Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0036
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Fluglärmkontroverse - eine Debatte mit Schlagseite
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Stefanie Vehling
Uta Maria Pfeiffer
Luftverkehr gilt in der Öffentlichkeit als Lärmverursacher Nummer Eins und als eines der größten Umweltprobleme überhaupt. Tatsächlich ist es jedoch in den vergangenen Jahren gelungen, die Lärmbelästigung der Bevölkerung deutlich zu senken.
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Internationales Verkehrswesen (65) 2 | 2013 38 INFrASTruKTur Fluglärm Fluglärmkontroverse - eine Debatte mit Schlagseite Luftverkehr gilt in der Öfentlichkeit als Lärmverursacher Nummer Eins und als eines der größten Umweltprobleme überhaupt. Tatsächlich ist es jedoch in den vergangenen Jahren gelungen, die Lärmbelästigung der Bevölkerung deutlich zu senken. Die Autorinnen: Stefanie Vehling, Uta Maria Pfeifer I n der Medienberichterstattung und in der politischen Debatte stellt sich das eigentliche Verkehrslärmproblem im Wesentlichen als ein Fluglärmproblem dar. Andere Verkehrsträger tauchen in diesem Zusammenhang nur am Rande auf. Dabei sprechen die Fakten eine andere Sprache: Die deutschen Bundesländer sind nach EU-Recht dazu verplichtet, eine Lärmkartierung durchzuführen, um die Zahl der Lärmbetrofenen zu ermitteln. In seiner Auswertung dieser Lärmkartierungen weist das Umweltbundesamt aus, dass in Deutschland 15mal mehr Menschen von Straßen- und Schienenlärm betrofen sind als von Fluglärm. In der Nacht sind es sogar 30mal so viel, denn es gibt nur noch wenige Flughäfen, an denen nachts überhaupt Flugverkehr stattindet. Eine Gesellschaft ganz ohne Lärm wird es nicht geben. Wir sind von Lärm umgeben - angefangen beim Verkehr, bis hin zu Kinderspielplätzen oder auch Windrädern. Das Thema Lärm ist aber nur begrenzt objektivierbar, denn Lärm und seine Wirkung hat immer auch eine starke persönliche Komponente. Darum lässt sich die Dimension des Problems nicht nur in Dezibel fassen - ausschlaggebend ist immer auch, ob sich die Bürger belästigt fühlen oder nicht. Zahl der Lärmbelästigten geht zurück Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit lässt regelmäßig repräsentative Befragungen zum Umweltbewusstsein der Deutschen durchführen (vgl. Bild 1). Die Ergebnisse zeigen, dass das Engagement des Verkehrssektors für einen verbesserten Lärmschutz bei den Menschen ankommt. Das gilt für den Verkehrssektor als Ganzes, im Besonderen aber für den Luftverkehr: Während sich im Jahr 2000 noch 15 Prozent der Bevölkerung von Fluglärm betrofen fühlte, waren es 2012 nur noch 6 Prozent - und das, obwohl die Verkehrsleistung in Deutschland in der gleichen Zeit um etwa 30 Prozent angestiegen ist. Die Luftfahrt ruht sich jedoch nicht auf dem Erreichten aus, sondern verstärkt ihre Bemühungen, das Fliegen leiser zu machen. Alle Systempartner des Luftverkehrs - angefangen bei den Herstellern bis hin zu Fluggesellschaften, Flughäfen und der Flugsicherung - arbeiten intensiv daran, die Belastung durch Fluglärm zu verringern. Lärmschutz durch technische und operative Maßnahmen Die efektivste Maßnahme ist die Schallreduzierung an der Quelle, also der Ersatz von lauteren Flugzeugen durch moderne, leisere Maschinen und die Nachrüstung der Bestandslotten, zum Beispiel mit Schalldämpfern. Aktuell haben deutsche Luftfahrtunternehmen bei Airbus und Boeing mehr als 200 moderne Flugzeuge zu einem Listenpreis von mehr als 20 Milliarden Euro bestellt. Mit jeder neuen Flugzeuggeneration nehmen die Lärmbelastungen deutlich ab. Die Lärmemissionen, die eine Maschine moderner Bauart (zum Beispiel eine A380) Foto: M. Lindner/ Airbus Internationales Verkehrswesen (65) 2 | 2013 39 verursacht, liegt ein Vielfaches unter dem Niveau früherer Modelle. Einen wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung haben innovative Triebwerkstechnologien. In den vergangenen 60 Jahren ist es gelungen, den Triebwerkslärm um etwa 25 Dezibel zu verringern. Das entspricht einer Reduzierung um rund 80 Prozent. Auch durch innovative Flugverfahren lässt sich die Lärmbelastung reduzieren. Die Unternehmen der Luftverkehrswirtschaft testen fortwährend neue Start- und Landeverfahren und übernehmen diese - wo möglich und sinnvoll - auch in den Regelbetrieb. Dazu zählen etwa der kontinuierliche Sinklug, bei dem die Triebwerke im Leerlauf arbeiten und somit weniger Schallemissionen entstehen, oder der gekrümmte Landeanlug, bei dem mithilfe satellitengestützter Navigation Siedlungsgebiete umlogen werden können. Lärmschutz hat nicht nur eine technische Seite, auch durch eine eiziente Verkehrssteuerung lässt sich Lärm vermeiden. Die Nutzung größerer Flugzeuge und die Verbesserung der Auslastung lassen sich möglichst viele Menschen bei möglichst wenigen Flugbewegungen - und damit Lärmereignissen - transportieren. So sind die Flugzeuge im deutschen Luftverkehr durchschnittlich zu 80 Prozent ausgelastet. Im Ergebnis hat eiziente Verkehrssteuerung zu einer Entkopplung des Anstiegs der Flugbewegungen vom Anstieg der Verkehrsleistung geführt: Der Luftverkehr transportiert heute zwar deutlich mehr Passagiere als noch vor 20 Jahren, aber die Flugbewegungen sind nicht in gleichem Maße angestiegen (Bild 2). Neben Maßnahmen, die Schallemissionen verringern, haben die Flughäfen Programme für den Passiven Schallschutz aufgelegt, also zum Beispiel für die Erstattung von Kosten für den Einbau von Lüftern und Schallschutzfenstern. Auch in den kommenden Jahren werden Fluggesellschaften und Flughäfen einen dreistelligen Millionenbetrag für Maßnahmen des baulichen Schallschutzes aubringen. Planungssicherheit für Bürger und für unternehmen Im Hinblick auf die Betriebszeiten an deutschen Flughäfen ist Rechts- und Planungssicherheit existenziell, sowohl für die Bürger als auch für die Unternehmen. Die gegenwärtige Situation ist für beide unbefriedigend: Einen eindeutigen Orientierungsrahmen durch die Politik gibt es nicht, stattdessen sind Gerichte aller Instanzen mit der Frage beschäftigt, wo wie lange gelogen werden darf. Bürger wie Unternehmen sind jahrelang im Unklaren darüber, was sie zu erwarten haben. Ein Baustein dafür ist maximale Transparenz bei der Festlegung von Flugrouten, damit die Bürger umfassend und frühzeitig informiert werden. Durch die Fluglärmkommissionen sind die Bürger am Planungsprozess beteiligt. Dieses Verfahren hat sich bewährt, es sollte konsequent weiterentwickelt werden. Die Politik in Bund und Ländern hat eine gesamtstaatliche Verantwortung für eine leistungsfähige wie auch nachhaltige Luftverkehrswirtschaft wahrzunehmen. Sie sollte dieser stärker gerecht werden, indem sie ein verbindliches „Bund-Länder-Konzept“ erarbeitet. Ein solches Konzept sollte dann auch klare Vorgaben für die Betriebszeiten machen, damit alle Beteiligten wissen, woran sie sind. Dabei ist die deutsche Luftverkehrswirtschaft davon überzeugt, die Tagesrandzeiten zu brauchen. Und was den Nachtlug angeht: So wie es keine Notwendigkeit für einen lächendeckenden Nachtlug gibt, so problematisch wäre aber ein lächendeckendes Nachtlugverbot. In Zukunft muss es auch an ausgewählten Standorten möglich sein, nachts zu liegen. Im Sinne einer verlässlichen Planungssicherheit für Bürger und Unternehmen. Lärmschutz bedingt investive Mittel Die deutsche Luftverkehrswirtschaft engagiert sich also auf vielfältige Weise, um Fluglärm zu reduzieren und die Menschen vor Belastungen zu schützen. Eines darf dabei nicht aus dem Blick geraten: Lärmschutz gibt es nicht zum Nulltarif. Das Geld für die Investitionen müssen die Unternehmen verdienen. Schon jetzt haben wir in Deutschland eine Situation, in der sich mit dem reinen Flugbetrieb kaum noch Geld verdienen lässt - weder von den Fluggesellschaften noch von den Flughäfen. Lärmschutz und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sind kein Gegensatz, sondern bedingen einander: Wenn der Gesetzgeber den deutschen Unternehmen durch die Luftverkehrsteuer und andere einseitige Belastungen immer mehr Geld entzieht, dann fehlt das Geld, um in neue, leisere Flugzeuge zu investieren. Nur eine leistungsstarke Luftverkehrswirtschaft kann die Investitionen stemmen, die notwendig sind, um das Fliegen noch leiserer zu machen. ■ Stefanie Vehling, Mitglied der Geschäftsleitung Hannover Airport, Vorsitzende der BDL-AG Nachhaltigkeit, Hannover s.vehling@hannover-airport.de uta Maria Pfeifer, Leiterin Nachhaltigkeit, Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft e.V. (BDL), Berlin uta-maria.Pfeifer@bdl.aero Bild 2: Entwicklung des Passagieraufkommens und der Flugbewegungen in Deutschland (1991-2012). Bild 1: BMU-Umfrage zur Betrofenheit durch Verkehrslärm (äußerst, stark oder mittelmäßig betrofen).
