eJournals Internationales Verkehrswesen 65/3

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0062
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Anforderungen an die Logistik von Hochvolt-Lithium-Ionen-Batterien

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2013
Sebastian Polzer
Carola Schulz
Patrick Jochem
Wolf Fichtner
Trotz schnell wachsender Zulassungszahlen von Elektrofahrzeugen ist bisher wenig über die Anforderungen an den sicheren Transport und die sichere Lagerung von Hochvolt-Lithium-Ionen-Batterien bekannt. Die chemischen und physikalischen Eigenschaften der Batteriekomponenten bedingen hohe Risiken, die die Beteiligten an der logistischen Kette und den Gesetzgeber vor neue Herausforderungen stellen.
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LOGISTIK Wissenschaft Internationales Verkehrswesen (65) 3 | 2013 32 A uch wenn wir die bereits zum letzten Jahreswechsel zugelassenen ca. 72.000 Elektrofahrzeuge (inklusive Hybride) auf deutschen Straßen (KBA 2013) wenig wahrnehmen, hat der globale Bestand an reinen batterieelektrischen Fahrzeugen mit einer hohen Wachstumsrate einen Stand von über 180.000 erreicht (EVI 2013). Derzeit erscheinen Hochvolt-Lithium-Ionen-Batterien (Bild 1) aufgrund ihrer vergleichbar hohen Zyklenfestigkeit, Energieeizienz sowie Energie- und Leistungsdichte am besten geeignet für Elektrofahrzeuge (Bild 2). Spätestens seit dem Zwischenfall Anfang diesen Jahres, als eine Lithium-Ionen-Zelle einer Boeing 787 Feuer ing und infolge dessen die gesamte Flotte mehrere Wochen am Boden bleiben musste, ist aber auch das Gefährdungspotential dieser Technologie allseits bekannt. Neben der Brand- und Explosionsgefahr stellt die Freisetzung giftiger Zersetzungsprodukte eine mögliche Gefährdung für Mensch und Umwelt dar (Buser 2012, S. 6). Während bei verbauten Batterien in Fahrzeugen mechanische Beschädigungen, thermische Einwirkungen und elektrische Fehler unwahrscheinlich sind, kann dies beim Transport von Einzelbatterien zunächst nicht ausgeschlossen werden. Daher sind Maßnahmen für eine sichere Logistik unumgänglich. Anforderungen an den Transport Die Vereinten Nationen (UN) stufen Lithium- Batterien als Gefahrgut der Klasse 9 ein. Hierbei wird zwischen Lithium-Metall-Batterien und Lithium-Ionen-Batterien diferenziert (LiBRi 2011, S. 87). Für eine genaue Klassiizierung ist relevant, ob die Batterien in bzw. mit Ausrüstung (hier: das Fahrzeug) versandt werden. Bei der Beförderung von Lithium-Ionen-Batterien ohne Fahrzeug gelten die Sicherheitsanforderungen bezüglich der UN-Nummer 3480, welche in den Modellvorschriften der UN sowie internationalen (ADR, IMDG-Code, IATA-DGR) und nationalen Gefahrgutvorschriften beschrieben werden. 1 Für den Transport von Lithium-Ionen-Batterien ist grundsätzlich ein Nachweis über die erfolgreiche Prüfung gemäß des UN-Handbuchs über Prüfungen und Kriterien, Teil III, Unterabschnitt 38.3 erforderlich (ADR 2013, IATA-DGR 2013 und IMDG-Code 2013). 2 Die Tests simulieren potentielle Einwirkungen (z. B. Schlag, Kurzschluss, Überladung) und werden von zugelassenen Prübehörden, in Deutschland z. B. der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, durchgeführt. Kleinserienbatterien (≤- 100 Stück) bzw. Prototypen, für die kein kompletter Prüfungsnachweis erbracht werden kann, dürfen nach den Vorgaben der Sondervorschrift 310 ADR/ IMDG-Code bzw. A88 IATA-DGR befördert werden. Die Verpackungsanweisungen P903 ADR/ IMDG-Code bzw. PI965 Teil IA IATA-DGR regeln die Speziikation der Verpackung für Hochvolt-Lithium-Ionen-Batterien. Im Luftverkehr Anforderungen an die Logistik von Hochvolt- Lithium-Ionen-Batterien Trotz schnell wachsender Zulassungszahlen von Elektrofahrzeugen ist bisher wenig über die Anforderungen an den sicheren Transport und die sichere Lagerung von Hochvolt-Lithium-Ionen- Batterien bekannt. Die chemischen und physikalischen Eigenschaften der Batteriekomponenten bedingen hohe Risiken, die die Beteiligten an der logistischen Kette und den Gesetzgeber vor neue Herausforderungen stellen. Die Autoren: Sebastian Polzer, Carola Schulz, Patrick Jochem, Wolf Fichtner Bild 1: Hochvoltbatterie mit Lithium-Ionen-Technologie (20 Ah) (Quelle: Robert Bosch GmbH) Internationales Verkehrswesen (65) 3 | 2013 33 LOGISTIK Wissenschaft liegt die zulässige Höchstmenge je Versandstück bei 5- kg (Passagierlugzeug) bzw. 35- kg (Frachtlugzeug) Nettogewicht. Nach Sondervorschrift A99 IATA-DGR können Batterien mit einer Masse von mehr als 35- kg mit Frachtlugzeugen befördert werden, wenn eine Genehmigung der zuständigen Behörde des Abgangsstaates, in Deutschland des Luftfahrt-Bundesamts, vorliegt. Die Genehmigung garantiert jedoch nicht die Bereitschaft für den Transport durch eine Luftfrachtgesellschaft. Der Versand gebrauchter Lithium-Ionen-Batterien ist prinzipiell möglich, wenn diese unbeschädigt sind und einem geprüften Typ entsprechen. Allerdings gibt es in Europa ausschließlich für den Straßenverkehr klare Regelungen (Sondervorschrift 636 sowie Verpackungsanweisungen P903a und P903b ADR). Im Luftverkehr ist gemäß Sondervorschrift A183 IATA-DGR der Transport von Abfallbatterien und Batterien, die zur Wiederverwertung oder Entsorgung versendet werden, verboten, außer es liegt eine Genehmigung der Behörde des Abgangsstaates und des Staats des Luftfahrtunternehmens vor. Ein brisantes Thema ist der Versand beschädigter Batterien. Hierzu liegt bislang - ähnlich wie bei Abfallbatterien - keine umfassende Regelung auf UN-Ebene vor. Durch die steigende Nachfrage nach Lithium-Ionen-Batterien für elektromobile Anwendungen besteht dringend Handlungsbedarf, denn Hochvolt-Batterien müssen auch im Falle eines Defekts sicher und rechtskonform befördert werden können. Mit den Änderungen des ADR zum 01.01.2013 wurde zumindest ein Teilerfolg erreicht. Durch das Inkrafttreten der Sondervorschrift 661 ist der Straßentransport beschädigter Lithium-Batterien, die nicht gemäß Sondervorschrift 636 zur Entsorgung gesammelt und zur Beförderung aufgegeben werden, in den Vertragsstaaten des ADR möglich. Für die Seeschiffahrt gibt es keine vergleichbare Regelung. Somit besteht weiterhin die Notwendigkeit einer qualiizierten sicherheitstechnischen Bewertung vor dem Versand. Im Luftverkehr gilt nach Sondervorschrift A154 IATA-DGR ein generelles Beförderungsverbot für beschädigte Batterien. Mittelfristig soll sich dies ändern, denn sowohl für Abfallbatterien als auch für beschädigte Batterien existieren Vorschläge, welche in die UN- Modellvorschriften 2015 eingearbeitet werden (PRBA 2012). Technische Anforderungen und Schutzmaßnahmen Um die unkontrollierte Freisetzung der in Hochvolt-Batterien gespeicherten großen Energiemenge zu verhindern, sind dauerhaft hohe Temperaturen beim Transport zu vermeiden. Hohe Temperaturen bewirken zudem einen rapiden Kapazitätsverlust und beschleunigen die Selbstentladung der Batterie. Auch hohe Ladezustände sind bei Lagerung und Transport eher zu vermeiden, da sie den Alterungsprozess begünstigen. Hersteller befördern Batterien daher oft mit einem Ladezustand (SOC) von 40 % (Buchmann 2013a). Prinzipiell ist der Ladezustand an die individuellen Transportbedingungen anzupassen. Gefahrgut - aber kein Gefahrstof: Anforderungen an die Lagerung Nach §2 Absatz 1 der Gefahrstofverordnung sind Lithium-Ionen-Batterien kein Gefahrstof, sondern ein Erzeugnis (Schmid 2012, S. 8) und unterliegen daher nicht den Vorschriften zur Lagerung von Gefahrstofen. Für die Anforderungen an die sichere Lagerung von Lithium-Ionen-Batterien gibt es bislang keine Gesetze oder Verordnungen, aber auch kaum andere allgemeingültige Aussagen (Buser 2012, S. 8). Hochvolt-Lithium- Ionen-Batterien sollten dennoch aufgrund ihres Gefährdungspotenzials nicht wie herkömmliche Produkte gelagert werden. Es ist eine individuelle Analyse und Bewertung der Gefahren erforderlich. Sicherheitskonzepte müssen für den Einzelfall vom Lagerdienstleister abgestimmt und in Absprache mit dem Hersteller, dem Sachversicherer, der Feuerwehr und den regionalen Behörden geregelt werden (VdS 2012, S. 3). Unabhängig vom Lagerkonzept müssen ausreichend Verkehrslächen vorhanden sein, um mechanischen Beschädigungen durch Flurförderzeuge vorzubeugen. Eine bodennahe Lagerung ist nicht zwingend notwendig, allerdings steigt mit zunehmender Lagerhöhe das Schadensrisiko bei fehlerhafter Handhabung. Dauerhaft hohe Temperaturen sind ebenso zu vermeiden wie große Temperaturschwankungen. Eine trockene, kühle Lagerung bei ca. 15-°C und einem SOC von 40-% wird empfohlen (Buchmann 2013b). Dies reduziert die Zellalterung, begrenzt die Selbstentladung und hält die Batterie gleichzeitig in einem funktionsfähigen und stabilen Zustand. Bild 2: Laden eines Elektrofahrzeugs (Quelle: Karlsruhe Institut für Technologie (KIT)) LOGISTIK Wissenschaft Internationales Verkehrswesen (65) 3 | 2013 34 Sebastian Polzer, Dipl. Wi-Ing. Absolvent des Wirtschaftsingenieurwesens, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Karlsruhe sebastian.polzer@student.kit.edu Bezüglich der baulichen Brandschutzvorkehrungen ist innerhalb von Gebäuden ein Freistreifen von mindestens 2,5- m zu anderen Lagerbereichen oder eine brandschutztechnische Abtrennung (z. B. Sicherheitsschränke, Lagerung in feuerbeständig abgetrennten Bereichen) einzuhalten (VdS 2012, S. 3). Neben einer Separierung und Mengenbegrenzung können je nach Produkt die Installation einer Sprinkler-, Sprühlut-, Gaslösch- oder Sauerstofreduzierungsanlage weitere potenzielle Schutzmaßnahmen für Hochvolt-Batterien darstellen (VdS 2012, S. 3). Allerdings liegen aktuell nur wenige Informationen und keine standardisierten Konzepte hinsichtlich der Wirksamkeit von anlagentechnischen Brandschutzmaßnahmen vor (Buser 2012, S. 7). Zumindest sollte eine lächendeckende Überwachung des Lagerbereichs mit einer Brandmeldeanlage erfolgen. Geeignete Feuerlöscher müssen bereitgestellt und die Mitarbeiter in der Handhabung unterwiesen werden (VdS 2012, S. 3). Außerdem sollte Sand als Löschmittel zur Verfügung stehen, da dieser die Bildung gefährlicher Rauchgase wie Fluorwasserstof reduziert (Lambotte 2012, S. 16). Für das Lagerpersonal ist eine produktspeziische Schulung vorzusehen, in der die Mitarbeiter auf die möglichen Gefahren des Hochvolt-Systems hingewiesen werden und eine Unterweisung bezüglich des sachgemäßen Umgangs und den zu ergreifenden Maßnahmen im Notfall erfolgt. Vermeintlich kritische und havarierte Batterien sind, soweit möglich, umgehend zu separieren. Hierfür eignet sich die Vorhaltung eines Silos mit einer Möglichkeit zum kontrollierten Abbrennen. Zudem sollte ein separater Prüfraum mit geeignetem Brandschutz, Klimatisierung, Explosionsschutz, technischer Lüftung und Stromversorgung eingeplant werden. Beschädigte Batterien sind fachgerecht zu entsorgen. Fazit Der Einsatz von Hochvolt-Lithium-Ionen Batterien in Elektrofahrzeugen bedarf insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Wachstumsraten in der weltweiten Elektromobilität eindeutiger internationaler Regelungen in der gesamten logistischen Kette. Besonders unklar ist dabei aktuell immer noch der Transport beschädigter Batterien. Bezüglich der Anforderungen an die Lagerung ist mangels gesetzlicher oder allgemeingültiger Aussagen ein unternehmensübergreifender Austausch zwischen Forschung, Versicherungsunternehmen, Behörden, Herstellern und Lagerdienstleistern wünschenswert, um auf Basis von Erfahrungen und aktuellen Forschungserkenntnissen sichere und wirtschaftliche Lagerkonzepte zu identiizieren. ■ 1 Die Ausführungen beschränken sich auf den Transport im internationalen Straßen-, See- und Luftverkehr: - ADR: Europäisches übereinkommen über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße - IMDG-Code: Internationaler Code für die Beförderung gefährlicher Güter mit Seeschifen - IATA-DGR: Regelwerk für den Transport von Gefahrgut im Luftverkehr der internationalen Flug-Transport- Vereinigung (IATA) Darüber hinaus können Regelungen für den Schienenverkehr in RID (Ordnung für die internationale Eisenbahnbeförderung gefährlicher Güter) nachgelesen werden. 2 Alle Informationen, welche im Weiteren nicht explizit durch eine Quelle gekennzeichnet sind, basieren auf den Vorschriften des ADR, des IMDG-Codes bzw. der Gefahrgutregelungen der IATA. LIterAtur ADR [Accord européen relatif au transport international des marchandises dangereuses par route] (2013): Europäisches übereinkommen über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße. BUCHMANN, I. (2013a): Charging Lithium-Ion. http: / / batteryuniversity. com/ learn/ article/ charging_lithium_ion_batteries, Zugrif: 05.05.2013. BUCHMANN, I. (2013b): How to Store Batteries. http: / / batteryuniversity. com/ learn/ article/ how_to_store_batteries, Zugrif: 05.05.2013. BUSER, M. (2012): Lithium-Batterien: Gefahren und Schutzmaßnahmen. Schadenprisma. Nr. 2, S. 4-8. EVI [Electric Vehicles Initiative] (2013): Global EV Outlook - Understanding the electric vehicle landscape to 2020. Paris. IATA-DGR [International Air Transport Association Dangerous Goods Regulation] (2013): Regelwerk für den Transport von Gefahrgut im Luftverkehr der Internationalen Flug-Transport-Vereinigung. IMDG-Code [International Maritime Code for Dangerous Goods] (2013): Internationaler Code für die Beförderung gefährlicher Güter mit Seeschifen. KBA [Kraftfahrtbundesamt] (2013): Pressemitteilung Nr. 8/ 2013 - Der Fahrzeugbestand am 1. Januar 2013. http: / / www.kba.de/ cln_031/ nn_124384/ SharedDocs/ Publikationen/ PM/ 2013/ pm__08__13__ bestand__2013__pdf.html#download=1, Zugrif: 05.05.2013. LAMBOTTE, S. (2012): Ursache Lithiumbatterien: Brandgefahren unterschiedlicher Typen. Fachkonferenz „Lithiumbatterien“. Frankfurt: 06.09.2012. LiBRi [Lithium Battery Recycling Initiative] (2011): Entwicklung eines realisierbaren Recyclingkonzeptes für die Hochleistungsbatterien zukünftiger Elektrofahrzeuge. Abschlussbericht. http: / / www.pt-elektromobilitaet.de/ projekte/ foerderprojekte-aus-demkonjunkturpaket-ii-2009-2011/ batterierecycling/ abschlussberichterecycling/ abschlussbericht-libri.pdf, Zugrif: 05.05.2013. 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