Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0064
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Große Pläne für den Nicaragua-Kanal
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Gernot Brauer
Der Panama-Kanal soll Konkurrenz bekommen. Rund 600 Kilometer weiter nördlich und damit näher an den USA will der chinesische Geschäftsmann Wang Jing einen zweiten, noch wesentlich größeren Kanal vom Atlantik zum Paziik mitten durch das mittelamerikanische Entwicklungsland Nicaragua bauen. Neu ist die Idee nicht.
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INFRASTRUKTUR Nicaragua-Kanalprojekt Internationales Verkehrswesen (65) 2 | 2013 39 Große Pläne für den Nicaragua-Kanal Der Panama-Kanal soll Konkurrenz bekommen. Rund 600 Kilometer weiter nördlich und damit näher an den USA will der chinesische Geschäftsmann Wang Jing einen zweiten, noch wesentlich größeren Kanal vom Atlantik zum Paziik mitten durch das mittelamerikanische Entwicklungsland Nicaragua bauen. Neu-ist die Idee nicht. Der Autor: Gernot Brauer D er neue Kanal soll dem Land einen Geldregen bringen - Nicaragua, eines der ärmsten Länder Lateinamerikas, erscheint von der Aussicht auf plötzlichen Reichtum wie geblendet: Einen „Tag voller Wunder“ nannte Regierungssprecherin und Präsidentengattin Rosario Murillo die Unterzeichnung des Projektvertrags mit dem chinesischen Geschäftsmann Wang Jing am 13. Juni. Staatspräsident Daniel Ortega hat damit gleich eine 50 Jahre währende Konzession ausgegeben, deren Laufzeit sogar auf 100-Jahre verdoppelt werden kann. Aber der Applaus auf das Konkurrenzprojekt zum Panama-Kanal (Bild 1) bleibt verhalten. „Der Nicaragua-Kanal wird nie gebaut werden”, sagte beispielsweise Greg Miller bei IHS Fairplay, einer global aufgestellten maritimen Beratungsgesellschaft. Und auch in Nicaragua selbst gibt es massive Kritik. Die Präsidentenfamilie habe ein Gesetz präsentiert, „das darauf abzielt, die Souveränität Nicaraguas aufzugeben“, urteilte etwa die sandinistische Erneuerungsbewegung Movimiento Renovador Sandinista. Oppositionsführer Eduardo Montealegre kritisierte das Gesetz, das Ortega ohne jegliche Prüfung in nur eineinhalb Tagen durchs Parlament gepeitscht hatte, rundheraus als verfassungswidrig, betrügerisch und schädlich für die Interessen seines Landes. Die Kanalbaugesellschaft HK Nicaragua Canal Development Investment Co. Ltd. (HKND) lässt das nicht gelten: Nicaraguas Umweltgesetzgebung erlaube es der Regierung, heißt es im Unternehmen, solche Konzessionen an private Firmen zu geben. Vom Atlantik durch den Nicaragua-See zum Paziik zu segeln - davon hatte schon der spanische Conquistador Hernan Cortes im 16. Jahrhundert geträumt. Allerdings ist Mittelamerika hier um das Dreifache breiter als an seiner panamesischen Taille (Bild- 2). Und wie beim Panama-Kanal (Bild-3), den die USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbauen ließen und der 1914 in Betrieb ging, gibt es auch hier Berge. Für einen superbreiten und supertiefen Kanal ist die Geograie Nicaraguas trotzdem gut geeignet. Zwar wird der Panama-Kanal derzeit schon ausgebaut, seine dritte Schleusentreppe wird aber nur für Schife mit bis zu 13 000 TEU passierbar sein - bei dieser längst schon nicht mehr aktuellen Kapazität ist dort auch künftig Schluss. Hier, in Nicaragua, erscheint auf den ersten Blick ein Durchstich selbst für die größten bisher existierenden Containerfrachter kein Problem. Allerdings steigt die Flut an beiden nicaraguanischen Küsten zu unterschiedlichen Zeiten, und vor allem läuft sie unterschiedlich hoch auf. Um bis zu 20 ft diferieren die Tiden. Ein zum Meer hin ofener Kanal quer durch Nicaragua würde deshalb eine zeitweilig starke Strömung bekommen. Da er ähnlich wie der existierende Panama- Kanal einen Süßwasser-Binnensee zu durchqueren hätte, warnen Umweltschützer: „In einem ofenen Kanal würde jede Menge Seewasser von Westen nach Osten ließen“, so der amerikanische Geologieprofessor J. David Rogers von der Missouri University of Science & Technology. Bereits jetzt deutet sich daher an, dass schon als Maßnahme gegen eine allmähliche Versalzung des Nicaragua-Sees an Schleusen kein Weg vorbei gehen dürfte. Der rund 8150 Quadratkilometer und 31 Meter über dem Meer liegende Nicaragua-See, nach dem Titicacasee der zweitgrößte See Lateinamerikas, mit seinen 300 Inseln, darunter einem aktiven Vulkan, ist außerdem ein einzigartiges Öko-Gebiet. Hier brütet beispielsweise das größte Krokodil Mittelamerikas und der Karibischen Inseln, das crocodylus acutus. Was ein Kanal mit diesem Naturparadies anstellen würde, ist noch gar nicht erforscht. Betreiber des Kanalprojekts ist die HKND Group, eine nur zwei Wochen vor dem Abschluss eines memorandum of understanding mit dem Präsidenten von Nicaragua am 7. November 2012 in Hongkong gegründete Firma mit gerade einmal 1200 US-Dollar Stammkapital und einer Anmeldung auf den für Steuerlüchtlinge berüchtigten Cayman- Inseln - letzteres sogar erst nach der Unterzeichnung des Memorandums. Firmeninhaber Wang Jing kontrolliert nach eigenen Angaben rund um die Welt etwa zwei Dutzend Firmen in drei Dutzend Ländern. Seine erste Million hat er angeblich mit einer Goldmine in Kambodscha gemacht. Heute ist er ofen- Bild 1: Der Panama- Kanal wird derzeit ausgebaut, soll nun aber in Nicaragua Konkurrenz bekommen. (Foto: Oliver Brunner/ pixelio.de) INFRASTRUKTUR Nicaragua-Kanalprojekt Internationales Verkehrswesen (65) 3 | 2013 40 bar inanziell in größeren Bergbaubetrieben, in Infrastrukturprojekten und vor allem in der Telekom-Branche engagiert. Sein größter bisheriger Coup war die Übernahme der damals deizitären staatlichen chinesischen Telekom-Firma Xinwei im Jahr 2010 die inzwischen der weltweit am schnellsten wachsende Anbieter in dieser Branche ist. Im Jahr 2012 machte Xinwei umgerechnet mehr als 325 Mio. USD Gewinn. Wang Jing ist an Xinwei mit knapp 40 % beteiligt. Das entspricht laut Bloomberg-Milliardärsindex etwa einer Milliarde USD. Das Kanalprojekt verlangt allerdings eine ganz neue Größenordnung. Die Gesamtkosten des Nicaragua-Projekts werden auf 40- Mrd. USD geschätzt, das Vierfache des kompletten nicaraguanischen Bruttosozialprodukts. Die HKND Group soll 49 Prozent der künftigen Kanalaktien halten, Nicaragua 51 Prozent. Dafür bekommt Wang große Freiheiten. Er darf nicht nur einen Schiffahrtskanal bauen, sondern vieles mehr: einen Flughafen, die zugehörige Infrastruktur für die Hinterlanderschließung, je eine karibische und eine paziische Freihandelszone, je einen karibischen und einen paziischen Seehafen und dazwischen wahlweise oder kumuliert eine Pipeline, eine dry canal genannte Bahntrasse und eben einen wet canal, also eine Schifsverbindung. Diese Bündelung kommt nicht überraschend. Schon seit 1995 hatte die Canal Interoceanico de Nicaragua, S.A. (CINSA) über eine solche Bahntrasse, eine parallele Öl- und Gas-Pipeline sowie eine Glasfaserverbindung zwischen beiden Ozeanen verhandelt. Im Jahr 2004 hatte die nicaraguanische Regierung erneut versucht, Kanalbaupläne für Schife von bis zu 250 000 BRT auf den Weg zu bringen. Das Projekt wurde damals auf 25 Mrd. USD geschätzt, der Staatshaushalt des Landes lag zu dieser Zeit bei rund einer Milliarde. Wang Jing darf nun all das bauen - aber er muss nicht. Konventionalstrafen, die auf Vertragserfüllung hinwirken könnten, sind nicht vereinbart. Auch entscheidet allein Wang Jing, welche Partner HKND jetzt oder später ins Boot holt. Die Regierung hat oiziell keinerlei Einluss, „selbst wenn Al Qaida den Kanal kaufen würde“, zitierte die Zeitung Diario de las Americas den Abgeordneten Eliseo Nunez Morales. Lediglich eines ist ofenbar festgelegt: Das Eigentum am Kanal soll graduell an Nicaragua fallen - wann und zu welchen Konditionen, ist allerdings wieder völlig ofen. Kritiker sprechen von einem blanken Hirngespinst. Aber dessen Sterne funkeln. Die Regierung von Staatspräsident Daniel Ortega rechnet schon während der Bauphase mit einem kräftigen Wirtschaftsaufschwung. Paul Oquist, persönlicher Präsidentenberater für die nationale Entwicklungspolitik, erwartet von einem künftigen Nicaragua-Kanal eine Verdopplung des gesamtwirtschaftlichen Wachstumstempos, eine Verdreifachung des Arbeitsplatzangebots innerhalb von nur vier Jahren und nach einer Meldung der Zeitung La Prensa schon für 2015 einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 15 %. Insgesamt sollen 40 000 neue Arbeitsplätze entstehen. Später soll der Kanal Millionen an Gebühren in die Staatskasse spülen. Denn jedes Containerschif, das auf dem Weg von Shanghai beispielsweise nach Baltimore statt den Suezkanal oder das Kap der Guten Hofnung den Nicaragua-Kanal passieren könnte, würde die Strecke um 4000 bzw. 7500 Kilometer abkürzen. Die Kosten für die Hin- und Rückreise eines durchschnittlichen 3000-TEU-Schifs könnten dadurch um etwa eine halbe bzw. eine Million USD niedriger werden; die größten Schife könnten je nach Fahrtroute allein durch verringerten Treibstofverbrauch zwischen 110 und 327 USD pro Standardcontainer einsparen. Kein Wunder, dass Top-Reedereien den Nicaragua-Plan vorsichtig optimistisch bewerten. So sagte der Sprecher der Maersk Line Central America and Caribbean Ariel Frias: „Wir begrüßen tragfähige Initiativen, die die Möglichkeiten für die Containerschiffahrt sowohl auf der Ebene der Reedereien wie der Kunden verbessern.” Das Projekt könnte allerdings ganz andere Perspektiven entwickeln, als die Beteiligten bisher zugeben wollen. Die Volksrepublik China ist nämlich bereits zum größten Investor in Lateinamerika aufgestiegen. Ji Yongqing, ein Kommentator chinesischer Technologieentwicklungen, sieht die Xinwei-Aktivitäten in die Strategie der fernöstlichen Großmacht eingebettet: „Nach meiner Überzeugung hat der Erfolg von Xinwei viel mit der staatlichen chinesischen Absicht zu tun, mit chinesischen Produkten Weltpolitik zu machen.“ Bestätigungen hierfür gibt es selbstredend nicht - im Gegenteil: Oizielle chinesische Stellen gehen zu dem Projekt sogar auf Dis- Bild 2: Erste Überlegungen für einen Kanal stammen bereits aus der spanischen Kolonialzeit. Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Kanalvarianten in Panama und Nicaragua erneut diskutiert. (Quelle: Meyers Konversationslexikon, 4. Aul. 1885-90) Bild 3: Die Karte von 1902 bezieht den Grenzluss San Juan ein. Der Flusslauf ist allerdings seit langem Streitfall zwischen Nicaragua und dem südlichen Nachbarland Costa Rica. (Quelle: Henry Isaac Sheldon „Notes on the Nicaragua Canal“ Internationales Verkehrswesen (65) 3 | 2013 41 tanz. Beobachter halten Wang Jing gleichwohl für „sehr gut vernetzt.” Die Regierung in Beijing wolle diesen Kanal, könne das aber nicht ofen zugeben und lasse Wang Jing für sich arbeiten. Der bleibt dabei: Es sei ein „purely commercial project” und habe „nothing to do with the Chinese government.” Dass solche Vermutungen dennoch immer wieder neue Nahrung erhalten, hat einfache Gründe. Bereits den Panama-Kanal betreibt eine chinesische Gesellschaft, und auch die weltgrößte Anlage zum Bau von Containerschiffen auf den Bahamas ist in chinesischer Hand - gerade einmal 80 Meilen vor der USamerikanischen Küste. China unterstützt mittel- und südamerikanische Regierungen inanziell - besonders freigebig Kuba und Venezuela - und hat sich in etlichen lateinamerikanischen Ländern an Hotels, Resorts und Casinos beteiligt. Erst im Juni 2013 hat Chinas neuer Staatspräsident Xi Jinping Kooperationsabkommen mit Mexiko und Costa Rica geschlossen. Die USA würden den Bau und die Kontrolle eines transozeanischen Kanals direkt vor ihrer Haustür durch die konkurrierende Weltmacht China auf Dauer nicht dulden, sagen einige Beobachter rundheraus, aber hinter vorgehaltener Hand. Sie warten jedoch ab, ob Wang Jing sich mit diesem Megaprojekt nicht überhebt. Wenn er es wirklich als privater Geschäftsmann verwirklichen wolle und keine Marionette der chinesischen Regierung sei, schrieb Andres Oppenheimer dazu kürzlich im Miami Herald, müsse er den nicaraguanischen Präsidenten Ortega davon überzeugen, wie Panama in seinem Land ein Referendum über dieses Kanalprojekt abzuhalten. Nur so könne für das Mammutvorhaben eine legale, wirtschaftliche, umweltgerechte und sozial verträgliche Basis entstehen. Ohne eine solche Volksabstimmung, gibt Oppenheimer sich sicher, würden freie Investoren sich nicht engagieren. Ofene Fragen will Wang Jing binnen eines Jahres in Vorstudien für den Kanalbau beantworten lassen. Dazu setzt er nach Schätzungen 45 Mio. USD ein. Schon 2014 soll es auf dieser Basis ausreichend genaue Antworten geben, um mit dem Bau beginnen zu können. Und gerade einmal fünf Jahre später, 2019, will der chinesische Tycoon sein Megaprojekt schon eröfnen. ■ Gernot Brauer Freier Journalist, München brauermuc@aol.com prospektierte Länge 286 km projektierte Bauzeit 5 Jahre zu bewältigender Höhenunterschied 31 m maximale Schifsgröße 250 000 BRT, min. 18 000 TEU möglicher Frachtdurchsatz 416 Mio. t / a geplante Erträge aus Passagegebühren 5,5 Mrd. USD / a Länge 82 km Bauzeit 10 Jahre zu bewältigender Höhenunterschied 26 m maximale Schifsgröße 65 000 BRT, 13 000 TEU Frachtdurchsatz 2012 3 331 Containerschife mit 12,2 Mio. TEU (5,6 % mehr als 2011) Umsatz 2012 2,4 Mrd. USD Gewinn 2012 1,258 Mrd. USD, (2011 1,229 Mrd. USD) nICArAguA-KAnAL PAnAMA-KAnAL IT-Profi Visionär Networker Erfahrung mit spezialisierten Tools wie SAS/ SPSS oder VISUM/ Railsys oder CPLEX/ GUROBI Interessiert? 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