähe von Flughäfen, Schienenstrecken und vielbefahrenen Straßen mehr Ruhe zu verschafen. Dabei steht der Lärmschutz an der Quelle, d.h. am Verkehrsmittel selbst, im Vordergrund. Dieser muss ergänzt werden, z.B. durch ein europäisches Förderprogramm zur Umrüstung von Güterwaggons. Die Reform der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung des Bundes wird fortgeführt, wobei die einzelnen Standorte von Ämtern und Organisationseinheiten noch einmal überprüft werden. Der Wettbewerb auf der Schiene wird durch eine eiziente und efektive Eisenbahnregulierung ergänzt, die von der Bundesnetzagentur überwacht wird. Das Vierte Eisenbahnpaket der Europäischen Kommission bildet den Rahmen für den Abbau von wettbewerbsbeeinträchtigenden Hürden. Internationales Verkehrswesen (65) 2 | 2013 11 SPd: Oberste Priorität hat der erhalt der Infrastruktur Sören Bartol, MdB, Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung; soeren.bartol@bundestag.de Wer über den Verkehr der Zukunft spricht, muss wissen, wie die Mobilität der kommenden Jahre organisiert werden soll. Deutschland braucht ein funktionierendes Verkehrs- und Mobilitätssystem. Heute steht der deutsche Wirtschaftsstandort mehr im Stau, als er sich vorwärts bewegt. Gleichzeitig muss der Verkehr leiser und umweltschonender werden. Der Verkehr der Zukunft und damit verbundene neue Mobilitätskonzepte werden maßgeblich von der Verkehrsinfrastruktur bestimmt. Daher haben wir sie ins Zentrum unserer Politik gerückt und hierzu im Projekt „Infrastrukturkonsens“ Reformvorschläge im Dialog mit Verbänden, Wissenschaftlern und den Ländern erarbeitet (http: / / www.spdfraktion.net/ node/ 11192). Wir wollen mehr Geld in die Verkehrswege investieren. Aber Geld allein genügt nicht. Wir brauchen mehr Akzeptanz durch eine bessere und frühzeitigere Bürgerbeteiligung. Und es bedarf vor allem klarer Prioritäten und einer Reform der Planung und Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur. So muss die Bundesverkehrswegeplanung zu einer verkehrsträgerübergreifenden Bundesverkehrsnetzplanung umgebaut werden. Nicht die isolierte Betrachtung der Einzelprojekte darf im Mittelpunkt stehen, sondern das Funktionieren des Netzes als Ganzes. Das gilt auch für die Flughäfen, für die wir einen „Masterplan Flughäfen“ erarbeiten wollen. Oberste Priorität hat der Erhalt der Infrastruktur. Die Mittel hierfür wollen wir aufstocken, u.a. mit einem Programm zur Sanierung der Autobahnen mit Schwerpunkt Autobahnbrücken, einer verbesserten Finanzausstattung der LuFV Schiene und einem Schleusenreparaturprogramm. Um den Bedarf richtig einzuschätzen und Maßnahmen zu priorisieren, ist ein zweijährlich erscheinender Verkehrsinfrastrukturbericht unabdingbar. Beim Neu- und Ausbau müssen die Engpassbeseitigung und der Ausbau hoch belasteter Hauptachsen und Knoten Priorität haben. Hierfür werden wir ein „Nationales Verkehrswegeprogramm“ aulegen, in das 80 % der Neu- und Ausbaumittel ließen. Die Finanzierung erfolgt außerhalb der Länderquote und wird auf fünf Jahre im Bundeshaushalt ixiert. Damit wird sichergestellt, dass wichtige Projekte durchinanziert sind und schnell umgesetzt werden. Bei der Bahn müssen Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit wieder zum Markenzeichen werden. Den weiteren Ausbau der Schiene wollen wir deshalb an einem Taktfahrplan ausrichten, in dem Nah- und Fernverkehre aufeinander abgestimmt und vorkonzeptionierte Güterverkehrstrassen integriert sind. Für den Schienengüterverkehr wollen wir die Kapazitäten bis 2030 verdoppeln, zuvor aber den Lärmschutz deutlich verbessern, indem bis 2020 alle Güterwagen auf leise Bremssohlen umgerüstet sind. Der Einluss des Bundes auf das Schienennetz muss wieder gestärkt werden, etwa indem die Bundesregierung einen Bahnbeauftragten einsetzt, der die Aufsichtsratsvertreter des Bundes koordiniert. Vor allem muss institutionell sichergestellt werden, dass künftig alle Einnahmen aus dem Schienennetz wieder in die Infrastruktur zurückließen. Um die kommunale Verkehrsinfrastruktur - ÖPNV und Gemeindestraßen - dauerhaft zu sichern, streben wir einen Investitionspakt an, bei dem die Länder vom Bund Investitionsmittel erhalten und sich im Gegenzug verplichten, sie zweckgebunden für die Verkehrsinfrastruktur zu verwenden. Wir wollen die Haushaltsmittel für die Verkehrswege um 2 Mrd. Euro jährlich aufstocken, zusätzlich aber auch die Nutzerinanzierung weiterentwickeln, indem die Lkw- Maut auf alle Straßen ausgeweitet wird. Dabei muss sichergestellt sein, dass sämtliche Mehreinnahmen aus der Lkw-Maut in vollem Maße der Verkehrsinfrastruktur zu Gute kommen und die Investitionsmittel im allgemeinen Haushalt nicht gleichzeitig gekürzt werden. Wir plädieren deshalb für eine überjährige Zweckbindung der Einnahmen in einem verkehrsträgerübergreifenden Finanzierungskreislauf. Er muss transparent und für jeden Verkehrsträger nachvollziehbar gestaltet sein. FdP: Bezahlbare Mobilität in Zukunft gewährleisten Oliver Luksic, MdB, Verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Mitglied im Ausschuss für Verkehr, Bau & Stadtentwicklung; oliver.luksic@bundestag.de Mobilität ist und bleibt auch in Zukunft Ausdruck individueller Lebensqualität. Sie ist Voraussetzung von Flexibilität sowie ein wichtiger Baustein für unseren Fortschritt und das Wirtschaftswachstum. Deutschland ist und bleibt mit seiner geographischen Lage das wichtigste Transitland in Europa. Bei einer Gesellschaft mit hoher Arbeitsteilung sowie hohem Export werden auch in naher Zukunft die zentralen Fragen sein, wie wir bezahlbare Mobilität des Einzelnen und ein eizientes Verkehrssystem angesichts der erwarteten Zuwachsraten im Güterverkehr gewährleisten. Die Freiheit ist dabei auch künftig ohne Verantwortung undenkbar, und deshalb darf die steigende Mobilität nicht auf Kosten der Allgemeinheit und der Umwelt gehen. Die FDP will daher den Verkehr und die Umwelt durch ein intelligentes Gesamtkonzept miteinander „versöhnen“. Es ist aus unserer Sicht zudem klar, dass der Verkehrssektor seinen Beitrag zum Umweltschutz leisten muss. Jeder Verkehrsteilnehmer soll die von ihm verursachten Kosten für den Umweltschutz sowie für den Infrastrukturerhalt und -ausbau tragen. Auf dieser Basis soll jeder Einzelne selbst entscheiden können, welches Verkehrsmittel er wählt. Denn nur so entstehen faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den Verkehrsträgern. POLITIK Verkehrsstrategie Internationales Verkehrswesen (65) 2 | 2013 12 Aufgrund der Verknappung fossiler Brennstofe zeichnet sich in der Verkehrswirtschaft auf mittlere Frist ein Abschied von den traditionellen Kraftstofen ab. Die Frage der Gewährleistung nachhaltiger und bezahlbarer Mobilität im Zusammenhang mit schwindenden Ressourcen und der Veränderung des Klimas ist und bleibt daher auch künftig aktuell. Zukunftsweisend im Bereich der umweltschonenden Technologien sind Biokraftstofe der zweiten und dritten Generation, die beispielsweise aus Reststofen und Algen gewonnen werden können. Weitere Schlüsseltechnologien sind wasserstofgetriebene Brennstofzellen und Elektroantriebe. Neben einer konsequenten Verbesserung der Energieeizienz bei den gegenwärtig genutzten Kraftstofen und Antriebstechniken, ist es gerade im Verkehrsbereich erforderlich, alternative Antriebe und Kraftstofe weiter zu entwickeln und diese bei der Markteinführung zu unterstützen. Darüber hinaus führt die demograische Entwicklung dazu, dass der Status quo der öfentlichen Verkehrsversorgung in Frage gestellt werden muss. Die Mobilitätsbedürfnisse werden sich hierdurch spürbar ändern. In allen Annahmen besteht Einigkeit darüber, dass die Bevölkerungsstruktur unserer Gesellschaft am Beginn eines gravierenden Wandlungsprozesses steht. Die Bürgerinnen und Bürger dürfen jedoch nicht vor die Frage gestellt werden, ob man sich in 20 oder 30 Jahren die individuelle Mobilität noch leisten kann. Deshalb wollen wir weder einseitige Subventionen noch künstliche Verteuerungen des Verkehrs, mit denen insbesondere Autofahrer bestraft werden sollen. Trotz vielfältiger Bemühungen seit der Wiedervereinigung sind Erhalt, Neu- und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur weit hinter den bedarfsgerechten Erfordernissen zurückgeblieben. Die Infrastukturinanzierung Deutschlands stagniert. Verkehrsinfrastrukturinvestitionen bedeuten keine Verteilung von Wohlfahrt, sondern sind die Basis für die Erwirtschaftung verteilungsfähiger Wohlfahrt. Auf der anderen Seite baut und plant kein Land so aufwendig und teuer wie Deutschland. Das Finanzierungssystem zwischen Bund und Ländern ist extrem intransparent und ineizient. Mischkompetenzen sind zwischen verschiedenen Gebietskörperschaften erfahrungsgemäß weder eizient noch transparent. Kleinteilige Korrekturen - ohne neue Ansätze der Nutzerinanzierung - sind nicht mehr länger tragfähig. Für den riesigen Investitionsbedarf der Zukunft müssen wir letztlich über neue Finanzierungsinstrumente diskutieren. Wir wollen noch mehr Finanzierungskreisläufe für Straße und Schiene schafen. Die Straße ist ein Hauptverkehrsträger und muss weiter entsprechend ausgebaut werden. Die Bahn muss durch mehr Wettbewerb zukunftssicher gemacht werden. In Zeiten der notwendigen Haushaltskonsolidierung bleibt es besonders wichtig, klare Prioritäten bei den Investitionen zu setzen. Nur eine Nutzergruppe für die Finanzierungskosten in Zukunft aukommen zu lassen, wäre falsch. Das Finanzierungssystem zwischen Bund und Ländern betrachten wir als ineizient, es muss auf den Prüfstand gestellt werden. Die Mobilitätspolitik der Zukunft muss dem Grundsatz folgen, dass wir die Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung stetig verbessern. Die Aufgabe des Staates kann jedoch nicht sein, eine absurde Subventionspolitik auf die Spitze zu treiben. die Linke: Für eine vernünftige utopie der entschleunigung Sabine Leidig, MdB, Verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion DIE-LINKE; sabine.leidig@bundestag.de Entgegen der vorherrschenden Meinung ist Verkehr keine quasi naturwüchsige Angelegenheit, sondern das Ergebnis unserer Produktions- und Lebensweise. Ein Mensch legt heute mit 12.000 Kilometer pro Jahr eine doppelt so lange Wegstrecke zurück wie vor 30 Jahren. Was früher als (Transport-)Aufwand empfunden wurde, gilt heute als (Verkehrs-)Leistung, die immer weiter gesteigert wird. Dabei wachsen die Lasten des Verkehrs mit und werden den Gesellschaften aufgeladen: Schäden für Umwelt, Klima und Gesundheit, Unfallopfer, Verlust von Lebensqualität, und zunehmende Ineizienz durch Staus. Dazu die Zerstörungen durch Ölförderung, Raubbau an Rohstofen, Militarisierung und Kriege um die fossilen Ressourcen. Der Import von Agrotreibstof verdrängt die Nahrungsmittelproduktion und führt dazu, dass wertvolle Wälder und andere Biotope zerstört werden. Mit dem Fokus auf Elektroautos, Flüssiggas oder sonstigen Surrogate, wird Zeit und Geld in die Fortführung des falschen Pfades gesteckt: FAST steht für Tempo und Beschleunigung, für eine Politik des „weiter so“ und letztlich für Stress bei Natur, Klima und Mensch. Eine zukunftsfähige Verkehrs-(und Mobilitäts-)Politik muss an die Wurzel des Problems gehen und mit politischen Zielsetzungen und langfristiger Planung dafür sorgen, dass schädlicher Verkehr radikal reduziert wird - mit Blick auf das Jahr 2030, was der Periode des nächsten Bundesverkehrswegeplanes entspricht. Notwendig ist ein alternativer Entwicklungspfad: SLOW, der für Entschleunigung, eine Politik der Verkehrswende und schließlich für ruhigeres Leben und mehr soziale Teilhabe steht. Die notwendigen Weichenstellungen dafür lassen sich in wenige Punkte fassen: 1. Strukturpolitik zur Herstellung von kurzen Wegen: Nicht diejenigen sind besonders mobil, die schnell und weit fahren, sondern diejenigen, die die Orte des Lebens - Schule, Arbeitsplatz, Park, Kino, Einkaufsladen oder Arzt - leicht erreichen können. Elemente sind die „Stadt der kurzen Wege“, grüne Lungen und Dorläden oder mobile Versorgung. 2. Gezielte Förderung von Fahrradfahren und Zu-Fuß-gehen: Es ist die Frage der Entfernung und die Qualität und Sicherheit, die diese Fortbewegungsarten attraktiv machen. Von den Fußgängerzonen über Grünstreifen und kreuzungs- und garantiert schneefreie Rad(schnell) wege bis hin zu Fahrradparkhäusern gilt es, die vereinzelt erblühten Alternativen zu verallgemeinern. 3. Erhalt, Ausbau und Verbesserung des ÖPNV, des Schienennetzes und der Angebote der Bahn: Es ist realistisch, die Beförderungskilometer der Eisenbahnen um gut 80 % zu erhöhen und die von S-Bahnen und Trams zu verdoppeln. Der Transport von Gütern muss vor allem auf die Schiene. Die Straße soll „zurückerobert werden“ - statt teuren U-Bahnen gehört der Tram die Zukunft. Wichtig ist ein einheitliches (Preis-)Sys- Internationales Verkehrswesen (65) 2 | 2013 13 tem - am besten ÖPNV-Flatrate ohne Tickets - und ein in landesweiter Integraler Taktfahrplan. Dazu vollständige Barrierefreiheit, personengebundener Service an allen Bahnhöfen und gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten. Eine Mobilitätsgarantie auch im ländlichen Raum (verlässliche Erreichbarkeit des nächsten Oberzentrums) soll dafür sorgen, dass niemand aufs eigene Auto angewiesen ist. 4. Unterstützung für die gelebten Utopien: Autofreies Wohnen oder autofreie Ferienorte haben eine besondere „Leuchtturmfunktion“, und mit autofreien Tagen kann die neue Lebensqualität erfahrbar werden. Autofreie Tage gibt es mittlerweile jährlich an rund 80 Orten in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie in etwa 150 italienischen Städten. Zum fünften autofreien Sonntag strömten im vergangenen Jahr mehr als 120 000 Besucher_innen nach Hannover. 5. Einschränkung des Flugverkehrs: Dazu müssen vor allem die Subventionen beendet und die externen Kosten eingepreist werden. Nötig sind Flugverbote zum Schutz der Bevölkerung und die Verlagerung von Inlands- und Kurzstreckenlügen auf die Bahn, die auch gute Nachtreisezüge bietet. 6. Deutliche Reduzierung des Güterverkehrs: Durch die Anlastung sämtlicher gesellschaftlicher Kosten müssen Transporte verteuert werden. LKW-Fahrten sind einzuschränken, um Mensch und Umwelt zu schützen. Mit der Förderung von regionalen Wertschöpfungsketten und Wirtschaftskreisläufen entsteht ein Gegengewicht zur Globalisierung. Unser Zukunftsprogramm in Kürze: Mobilität für alle - mit weniger Verkehr. Bündnis 90/ die Grünen: Verkehrspolitik 2050 - Weichenstellungen für eine postfossile Mobilität Stephan Kühn, MdB, Sprecher für Verkehrspolitik, Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen; stephan.kuehn@bundestag.de Wie sieht die Mobilität im Jahr 2050 aus und welche Weichenstellungen müssen wir bereits heute vornehmen, um langfristige Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsziele zu erreichen? Wie können wir unser auf dem Verbrauch fossiler Energieträger basierendes Verkehrssystem in ein postfossiles System transformieren und wie kann Mobilität dabei bezahlbar bleiben? Wagen wir einen Zeitsprung in das Jahr 2050: Seitdem ab 2015 bei der Bahn schrittweise der Deutschland-Takt mit einer DeutschlandCard für die Nutzung aller öffentlichen Verkehrsmittel eingeführt wurde, stiegen immer mehr Bürgerinnen und Bürger um. Jeder Dritte ist bereits im Besitz der DeutschlandCard, die auch freie Fahrt mit Pedelecs und in Rubussen erlaubt und so durchgehende Mobilitätsketten selbst bis in den entlegensten Winkel der Republik ermöglicht. DeutschlandCard-Besitzer haben Zugang zu allen CarSharing-Angeboten. Überhaupt ist Intermodalität im Verkehr selbstverständlich geworden. Nur durch die Stärkung der öfentlichen Verkehrsmittel und die Durchsetzung strengster Verbrauchsgrenzwerte bei Pkw konnte bei drastisch steigenden Preisen an der Tankstelle Mobilität für alle bezahlbar gehalten werden. Zurück in die Gegenwart: Damit diese Vision Wirklichkeit wird, bedarf es grundsätzlicher Weichenstellungen in Richtung nachhaltiger Mobilität. Klar ist: Unsere heutige Mobilität ist alles andere als nachhaltig. Der Verkehr ist mit 90 % wie kein anderer Sektor abhängig von der knappen und endlichen Ressource Erdöl. In Deutschland gehen rund 20 % der CO 2 -Emissionen auf den Verkehr zurück. Mit der Verplichtung auf das Zwei-Grad- Ziel beim Klimaschutz hat Deutschland verbindliche Minderungsziele bei den Treibhausgasemissionen einzuhalten. Deshalb ist es zwingend notwendig, nationale Ziele mit deinierten Etappenzielen für den Energieverbrauch des Verkehrssektors festzulegen. Verkehrsverlagerung auf die energieeizienteren und klimaschonenderen Verkehrsmittel spielt dabei eine zentrale Rolle. Beim Aubau eines zukunftsfähigen Verkehrssystems kommt den Verkehrsmitteln des Umweltverbunds eine tragende Rolle zu. Deshalb wollen wir in Deutschland eine Bahn- und ÖPNV-Ofensive anstoßen, mit dem Ziel, die Fahrgastzahlen bei Bus und Bahn zu verdoppeln. Im Mittelpunkt steht dabei ein Deutschland-Takt. Die Verkehrsleistung der Güterbahnen wollen wir ebenfalls mindestens verdoppeln. Um das zu erreichen, ist ein Ausbau der Infrastruktur unabdingbar. Dabei wollen wir die Bürgerinnen und Bürger von Anfang an über weitreichende Instrumente der Beteiligung in die Planung einbeziehen. Erreicht werden können die Verlagerungsziele nur, wenn künftig in die richtigen Infrastrukturprojekte investiert wird. Dazu brauchen wir neue Prioritäten. Für alle Verkehrsträger gilt: Weniger Prestige, mehr Pragmatismus. Bei der Schiene brauchen wir vor allem neue Kapazitäten im Schienengüterverkehr. Das Fernstraßennetz ist in seiner Grundstruktur vollendet, nur an wenigen Stellen gibt es noch Engpässe. Der Neuausrichtung der Verkehrspolitik muss auch durch neue Finanzierungsinstrumente Rechnung getragen werden. Die geschlossenen Finanzierungskreisläufe einzelner Verkehrsträger müssen zugunsten einer verkehrsträgerübergreifenden Finanzierung wieder aufgelöst werden. Vielmehr müssen die externen Kosten den jeweiligen Verkehrsträgern angelastet werden. In diesem Zusammenhang ist es zielführend, die Lkw-Maut zunächst auch auf das Bundesstraßennetz und auf Lkw ab 3,5 t auszuweiten. Damit kann gleichzeitig ein Finanzierungsbeitrag für die notwendige Lärmsanierung an bestehenden Straßen und Eisenbahnstrecken geleistet werden. Wir wollen Betrofenen einen Rechtsanspruch auf Lärmschutz einräumen. Insgesamt muss die Infrastrukturpolitik auf die Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsziele neu ausgerichtet werden. Die Bundesregierung ist gerade dabei, die Weichen wieder in die falsche Richtung zu stellen und versteht Infrastrukturpolitik immer noch als Bauprogramm. Statt mit der Grundkonzeption das Fundament für einen zukunftsfähigen Bundesverkehrswegeplan zu legen, wird abermals der untaugliche Versuch gestartet, dem unterstellten Verkehrswachstum hinterher zu bauen. Auf klare CO 2 -Reduktionsziele oder Verlagerungs- und Kapazitätsziele beim Verkehrsträger Schiene wird gleich ganz verzichtet. Noch können die Fehler korrigiert werden, ansonsten wäre der BVWP 2015 verlorene Zeit auf dem Weg zum postfossilen Verkehrssystem. Und die Zeit drängt. ■
