eJournals Internationales Verkehrswesen 65/3

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0065
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2013
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RUBIK - Anschlusssicherung und Echtzeiginformation im regionalen Busverkehr

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2013
Stefan Tritschler
Harry Dobeschinsky
Horst Windeisen
Igor Podolskiy
Eine möglichst weitreichende Anschlusssicherung im ÖPNV erhält im ländlichen Raum eine besondere Bedeutung: Weil die Takte dort weniger dicht sind als bei städtischen Verkehren, bedeuten verpasste Anschlüsse oft lange Wartezeiten. Bestehende Betriebsleitsysteme können eine anschlussgesicherte Reisekette und aktuelle Fahrgastinformationen anbieten, sind aber für kleine und mittelständische Verkehrsunternehmen meist überdimensioniert. Das System RUBIK kommt ohne aufwändige Zentrale aus und kann diese Lücke schließen.
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Internationales Verkehrswesen (65) 3 | 2013 42 INFRASTRUKTUR Ländlicher ÖPNV RUBIK - Anschlusssicherung und Echtzeitinformation im regionalen Busverkehr Eine möglichst weitreichende Anschlusssicherung im ÖPNV erhält im ländlichen Raum eine besondere Bedeutung: Weil die Takte dort weniger dicht sind als bei städtischen Verkehren, bedeuten verpasste Anschlüsse oft lange Wartezeiten. Bestehende Betriebsleitsysteme können eine anschlussgesicherte Reisekette und aktuelle Fahrgastinformationen anbieten, sind aber für kleine und mittelständische Verkehrsunternehmen meist überdimensioniert. Das System RUBIK kommt ohne aufwändige Zentrale aus und kann diese Lücke schließen. - Die Autoren: Stefan Tritschler, Horst Windeisen, Harry Dobeschinsky, Igor Podolskiy B usse und Bahnen in den Ballungsräumen konnten in der Vergangenheit ihren Anteil am Modal Split verbessern und weisen deutlich gestiegene und weiterhin steigende Fahrgastzahlen aus. Dies ist insbesondere den Investitionen der letzten Jahrzehnte in den SPNV zu verdanken. Im ländlichen Raum hingegen bildet - bedingt durch die geringere Bevölkerungsdichte - meist ausschließlich der Busverkehr das Rückgrat des ÖPNV. Dort konnte in den letzten Jahren durch moderne Fahrzeuge und neue Fahrplankonzepte der ÖPNV attraktiver gestaltet werden, dennoch bleibt der ländliche Busverkehr nicht nur bei der Taktdichte, sondern gerade auch bei etlichen Komfortmerkmalen hinter dem städtischen Nahverkehr zurück. Durch die zunehmende Sensibilisierung der Bevölkerung in Sachen Klima- und Umweltschutz und die tendenziell knapper werdenden Energieressourcen ist es wichtig, dass auch der ländliche Busverkehr weiter an Attraktivität gewinnt, um im Wettbewerb mit dem Pkw mithalten zu können. Bei der Steigerung der Attraktivität spielen unterschiedliche Faktoren eine Rolle. Neben den tarilichen Konditionen ist insbesondere die Reisezeit der Fahrgäste sowie die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit des ÖPNV von Interesse. Dazu kommt ein stetig steigendes Interesse an aktuellen Informationen über den ÖPNV, welches sich in der stark ansteigenden Nutzung von Fahrplanauskunftsdiensten im Internet und über mobile Endgeräte zeigt. Sobald ein Fahrgast in seiner Reisekette mindestens einmal umsteigt, kommt in diesem Zusammenhang der Anschlusssicherung eine entscheidende Rolle zu. Dies bedeutet, dass Fahrgäste, die auf ihrer Reise mehrere ÖPNV-Angebote nutzen, die Gewissheit haben, dass das nächste Verkehrsmittel auf sie wartet und nicht kurz vor ihrem Eintrefen an der Umsteigehaltestelle abfährt - denn ein verpasster Anschluss begründet sich meist darin, dass sich ein Verkehrsmittel verspätet und das nächste darüber nicht informiert ist und somit auch nicht auf den verspäteten Zubringer wartet. Grundsätzlich ist eine möglichst weitreichende Anschlusssicherung im gesamten ÖPNV sinnvoll, eine besondere Bedeutung erhält sie aber im ländlichen Raum. Dort Internationales Verkehrswesen (65) 3 | 2013 43 sind die Takte weniger dicht als bei den städtischen Verkehren, in denen oftmals ein 10- oder 20-Minuten-Takt angeboten wird, so dass sich aus einem verpassten Anschluss eine zusätzliche Wartezeit von mindestens einer halben Stunde, in der Regel jedoch von einer ganzen Stunde ergibt. In den Abendstunden oder am Sonntag fährt oftmals nur alle zwei Stunden ein Bus, so dass die zusätzliche Wartezeit noch länger wird. Daher ist die Anschlusssicherung im ländlichen ÖPNV viel wichtiger als in den Ballungsräumen, wo sich nach einem verpassten Anschluss meist nach deutlich kürzerer Zeit die nächste Fahrtgelegenheit ergibt. - Aufgabenstellung Um allen Fahrgästen eine anschlussgesicherte Reisekette und Fahrgastinformationen anbieten zu können, sind technische Lösungen notwendig. Diese existieren bereits seit vielen Jahren in Form rechnergestützter Betriebsleitsysteme, wie sie bei den ÖPNV-Unternehmen in den großen Ballungsräumen im Einsatz sind. Neben den innerbetrieblichen Funktionen ermöglichen solche Betriebsleitsysteme auch Dienste für die Fahrgäste, dabei ist neben der Anschlusssicherung auch insbesondere eine dynamische Fahrgastinformation (DFI) zu nennen. Um solche Dienste realisieren zu können, arbeiten die Betriebsleitsysteme mit Echtzeitdaten, d. h. mit den tatsächlichen Ankunfts- und Abfahrtszeiten an den Haltestellen, die sich aufgrund von Störungen (z. B. Staus, Baustellen oder technischen Problemen) von den Ankunfts- und Abfahrtszeiten laut Fahrplan unterscheiden können. Allerdings sind die am Markt erhältlichen Betriebsleitsysteme vor allem für große Verkehrsunternehmen konzipiert. Sie sind damit primär für große Fahrzeuglotten in einem dichten, städtischen Netz ausgelegt und integrieren z. B. auch Stadtbahn- oder U-Bahn-Verkehre. Für kleine und mittelständische Verkehrsunternehmen, vor allem im ländlichen Raum, sind diese bestehenden Betriebsleitsysteme in der Regel überdimensioniert, in der Anschafung und im Betrieb zu teuer und zu personalintensiv. Um auch mittelständischen Verkehrsunternehmen eine Lösung anzubieten, ist ein schlankes Informationssystem mit der Konzentration auf die Anforderungen im regionalen Busverkehr notwendig. Dieses System muss in der Lage sein, • die aktuelle Betriebslage (liegen Verspätungen oder Verfrühungen vor? ) zu ermitteln, • mit möglichst wenigen Eingrifen des Fahrers zu haltende Anschlüsse unter den betrofenen Bussen auszutauschen, • dem Fahrgast über DFI-Medien oder Internetseiten eine Information über den Betriebszustand in Echtzeit anzuzeigen, • ohne personalbesetzte Zentrale zu arbeiten • und dabei gleichzeitig kostengünstig und einfach realisierbar sein. Die VWI Stuttgart GmbH hat sich auf Basis langjähriger Erfahrungen [1, 2] dieser Aufgabe angenommen und dafür mit Unterstützung des Landes Baden-Württemberg [3] das System RUBIK entwickelt [4]. - Lösung RUBIK ist ein System ohne aufwändige Zentrale, alle wichtigen Aufgaben (z. B. Ermittlung der Echtzeitdaten) werden direkt im Fahrzeug erledigt (Bild 1). Dazu können u. a. am Markt erhältliche mobile Industrie- PCs eingesetzt werden. Die bislang mit RU- BIK ausgestatteten Busbetriebe setzen Geräte mit einem 7“-Vollfarb-Touchscreen und integrierten Modulen für Ortung und Kommunikation ein (Bild 2). Mit ihrer kompakten Größe und robusten Ausführung eignen sich diese Geräte optimal für den Einsatz in Bussen. Die Nutzung anderer - auch bereits vorhandener - Bordgeräte (z. B. Fahrscheindrucker) ist ebenfalls möglich, falls diese die Systemanforderungen erfüllen. Die in großstädtischen Betriebsleitsystemen erforderliche personalbesetzte zentrale Leitstelle wurde durch einen Kommunikationsserver ersetzt, der lediglich als Vermittlungsstelle für den Informationsaustausch zwischen Fahrzeugen, Fahrgastinformation Bild 1: Systemarchitektur und Komponenten des RUBIK-Systems (Alle Abbildungen: VWI Stuttgart) Bild 2: RUBIK-Bordgerät im Bus Bild 3: DFI-Anzeiger mit Echtzeitinformationen INFRASTRUKTUR Ländlicher ÖPNV Internationales Verkehrswesen (65) 3 | 2013 44 und den weiteren Anbietern bzw. Abnehmern von Daten dient. Die Bordrechner in den Fahrzeugen tauschen fachliche Informationen von Bus zu Bus direkt miteinander aus und bedürfen keiner regelnden Zentralinstanz. Die direkte Kommunikation ermöglicht eine komfortable Anschlusssicherung für die Fahrgäste. Der Busfahrer kann den Bordrechner per Knopfdruck veranlassen, andere Busse über umsteigewillige Fahrgäste zu informieren. Kommt es zu Verspätungen, über die ebenfalls informiert wird, kann der Fahrer des Abbringer-Busses entscheiden, ob er am Umsteigepunkt auf den verspäteten Bus wartet oder nicht. Diese Entscheidung wird ebenfalls per Knopfdruck zurückgemeldet, so dass der Fahrer des verspäteten Busses seine Fahrgäste zuverlässig darüber informieren kann, ob sie ihre Anschlüsse noch erreichen. Darüber hinaus bietet das System die Möglichkeit, über eine gemeinsame Schnittstelle beliebige Fahrgastinformationsmedien zu bedienen. Dies können sowohl stationäre Anzeiger an Haltestellen sein (Bild 3) als auch übergeordnete Auskunftssysteme. So gelangen die Echtzeitdaten mittels einer Schnittstelle zur Zentralen Datendrehscheibe Baden-Württemberg (ZDD BW) der Landesnahverkehrsgesellschaft NVBW auch an die Fahrplanauskunft EFA-BW, die übers Internet oder per Smartphone-App von jedem Fahrgast genutzt werden kann. RUBIK bietet die Möglichkeit, unterschiedliche Anbieter von ÖPNV-Betriebsleistungen ohne eine gemeinsame Datenhaltung in das System zu integrieren. Alle innerbetrieblichen Daten (z. B. Fahrzeugeinsatz-, Umlauf- und Personaleinsatzplanung) müssen nicht an Dritte oder an eine Zentralinstanz weiter gegeben werden und verbleiben beim jeweiligen Unternehmen. Innerhalb des Systems werden nur Fahrplandaten und gegenseitige Korrespondenzbzw. Anschlusspunkte ausgetauscht. - Anwendungsbeispiel Am Beispiel der Stadt Neuenstadt am Kocher im Landkreis Heilbronn lässt sich der Nutzen von RUBIK gut verdeutlichen. Die Stadt hat 9.600 Einwohner in fünf Stadtteilen und ist Unterzentrum für die umliegenden Gemeinden. In Neuenstadt wurde im Jahr 2000 durch die Omnibus-Verkehr Ruof GmbH (OVR) ein modernes Busbetriebskonzept eingeführt. An einer zentralen Rendezvoushaltestelle am Lindenplatz in Neuenstadt trefen sich stündlich zur Minute 00 acht Buslinien - in der Hauptverkehrszeit zusätzlich auch noch zur Minute 30 - wodurch ein Halbstundentakt entsteht (Bild 4). Durch das Rendezvous der Linien wird an der zentralen Haltestelle ein problemloses Umsteigen von jeder Linie auf jede andere Linie ohne Wartezeiten ermöglicht. Besonders viele Fahrgäste nutzen den „KocherShuttle“ von und nach Heilbronn, der mit einer Fahrtzeit von knapp 30 Minuten eine schnelle Anbindung Neuenstadts und der umliegenden Gemeinden an das Oberzentrum Heilbronn herstellt. Am Lindenplatz sollen möglichst alle Anschlüsse gesichert werden, mindestens jedoch die von und auf den KocherShuttle. Dies bedingt aber, dass sich die Fahrer der Busse über Verspätungen informieren und über das Halten der Anschlüsse verständigen. Dazu stand bis zur Einführung von RUBIK nur der Betriebsfunk zur Verfügung, dessen Reichweite und räumliche Abdeckung durch die Topographie aber gering war und der nicht in allen Bussen der vor Ort tätigen Verkehrsunternehmen zur Verfügung stand. Eine Nutzung normaler Mobilfunkgeräte kommt nicht in Frage, da relevante Funktionen wie z. B. ein Gruppenruf nicht zur Verfügung stehen. Seit Mai 2012 sind alle Fahrzeuge des OVR- Standorts Neuenstadts mit RUBIK ausgerüstet, momentan wird auch der OVR- Standort Albstadt ausgestattet. Die Resonanz der Fahrgäste ist sehr positiv, jeden Tag werden Dutzende Anschlusswünsche bei den Busfahrern angemeldet und durch das neue System gesichert. Die Rendezvoushaltestelle am Lindenplatz wurde mit drei dynamischen Informationsanzeigern ausgestattet, die Fahrgäste an anderen Haltestellen können die Echtzeitdaten übers Internet abrufen. - Zusammenfassung RUBIK ist ein kostengünstiges System aus marktüblichen Standardkomponenten, das auch von kleinen und mittelständischen Verkehrsunternehmen eingesetzt werden kann. Dadurch wird der regionale Busverkehr deutlich attraktiver und benutzerfreundlicher, denn zukünftig erhalten auch Fahrgäste im ländlichen Raum Informationen und Komfortdienstleistungen des ÖPNV, die bisher nur Einwohnern der Ballungsräume vorbehalten waren. ■ QueLLen [1] DOBESCHINSKY, Harry: „Automatisierte verkehrsträgerübergreifende Informationssysteme: ein Beitrag zur Verbesserung der Fahrgastinformation im öfentlichen Verkehr“, Dissertation, Stuttgart, 1991 [2] Projekt RUDY: www.vwi-stuttgart.de/ Software-Rudy.html [3] Die Entwicklung von RUBIK wurde im Rahmen des 3. Innovationsprogramm ÖPNV des Landes Baden-Württemberg inanziell gefördert. [4] RUBIK: www.vwi-rubik.de Stefan Tritschler, Dipl.-Wi.-Ing. Geschäftsführer, VWI Stuttgart GmbH, Stuttgart stefan.tritschler@vwi-stuttgart.de Horst Windeisen Geschäftsführer, Omnibus-Verkehr Ruof GmbH, Waiblingen horst.windeisen@ovr-bus.de Harry dobeschinsky, Prof. Dr.-Ing. Geschäftsführer, VWI Stuttgart GmbH, Stuttgart harry.dobeschinsky@ vwi-stuttgart.de Igor Podolskiy, Dipl.-Inf. Akademischer Mitarbeiter, VWI Stuttgart GmbH, Stuttgart igor.podolskiy@vwi-stuttgart.de Bild 4: Busbetriebskonzept mit Umsteigeknoten „Lindenplatz“