eJournals Internationales Verkehrswesen 65/2

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0035
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2013
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Der Nord-Süd-Korridor

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2013
Herbert Sonntag
Bertram Melmbresse
Phillip Michalk
Die europäische Integration der letzten zwei Jahrzehnte hat gerade im Güterverkehrs- und Logistiksektor eine Dynamik erzeugt, die sowohl Chancen eröffnet als auch zum Handeln zwingt. Ein markantes Beispiel dafür ist die Entwicklung des Nord-Süd-Korridors zwischen Skandinavien und der Adria.
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LOGISTIK Wissenschaft Internationales Verkehrswesen (65) 2 | 2013 34 D ie Entwicklung eines pan-europäischer Korridors zwischen Ostsee und Adria hat durchaus historische Tradition und ist seit der EU-Osterweiterung wieder in den Blickpunkt geraten. Es ist zu einem signiikanten Wirtschaftswachstum in den östlichen Beitrittsländern Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei gekommen. Dieser Prozess wird von einer Verlagerung von Produktionsstandorten nach Osten begleitet; eine Entwicklung die von vielen Ökonomen als eine Erweiterung der Blauen Banane 1 nach Osten interpretiert wird. Vorreiter war hier besonders die Automobilindustrie [1]. Tatsächlich liegt der weltweit größte Automotive Cluster [2] inzwischen in einem Entwicklungsraum zwischen Skandinavien und der Adria - dem Nord-Süd- Korridor (Bild 1). Der Nord-Süd-Korridor stellt die kürzeste Verbindung zwischen der Adria und Skandinavien dar [3] und ist damit eine logische Alternative zu Verkehrskorridoren in Nord-Süd Richtung, die über den Westen und den Südwesten Deutschlands führen. Für den Nord-Süd-Korridor sprechen folgende Argumente: 1. Skandinavien gewinnt als wichtiger Lieferant von Gütern und Rohstofen an Bedeutung. So werden Eisen, Zink, Kupfer und Blei in Schweden (insbesondere am Bottnischen Meerbusen) abgebaut und ins restliche Europa exportiert. 2. Die Adria-Häfen stellen eine Alternative bzw. Ergänzung zu den Häfen der West- und Nordrange dar, um Zentraleuropa an die Welthandelsströme anzubinden. 3. Darüber hinaus sind im Nord-Süd-Korridor durch die ostdeutschen Bundesländer, vor allem auf der Schiene, noch ausreichend Kapazitätsreserven im Güterverkehr vorhanden, während die Kapazitäten im westlichen Korridor knapp werden. Trotz dieser gewichtigen Argumente spielte der Nord-Süd-Korridor in der deutschen Infrastrukturpolitik bis 2007 eine geringere Rolle als Verbindungen in Ost-West Richtung. Deswegen beschlossen die ostdeutschen Minister für Raumordnung im Mai 2007, die Entwicklung des Korridors von Skandinavien bis zum Mittelmeer voranzutreiben [4]. Der Ausbau der Infrastruktur im Nord-Süd Korridor ist dabei mittlerweile auf einem guten Weg. Die Strecke Berlin-Rostock wird gegenwärtig ertüchtigt, die Ausbaustrecke Berlin-Halle/ Leipzig wurde 2006 fertiggestellt und die anschließende Neubaustrecke nach Erfurt wird voraussichtlich 2015 fertig, mit Verlängerung nach Nürnberg bis 2016. Der Brenner-Ba- Der Nord-Süd-Korridor Chancen und Entwicklungen zwischen Skandinavien und der Adria Die europäische Integration der letzten zwei Jahrzehnte hat gerade im Güterverkehrs- und Logistiksektor eine Dynamik erzeugt, die sowohl Chancen eröfnet als auch zum Handeln zwingt. Ein markantes Beispiel dafür ist die Entwicklung des Nord-Süd-Korridors zwischen Skandinavien und der Adria. Die Autoren: Herbert Sonntag, Bertram Meimbresse, Philip Michalk Bild 1: Kapazitätsbindung - im Schienenverkehr - im Nord-Süd-Korridor und im alternativen westlichen Korridor. (Darstellung basierend auf Daten der Infrastrukturbetreiber von 2008, Projekt SoNorA 2009). Internationales Verkehrswesen (65) 2 | 2013 35 LOGISTIK Wissenschaft sistunnel, der auf der Achse Berlin-Palermo die Alpenquerung signiikant verbessern wird, wird voraussichtlich 2025 betriebsbereit sein [5]. Mit dem Ziel, die Fähr-Kapazitäten zwischen Deutschland und Skandinavien zu vergrößern, wurde die Linie Rostock-Gedser in das „Motorway of the Seas“-Programm der EU aufgenommen. Durch umfangreiche Umbaumaßnahmen in den Häfen Rostock und Gedser und die neuen Fähren „Berlin“ und „Copenhagen“ soll die Frachtkapazität auf der Strecke bis 2013 nahezu verdoppelt werden [6]. Die feste Fehmarnbeltquerung dürfte zunächst vor allem den westlichen, etablierten Korridor stärken. Allerdings kann auch die neue Querung nichts an den Kapazitätsengpässen auf den Schienenverbindungen von Hamburg in Richtung Süden ändern [7]. Jedoch könnte durch einen Ausbau der Bad-Kleinen-Kurve (insbesondere der Abschnitt Strecknitz - Bad Kleinen) die Verbindung nach Berlin und weiter Richtung Osten und Südosten verbessert werden. Nicht nur auf der Infrastruktur-Ebene wird der Nord-Süd-Korridor vorangetrieben (Bild 2). In den letzten Jahren wurden verschiedene Projekte gestartet, um vorhandene Potentiale im Korridor zu aktivieren. So wurde im Rahmen von SoNorA 2 die Entwicklung eines multimodalen Netzwerkes unterstützt, das sich von der Ostsee über Deutschland, Polen, der Tschechischen Republik, der Slowakei, Ungarn, Österreich, Italien und Slowenien bis zur Adria erstreckt. Das Projekt Scandria 3 konzentrierte sich vor allem auf die Verbindung von Zentraleuropa nach Skandinavien und stellte somit eine logische Ergänzung zu SoNorA dar [8]. Das Projekt FLAVIA 4 [9] will den ergänzenden Logistik-Korridor nach Süd- Ost-Europa ertüchtigen und ist somit eine Erweiterung des Nord-Süd-Korridors in Richtung Schwarzes Meer. In allen drei Projekten wurden intermodale Transportketten (einschließlich Potentialanalysen und Kundenbefragungen) entwickelt (vgl. [2]), um die logistischen Potentiale des Korridors zu demonstrieren. Beispielhaft zu nennen sind Verbindungen in das nördliche Tschechien, um neue Verkehrsangebote für die schwedische Automobilindustrie zu schafen, Anbindungen der Region Berlin - Brandenburg nach Süden und Verbindungen zwischen den Ostseehäfen und Häfen an der Adriaküste. In Scandria wurden darüber hinaus betriebswirtschaftliche und logistische Planungsmethoden weiterentwickelt. So wurde z. B. ein Indikatormodell geschafen, das die Kundenzufriedenheit mit einem intermodalen Angebot - im Vergleich zum Straßentransport -, basierend auf Fahrplan- und Kosten-Submodellen prognostiziert [10]. Damit können intermodale Verbindungen mit besonders großem Erfolgspotential identiiziert werden. Die Einsatzkonzepte für intermodale Angebote sind in der folgenden Tabelle-1 nach relevanten Kriterien dargestellt. In SoNorA wurden Workshops mit intermodalen Operateuren und Verladern durchgeführt, um die entwickelten Transportketten in die Praxis Nr. Strecke Frequenz reisedauer Konzeptioniert von 1 Hässleholm - Lovosice k.A. k.A. Öresund Logistics 2 Rostock - Lovosice 3 Abfahrten/ Woche 15 Stunden TH Wildau 3 Rostock - Trieste 2 Abfahrten/ Woche 39 Stunden Hafenentwicklungsgesellschaft Rostock 4 Berlin - Ulm - Mailand 3 Abfahrten/ Woche 40 Stunden Gemeinsame Landesplanungsabteilung Berlin-Brandenburg/ TH Wildau 5 Frankfurt (Oder) - Koper 2 Abfahrten/ Woche 72 Stunden TH-Wildau 6 Frankfurt (Oder) - Villach 2 Abfahrten/ Woche 56 Stunden TH-Wildau Tabelle 1: Auswahl der Einsatzkonzepte für intermodale Züge im Nord-Süd-Korridor. Bild 2: Shuttlezug-Konzepte der Projekte Scandria und SoNorA (Auswahl) und SoNorA Kernnetz [8, 14] (Legende: vgl. Bild 1). LOGISTIK Wissenschaft Internationales Verkehrswesen (65) 2 | 2013 36 zu überführen. Um die Umsetzung und Planung solcher intermodaler Transportketten europaweit zu unterstützen, wurde in FLAVIA ein innovatives Routing Tool für den intermodalen Verkehr aubauend auf die Entwicklung in ECO- 4LOG 5 [11] und INTERIM 6 [12], realisiert. Das Routensuchprogramm FLAVIA Online Tool [13] ermöglicht es Anwendern, komplette intermodale Ketten vom Versender zum Empfänger zu planen. Routen können kosten-, emissions- oder reisezeit-optimiert bestimmt werden. Darüber hinaus kann der Nutzer Terminals auf ihre Erreichbarkeit untersuchen. Die Auswirkungen von Szenarien, wie zum Beispiel die Blockade eines Verkehrsweges, können ebenfalls simuliert werden. Das Anwendungsbeispiel auf Bild 3 zeigt die Ausgabe nach Verkehrsträgern und den unterschiedlichen Optimierungskriterien. Das sind nur einige Bausteine zur konzertierten Entwicklung des Nord-Süd-Korridors. Korridorprojekte dienen der Verbesserung der Zusammenarbeit der Stakeholder. Sie bringen politische Akteure, wie etwa Regionen, Städte und Fachministerien - unterstützt durch wissenschaftliche Institutionen - mit Wirtschaftsakteuren zusammen, um gemeinsam Weichenstellungen für die Verkehrs- und Regionalentwicklung zu setzen. Gleichzeitig zeigen sie innovative Lösungen für die Logistik der Zukunft auf. Um den Nord-Süd- QueLLen Bertram Meimbresse, Dipl.-Ing. Koordinator der Forschungsgruppe Verkehrslogistik an der TH Wildau 15745 Wildau bmeimbre@th-wildau.de Herbert Sonntag, Prof. Dr.-Ing. Leiter der Forschungsgruppe Verkehrslogistik an der TH Wildau 15745 Wildau herbert.sonntag@th-wildau.de Philip Michalk, Dipl.-Ing. Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Verkehrslogistik an der TH Wildau 15745 Wildau philip.michalk@th-wildau.de Bild 3: Routensuche im Korridor mithilfe des FLAVIA Tools. [1] PODEVIN, OLIVIER (2005): Eco4Log Component 2.3. Analyses of existing and future cargo lows Wildau. [2] DIE NORD-SÜD-INITIATIVE (2010): Building a new economic region in Europe. Berlin. [3] MICHALK, PHILIP; MEIMBRESSE, BERTRAM (2010): Scandria WP 5.21. Basic Description of Corridor Functionality - Potentials of Logistic Transport Systems. Wildau. [4] Vgl. z.B. BUTTOLO, A. (Sächsischer Staatsminister des Innern zur Internationalen Fachkonferenz „Raumentwicklung im Ostsee-Adria-Entwicklungskorridor“ (Internationale Fachkonferenz am 18.10.2008 in Leipzig). [5] BrennerBasisTunnel SE - Eckdaten. online: http: / / www.bbt-se.com/ projekt/ eckdaten/ (Zugrif 20.11.2012). [6] SCANDRIA - Ferry Line Rostock-Gedser to become Baltic Sea Motorway, online: http: / / www.scandriaproject.eu (Zugrif 20.11.2012). [7] Statistisches Bundesamt Wiesbaden (2012): Eisenbahnverkehr - Betriebsdaten des Schienenverkehrs 2010. Wiesbaden. [8] SCANDRIA (2011): WP4 Logistic Business Development Strategy. Schwerin. [9] FLAVIA: Implementation of improvement actions, Application of cocoordinated structures. Online: http: / / www.lavia-online.de/ (Zugrif 27.11.2012) . [10] MICHALK, PHILIP (2012): SCANDRIA WP 4.11-0d. Strategies for the development of port hinterland transport in the Scandria corridor. Wildau. [11] ECO4LOG (2006): Component 3.1. Short speciication for the tools under development. Wildau [12] OVERMANN, WULFRAM (2009): Interim Project Report WP3. Development of IT-Instruments for the information chain. Potsdam. [13] FLAVIA (2012): WP3 Rail, Inland/ coastal waterway Modes. TH Wildau/ VIOM GmbH, Berlin. [14] BEHNKE, CHRISTINE; MICHALK, PHILIP (2010): SoNorA O5.4.9 Business case Rostock - Adriatic Sea, Intermodal Liner Service. Wildau. Korridor selbst weiterhin zu entwickeln, sind zukünftig Projekte und Ansätze nötig, die über Bedarfsermittlung und Planung hinausgehen und in deren Mittelpunkt konkrete und spürbare Verbesserungen der Erreichbarkeit sowie die Etablierung fester ökonomischer Kooperationen stehen. ■ 1 Die sogenannte „Blaue Banane“ ist ein Korridor mit sehr hoher Bevölkerungsdichte und stellt eine der Regionen mit einer der höchsten geographischen Bruttosozialprodukt-Konzentrationen der Welt dar. Sie erstreckt sich von Genua und Norditalien über die Schweiz und das Rheinland bis ins südliche Großbritannien. 2 SoNorA - South-North-Axis Project im INTERREG IV B Central Europe Programme. Laufzeit: 2008-2012. 3 Scandria - Scandinavian - Adriatic Corridor for Growth and Innovation im INTERREG IV B Baltic Sea Programme. Laufzeit: 2009- 2012. 4 FLAVIA - Freight and Logistics Advancement in Central Europe - Validation of processes, Improvements, Applications of co-cooperations im INTERREG IV B Central Europe Programme, Laufzeit: 2010-2013. 5 ECO4LOG - Development of an East Border Corridor 4 th party logistics service approach along the axis Brandenburg - Saxony - Austria with neighbouring accession countries im INTERREG IV B Central Europe Programme, Laufzeit: 2004-2006. 6 INTERIM - Integration of the intermodal goods transport of non EU states: rail, inland / coastal waterway modes im INTERREG IV B Central Europe Programme, Laufzeit: 2006-2008.