eJournals Internationales Verkehrswesen 65/2

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0044
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2013
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Wenn der Betreiber zum Hersteller wird

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Stephan  Anemüller
Juan Carlos Castro Varela
Die Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) sanieren die 28 etwa 30 Jahre alten Fahrzeuge ihrer Stadtbahnserie 2100. Hierbei wird den modernen Ansprüchen der Fahrgäste genauso Rechnung getragen wie den Anforderungen der Fahrer. Das Unternehmen gewinnt aber auch wirtschaftlich, denn der Umbau kostet mit etwa 1,6 Mio. EUR je Fahrzeug nur etwas mehr als die Hälfte einer Neubeschaffung.
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TeCHNOLOGIe Stadtbahnen Internationales Verkehrswesen (65) 2 | 2013 62 Wenn der Betreiber zum Hersteller wird Kölner Verkehrs-Betriebe sanieren ihre Stadtbahnserie 2100 Die Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) sanieren die 28 etwa 30 Jahre alten Fahrzeuge ihrer Stadtbahnserie 2100. Hierbei wird den modernen Ansprüchen der Fahrgäste genauso Rechnung getragen wie den Anforderungen der Fahrer. Das Unternehmen gewinnt aber auch wirtschaftlich, denn der Umbau kostet mit etwa 1,6 Mio. EUR je Fahrzeug nur etwas mehr als die Hälfte einer Neubeschafung. Die Autoren: Stephan Anemüller, Juan Carlos Castro Varela D er Ansatz, nach dem ein Verkehrsunternehmen seine klassische Rolle als Betreiber erweitert und praktisch selbst zum Hersteller von Fahrzeugen wird, ist noch ungewöhnlich. Doch ganz neu ist der Gedanke nicht. Auch die Verkehrsbetriebe der Stadtwerke Bonn (SWK) und die Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) führen derzeit beispielsweise Umbauprojekte mit Nahverkehrsbahnen durch. Und auch im Bereich der Fahrweg-Infrastruktur sind ÖPNV-Unternehmen traditionell zumindest steuernd tätige Unternehmen in Bau und Sanierung und beschränken ihre Rolle nicht auf Beauftragung und Abnahme der Leistung. Der Gedanke, Fahrzeuge umzubauen und hierbei Industriepartner einzubinden, wo dieses sinnvoll ist, liegt also gar nicht so fern. So gesehen ist der Weg der KVB nur scheinbar ungewöhnlich. Es lohnt sich dennoch, einen Blick hierauf zu werfen. Ausgelöst wurde das Umbau-Projekt der KVB durch das zunehmende Alter der Stadtbahnen der Serie 2100, die in der ersten Hälfte der 1980er Jahre hergestellt und in Betrieb genommen wurden. Die Fachleute der KVB stellten sich die Frage, wie viel alte Fahrzeuge noch wert sein können. In der KVB-Hauptwerkstatt nahmen sie die Stadtbahnen genauer unter die Lupe. Aufgefallen ist vor allem die gute Qualität des seinerzeit für den Bau des Wagenkastens verwendetet Stahls, die heute nicht mehr oder nur sehr schwer zu bekommen ist. Die robuste Konstruktion und der sehr gute Erhaltungszustand „der Alten“ bot dann Grund genug für weitere Überlegungen, an deren Ende das Umbauprogramm der 2100er stand. Großes Programm mit einigen Aufgaben Die 28 Fahrzeuge durchlaufen ein umfangreiches Programm, das durch einige Aufgabenblöcke und zahlreichen Detailaufgaben gefüllt ist. Hierbei steht auch die Entwicklung speziischer Lösungen und der Lernprozess von Fahrzeug zu Fahrzeug im Mittelpunkt. Das Programm in der Übersicht: Klimaanlage Der Projektpartner Vossloh-Kiepe hat im Auftrag der KVB die bisher lachste Klimaanlage entwickelt, die es für Schienenfahrzeuge gibt. Die 25 Zentimeter hohen Module passen problemlos auf das Dach der Fahrzeuge und diese dann unter allen Brücken hindurch. Fahrerkabine und Fahrgastraum erhalten somit eine Klimatisierung. Bisher gab es diese in den 2100ern nicht. Fahrgestell Die Drehgestelle von Siemens / Düwag sind so stabil, dass eine Grundüberholung ausreicht. Die Anbauteile und Leitungen werden erneuert, die Bremsen durch KVB-Mitarbeiter überholt. Im Rahmen einer gründlichen Revision werden die Gestelle auf Risse untersucht, die Getriebe überholt und die Achsen ausgetauscht. Am Ende kommt über alles eine neue Lackierung. Türen Das bisher verwendete Türsystem wird beibehalten, aber komplett überarbeitet. In Zusammenarbeit zwischen der KVB AG und der Fa. IFE wurden alle Schwachpunkte analysiert und entsprechend verbessert. Ölfreier Kompressor Auch die Konstruktion der Druckluft-Kompressoren wurde anhand der Erfahrungen in den neuen Stadtbahnserien ausgerichtet. Bild 1: Alt und neu: Das neue Fahrzeug der Serie 2400 (rechts) lässt seine Herkunft erkennen, unterscheidet sich aber dennoch deutlich von den alten 2100ern. (Foto: Stephan Anemüller) Internationales Verkehrswesen (65) 2 | 2013 63 In den 2400er-Fahrzeugen wird der Kompressor ohne Öl auskommen und somit den Zielen des Umweltschutzes wesentlich gerechter werden. Sondermüll wird hierdurch vermieden. Fahrgastraum Der Fahrgastraum wird in seiner Aufteilung verändert. In der Wagenmitte entstehen großzügigere, breitere Durchgänge und mehr Stehplätze bzw. Stellplätze für Kinderwagen, Fahrräder etc. Hierfür entfällt eine der beiden Fahrerkabinen, da die Bahnen stets in Doppeltraktion gefahren werden und deshalb nicht zwei Fahrerkabinen je Fahrzeug benötigt werden. Trittstufen Die Trittstufen werden - nach Absprache mit Behindertenverbänden - mit einer Neigung versehen, so dass zukünftig Rollstuhlfahrer leichter in das Fahrzeug gelangen. Bisher war die Konstruktion der Trittstufen häuig eine unüberwindbare Barriere für Menschen in Rollstühlen, aber auch eine große Hürde beispielsweise für Fahrgäste mit Kinderwagen. Wagenkasten Der Wagenkasten bleibt grundsätzlich so erhalten, wie er ist. Allerdings erhalten die Wagenkästen nach Entkernung und Sandstrahlung auch Verstärkungen, die zunehmenden Gewichtsbelastungen Rechnung tragen. An nur wenigen Stellen, meist den Schnittstellen zwischen Wagenkasten und Fenstereinsätzen und ähnlichem, bedarf es der Beseitigung von Schadstellen. Fahrerkabine Die Antriebssteuerung bleibt im Wesentlichen so erhalten, wie sie auch in den 2100ern konstruiert war. Erneuert werden die Kabel, die nach neuen Normen verlegt werden. Der Fahrerarbeitsplatz wird in den 2400ern genauso angelegt, wie in den Bahnen der jüngeren Baureihen. Dies dient dem Ziel, den Fahrern eine gleiche Arbeitsumgebung zu geben, auch wenn sie zwischen verschiedenen Serientypen wechseln. Qualiizierung und Lernprozess Der wesentliche Faktor, ein solches Umbau- Projekt überhaupt in Erwägung zu ziehen, war für die KVB die Qualiikation ihrer Werkstätten. Der Teilbereich Stadtbahnfahrzeug Instandsetzung der KVB besitzt, im Gegensatz zu anderen Verkehrbetrieben, eine sehr große Fertigungstiefe, die Garant für eine hohe Verfügbarkeit der Fahrzeuge im täglichen Liniendienst ist. Durch das notwendige Knowhow in den eigenen Reihen konnte ein so umfangreiches und technisch anspruchsvolles Projekt, wie es die Sanierung der Fahrzeugserie 2100 ist, gestartet werden. Die Engineering-Abteilung hat beispielsweise das komplette Projekt von der Designstudie, Konstruktion, den Festigkeitsberechnungen über die aufwendigen technischen Leistungsbeschreibungen bis hin zur technischen Abnahme durch die Aufsichtsbehörden begleitet. Die Prozess- und Ablaufsteuerung erfolgt über die Arbeitsvorbereitung. Hier werden die gesamten Abläufe des Projektes abgewickelt und die notwendigen Ressourcen koordiniert. Eine eigenständige Projektgruppe leistet die Abarbeitung des Projektes. Der Industriepartner Vossloh-Kiepe übernimmt die komplette elektrische Arbeit. Die Generalüberholung der weiter verwendeten Baugruppen indet in den Teileaufarbeitungswerkstätten der KVB statt. Das benötigte hoch spezialisierte Personal stand hier bereits aufgrund der existierenden Fertigungstiefe zur Verfügung. Bei Baugruppen und Teilen mit einem Alter von etwa 30 Jahren ist dieser Aspekt nicht zu unterschätzen. Eine Herausforderung war anfänglich auch die Dokumentation. Die Fahrzeugzeichnungen wurden mangels CAD-Systemen früher in Papierform angelegt. Die Detailtreue fehlte, meist beschränkte sich die Dokumentation auf Übersichtszeichnungen. Im Rahmen der Erstellung des ersten Fahrzeuges - des Prototypen - mussten Fertigungszeichnungen in großem Umfang neu erstellt werden. Hierbei haben die Beteiligten bei ihrem Erstlingswerk erhebliche Lernprozesse durchlaufen, mit denen die Qualiikation der Werkstatt weiter gesteigert werden konnte. Auf dem Markt existieren nur sehr wenige freie Konstruktionsbüros, die Erfahrungen im Stadtbahnbau vorzuweisen haben. Die Investition in die eigene Qualiizierung wird der KVB bei den zukünftigen Umbauprojekten von großem Nutzen sein. Im Sommer 2013 geht die erste Doppeltraktion der neuen Serie 2400 in den täglichen Liniendienst. Den Fahrgästen stehen dann neuwertige Fahrzeuge zur Verfügung, in die sie einsteigen werden wie in ein Flugzeug, dessen genaues Alter auch kein Passagier kennt. Verantwortlich für den sicheren und störungsarmen Betrieb ist und bleibt die KVB als Verkehrsunternehmen - ganz gleich, ob diese die Fahrzeuge neu erworben oder selbst für deren Verjüngung gesorgt hat. ■ Bild 2: Am Anfang steht die vollständige Entkernung der Fahrzeuge und Ausbesserung des Wagenkastens. (Foto: CoelnColleur) Bild 3: Der Fahrgastraum ist neu und entspricht den derzeitigen Bedürfnissen der Fahrgäste. (Foto: Stephan Anemüller) Stephan Anemüller, Dipl.-Geogr. Mediensprecher Kölner Verkehrs-Betriebe AG, Köln stephan-anemueller@web.de Juan Carlos Castro Varela, Dipl.-Ing. Leiter Werkstätten Stadtbahn, Kölner Verkehrs-Betriebe AG, Köln Juancarlos.castro@kvb-koeln.de