eJournals Internationales Verkehrswesen 65/3

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2013-0066
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Boarding-Effizienz standardisiert bewerten

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Filiz Elmas
Kim Ihlow
Bekannt sind Effizienzklassen schon aus dem Bereich der Elektrotechnik, wo beispielsweise der Energieverbrauch von Kühlschränken im Vergleich zu einem Referenzmodell abgebildet wird. Schon bald könnte dieses Szenario auch an Flughäfen Realität werden.
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INFRASTRUKTUR Eizienzklassen Internationales Verkehrswesen (65) 2 | 2013 45 Boarding-Eizienz standardisiert bewerten Innovationen lenken mit Standards Bekannt sind Eizienzklassen schon aus dem Bereich der Elektrotechnik, wo beispielsweise der Energieverbrauch von Kühlschränken im Vergleich zu einem Referenzmodell abgebildet wird. Schon bald könnte dieses Szenario auch an Flughäfen Realität werden. Die Autoren: Filiz Elmas, Kim Ihlow D as DIN Deutsches Institut für Normung e. V. (DIN) hat in Zusammenarbeit mit Airbus, dem Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI- e.- V.) und der Firma Industrio kürzlich einen ersten Meilenstein gelegt und Vertreter u.a. von Flughafenbetreibern, Fluggesellschaften, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Forschungseinrichtungen, Prüinstituten, Zulieferern, Experten des DIN-Normenausschusses Luft- und Raumfahrt (Fachbereich Kabine) sowie dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) zu einer Auftaktveranstaltung zum Thema „Boarding-Eizienz“ eingeladen. Im Fokus der Diskussion stand dabei die Frage, inwieweit Eizienzklassen auch für den Boarding-Prozess von Verkehrslugzeugen eingesetzt werden können und ob Fluggesellschaften mittels einer hohen Eizienzklasse mehr Fluggäste gewinnen als Fluggesellschaften mit einer niedrigeren Klasse. Dabei wird der Ansatz verfolgt, nur die unmittelbar mit dem Boarding der Passagiere in Verbindung stehenden Prozesse und Rahmenbedingungen zu betrachten - beispielsweise neue Layoutkonzepte für die Ablughalle, Orientierungshilfen, Gepäckkonzepte bis hin zu einem veränderten Flugzeugdesign, welche die Boarding-Prozesse erleichtern sollen. Der Turnaround des Flugzeuges, der alle Abfertigungstätigkeiten wie Reinigungsarbeiten, Betankung, Be- und Entladung sowie Catering umfasst, indet dabei keine Berücksichtigung. Erarbeitung eines Eizienzklassensystems Ziel ist es, ein System von Eizienzklassen bereitzustellen, welches jedoch nur unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Komponenten gebildet werden kann. Es reicht nicht aus, allein die Prozesse rund um das Einsteigen eizienter zu gestalten. So hat auch das Konzept der Sicherheitskontrollen an einem Flughafen, sei es zentral wie z. B. in Frankfurt/ Main oder dezentral direkt an den jeweiligen Gates wie in Berlin-Tegel, einen großen Einluss auf das Eizienzempinden der Fluggäste. Hinzu kommt, dass die Boarding-Eizienz abhängig vom Fluggast unterschiedlich empfunden wird. Die Gruppe der Viellieger beispielsweise weiß es zu schätzen, just in time am Flughafen anzukommen, durch die Sicherheitskontrolle zu gehen und dann direkt in das Flugzeug zu steigen und loszuliegen. Urlaubsbzw. Gelegenheitslieger dagegen bringen tendenziell eher die Bereitschaft mit, Zeit am Flughafen zu verbringen und die Angebote dort zu nutzen. Wichtige Einlussfaktoren zur Bestimmung der Boarding-Eizienzklasse sind somit der Flughafen, das Boardingkonzept, das verwendete Flugzeug sowie der einzelne Passagier (Tabelle 1). Bei der Errichtung von Flughäfen sollte daher auf ein boardingfreundliches Layout der Ablughalle mit ausreichenden Sitzmöglichkeiten und Zugängen zu den Gate-Bereichen geachtet werden. Informationen zum Einsteige-Gate sowie weitere Vorabinformationen müssen frühzeitig verfügbar gemacht werden, möglicherweise schon beim Kauf des Flugtickets. Der Zugang zum Flugzeug sollte so reibungslos wie möglich ablaufen. Ungünstig für die Einstufung in eine hohe Eizienzklasse sind beispielsweise Außenpositionen, die nur mit einem Shuttlebus erreichbar sind und dadurch einen erhöhten Zeitaufwand erfordern. Auch der Zugang zum Flugzeug über lediglich eine der verfügbaren Türen verlängert den Boardingprozess und würde eine Herabstufung in der Eizienzklasse zur Folge haben. Ein weiterer kritischer Engpass ist das Flugzeug selbst. Üblicherweise drängen die Passagiere hinein, sobald das Boarding beginnt, und müssen im Flugzeug auf dem Gang warten, bis andere Passagiere ihr Handgepäck verstaut haben. Ein ausgeklügeltes Boardingkonzept kann dabei helfen und gleichzeitig zur Einstufung in eine höhere Eizienzklasse führen. Wichtige Ankündi- Einlussfaktoren Flughafen • Layout der Ablughalle (z. B. Zonenkonzept bei den Sitzplätzen) • Vorabinformation zum Boarding • Zugang zum Flugzeug Boardingkonzept • Informationen bei Ticketkauf • Ankündigungen • Handgepäckkonzept • Orientierungshilfen • Reihenfolge beim Besteigen des Flugzeugs Flugzeug • Layout des Flugzeugs • Türanordnungen • Gangbreite • Verzweigungen • Flugzeugtyp • Orientierungshilfen im Flugzeug Passagier • Verhalten • Alter • Konstitution • Erfahrung / Hintergrund • Reisegrund Tabelle 1: Einlussfaktoren zur Bestimmung der Boarding- Eizienzklasse INFRASTRUKTUR Eizienzklassen Internationales Verkehrswesen (65) 3 | 2013 46 gungen jeglicher Art, ein sinnvolles und leicht nachvollziehbares Handgepäckkonzept, verständliche und ausreichende Orientierungshilfen sowie die Festlegung der Reihenfolge beim Besteigen des Flugzeuges können ebenfalls Einluss auf die Eizienzklasse haben. Einige Fluglinien wenden bereits Boardingkonzepte an, wie die sitzreihenweise Befüllung des Flugzeuges, beginnend mit den hinteren Sitzreihen oder ein Boarding parallel über die vorderen und hinteren Türen des Flugzeuges. Darüber hinaus ließe sich durch breitere Gänge sowie verbesserte Ablagemöglichkeiten für das Handgepäck der Einsteigevorgang beschleunigen. Überlegenswert wären auch die generelle Verwendung aller zur Verfügung stehenden Türen sowie gut lesbare Orientierungshilfen im Flugzeug. Anders als bei deiniert messbaren Größen, wie beispielsweise dem Energieverbrauch von Elektrogeräten, wird ein Klassiizierungssystem für Boarding-Eizienz eine Komponente enthalten müssen, die sich sehr stark am Passagier orientiert. Das Alter, die Konstitution, die Erfahrungen sowie der Reisegrund sind Faktoren, die für das Eizienzempinden eines jeden Reisenden von großer Bedeutung sind und somit einen Einluss auf das Klassiizierungssystem haben. Die Einführung und Anwendung eines derartigen Klassiizierungssystems soll für die Interessengruppen Flughafenbetreiber, Fluggesellschaften und Passagiere, ja sogar die Flugzeughersteller mit Vorteilen verbunden sein (Tabelle 2). Ziel ist die Steigerung von Komfort und Eizienz. Durch eizientere Boardingkonzepte versprechen sich die Flughafenbetreiber kürzere Abfertigungszeiten und damit mehr Flugbewegungen pro Tag, was sich in einem gesteigerten Umsatz widerspiegelt. Für die Fluggesellschaften sind höhere Eizienzklassen gleichbedeutend mit einem Faktor zur Steigerung der Kundenzufriedenheit. Passagiere empinden durch eizientere Prozesse ihre Flugreise als angenehm. Auf diese Weise gewinnt die jeweilige Fluglinie an Attraktivität für Flugpassagiere. Bei guten Erfahrungen ist folglich davon auszugehen, dass sie für ihre nächste Flugreise dieselbe Fluglinie bevorzugen. Die Flugzeughersteller letztlich können mit geänderten Flugzeug- Layouts dafür Sorge tragen, dass sich die Boarding-Prozesse einfacher gestalten lassen, und erhalten dadurch ein Verkaufsargument für ihre Produkte. Standardisierungsansätze und die Rolle der Normung Die Festlegungen von Messgrößen für Boarding-Eizienz sowie die Deinition einer nachvollziehbaren Klassiizierung stellen Ansatzpunkte zur Erarbeitung geeigneter Normen und Standards dar (Tabelle 3). Das DIN, das als Dienstleister für Normung und Standardisierung zuständig ist, arbeitet gemeinsam mit Vertretern interessierter Kreise an der Entwicklung eines derartigen Klassiizierungssystems. Ziel ist es, Normen und Standards zu erarbeiten, die wesentlich dazu beitragen, dass sich technisches Wissen und Innovationen schneller verbreiten. Im Rahmen des Projektes „Boarding-Eizienz“ diskutieren Experten über Flughäfen, Boardingkonzepte, Flugzeuge und das gesamte Boardingkonzept, um geeignete Messgrößen zu identiizieren. Aus diesen Messgrößen soll eine Klassiizierung abgeleitet werden, welche vor allem für Passagiere, aber auch für Fluggesellschaften, Reiseveranstalter und Flughafenbetreiber nachvollziehbar sein muss. Durch die Einbindung des DIN in das nationale und internationale Normungsnetzwerk wird sichergestellt, dass die Ergebnisse konform mit den bestehenden nationalen und internationalen Regelwerken sind und eine lächendeckende Einführung erfolgt. Die Nutzung der anerkannten, neutralen Plattform des DIN sorgt darüber hinaus für eine zusätzliche Legitimation der Ergebnisse und verhilft den erarbeiteten Konzepten zu größerer Sichtbarkeit. Dies trägt wesentlich zum Transfer und zur Akzeptanz der Forschungsergebnisse im Markt bei. Denn nur wenn, wie in diesem Fall, ein Klassiizierungssystem vom Markt akzeptiert wird, indet es auch Anwendung und kann als Katalysator letztendlich zu einem gesteigerten Wohlbeinden beim Fliegen führen. ■ Vorteile für die Interessengruppen Flughafenbetreiber • Mehr Flugbewegungen • Geringere Gatezeiten Fluggesellschaft • Geringere Liegezeiten • Passagierzufriedenheit Flugzeughersteller • Marketingaspekte • Boardingfreundliches Flugzeug Passagier • Höheres Reisevergnügen • Weniger Stress • Geringerer Zeitaufwand Tabelle 2: Ein Eizienz- Klassiizierungssystem soll für alle Interessengruppen Vorteile bringen. Standardisierungsansätze Festlegung von Messgrößen für Boarding-Eizienz • Flughäfen • Boardingkonzepte • Flugzeuge • Gesamter Boarding-Prozess Deinition einer nachvollziehbaren Klassiizierung • Für Passagiere • Für Fluggesellschaften • Für Reiseveranstalter Felderprobung mit verschiedenen Passagiertypen Tabelle 3: Standardisierungsansätze zu einem Klassiizierungssystem Filiz Elmas, Dipl.-Ing. Innovationsmanagerin, Entwicklung neuer Arbeitsgebiete (ENA), DIN Deutsches Institut für Normung e. V., Berlin iliz.elmas@din.de Kim Ihlow, Dipl.-Ing. Projektmanager, Normenausschuss Luft- und Raumfahrt (NL), DIN Deutsches Institut für Normung e. V., Berlin kim.ihlow@din.de Auskünfte zum Stand der Arbeiten sowie Möglichkeiten der Mitarbeit können bei den Autoren erfragt werden. Das nächste Trefen der Arbeitsgruppe ist für den 22. Oktober 2013 in Berlin geplant. Interessierte sind herzlich eingeladen. InFO Zur MItArbeIt Foto: Markus Beck/ Fotolia