Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0040
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2013
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Kooperationsmanagement im Carsharing
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2013
Michael Kuiter
Christoph J. Menzel
Der boomende Carsharing-Markt erfordert ein Mehr an Carsharing-Fahrzeugen und Stellplätzen. Ein Lösungsansatz hierfür ist die Bildung von Kooperationen, die auch weitere Vorteile mit sich bringen.
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Internationales Verkehrswesen (65) 2 | 2013 49 Kooperationsmanagement im Carsharing Der boomende Carsharing-Markt erfordert ein Mehr an Carsharing-Fahrzeugen und Stellplätzen. Ein Lösungsansatz hierfür ist die Bildung von Kooperationen, die auch weitere Vorteile mit sich bringen. Die Autoren: Michael Kuiter, Christoph J. Menzel D ie Gesellschaft in Deutschland wird kleiner, urbaner, multimodal und multimedial. Das bedeutet für Carsharing-Anbieter zum einen Nachfragesteigerungs-Potenziale, zum anderen jedoch auch den Sachzwang, das Portfolio individueller und breiter zu gestalten. Der Markt- und Machtkampf zwischen klassischem Carsharing und modernen lexibleren Ansätzen hat längst begonnen. Momentan proitieren noch beide Anbietervarianten. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Kundenbedürfnisse weiter entwickeln. Technische und betriebliche Rahmenbedingungen Kooperationen von Carsharing-Anbietern mit Dritten unterliegen auch technischen und betrieblichen Bedingungen. Dennoch geht es primär um Verkehrslächenverfügbarkeiten. Bei der stadtmobil Rhein-Main beispielsweise werden abhängig von der Stellplatzsituation und GSM-Verfügbarkeit vor Ort stellplatznahe Schlüsseltresore (Keymanager) oder fahrzeuginterne Bordcomputer mit Mobilfunkeinheit eingesetzt [3]. Die Verwendung eines Schlüsseltresors rentiert sich laut Herstellerangaben erst, wenn dadurch mindestens drei Fahrzeuge bedient werden [4]. Weitere Voraussetzung ist die 24-Stunden- Erreichbarkeit eines Stellplatzes. Zugangsbarrieren bedingen wiederum einen Schlüsseltresor zum Passieren der Schranke. Je nach Absicht und Inhalt einer Kooperation können sich auch operative Bedingungen und Voraussetzungen ergeben, z. B. Anforderungen an das Personal in Call-Centern (Bild 1). Spezifische Problematik Stellplatzmangel Carsharing-Anbieter sind aufgrund einer Gesetzeslücke auf Stellplätze in Parkhäusern, Tiefgaragen und weiteren halböfentlichen Räumen angewiesen. In hochverdichteten Städten, vor allem in den als Wohnquartier beliebten innenstadtnahen Gründerzeitquartieren (z. B. Braunschweig Östliches Ringgebiet, Konstanz-Paradies) sind sowohl öfentlich gewidmete als auch private Stellplätze faktisch Mangelerscheinung. Diese Mangelerscheinung wird durch eine zunehmende Nachfrage, die aus der bereits erwähnten Urbanisierung resultiert, verstärkt. Handelnde Partner Neben dem Carsharing-Anbieter sind die kommunalen Verwaltungen, aber auch Dritte, die ein direktes oder indirektes Interesse am Carsharing haben, aktive Marktbeteiligte. Kommunen In kommunalen Verkehrskonzepten hat Carsharing eine hohe Bedeutung, in den meisten Fällen als Nachhaltigkeitsinstrument im Sinne der vierten Säule des Umweltverbundes. Am häuigsten wird Carsharing lediglich moralisch-politisch beworben, ohne physische oder monetäre Förderung zu erhalten. In einigen Fällen fungieren städtische Eigenbetriebe oder Konzerntöchter als Carsharing- Anbieter meist in einem Joint Venture. Foto: stadtmobil MOBILITÄT Carsharing-Kooperationen MOBILITÄT Carsharing-Kooperationen Internationales Verkehrswesen (65) 2 | 2013 50 Auch werden stadteigene Flächen für Carsharing freigegeben, quasi als physische Subventionierung. Nur wenige Kommunen engagieren sich proaktiv im Bereich Carsharing, beispielweise, indem das städtische Verkehrsunternehmen selbst als Carsharing-Anbieter auftritt [5]. Carsharing-Anbieter Dieser Artikel behandelt insbesondere klassische Carsharing-Anbieter, obgleich der Übergang zu modernen Anbietern ließend ist, da beispielsweise „Flinkster“ und „stadtmobil Hannover“ bereits „Free-loating-Fahrzeuge“ anbieten. Kooperationen mit dem ÖPNV sind bereits fester Bestandteil klassischer Anbieter. Der gegenseitige Nutzen ist unumstritten. Unter bestimmten Voraussetzungen (z. B. der Lage) ist im Grunde jeder Verkehrserzeuger als Kooperationspartner interessant. Dort werden potenzielle Kunden erreicht, vor allem, wenn bei dem Partner ein Carsharing- Stellplatz angeboten wird. Dritte Körperschaften Die Initiative zur Bildung einer Kooperation kann aus dem Einzelhandel oder von Dienstleistern ausgehen. Durch eine Vernetzung mit Carsharing-Anbietern, können diese vom Transfer des positiven Images oder der Schafung eines weiteren Werbekanals proitieren. Stellt der Partner zudem Stellplätze bereit, können Kunden angelockt werden. Es würde ein Point of Interest (POI) beim Partner entstehen. Der Carsharing-Kunde, der sein Auto beim kooperierenden Supermarkt abholt, kombiniert dies womöglich mit einem Einkauf. Hotels können Kunden ein attraktives Zusatzangebot bieten. Auch Krankenhäuser, Autohäuser und -werkstätten, Parkhausbetreiber, Tankstellen, Möbelhäuser, Schwimmbäder, Schulen und Universitäten, Wohnungsunternehmen, Kirchengemeinden und Energieversorger sind mögliche Carsharing-Kooperationspartner. Seit einigen Jahren sind Unternehmen der Fahrzeugindustrie sehr aktiv. Car2Go wird von Daimler und Europcar betrieben, Drive- Now von BMW und Sixt, QuiCar von Volkswagen, Mu von Peugeot in Zusammenarbeit mit Flinkster. Allein die Aulistung erklärt, welche Kooperationsformen und -inhalte der Markt fordert. Ob sich langfristig ein kooperatives Modell zwischen klassischen Carsharing-Anbietern und der Automobilindustrie ergibt oder der Markt kompetitiv aufgeteilt wird, ist heute ofen. Kooperationsmanagement Kooperationsmanagement beschreibt das Bestreben eines Unternehmens oder eines Unternehmenspools, Unternehmensziele über Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen zu erreichen. Dabei werden vor allem Synergien gesucht, Möglichkeiten der Aufwandsreduktion, gemeinsame Strategien, aber auch die gezielte Verbesserung einzelner, problembehafteter Unternehmensinhalte (in unserem Fall vor allem das Stellplatzproblem). Ob das Unternehmen, das die Zusammenarbeit sucht, anschließend auch Koordinator der Kooperation ist oder diese Funktion ein drittes Unternehmen übernimmt, ist ofen und daher ein wichtiger Bestandteil des Kooperationsmanagements. Netzwerkbildung Sich zu vernetzen ist für Carsharing-Anbieter vor allem aus zwei Sichtweisen interessant. Allgemein können Kooperationen für ein positives Image sorgen und u.a. für gegenseitige Anreizprogramme genutzt werden. Die andere, dem Carsharing übergeordnete Sichtweise, bezieht sich auf den Aspekt der Multimodalität. Hier stellt das Carsharing einen wichtigen Baustein dar. Durch gemeinsame, multimodale Angebote wie beispielsweise Kombi-Tickets zeigen die Partner ihre gegenseitige Anerkennung. Unter anderem im Rahmen zukünftig entstehender „Mobilpunkte“ (Bild 2) können neben den Betreibern des ÖPNV auch Fahrradverleihsysteme inkl. Abstellanlagen, Werkstätten sowie Autovermieter für Urlaubsfahrten oder für One-Way-Fahrten (z. B. Umzug auf größere Entfernung) interessante Partner sein. Multimodale Mobilität Die Alltagsmobilität ändert sich seit einigen Jahren weg von einem gelernten, monomodalen Verkehrsverhalten hin zu einem intuitiven, multimodalen Verkehrsverhalten. Gerade in großen Städten bedienen Fahrradvermietsysteme, Carsharing-ähnliche Angebote, zunehmend aber auch klassisches Carsharing, lexible Bedienformen im ÖPNV und sogar moderne Ausprägungen des klassischen ÖPNV eine so nicht dagewesene Nachfrage. Diese ist teilweise auf Verlagerungen vom MIV zurück zu führen, aber Bild 1: Technische, betriebswirtschaftliche und infrastrukturelle Voraussetzungen für den Betrieb eines Carsharing- Stellplatzes. (Quelle: Eigene Darstellung) Bild 2: Mobilpunkt in Bremen (Eigenes Foto) Internationales Verkehrswesen (65) 2 | 2013 51 auch auf eine latente Nachfrage. Einige Aktivitäten moderner Stadtmobilisten wären vor 2005 gar nicht denkbar gewesen. Vor allem die Spontaneität eines mobilen Menschen wird durch ein integriertes Gesamtmobilitätsangebot (z. B. in Düsseldorf, Hamburg, Berlin, Amsterdam, Kopenhagen) gefördert. Politisches Instrumentarium Es gibt im Wesentlichen drei politische Instrumentarien, Kooperationsmanagement im Carsharing-Bereich zu fördern. Dazu gehört eine auf nachhaltige Verkehrsentwicklung ausgerichtete verkehrspolitische Haltung. Die wichtigste Möglichkeit zur Unterstützung ist die gezielte Verbreitung von Informationen über die Chancen und Vorteile des Carsharings (z. B. Flächeneinsparungen, Flottenkostenreduktionen, individuelle Mobilität für sozial Schwache). Dabei müssen keine großen Budgets bereitgestellt werden. Die nächste Stufe der politischen Förderung ist, Unternehmen Anreize zur Zusammenarbeit zu liefern. So könnten beispielsweise zeitlich befristet Steuererleichterungen gewährt werden, wenn ein Unternehmen statt auf einen eigenen Fuhrpark auf Carsharing- Nutzung setzt. Die schwierigste und aufwändigste Art der politisch motivierten Systemunterstützung liegt in der Infrastrukturförderung. In Bremen werden „Mobilpunkte“ (siehe oben) eingerichtet, bei denen ÖV, Carsharing und Radverkehr an einem Ort abgewickelt werden. Weitere Städte haben diese Idee adaptiert. Dafür müssen im öfentlichen Raum Flächen umgewidmet werden, technische Einrichtungen (z. B. Beleuchtung, Buchungsterminals) vorgehalten werden, größtenteils durch Steuergelder inanziert. Zielgerichtete Kooperationen Hier soll der Lösungsansatz der Kooperationsbildung zum Zwecke der Stellplatzbereitstellung aufgegrifen werden [3]. Man kann folgende Kriterien heranziehen. 1. Der Partner muss geeignete Stellplätze zur Verfügung haben. In den Stellplatzsatzungen ist festgelegt, wie viele Stellplätze bei einem Neubau eines bestimmten Gebäudes nachgewiesen werden müssen. 2. Die Lage muss stimmen. Das größte Potenzial besteht in den innenstadtnahen Gebieten. Es können aber auch Stellplätze im Stadtzentrum und in eher außenliegenden Stadtbezirken interessant sein. 3. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen müssen eingehalten werden. Dieser Aspekt hat nicht die größte Bedeutung, dennoch sollten wettbewerbsrechtliche Gesetze berücksichtigt werden. 4. Der Carsharing-Anbieter sollte Gegenleistung(en) bieten können. Beide Seiten sollen von einer Kooperation proitieren. Werbung oder Rabattierung kommen in Betracht. Je nach Möglichkeit kann der Partner durch Carsharing seinen eigenen Fuhrpark ergänzen oder sogar ersetzen und so weitere Kosten sparen oder das Carsharing-Angebot an eigene Kunden weitergeben. Potenzielle Partner sind vor allem Supermärkte und andere Einzelhändler mit großen Parkierungslächen (Bild 3). Handlungsempfehlungen Kooperationsmanagement beinhaltet eine ofene Liste von Partnern. Dieser Artikel adressiert jedoch vor allem klassische Carsharing-Anbieter und Kommunen, um Kooperationen zu lancieren, aber auch zu begleiten und zu monitoren. Kommunen Kommunen können das freie Spiel der Marktkräfte nutzen und Carsharing-Anbieter den Marktzugang und marktfördernde Kooperationen selbst suchen lassen. Gleichwohl sollte das Stellplatzproblem durch die Kommune aktiv angegangen werden. Nicht zuletzt die kommende Verquickung von Carsharing und Elektromobilität erfordert einen zielgerechteren Umgang mit der Ressource Öfentlicher Verkehrsraum [6]. Inwieweit eine kommunale Marktregulation zur bürger/ kundengerechteren Ausgestaltung von Carsharing notwendig sein könnte, ist derzeit nicht abschätzbar. Die Kommune sollte jedoch über das Instrument der behördlichen Kontrolle die Marktentwicklung beobachten und über Monitorings abgleichen [7]. Carsharing-Anbieter Carsharing ist noch nicht für jeden potenziellen Kooperationspartner ein Begrif. Dennoch kann die Initiative zur Bildung einer Kooperation durchaus auch von verkehrs- oder zumindest Carsharing-fremden Unternehmen oder Organisationen kommen. Carsharing-Anbieter sollten sich aktiv mit Kooperationpartnern vernetzen. Dazu bedarf es einer Handlungsstrategie, wie man auf die einzelnen potenziellen Partner zugeht und welche Angebote man selbst geben kann. In vorzugsweise persönlichen Gesprächen (z.B. mit Einzelhändlern) sollte auf das Entstehen eines POI und die Möglichkeit zu kundenbindenden Maßnahmen hingewiesen werden. Die Kooperation mit Kommunen macht gleich auf mehreren Ebenen Sinn. ■ LIterAtur [1] http: / / www.welt.de/ politik/ deutschland/ article109755122/ Alt-und-pflegebeduerftig-was-den-Deutschen-droht. html [2] h tt p : / / b l o g . d r i ve n ow. d e / 2 0 1 2 / 0 4 / 1 7/ vo m a u to auf%C2%B4s-rad-und-wieder-ins-auto-2/ [3] KUITER, MICHAEL: „Möglichkeiten durch Kooperation zur Optimierung der Stellplatzsituation für Unternehmen des klassischen Carsharings am Beispiel stadtmobil Rhein Main“, Bachelorarbeit am Institut für Verkehrsmanagement, Hochschule Ostfalia, Salzgitter 2012 [4] http: / / www.invers.com/ de/ produkte/ keymanager/ index. html [5] http: / / www.mobiel.de/ faqs/ service/ cambio-carsharing/ [6] BMVBS/ NOW: Praxisleitfaden „Elektromobilität in Deutschland“, Handbuch, Berlin 2011 [7] MENZEL, CHRISTOPH: „Die Notwendigkeit von Monitorings in der Verkehrsentwicklungsplanung“, Zeitschrift Straßenverkehrstechnik 6/ 201, S.360f Bild 3: Leerer Supermarktparkplatz (Eigenes Foto) Michael Kuiter, BSc Master-Student „Mobilität und Verkehr“, Technische Universität Braunschweig, Braunschweig mkuiter@gmx.de Christoph J. Menzel, Prof. Dr.-Ing. Institut für Verkehrsmanagement, Ostfalia - Hochschule für angewandte Wissenschaften, Fakultät Karl-Scharfenberg, Salzgitter ch.menzel@ostfalia.de
