Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0042
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2013
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Elektrobusse - technologischer Spagat zwischen Tradition und Innovation
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Ralf Haase
Elektrische Stadtbussysteme stellen im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie für eine aktive Klimapolitik und effektive Ressourcenschonung eine wichtige Säule des straßengebundenen ÖPNV in Gegenwart und Zukunft dar. Unter dem Aspekt der postfossilen Mobilität besitzen weltweit traditionelle und technologisch ständig vervollkommnete Trolleybussysteme einen unverzichtbaren Stellenwert. In Deutschland rücken dagegen innovative elektrische Antriebskonzepte, die in den nächsten Jahren Marktreife erlangen werden, immer stärker in den Mittelpunkt der Forschung, Entwicklung und Erpobung. Die im Oktober 2012 in Leipzig durchgeführte Elektrobuskonferenz stellte die technologischen Konzepte auf den Prüfstand. Die Quintessenz: Der Elektrobus ist für den Stadtverkehr der Zukunft unverzichtbar.
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Internationales Verkehrswesen (65) 2 | 2013 55 Elektrobusse - technologischer Spagat zwischen Tradition und Innovation Elektrische Stadtbussysteme stellen im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie für eine aktive Klimapolitik und efektive Ressourcenschonung eine wichtige Säule des straßengebundenen ÖPNV in Gegenwart und Zukunft dar. Unter dem Aspekt der postfossilen Mobilität besitzen weltweit traditionelle und technologisch ständig vervollkommnete Trolleybussysteme einen unverzichtbaren Stellenwert. In Deutschland rücken dagegen innovative elektrische Antriebskonzepte, die in den nächsten Jahren Marktreife erlangen werden, immer stärker in den Mittelpunkt der Forschung, Entwicklung und Erpobung. Die im Oktober 2012 in Leipzig durchgeführte Elektrobuskonferenz stellte die technologischen Konzepte auf den Prüfstand. Die Quintessenz: Der Elektrobus ist für den Stadtverkehr der Zukunft unverzichtbar. Der Autor: Ralf Haase I n den Jahren seit 2005 haben sich in der aktuellen deutschen Verkehrs-, Umwelt- und Energiepolitik einschneidende Veränderungen vollzogen, welche auf die postfossile Mobilität gerichtet sind. Der Begrif „Elektromobilität“ schließt seither vor allem für die Städte und Ballungsräume vielfältige Überlegungen ein, wie elektrische Antriebssysteme auch im straßengebundenen ÖPNV verstärkt zur Anwendung kommen können. In Deutschland, dem Mutterland des Elektrobusses, haben sich seit der Entwicklung und Erprobung des „Elektromote“ durch Werner von Siemens im Jahre 1882 Höhen und Tiefen im praktischen Verkehrseinsatz und der technischen Alltagstauglichkeit wechselseitig beeinlusst. Von Berlin aus trat der im englischen Sprachraum als Trolleybus bezeichnete Oberleitungsbus seinen Siegeszug rund um die Welt an. Heute verkehren weltweit in dieser Technologie mehr als 40 000 elektrische Omnibusse in reichlich 300 Städten von insgesamt 47 Staaten. In Deutschland setzen nur noch die Stadtverkehrsunternehmen in Solingen, Esslingen a. N. und Eberswalde auf diese Technologie und sind damit gut beraten. Hohe Kundenakzeptanz und ständige technische Bild 1: O-Bus von Solaris bei der Barnimer Busgesellschaft BBG in Eberswalde. (Foto: BBG) MOBILITÄT Trolleybusse MOBILITÄT Trolleybusse Internationales Verkehrswesen (65) 2 | 2013 56 Vervollkommnung von Fahrzeugen und Infrastruktur gewährleisten stabile Verkehrsleistungen . Mit dem heutigen Selbstverständnis und den verbesserten politischen Rahmenbedingungen stehen wir an der Schwelle zu einer neuen Sichtweise auf die Integration von Elektrobussen sowohl in traditioneller als auch innovativer Antriebstechnologie in städtische Verkehrssysteme (1). der elektrobus hat in deutschland noch immer ein Imageproblem Das Finden einer neuen Position in Fragen elektrischer Antriebe für Stadtbussysteme in Deutschland fordert das eiziente Zusammenwirken aller Entscheidungsträger in Politik, Industrie, Verkehr, Energiewirtschaft und Wissenschaft. Die aktuellen Arbeitsergebnisse beweisen, dass wir es häuig noch immer mit Vorbehalten zu tun haben, welche den Elektrobus in seiner traditionellen Bauweise mit Oberleitung in die Ecke der „Dinosauriertechnologien“ stellen, für die es sich nicht lohnt Investitionen zu tätigen. Die Fahrleitung für den O-Bus sei zu teuer und städtebaulich weitgehend inakzeptabel. Es wird teilweise auf neue Stadtbahnsysteme gesetzt, welche bisher aber noch nicht ohne Oberleitung auskommen können. Und sie sind in der Anschafung vergleichsweise sechsmal teurer. Das wird häuig übersehen. Trolleybussysteme gelten heute als technologisch ausgereift und technisch sicher beherrschbar. Sie arbeiten lokal emissionsfrei, lärmarm und betriebswirtschaftlich nach Vollkostenrechnung nahezu im Dieselbusbereich. Überall wo sie im Einsatz sind, werden sie weltweit von Verkehrskunden bevorzugt angenommen. Unter diesen Gegebenheiten könnten neue Denkansätze für die Etablierung von Trolleybussystemen in weiteren deutschen Groß- und Mittelstädten zum Tragen kommen. Allerdings haben sich seit dem Nationalen Entwicklungsplan „Elektromobilität“ der Bundesregierung (2) die Startbedingungen für neue O-Bussysteme verschlechtert, weil eine inanzielle Förderung ausgeschlossen wird. Alle setzen auf die Fortschritte bei der Entwicklung innovativer Technologien für den vollelektrischen Stadtbus. Die Entscheidungen der Städte Solingen, Esslingen und Eberswalde zum Systemausbau verlangen uneingeschränkte Anerkennung und Unterstützung. Sie nutzen dabei innovative Weiterentwicklungen bei der vorhandenen drahtgebundenen Technologie, wie z.B. Rekuperation von Bremsenergie in fahrzeuginternen Speichern, neue Technologien beim automatischen An- und Abdrahten der Fahrleitung und der zusätzlichen Ausstattung mit Hochleistungsbatterien. Diese lassen es in sensiblen Stadtquartieren zu, auf immer längeren Streckenabschnitten die Fahrleitung einzusparen. Aber auch die Neuerungen in der Dieselbussparte kommen dem Elektrobus zugute (Bild 1). In der bereits erwähnten Elektrobus-Konferenz von Leipzig gelang es in einem internationalen Status quo-Szenario anhand der Modellstädte Zürich, Montreal, Leeds, Sao Paulo und den genannten deutschen Städten genau diese Aspekte zum Tragen zu bringen (Bild 2). eu-Förderprojekt erfolgreich Im Rahmen europäischer ÖPNV-Strategien hat sich die Europäische Kommission in deutlicher Weise für den Erhalt und Ausbau von Trolleybussystemen ausgesprochen. Damit entspricht sie den gegenwärtigen und zukunftsnahen Erfordernissen städtischer Infrastrukturplanung in einer Vielzahl von Groß- und Mittelstädten in den EU-Mitgliedsstaaten. Gegenwärtig bestehen Trolleybusnetze in 78 EU-Städten. Mit Blick auf Gesamteuropa müssen weitere 28 Trolleybusstädte in Osteuropa hinzu gerechnet werden. Seit dem Jahre 2010 hat sich ein Konsortium von 9 Partnern aus 6 EU-Staaten unter dem Namen „EU-Trolley“ zu einem Verbundprojekt zusammengeschlossen, das vom ERDF (European Regional Development Fund) der EU für Zentraleuropa koinanziert wird. Dieses Projekt läuft unter dem Teamleader Salzburg AG bis zum Jahre 2013 unter dem Titel „ebus - the smart way“ und dient der Propagierung und Weiterentwicklung von Trolleybussystemen, also in traditioneller Technologie aber mit Öfnung zu innovativen Lösungen (Bild 3). Die Vorstellung der EU-Arbeitsergebnisse in Leipzig hat dazu beigetragen, die Aufmerksamkeit weiterer Kommunen auch in Deutschland auf die Chancen moderner Trolleybussysteme zu richten. deutschland geht neue Wege Mit dem Nationalen Entwicklungsplan „Elektromobilität“ und den darauf aubauenden Förderprogrammen der Bundesregierung zur straßengebundenen Elektromobilität hat sich seit dem Jahre 2008 ein Prozess verstärkt, welcher auch dem E-Bus eine neue Dimension verleiht. Dem Thema Elektromobilität widmeten sich seit Anbeginn vier Bundesministerien. Das BMVBS wählte 8 Modellregionen (Bremen/ Oldenburg, Hamburg, Rhein-Main, Rhein-Ruhr, Berlin/ Potsdam, Sachsen mit Bild 2: Jan Mücke, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, als Redner auf der TrolleyMotion 2012. (Foto: Dirk Budach) Bild 3: StadtBus der Salzburg AG. (Foto: Salzburg AG) Internationales Verkehrswesen (65) 2 | 2013 57 den Städten Dresden und Leipzig, Stuttgart und München) aus, in denen die unterschiedlichen Anwendungsfacetten einer straßenbezogenen Elektromobilität ausgestaltet und erprobt werden sollen. Dabei war es politisches Kalkül, im Bussektor Fördermittel auf die innovativen Technologien zu konzentrieren und dabei in erster Stufe die Entwicklung und Erprobung von seriellen Hybridbussen durchzusetzen. Man kann geteilter Meinung sein, ob dies der richtige Weg war, da Hybridfahrzeuge nur eine Übergangstechnologie darstellen und der Kauf dieser Stadtbusse separat inanziert wurde (Bild 4). Zwischenzeitlich hat sich das BMVBS in einer neuen Förderrichtlinie dergestalt festgelegt, dass im Bussektor „technologieoffen“ zu fördern ist. Darunter fallen Hybride mit erweiterter elektrischer Fahrfähigkeit, brennstofzellenelektrische und batterieelektrische Antriebstechnologien. In den Ausschreibungen zum weiterführenden Förderprogramm bis zum Jahre 2015 konzentrieren sich die Förderanträge in den Modellregionen auf „Schaufensterlösungen und technologische Leuchttürme“, welche schrittweise zu einer republikweiten Verbreitung führen sollen. Innovative Technologien beim elektrobus Zwischenzeitlich hat der Entwicklungsprozess eine Eigendynamik bekommen. Die Fahrzeug- und Ausrüsterindustrie konzentriert sich mehr und mehr auf diesen neuen Markt. In Sachsen werden z. B. über das Förderprogramm Modellregionen „Elektromobilität“ des BMVBS und des BMU serielle Hybridbusse mit partiell reinem elektrischen Fahrbetrieb inanziert. Im Rahmen des Projektes „SaxHybrid“ bei den Dresdner und Leipziger Verkehrsbetrieben kamen bisher 45- Hybride zum Einsatz und über das Verbundprojekt „Regio-Hybrid“ sollen in regionalen Busgesellschaften 24 Fahrzeuge gefördert werden. Das Projekt „AutoTram“ des IVI der Fraunhofer-Gesellschaft hat seine Erprobung abgeschlossen. In Dresden ist man dabei einen reinen Elektrobus zu entwickeln, dessen Energiespeicher an den Endpunkten einer Linie aus einem stationären Unterwerk nachgeladen werden. In Leipzig konzentrieren sich die Forschungsarbeiten darauf, Straßenbahn und Trolleybus auf Haupttrassen unter einer gemeinsamen Oberleitung zu betreiben. Der Hybridbus in serieller Bauweise entwickelt sich in Richtung der erweiterten E- Fahrfähigkeit auch mittels Erweiterung von Energiespeichern sowie in der Bauweise mittels Generator als Range-Extender. Die aufgezeigten Entwicklungspfade lassen die Erkenntnis zu, dass wir es mit einem parallel verlaufenden und sich gegenseitigen befruchtenden Prozess zu tun haben. Er vollzieht sich in der Erkenntnis, dass es ein Zurück zu Technologien unter Nutzung fossiler Brennstofe nicht gibt, was natürlich nicht bedeutet, dass die Verbrennungskraftmaschine in Bussen als Antriebsaggregat innerhalb der nächsten zehn Jahre ausgedient hat. Wie besonders die in Deutschland hochentwickelte Dieseltechnologie zeigt, ließen sich in der jüngsten Vergangenheit noch immer weitere Verbesserungen in Richtung Energieeizienz und Umweltschonung erreichen. Das Hauptproblem der Zukunft stellt die systematische Vervollkommnung der Energiegewinnung aus regenerierbaren Quellen dar. Was gebraucht wird ist ein komplexer Umdenkungsprozess in Richtung Ökostrom. Dafür kann nicht nur die Politik sorgen. Wir benötigen ein systemisches Denken, das die gesamte Breite der Elektromobilität abdeckt. Es geht nicht allein um neue Fahrzeuge bzw. modernere Antriebstechnologien, sondern um ein ganzheitliches Mobilitätskonzept für den Stadtverkehr zugunsten des ÖPNV. Im Sinne innovativer Antriebstechnologien beim Einsatz in Stadtbussen zeigen sich in aufsteigender Hierarchie folgende Entwicklungsstufen, welche zum Teil parallel wirksam werden: • Trolleybusse mit erweiterter E-Fahrfähigkeit durch Batterien und ohne ständige Oberleitung, in teilweiser Verknüpfung mit dem Energieversorgungsnetz der Stadtbzw. Straßenbahn • Trolleybusse mit Batteriespeicher und Nachladefunktion an Haltestellen, an Linienendpunkten und im Betriebshof • Elektrobusse mit induktiver Energieversorgung aus der Straße • Elektrobusse mit Erdgas als Energiequelle • Elektrobusse mit wasserstofgestützter Brennstofzelle. Dreh- und Angelpunkt in der Forschungsarbeit wird in naher Zukunft die Batterie- und Ladetechnik sein. Einen anspruchsvollen Lösungsansatz stellt die induktive Energieübertragung zwischen Fahrbahn und Fahrzeug dar, wie das im Versuchsprojekt PRIMOVE von Bombardier an Straßenbahnen (Modell Augsburg) getestet und nach erfolgter Alltagstauglichkeit auch auf Stadtbusse (Modell Braunschweig) übertragen werden soll. Das Thema Wasserstof als Energiequelle für Straßenfahrzeuge bleibt ein Dauerbrenner in der Forschungsarbeit. Noch sind stabile Ergebnisse nur in der Pilotphase erreicht worden; von einer Marktreife zu sprechen, wäre wohl verfrüht. Die Herstellungskosten von Wasserstof für den massenhaften Einsatz in der Brennstofzelle sind noch zu teuer. Fazit Elektrische Stadtbussysteme stellen sowohl in traditioneller Technologie (Trolleybusse) besonders aber in innovativer Technologie (ohne Fahrleitung) tragende Elemente des zukünftigen straßengebundenen ÖPNV dar. Entscheidend ist, wie rasch wir den technologischen Durchbruch erzielen. Die angestrebte Marktführerschaft Deutschlands im Bereich der Elektromobilität muss sich auch auf Stadtbussysteme konzentrieren. ■ LIterAtur [1] 3. Internationale Trolleybus-Konferenz von TrolleyMotion, 23. und 24. Oktober 2012 in Leipzig; Tagungsband unter www.trolleymotion.com [2] Regierungsprogramm Elektromobilität der Bundesregierung, Berlin; 18. Mai 2011 [3] HAASE, RALF; Der Elektrobus in Deutschland - eine Renaissance nach 130 Jahren; Vortrag auf den 23. Verkehrswissenschaftlichen Tagen 2012, Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ an der TU Dresden ralf Haase, Dr. oec. habil. Friedrich-List-Forum Dresden e.V. an der Technischen Universität Dresden dr.ralfhaase@t-online.de Bild 4: 24-Meter-Hybridbus von HESS / Vossloh Kiepe in Luxemburg. (Foto: Vossloh-Kiepe)
