eJournals Internationales Verkehrswesen 65/2

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0043
61
2013
652

Performance-Benchmarking von Airlines

61
2013
Philipp Demmler
Dietram  Schneider
Das Kompetenzzentrum für Unternehmensentwicklung und -beratung (KUBE e.V.) hat 20 Airlines mit dem so genannten Pro-Bench-Reg-Verfahren einem Produktivitäts-Benchmarking unterzogen. Es baut auf einer Vorgehensweise des Ökonomen Petrus J. Verdoorn auf, der vor rund 60 Jahren mit Hilfe von Regressionskurven Produktivitätsvergleiche zwischen Volkswirtschaften vornahm. Der Beitrag zeigt ausgewählte empirische Ergebnisse aus dem KUBE-Projekt „Pro-Bench-Reg für Airlines“.
iv6520058
Internationales Verkehrswesen (65) 2 | 2013 58 K aum eine Branche war in den letzten 20 Jahren einem so starken Wandel ausgesetzt wie die Airline-Branche. Zu den Ursachen zählen u. a. weltweite Marktliberalisierungsprozesse, steigende Ölpreise und technologischer Fortschritt in Verbindung mit dem Markteintritt von „Low-Cost-Airlines“ und der Entstehung von Überkapazitäten. Eine eiziente Kostenstruktur und die Nutzung von Kostendegressionen gehören unter diesen Bedingungen zu den wichtigsten betriebswirtschaftlichen Erfolgsfaktoren. 1,2,3 Die zentralen Voraussetzungen dafür liegen in einem über mehrere Perioden hinweg stabilen und nachhaltigen Produktivitäts- und Wachstumsstreben. Dadurch entsteht für das Airline-Management ein Bedarf an entsprechenden Management-Tools. Sie müssen das speziische Verhältnis zwischen Produktivität und Wachstum mittel- und langfristig abbilden, damit das Airline-Management gezielte Strategien und Maßnahmen ableiten kann. „Pro-Bench- Reg“ (Produktivitäts-Benchmarking-Regression) ist ein solches Tool. Es erlaubt ein rainiertes und mehrperiodiges Produktivitäts-Wachstums- Benchmarking für die gesamte Airline-Branche sowie für einzelne Player und ermöglicht in Zeiten verschärfter Wettbewerbsverhältnisse managementseitig ein überlegenes Agieren. Performance-Benchmarking von Airlines Ergebnisse einer Längsschnittanalyse mit Pro-Bench-Reg Das Kompetenzzentrum für Unternehmensentwicklung und -beratung (KUBE e.V.) hat 20 Airlines mit dem so genannten Pro-Bench-Reg-Verfahren einem Produktivitäts-Benchmarking unterzogen. Es baut auf einer Vorgehensweise des Ökonomen Petrus J. Verdoorn auf, der vor rund 60 Jahren mit Hilfe von Regressionskurven Produktivitätsvergleiche zwischen Volkswirtschaften vornahm. Der Beitrag zeigt ausgewählte empirische Ergebnisse aus dem KUBE-Projekt „Pro-Bench-Reg für Airlines“. Die Autoren: Philipp Demmler, Dietram Schneider MOBILITÄT Wissenschaft Foto: H.Gousse/ Airbus Internationales Verkehrswesen (65) 2 | 2013 59 MOBILITÄT Wissenschaft Längsschnittanalyse mit Pro-Bench-reg Längsschnittanalysen sind eher selten. Denn methodisch sind sie meist anspruchsvoller als Querschnittsanalysen. Außerdem setzen sie voraus, dass über längere Zeiträume empirisches (Zahlen-) Material gesammelt wird, was einen erheblichen Aufwand erfordert. Wird darüber hinaus die Performance von Unternehmen gemessen und soll diese in ein Unternehmens- und Branchenbenchmarking münden, dann steigen die Anforderungen noch zusätzlich. Im Gegensatz zu Querschnittsanalysen erlauben Längsschnittanalysen jedoch nicht nur Momentaufnahmen. Vielmehr zeigen sie langfristige Entwicklungen und Tendenzen auf. Nach dem Motto „wer seine Vergangenheit nicht kennt, kann seine Zukunft nicht gestalten“ stützen sie sich auf langfristige Trends, die sich oft nur schleichend andeuten, um daraus Empfehlungen für die Zukunft zu gewinnen. 4 In Verbindung mit einem längsschnittanalytischen Benchmarking erlauben sie zudem eine unternehmensstrategische Performance- Positionierung von Unternehmen im Branchen- und Wettbewerbsumfeld. Die für das Projekt „Pro-Bench-Reg für Airlines“ eingesetzte Methode basiert auf Überlegungen des Ökonomen Petrus J. Verdoorn. Für Volkswirtschaften untersuchte er den Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Produktivitätsfortschritten. 5 Danach spielt das Wirtschaftswachstum für die Gewinnung von Produktivitätsfortschritten eine durchschlagende Rolle. Wachstum gilt danach als Treiber von Produktivitätsfortschritten, während Stagnation oder gar Rezession zu Produktivitätseinbußen führen. Die Beziehung von (Unternehmens-) Wachstum und Produktivität ist auch für Unternehmen von wettbewerbsstrategischer Bedeutung. „Pro-Bench-Reg“ setzt am Kern dieses zentralen Zusammenhangs an. Es erlaubt ein überlegenes längsschnittanalytisches Performance-Benchmarking und eine wettbewerbs- und branchenorientierte Positionierung von Unternehmen, um Produktivitätslücken und -nachteile zu identiizieren, Produktivitätssteigerungsprogramme gezielt anzusetzen und eine Produktivitäts-Scorecard zu entwickeln. Praxisanwendungen inden sich u. a. in der Management- und IT-Beratung, in der Automobil-, Nahrungsmittel- und Pharmaindustrie. 6 Produktivitäts-Benchmarks Durch mehrere KUBE-Airline-Studien liegt uns inzwischen ein empirischer Knowledge-Tank vor, aus dem das für das Projekt „Pro-Bench-Reg für Airlines“ nötige Datenmaterial stammt. Für die Konstruktion der Produktivitätskurven der 20 Airlines (AB-20) und die Gesamtbranche wurden Wachstums- und Produktivitätsindikatoren gebildet und über einen Zeitraum von zehn Jahren in regressionsanalytische Produktivitätskurven übersetzt (vgl. Bild 1). Aus ihnen sind folgende Produktivitäts-Benchmarks ableitbar: ryanair Basisproduktivität kritische Wachstumsschwelle entfernung zur kritischen Wachstumsschwelle Wachstumsausschöpfungsgrad Benchmarks auf Basis Umsatz/ Mitarbeiter -13,4 % +17,8 % +4,4 % +6,7 % Benchmarks auf Basis Passagiere/ Mitarbeiter -17,6 % +18,9 % +6,7 % +7,4 % British Airways Basisproduktivität kritische Wachstumsschwelle entfernung zur kritischen Wachstumsschwelle Wachstumsausschöpfungsgrad Benchmarks auf Basis Umsatz/ Mitarbeiter +3,8 % -4,2 % -1,4 % +81,7 % Benchmarks auf Basis Passagiere/ Mitarbeiter +5,5 % -4,3 % +0,7 % +5,7 % Bild 2: Pro-Bench-Reg-Kurve und Benchmarks für British Airways Bild 1: Pro-Bench-Reg-Kurve und Benchmarks für Ryanair MOBILITÄT Wissenschaft Internationales Verkehrswesen (65) 2 | 2013 60 • Basisproduktivität Sie zeigt die Produktivitätsfortschritte oder -rückschritte bei Stagnation bzw. Nullwachstum. Während sich bei hohen Wachstumsraten Produktivitätsfortschritte quasi „automatisch“ einstellen, besteht die „Managementkunst“ gerade darin, auch bei geringem bzw. Nullwachstum Produktivitätsfortschritte zu erzielen. Je höher die Basisproduktivität, desto besser beherrscht das Management diese Kunst. • Basiswachstumsbedarf Er zeigt, welches Wachstum ein Unternehmen benötigt, um eine Produktivitätssteigerung von einem Prozentpunkt zu erreichen. Je geringer dieser Wert, desto besser. • Wachstumsausschöpfungsgrad Er beantwortet die Frage, inwieweit es Unternehmen gelingt, Wachstumsfortschritte in Produktivitätsfortschritte umzuwandeln. Je höher die Wachstumsausschöpfung, desto besser. • Kritische Wachstumsschwelle Sie gibt das nötige Wachstum an, um überhaupt Produktivitätsfortschritte zu erzielen. Je niedriger diese Schwelle, desto weniger Wachstum ist für Produktivitätsfortschritte erforderlich. • Entfernung zur kritischen Wachstums schwelle Diese sollte möglichst hoch sein. Je höher der Wert, desto größer ist das entlang der Zeit aufgebaute Produktivitätspolster eines Unternehmens. empirische ergebnisse Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich exemplarisch auf die Produktivitätssituation des „Low-Cost“-Anbieters Ryanair und des „Network-Carriers“ British Airways. Bild 1 und Bild 2 zeigen die errechneten Regressionsgeraden anhand des empirischen Materials der Jahre 2000 bis 2010 aus dem KUBE-Knowledge-Tank. Die von Ryanair erzielten Produktivitätsfortschritte der letzten Jahre wurden durch das hohe Umsatz- und Passagierwachstum subventioniert. Schwächt sich dieses jedoch ab, müsste sich das Management auf Produktivitätsverluste einstellen. Bei Stagnation steht Ryanair vor Produktivitätsrückschritten von jährlich über 13 %! Auch wenn die kritischen Wachstumsschwellen, sowohl auf Basis der Produktivität in Umsatz pro Mitarbeiter, als auch auf Grundlage der Passagiere pro Mitarbeiter, durch das expansive Wachstum überschritten wurden, könnte das aufgebaute Produktivitätspolster schnell aufgebraucht sein. Problematisch sind überdies die geringen Wachstumsausschöpfungsgrade. Weit besser liegt die Regressionsgerade von British Airways. Die positive Basisproduktivität und die negative kritische Wachstumsschwelle sind grundsätzlich positiv. Getrübt wird der Eindruck jedoch durch die nur minimalen Entfernungen zu den kritischen Wachstumsschwellen. Bezogen auf die Produktivität in Umsatz pro Mitarbeiter fällt diese mit -1,4 % sogar negativ aus. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass British Airways mangels ausreichenden Wachstums jährliche Produktivitätsverluste von über 1 % akzeptieren musste. Dagegen zeigt die knapp positive Entfernung zur kritischen Wachstumsschwelle auf Basis der Passagiere pro Mitarbeiter eine nur geringe Produktivitätssteigerung von rund 1 % jährlich. Positiv wirkt sich der hohe Wachstumsausschöpfungsgrad von etwa +80 % aus. Bild 3 zeigt für die AB-20 den jeweiligen Basiswachstumsbedarf, der für eine Produktivitätssteigerung von +1 % nötig ist. British Airways Bild 3: Wachstumsbedarf für Produktivitätssteigerungen Bild 4: Wachstums- und Wachstumsausschöpfungs-Portfolio Internationales Verkehrswesen (65) 2 | 2013 61 MOBILITÄT Wissenschaft liegt dabei mit +1,1 % besser als Ryanair (+1,3 %). Im Vergleich zu Ryanair benötigt British Airways damit weniger Wachstum für Produktivitätssteigerungen und weist somit eine geringere Wachstumsabhängigkeit auf. Beide Airlines liegen besser als der durchschnittliche Basiswachstumsbedarfs der AB-20. Nach den Ergebnissen der AB-20 korrelieren negative Basisproduktivitäten mit geringen Wachstumsausschöpfungsgraden und positive Basisproduktivitäten mit hohen Ausschöpfungsgraden. Auch Ryanair wies bei einer negativen Basisproduktivität einen unterdurchschnittlichen Wachstumsausschöpfungsgrad auf, während bei British Airways eine positive Basisproduktivität mit einem hohen Wachstumsausschöpfungsgrad vorlag. Wachstum frisst Produktivität! ? Zwar ergab die Analyse der AB-20, dass Wachstum eine unerlässliche Basis für die Erzielung von Produktivität ist, allerdings ein zu hohes Wachstum auch Produktivität „frisst“. Zunehmendes Wachstum ist demnach mit einer Produktivitätsdegression verknüpft. Dazu zeigt Bild 4 zwei Punktwolken. Danach korrespondiert ein überdurchschnittliches Unternehmenswachstum mit niedrigen Ausschöpfungsgraden und ein eher geringes bzw. negatives Wachstum mit höheren Ausschöpfungsgraden. Dabei gehört British Airways zu den Airlines, die hohe Ausschöpfungsgrade und niedrige bis negative Wachstumsraten aufweisen. Ryanair zählt dagegen zu den Fluggesellschaften, deren expansives Wachstum in geringen Wachstumsausschöpfungsgraden mündet. Dies ist jedoch für die Airline-Branche nicht so zu deuten, dass Airlines mit niedrigen Wachstumsausschöpfungsgraden zwangsläuig nur geringe Produktivitätsfortschritte bzw. -rückschritte erzielen. Trotz überdurchschnittlichem Unternehmenswachstum und geringen Wachstumsausschöpfungsgraden erreichte beispielsweise Ryanair im Betrachtungszeitraum überdurchschnittliche Produktivitätsfortschritte und ein für Low-Cost-Airlines typisches hohes absolutes Produktivitätsniveau. Fazit Die Pro-Bench-Reg-Ergebnisse ofenbaren für viele der untersuchten Airlines Handlungsbedarf. Die AB-20 sind auf Wachstum angewiesen. Sie benötigen im Durchschnitt ein Umsatzwachstum von 3,5 Prozent bzw. ein Passagierwachstum in Höhe von 2,8 Prozent, um überhaupt Produktivitätsfortschritte zu erzielen. Stagnation bedeutet für die AB-20 aufgrund der negativen Basisproduktivitäten zwangsläuig Produktivitätsverluste. Dennoch konnten die Airlines im Durchschnitt ihre kritischen Wachstumsschwellen in den Jahren 2000 bis 2010 überbieten und somit Produktivitätsfortschritte erreichen. Die Wachstumsausschöpfungsgrade der AB-20 fallen jedoch eher gering aus. Dies bedeutet, dass die Airlines ihr Wachstum nur mittelmäßig für Produktivitätssteigerungen nutzen konnten. An dieser Stelle wird der Nutzen von Pro-Bench- Reg als strategisches Frühwarninstrument deutlich. Es prognostiziert dem Management der Airlines den Umfang von Produktivitätseinbrüchen, falls es zu Stagnationen oder Rezessionen kommt. Zudem gibt es Anhaltspunkte, in welchem Umfang das Unternehmen bei Wachstum mit Produktivitätsfortschritten rechnen kann. Somit unterstützt es das Management der Fluggesellschaften unter anderem bei der längerfristigen Planung des Ressourcenbedarfs. Die Herausforderungen des Managements bestehen also primär darin, die Basisproduktivität auf ein höheres Niveau zu heben sowie den Abstand zur kritischen Wachstumsschwelle auf einen positiven Wert zu steigern und auszubauen. Zusätzlich sollte der Wachstumsausschöpfungsgrad im Auge behalten werden, um so die Produktivitätsbarriere der wachstumsbedingten Ausschöpfungsdegression zu überwinden. ■ 1 Sterzenbach, R.; Conrady, R.; Fichert, F.: Luftverkehr - Betriebswirtschaftliches Lehr- und Handbuch, 4., grundlegend überarbeitete und erweiterte Aulage, München (2009), S. 49 - 51. 2 Boston Consulting Group: Midlle Eastern Megacarriers - Gaining Altitude, (2011); www.bcg.de/ documents/ ile85452.pdf, Zugrif am 06.01.2012. 3 International Air Transport Association: Fact Sheet: Fuel, (2011); www.iata.org/ pressroom/ facts_igures/ fact_sheets/ pages/ fuel. aspx, Zugrif am 20.01.2012. 4 Hossenfelder, J.; Lünendonk, J.; Schneider, D.: Performance- Benchmarking von IT- und Managementberatungs-Unternehmen, 2009, online-Paper unter www.dietram-schneider.de 5 Verdoorn, P.J.: On the Factors Determining the Growth of Labour Productivity. In: Pasinetti, LL. (Hrsg): Italian Economic Papers. Vol. II, Oxford 1993, S. 59-68. Im italienischen Original: Fattori che regolano lo sviluppo delle produttività del lavoro. L’Industria 1 (1949), S. 45-53 6 Schneider, D.; Seitz, V.; Dellner, K; Schatz, R.: Produktivitätsbenchmarking - Bericht aus dem KUBE-Projekt „Pro-Bench-Reg“ mit empirischen Anwendungsbeispielen aus der Automobilindustrie. controller magazin, 27 (2002) 6, S. 547-551; Schneider, D.: Performance-Benchmarking von IT- und Managementberatungen - Ergebnisse einer Längsschnittanalyse auf der Basis des Lünendonk®-Knowledge-Tanks. Industrial Engineering, 61 (2008), 2, S. 34-39 . Philipp demmler, Dipl.-Betr.-Wirt KUBE-Projektleiter „Performance- Benchmarking“, KUBE e.V philipp.demmler@gmail.com dietram Schneider, Prof. Dr. Vorstand des Kompetenzzentrums für Unternehmensentwicklung und -beratung (KUBE e.V.), Professor für Betriebswirtschaft an der Hochschule für Technik und Wirtschaft, Kempten (Allgäu) dr.schneider@vr-web.de